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Lokales
Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung Köln 2011
Weit genug gesprungen?
Von Oswald Pannes

Mit einem Umfang von mehr als 280 Seiten hat die Verwaltung jetzt die Integrierte Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung Köln 2011 vorgelegt - ein in vielfacher Hinsicht positiv zu bewertendes Papier, das in erfrischender Weise abweicht von bisheriger Planungsroutine und -enge. So wird hier nicht mit Planzahlen aufgewartet, die letztendlich möglicherweise gar nicht realisierbar wären. Und vor allem wird das gesamte Bedingungsgefüge von Jugendhilfe, Bildung und Sozialräumlichkeit in den Blick genommen. Mit dieser integrierten Vorgehensweise ist ein Papier entstanden, das tatsächlich als "Grundlage, als Denkhilfe, Orientierung und Analyseraster für aktuelle und zukünftige Entscheidungen" genutzt werden kann.


"Meine Traumschule" – Peter Petersen-Schule in Köln – gemalt von Laura
Quelle: www.peter-petersen-schule-koeln.de/
 
 
Chancengleichheit statt Chancengerechtigkeit!
 
Und doch muss dem Plan hinsichtlich der angestrebten Schulentwicklung ein entscheidender Makel attestiert werden: Nicht Chancengleichheit, sondern Chancengerechtigkeit (Seite 117) bzw. Bedarfsgerechtigkeit (Seite 11-13) werden als Ziel der zukünftigen Gestaltung des Schulwesens in den Vordergrund gestellt. Der Begriff Bedarfsgerechtigkeit negiert die aktive Gestaltungsverantwortung der Politik und ergänzt den von konservativer Seite eingeführten Begriff der Chancengerechtigkeit. Dieser ist schon mehr als fragwürdig, da er auf dem wissenschaftlich längst widerlegten Mythos von eindeutig und im frühen Alter definierbaren Begabungen beruht. Danach wäre jedes Kind der Schulform zuzuweisen, die seiner Begabung und dem jeweils mehr oder weniger nachdrücklich vertretenen Elternwillen "gerecht" wird. Und so wäre dann auch die „bedarfsgerechte“ Verteilung der Kinder innerhalb des aus dem 19. Jh. (!) stammenden gegliederten Schulsystems nur konsequent.
 
Sowohl die Grundschule - seit 1920 die erfolgreichste deutsche Schulform - als auch die durchgängige Praxis im Ausland und die Fachwissenschaft mit vielfachen internationalen Vergleichen zeigen auf, dass nicht getrenntes, sondern gemeinsames Lernen eine gerechtere und deutlich erfolgreichere Bildung ermöglicht – eben auf der Basis von Chancengleichheit. Es geht also um die "Eine Schule für alle". Die wird auf Seite118 des vorgelegten Papiers auch für die Kölner Schulentwicklungsplanung reklamiert.
 
Realisiert werden soll dieser Anspruch durch die neu eingeführte Gemeinschaftsschule. Tatsächlich aber wird mit ihr nicht die "Eine Schule für alle" entstehen, sondern ein zweigliedriges Schulsystem mit leicht variierter Fortsetzung der bisherigen Selektion: die Gemeinschaftsschule für das gemeine Volk, das Gymnasium für die Kinder der Besserverdienenden und des Bildungsbürgertums. Dagegen setzt "Eine Schule für alle" ein alternativloses voll integriertes Schulsystem voraus.
 
Zwar werden im vorgelegten Plan der Gesamtschule beste Voraussetzungen und große Erfolge in Bezug auf die Gestaltung des gemeinsamen Lernens wie auch eine starke Nachfrage seitens der Eltern zugestanden. Trotzdem wird im krassen Gegensatz zu diesen Feststellungen die Frage "Gemeinschaftsschule als Lösung?" plötzlich ab Seite 123 ohne Begründung implizit mit ja beantwortet. Die Gesamtschule wird nämlich danach nicht weiter erwähnt.
 
Gesamtschule als Lösung!
 
Gesamtschule ist aber die Schulform, die tatsächlich gemeinsames Lernen von Klasse 5 bis Klasse 13 ermöglicht, also keinen Schulwechsel für die Oberstufe erfordert. Belegt ist zudem, "dass die Abiturientinnen und Abiturienten der Gesamtschulen mit lediglich 0,2 Prozentpunkten schlechter abschnitten als die der Gymnasien" - obwohl 71 % von ihnen ohne Gymnasialempfehlung die Grundschule verlassen hatten. Und: "Jährlich werden wegen der beschränkten Platzkapazität in Köln 600 bis 800 Schüler an den Gesamtschulen nicht aufgenommen" (Seite 122).
 
Dies alles spricht klar für die dringende Notwendigkeit, in Köln rasch und in großem Umfang neue Gesamtschulen einzurichten. Der Plan sieht aber lediglich die Umwandlung dreier bestehender Schulen in Gemeinschaftsschulen vor. Eine davon ist inzwischen seitens der Landesregierung wegen der "Gefährdung des benachbarten Gymnasiums" (!) abgelehnt worden. So werden durch die geplanten Gemeinschaftsschulen mit etwa 120 Plätzen maximal 20 % der Nachfrage nach gemeinsamem Lernen abgedeckt.
 
Davon unbeeindruckt gab Ulrike Heuer, die neue Leiterin des Schulverwaltungsamts, am 9. Februar im KStA unter Missachtung noch ausstehender Beratungen unmissverständlich zu Protokoll: "Ich glaube nicht, dass wir in naher Zukunft eine neue Gesamtschule eröffnen." Die Gesamtschule, die dem angestrebten Ziel "Eine Schule für alle" wie auch dem demokratisch legitimierten Anspruch der Chancengleichheit mit Abstand am nächsten ist, soll also gemäß der SPD-diktierten Vorgabe der neuen rot-grünen Landesregierung auf den Abstellgleisen verbleiben.
 
UN-Konvention der Inklusiven Bildung?
 
Damit würden auch wertvolle Erfahrungen aus dem an vielen Gesamtschulen schon jahrelang praktizierten Gemeinsamen Unterricht von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Behinderung in den Hintergrund gedrängt. Dies wiederum stellt die vorgetragene Entschlossenheit zur Realisierung des im vorgelegten Plan ab Seite 266 eindrucksvoll untermauerten Ziels der inklusiven Bildung in Frage. Schon in der jüngeren Vergangenheit war der Gemeinsame Unterricht durch nicht ausreichende Finanzierung und sogar noch durch Kürzungen beeinträchtigt. Nicht zuletzt deshalb waren viele Schulen bisher nicht für die Einführung des Gemeinsamen Unterrichts zu gewinnen. Neue Äußerungen von zuständigen Amtsebenen lassen befürchten, dass sich daran auch unter rot-grüner Landes- und roter Bezirksregierung nichts Wesentliches ändern wird.
 
Damit würde ein "inklusives Schulsystem auf allen Ebenen" - wie es Artikel 24 der UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung vorschreibt - eben nicht gewährleistet, ja nicht einmal ernsthaft in Angriff genommen. Für die Ebene des Gymnasiums ist im Plan auf Seite 270 beispielsweise lediglich eine vermehrte inselhafte Einzelintegration bei zielgleichem Unterricht angedacht. So werden der mit Inklusion unverzichtbar verbundene "Sinnes"-wandel und die mit inklusiver Bildung verbundene innere und äußere Schulreform bereits perspektivisch ausgeblendet und das zentrale Ziel und der Rechtsanspruch von Artikel 24 der UN-Konvention unterlaufen. Denn klar ist: Ein bisschen Inklusion - das geht gar nicht!
 
Dies alles sollte sowohl der Kölner Politik als auch der Verwaltung Ansporn sein, das vorhandene Gesamtschulnetz im Rahmen einer inklusiven Schulentwicklung zügig und entsprechend einer sozial gerecht orientierten Gestaltungsverantwortung auszubauen. Die forcierte Festlegung auf Gemeinschaftsschulen aber bindet Mittel und Energien, die den Gesamtschulen fehlen werden! So lässt sich nicht einmal das fragwürdige Ziel einer Chancengerechtigkeit erreichen. Erst recht aber sind auf diese Weise weder wirkliche Chancengleichheit noch die rechtlich verpflichtend zu gewährleistende inklusive Bildung zurealisieren.
 
In diesen Punkten also ist der integrierte Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplan Köln 2011zu kurz gesprungen! Der Arbeitskreis Bildung & Erziehung
>     ist einer der fünf lokalen Arbeitskreise bei attac Köln,
>     übt offensiv Kritik an der sozialen Schieflage, am zunehmenden einseitigen Leistungsdruck sowie an vielfältig wirkenden und mit "Begabungs“mythen verschleierten Selektionsmechanismen des deutschen Erziehungs- und Bildungssystems,
>     fordert entsprechend der UN-Behindertenrechtskonvention ein auf allen Ebenen inklusives Bildungssystem mit einer Schule für alle - und damit die Abkehr von gymnasialen Bildungsprivilegien wie vom ausgrenzenden und benachteiligenden Förderschulsystem
>      bietet eine Plattform für die Artikulation und Vernetzung von Initiativen und Einzelpersonen
>     gegen die aggressive neoliberale Umverteilungspolitik mit der Unterfinanzierung, Privatisierung und Entdemokratisierung der öffentlichen Bildungseinrichtungen
>     für eine allgemeine, allen zugängliche, chancengleiche und von Selbstbestimmung, demokratischer Teilhabe und Solidarität getragene und dazu befähigende Bildung
>     strebt bundesweite Vernetzung innerhalb von attac und darüber hinaus an
>     gibt regelmäßig den informativen und engagierten "AK:BE-Rundbrief" heraus
>     hat seine offenen Treffen jeweils am 2. und 4. Mittwoch im Monat um 20 Uhr im Versammlungsraum der Alten Feuerwache Köln - Melchiorstraße 3
>     lädt alle Interessierten herzlich zu Teilnahme und Mitarbeit ein. (PK)


Online-Flyer Nr. 291  vom 02.03.2011



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