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Globales
Gegen Gaddafi aber für die despotischen Staaten des Golfkooperationsrats
Die Stunde der Heuchler
Von Wolfgang Effenberger und Peter Kleinert

In der Nacht zum Freitag verhängte der UN-Sicherheitsrat mit seiner Resolution 1973 eine "Flugverbotszone" über Libyen "zum Schutz der Zivilbevölkerung" vor weiteren Angriffen der Luftstreitkräfte des Gaddafi-Regimes. Damit wurde nach dem Golfkrieg von 1991 zum zweiten Mal in der 66-jährigen Geschichte der Vereinten Nationen der Einsatz nahezu uneingeschränkter militärischer Zwangsmittel gegen ein Mitgliedsland autorisiert, und bereits am Samstagnachmittag flogen französische Kampfflugzeuge erste Angriffe gegen Panzer Gaddafis, wie die ARD um 21.15 Uhr meldete. Zwei Stunden später meldete das ZDF die Einschläge von mehr als 100 Tomahawk-Marschflugkörpern der USA und Englands am Stadtrand von Tripolis und "ungeheuer viele tote Zivilisten". Damit herrscht neben dem Irak und Afghanistan nun auch in Libyen Krieg.


 
Noch am Donnerstag hatten die USA und mit ihnen Südafrika, Nigeria und Gabun zum Teil erhebliche Bedenken vorgebracht. Doch nun vollzog die Obama-Administration nicht zuletzt auf Druck des Kongresses einen deutlichen Kurswechsel, dem auch die drei afrikanischen Staaten folgten. Mit der von Frankreich eingebrachten Resolution 1973 wurde nicht nur die Bombardierung von Luftabwehrsystemen oder von libyschen Kampfflugzeugen oder -hubschraubern autorisiert. Es dürfen sogar Luftangriffe gegen Gaddafis Regierungstruppen und ihre Panzer sowie gegen libysche Schiffe im Mittelmeer geflogen werden. Inzwischen gibt sich vor Libyen eine Armada verschiedener NATO-Kriegsschiffe ein Stelldichein. Ausdrücklich ausgeschlossen wurde in der Resolution lediglich die "Stationierung von Besatzungstruppen jeglicher Art auf libyschem Territorium".(1) Nach einer Teilung des Landes könnte sich das aber sofort ändern.
US-Präsident Obama während seiner Erklärung zur Libyen-Resolution und dem bevorstehenden NATO-Einsatz. Man beachte, dass wie bei allen Warnungen für den Adressaten das Präsidentensiegel so in das Bild gerückt wurde, dass die linke Kralle des Seeadlers mit den Pfeilen nicht übersehen werden kann.  Quelle: Screenshot Tagesschau vom 19. März 2011 01:00 Uhr

Das eindeutige Signal wurde in Libyen offenbar verstanden. Der libysche Außenminister Mussa Kussa beeilte sich jedenfalls, die umfassende Beachtung der UN-Resolution zu versprechen und die Einstellung aller Kampfhandlungen anzukündigen. Laut Medienberichten soll es in der libyschen Führung jedoch "Meinungsverschiedenheiten" über das Verhalten zu der Sicherheitsrats-Resolution geben, deren Thema allerdings auch "nur" eine "Flugverbotszone" war.
 
Erinnerung an den Golfkrieg 1991
 
In diesem Zusammenhang sollte heute nicht vergessen werden, dass im Vorfeld des Golfkrieges 1991 von der Public Relations-Firma Hill & Knowlton (H&K) eine erwiesenermaßen erfundene und inszenierte Brutkasten-Story als reales Ereignis präsentiert wurde: In einem Hearing vor dem Menschenrechtsausschuss des US-Kongresses bezeugte am 19. Oktober 1990 ein 15-jähriges Mädchen namens Nayirah ihre Beobachtung im al-Adan Hospital in Kuwait City, wie irakische Soldaten 15 Babies aus Brutkästen nahmen und auf dem Steinboden sterben ließen. Am 27. November 1990 wiederholte Nayirah ihre Schilderungen sogar vor dem UN-Sicherheitsrat. Der Coup gelang. Die nachweisbar erfundene Horrorstory beeinflusste die Debatte über eine militärische Intervention in den nächsten Monaten nachhaltig, und sogar Amnesty International übernahm die Geschichte und prangerte die Verbrechen der irakischen Besatzungsarmee in Kuwait an. Obwohl diese großangelegte Täuschung zwanzig Jahre zurück liegt, müsste sie doch noch bei vielen Zeitgenossen präsent sein. Dieses Wissen verlangt von uns heute, die Begründungen für einen Kriegseinsatz genauer zu überprüfen. Zweifel an den Berichten der Aufständischen über systematische Luftschläge scheinen angebracht zu sein. Trotz Spionagesatelliten und Awacs-Aufklärungsflugzeugen sind „wasserdichte Beweise für Angriffe des Gaddafi-Regimes auf die Zivilbevölkerung“ laut dpa vom 18.3.2011 immer noch "Mangelware".
 
Zusätzlich sollte auch immer hinterfragt werden, wo die Interessen der einzelnen Mächte liegen. So dürften die NATO-Staaten von Gaddafis Nachfolgern den freien Zugang zu den Bodenschätzen des Landes und militärische Kooperation erwarten.
 
Im Jahr 2010 zeichnete Obamas Antiterrorbehörde eine Bedrohungskarte. Gezeigt wird der islamische Gürtel von Zentralasien bis zur nördlichen Westspitze von Afrika und ist überschrieben mit: Bin Ladens "Pan-islamisches Kalifat".(2)Wie im Jahr 2010 prophezeit, begann noch Ende des Jahres der Aufruhr in Tunesien. Er setzte sich in weiten Teilen dieser eingefärbten Fläche fort – inzwischen auch in Syrien und im Jemen, wo von 40 Toten und 400 Verletzten berichtet wurde.

 
Aber es scheint nicht Osama bin Laden zu sein, der hier die Fäden zieht. Auslöser waren unter anderem die dramatisch gestiegenen Brotpreise. Bereits Ende Juli 2008 prophezeite der niedersächsische Landvolk-Präsident Werner Hilse, dass sich Energie- und Getreidepreise schon bald annähern könnten: „Weizen ist Nahrungsmittel und Energielieferant zugleich. Der Energiewert von Weizen ist derzeit aber nur halb so teuer wie Öl. Daher wird sich der Weizenpreis künftig immer stärker am Ölpreis orientieren.“(3) Er gehe davon aus, dass sich das Niveau des Weizenpreises im Vergleich zum Ölpreis durch Kopplung von derzeit rund 50 Prozent bis auf 80 Prozent erhöhen werde. Diese noch von George W. Bush zur Freude von Rockefeller, Monsanto und Dow Chemical angestoßene Entwicklung ist inzwischen nun für alle spürbar über E10 an unseren Tankstellen angekommen.(4)
 
Mit arabischen Despoten gegen Gaddafi
 
Der Einsatz militärischer Mittel seitens der "Westlichen Wertegemeinschaft" soll in enger Kooperation mit den Staaten der Arabischen Liga stattfinden, die mit der Mehrheit von 17 ihrer 22 Mitgliedsstaaten die Verhängung einer Flugverbotszone über Libyen gefordert hatte. Ausgerechnet in den despotischen Staaten des Golfkooperationsrats (englisch: Gulf Cooperation Council – GCC) suchte der Westen seine Hilfstruppen. Mit Duldung der USA sind die Truppen des GCC seit ein paar Tagen darum bemüht, den demokratischen Volksaufstand in Bahrain mit vereinten Kräften niederzuschlagen. Diesem Golf-Kooperationsrat gehören Bahrain, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate an –alles Staaten, die ihren Bürgern elementare demokratische Rechte vorenthalten. So steht der König in Saudi-Arabien über den Gesetzen, in Oman sind politische Parteien verboten, die Rechtssysteme Kuwaits und Katars und der Vereinigten Arabischen Emirate sind bestenfalls das, was das Auswärtige Amt als "patriarchalisches Präsidialsystem mit traditionellen Konsultationsmechanismen" bezeichnet.(5) Allem Anschein nach wird die Europäische Union trotz des repressiven Charakters des Golfkooperationsrates einen Ausbau der Zusammenarbeit in der Terrorismusbekämpfung und vor allem auch im politischen und sicherheitspolitischen Bereich anstreben.(6) Mit der Unterstützung demokratischer Kräfte scheint der seit Wochen im Eiltempo vorbereitete Militäreinsatz gegen Gaddafi jedenfalls denkbar wenig zu tun zu haben.
 
Die scheinheiligen Kämpfer für die Menschenrechte
 
Neben China, Russland, Indien und Brasilien enthielt sich auch die Bundesrepublik Deutschland der Stimme. Die Begründung ist einleuchtend und nachvollziehbar. Diese richtige Entscheidung könnte aber auch im Schatten der an den nächsten beiden Sonntagen bevorstehenden Wahlen gefallen sein. Die fehlende Bereitschaft der Bundesregierung, sich am kommenden Krieg gegen Libyen zu beteiligen, brachte manche Kommentatoren und Politiker in den Harnisch. Besonders hervorgetan hat sich an dieser Front der SPD-Bundestagsabgeordnete Rolf Mützenich in seinem Bundestagsauftritt vom 18. März. Er sieht in der UN-Resolution die richtige Konsequenz zu den Ereignissen in Libyen und warf dem Außenminister vor: „Den Mut, diese mitzutragen, haben Sie nicht aufgebracht“.(7) Dieser überzeugte Transatlantiker verweist auf seiner Homepage auf seine engen Kontakte zu manchen GCC-Staaten.(8) So durfte er vom 26. bis 28. Februar 2011 Bundespräsident Christian Wulff auf dessen Golfstaatenreise begleiten. Ende Mai 2006 stattete er mit dem damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier einen fünftägigen Besuch in den arabischen Golfstaaten ab. Unter diesen bilderbuchhaften Reiseeindrücken kann schon mal die objektive Wahrnehmung leiden.
 
Trotz Sicherheitsrat weiter "Gegossenes Blei"
 
Zwischen diesen beiden Reisen von Herrn Mützenich lag der unvorstellbar grausame Krieg gegen die im Gazastreifen eingesperrte palästinensische Bevölkerung. Nachdem auf beiden Seiten der Waffenstillstand brüchig geworden war, startete Israel am 27. Dezember 2008 unter dem zynischen Motto "Gegossenes Blei" den Angriff auf Gaza, einen Landstreifen von der Größe Münchens.
 
Nachdem durch Luft- und Artillerieangriffe die Infrastruktur der Hamas soweit geschwächt worden waren, stießen Panzerkräfte vor, um den Gazastreifen in zwei Hälften zu trennen. Dazu waren über 20.000 Soldaten und Hunderte von Panzern und gepanzerten Fahrzeugen aufgefahren. Das israelische Militär nannte als Ziele der Operation die Zerstörung der Hamas-Infrastruktur, wozu sie Polizeistationen, Waffenlager, Moscheen, Ministerien und Wohnhäuser zählte, sowie die Schwächung beziehungsweise Vernichtung der Hamas als Organisation. Aluf Dan Harel, stellvertretender Generalstabschef erklärte: „Wenn wir damit fertig sind, dann wird kein einziges Haus der Hamas in Gaza mehr stehen.“(9)

Bombenangriffe in Gaza. (Quelle: Wikimedia Commens)

Nachdem die internationale Gemeinschaft mehrmals vergeblich an Israel appelliert hatte, die Kämpfe einzustellen, trat am 8. Januar 2009 der Aufruf des Sicherheitsrates an die Konfliktparteien mit der Verabschiedung von Resolution 1860 des höchsten UN-Gremiums in Kraft. 14 Mitgliedsländer des höchsten UN-Gremiums, unter ihnen auch Libyen, stimmten ihm zu. Damals hielten sich die USA und unsere Transatlantiker in Medien und Politik vornehm mit Kritik zurück. Auch hier sollte die Waffenruhe zum kompletten Rückzug der israelischen Truppen aus Gaza führen. Doch schon am 9. Januar 2009 gab Ministerpräsident Ehud Olmert bekannt, dass Israel seine Angriffe fortsetzen werde.
 
Parallel zu der Bodenoffensive flog Israel noch immer Luftangriffe – und zerstörte nicht nur Industrieanlagen, sondern auch Wohnhäuser. Ziel der Angriffe waren auch Einrichtungen der internationalen Gemeinschaft – wie etwa das UN-Hauptquartier in Gaza und eine als Flüchtlingslager genutzte UN-Schule.(10) Nach 22 Tagen wurde dieser ungleiche Krieg beendet. Zehn israelische Soldaten mussten für diesen Wahnsinn mit ihrem Leben bezahlen, während auf der palästinensischen Seite 1.324 Menschen, darunter 300 Kinder, zu beklagen waren.

Im Gazakrieg obdachlos gewordene Palästinenser (Quelle: http.//www.campainforequality.info)
 
Kriege unter der Maske der Menschenrechte

Aufständische in Bengasi (Quelle. Screenshot Tagesschau vom 19.März 2011 01:00 Uhr)
 
Spätestens seit dem Krieg gegen Restjugoslawien im Frühjahr 1999 hat es sich eingebürgert, Kriege unter der Maske der Menschenrechte zu führen. Wer erinnert sich nicht an die unselige Begründung des damaligen deutschen Außenministers Joseph Fischer, als er mit dem Verweis „Nie wieder Ausschwitz! den Krieg um den Kosovo begründete. Erst anschließend führte die dank NATO siegreiche UCK Vertreibungen im großen Stil durch. Insgesamt 200.000 Serben, Juden und Roma wurden aus dem Kosovo vertrieben. Das Geschäft war zumindest für die USA lohnend. Sie können nun in diesem Jahrhundert ihren größten Stützpunkt seit dem Vietnamkrieg, das Camp Bondsteel, mit 7000 Mann im Kosovo betreiben. Im Sommer 2001 –also noch vor den Anschlägen von 9/11 – hob US-Präsident Bush anlässlich eines Besuches im Camp Bondsteel dessen Aufgabe hervor.(11) „Wir streben eine Welt der Toleranz und der Freiheit an. Von Kosovo nach Kaschmir...ist Freiheit und Toleranz das definierte Ziel für unsere Welt. Und Ihr Dienst setzt hierfür ein Beispiel für die ganze Welt.“(12)
 
Dem Schicksal des Kosovo könnten noch viele Staaten des virtuellen Pan-Islamischen Kalifats von Osama bin Laden folgen. (PK)
 
Anmerkungen
 
(1) Andreas Zumach: UN-Resolution Libyen "Alle notwendigen Maßnahmen" vom 18. März 2011 unter http://www.taz.de/1/politik/afrika/artikel/1/alle-notwendigen-massnahmen/
(2) National Counterterrorism Center's Counterterrorism Calendar 2010 unter http://www.nctc.gov/docs/ct_calendar_2010.pdf
(3) EnergieBrötchen bald nur noch zu Tankstellenpreisen vom 21. Juli 2008 unter http://www.focus.de/finanzen/news/energie-broetchen-bald-nur-noch-zu-tankstellenpreisen_aid_319243.html
(4) Vgl. William Engdahl: Mit der Ölwaffe zur Weltmacht, Rottenbuch 2005 sowie Saat der Zerstörung. Die dunkle Seite der Gen-Manipulaiton. Rottenbuch 2004
(5) Mit arabischen Despoten gegen Gaddafi: Der westliche Libyen-Feldzug baut auf die Unterstützung absolutistischer Herrscher-Cliquen vom 18. März 2011 unter http://www.hintergrund.de/201103181447/politik/welt/mit-arabischen-despoten-gegen-gaddafi-der-westliche-libyen-feldzug-baut-auf-die-unterstuetzung-absolutistischer-herrscher-cliquen.html
(6) http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/RegionaleSchwerpunkte/NaherMittlererOsten/GCC/Uebersicht_node.html
(7) "Keine Beteiligung an Kampfeinsätzen"
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2011/33798136_kw11_de_lybien/index.html
(8) Homepage von Rolf Mützenich unter http://www.rolfmuetzenich.de/fotos/index_2010.php
(9) Der Spiegel Nr. 2/5. Januar 2009: Tage des Krieges, Tage des Zorns, S. 92 - 97
(10) Gaza-Konflikt: Weitere Kämpfe trotz UN-Resolution, in focus-online vom 9. Januar 2009
(11) Camp Bondsteel ist für den international agierenden Konzern Halliburton eine Goldgrube. Von 1995 bis 2000 zahlte die US-Regierung an Kellogg, Brown & Root 2,2 Milliarden US-Dollar für logistische Unterstützung im Kosovo, was der bisher teuerste Vertrag der US-Geschichte war. Die Kosten für Kellogg, Brown & Root machen fast ein Sechstel der auf dem Balkan für Operationen ausgegebenen Gesamtkosten aus.
(12) US-Präsident George am 24. Juli 2001 im Camp Bondsteel, unter http://www.whitehouse.gov/news/releases/2001/07/20010724-1.html vom 23. Juli 2008




Online-Flyer Nr. 293  vom 19.03.2011



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