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Die Widerstände in Kairo gegen die deutsche Einmischung sind erheblich
Einflusskampf am Nil
Von Hans Georg
Berlin startet neue Maßnahmen zur Sicherung des deutschen Einflusses auf die Umbrüche in Ägypten. Von einem neuen 100-Millionen-Euro-Programm, das sich an die gesamte arabische Welt richtet, soll auch Kairo profitieren; Voraussetzung ist, dass die dortigen Eliten mit Deutschland kooperieren. Weitere Schritte sind in Arbeit, um die entstehende ägyptische Parteienlandschaft an Deutschland anzubinden.
Online-Flyer Nr. 294 vom 23.03.2011
Die Widerstände in Kairo gegen die deutsche Einmischung sind erheblich
Einflusskampf am Nil
Von Hans Georg
Berlin startet neue Maßnahmen zur Sicherung des deutschen Einflusses auf die Umbrüche in Ägypten. Von einem neuen 100-Millionen-Euro-Programm, das sich an die gesamte arabische Welt richtet, soll auch Kairo profitieren; Voraussetzung ist, dass die dortigen Eliten mit Deutschland kooperieren. Weitere Schritte sind in Arbeit, um die entstehende ägyptische Parteienlandschaft an Deutschland anzubinden.
Amre Mussa - Generalsekretär der Arabischen Liga, demnächst Präsident Ägyptens?
Quelle: wikipedia
Insbesondere die Friedrich-Naumann-Stiftung (FDP) und die Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU) intensivieren zurzeit mit einigem Erfolg ihre Kontakte. Dabei richtet sich die Adenauer-Stiftung an traditionelle islamische Milieus, die sich in den 1990er Jahren von der Muslimbruderschaft abgespalten haben und von Beobachtern mit den Islamisten der Partei des türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan verglichen werden. Bei alledem ist noch unklar, welche Bedeutung diesen Spektren zukünftig in Ägypten zukommt: Wie Berliner Experten urteilen, wird das ägyptische Militär, das vor allem mit den USA, aber auch mit der Bundesrepublik kooperiert, seine aktuelle Macht kaum freiwillig aus der Hand geben.
Privilegien des Militärs
Wie der geschäftsführende stellvertretende Präsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Paul von Maltzahn, urteilt, wird das ägyptische Militär "nicht freiwillig" auf die Privilegien verzichten, die es derzeit innehat. Zwar sei das Offizierskorps "nicht homogen"; doch sei es auch zukünftig zumindest an "Teilhabe" an der Macht in Kairo interessiert.[1] Es werde die Demokratisierung des Landes nur unterstützen, wenn der künftige Staatspräsident die Armee "an politischen Entscheidungen beteiligt und dafür sorgt, dass sie ihre Privilegien behält". Daher sei kaum mit der Duldung eines Muslimbruders im Präsidentenamt oder einer islamistisch geprägten Regierung zu rechnen. Hingegen werde die Armee einen Zivilisten unterstützen, "der Technokrat und Nationalist ist, die Islamisten in Schach hält und die Armee an wichtigen politischen Entscheidungen beteiligt". Ein solcher Zivilist "könnte etwa Amre Mussa sein", der gegenwärtige Generalsekretär der Arabischen Liga. Die Überlegungen von Maltzahns, der von 2000 bis 2003 Botschafter der Bundesrepublik in Kairo war, lassen erkennen, weshalb Berlin seine Kooperation mit den ägyptischen Militärs trotz schwerer Foltervorwürfe gegen die Armee nicht einschränkt.[2]
Deutsche Handschrift
Unabhängig von der Frage, ob das Militär die Kontrolle über Ägypten in der Hand behält, bemüht sich Berlin mit Hochdruck um Einfluss auf die Regierungsbürokratien und die politischen Parteien. Die EU hat ein neues Konzept für ihre Politik gegenüber den Staaten Nordafrikas beschlossen, das, wie Außenminister Westerwelle am Mittwoch in einer Regierungserklärung betonte, "in weiten Teilen die Handschrift der Bundesregierung trägt".[3] Es soll die Regierungen an der Südküste des Mittelmeers zu größerer ökonomischer Öffnung bei gleichzeitiger Abschottung der Außengrenzen gegen Migranten drängen. Ergänzend stellt die Bundesregierung 100 Millionen Euro bereit, um die Zusammenarbeit mit den arabischen Ländern zu intensivieren. Bundeswirtschaftsminister Brüderle will außerdem "Berater" nach Kairo entsenden, die "der dortigen Wirtschaft und Verwaltung" bei den gewünschten Anpassungsmaßnahmen "zur Seite stehen".[4] Die Widerstände in Kairo gegen die deutsche Einmischung sind erheblich. Der ägyptische Außenminister verbat sich unlängst im Gespräch mit seinem deutschen Amtskollegen die westlichen Interventionen in die Neuformierung der ägyptischen Politik. Entwicklungsminister Niebel stieß mit seinem Ansinnen, mit anmaßenden "Demokratisierungsprojekten" Einfluss auf die ägyptische Verwaltung zu bekommen, ebenfalls auf Granit. Wenn Deutschland den Menschen wirklich helfen wolle, könne es sich an der Finanzierung sozialer Wohnungsbauprojekte beteiligen, hieß es.[5] Den Berliner Wünschen entspricht das nicht.
Ein wichtiger Faktor
Erste Erfolge erzielen inzwischen die parteinahen Stiftungen, denen Westerwelle "eine besondere Rolle" bei der Einflusspolitik Berlins in Nordafrika zuschreibt.[6] So baut die Friedrich-Naumann-Stiftung, die der Partei des deutschen Außenministers nahesteht, ihre Beziehungen zur Democratic Front Party aus. Diese ist bereits seit 2007 zugelassen; derzeit ist sie in der Protestbewegung aktiv, insbesondere ihr Jugendverband, welcher der Naumann-Stiftung zufolge "eine Schlüsselrolle in der Revolution" gespielt haben soll und aktuell "ein wichtiger Faktor in den revolutionären Komitees" sei.[7] Die enge Verquickung der Stiftungstätigkeit mit deutschen Regierungsaktivitäten zeigt ein Treffen des Berliner Entwicklungsministers Niebel (FDP) mit dem Vorsitzenden der Democratic Front Party, Osama al Ghazali Harb, das die Naumann-Stiftung während des offiziellen Besuchs von Niebel und Westerwelle in Kairo organisierte. Nächste Woche wird al Ghazali Harb in Berlin erwartet; Anlass seiner Reise, die auch Gespräche mit deutschen Regierungsstellen ermöglicht, ist eine Diskussionsveranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung.
Religiöse Werte
Auch die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung intensiviert erfolgreich ihre Kontakte. Wie die Stiftung berichtet, verfügt sie ebenfalls über Beziehungen in die Protestbewegung: Im Dezember 2010 habe sie "ägyptische Facebook-Aktivisten zu einem Gedankenaustausch über die neuen sozialen Medien" sowie deren "Möglichkeiten der Mobilisierung für politische Veränderungen eingeladen". "Einige der Teilnehmer, wie etwa Abdel Rahman Moustafa, gehörten später zu den Initiatoren der Protestbewegung."[8] Besonders aber bemüht sich die Konrad-Adenauer-Stiftung um islamisch geprägte Milieus. Sie könne aus eigener Erfahrung "einen Weg aufzeigen, wie sich religiöser Wertebezug mit einer modernen demokratischen Partei vereinbaren" lasse, erklärte der Stiftungsvorsitzende Hans-Gert Pöttering unlängst in Kairo. Ihm gegenüber habe etwa ein Funktionär der Muslimbruderschaft erklärt, er könne sich eine "soziale Marktwirtschaft" religiöser Prägung für Ägypten "sehr gut vorstellen". Tatsächlich arbeitet die Adenauer-Stiftung schon lange daran, gemeinsam mit arabischen Experten Methoden zu einer bruchlosen Übernahme westlicher Wirtschaftsmodelle durch islamisch geprägte Staaten zu eruieren. Zuletzt führte sie im Herbst eine Konferenz zum Thema "Islamische Wirtschaftsordnung und Soziale Marktwirtschaft" durch, die genau diesem Ziel diente.[9]
Das türkische Modell
Vorbildfunktion habe in diesem Zusammenhang die Türkei, hob Pöttering in Kairo hervor. Die dort regierende Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP, Deutsch: Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung) von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan gilt weithin als Modell einer traditionell islamisch geprägten Partei, die sich umstandslos ökonomischen Interessen des Westens öffnet.[10] In Ägypten wendet sich die Konrad-Adenauer-Stiftung nun einer Organisation zu, die Ähnlichkeiten zur AKP aufweist - der im Februar legalisierten Partei Al Wasat al Jadid ("Neue Mitte"). Deren Gründer entstammen der Muslimbruderschaft, von der sie sich 1996 abgespalten haben. Wie die Adenauer-Stiftung, die die Partei schon lange aufmerksam beobachtet, vor Jahren urteilte, war die Abspaltung das Ergebnis eines Generationen- und Milieukonflikts in der Muslimbruderschaft, deren jüngere Generation, "durch die islamische Studentenbewegung der 1970er Jahre politisiert", in der Mutterorganisation nicht genügend Spielraum für ihren politischen Aktivismus fand und sich daher von ihr löste. Ihr gehören aufstrebende urbane Kreise an, potenzielle Kooperationspartner des Westens: Al Wasat al Jadid, urteilt die Konrad-Adenauer-Stiftung, dürfte "weniger die große Masse der ägyptischen Bevölkerung (im Delta bzw. in Oberägypten) als vielmehr die relativ schmale, gebildete Mittelschicht ansprechen". Diese suche "neue Wege", "Religion und Moderne miteinander zu verbinden". Dabei wird die Adenauer-Stiftung Berichten zufolge mit ihr kooperieren.
Breite Kontakte
Die Aktivitäten der Naumann- und der Adenauer-Stiftung werden um Bemühungen der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung ergänzt, im gewerkschaftlich orientierten Milieu Einfluss zu gewinnen - Bemühungen, die allerdings etwas durch den Umstand erschwert werden, dass die Sozialdemokratie stets recht enge Kontakte zum Mubarak-Regime unterhielt. In ihrer Summe decken die deutschen Stiftungen ein breites Spektrum des ägyptischen Establishments ab, das ebenso breiten deutschen Einfluss sichert - und Berlin eine günstige Ausgangsposition für seine künftige Nahostpolitik beschert. (PK)
[1] Paul von Maltzahn: Das Militär verzichtet nicht freiwillig auf seine Privilegien; Handelsblatt 10.03.2011
[2] s. dazu Garant der Stabilität (I) und Garant der Stabilität (II)
[3] Regierungserklärung durch Bundesaußenminister Westerwelle vor dem Deutschen Bundestag zum Umbruch in der arabischen Welt; Berlin, 16.03.2011. S. auch Auf Partnersuche
[4] Brüderle befürwortet Sanktionen gegen Libyen; www.faz.net 25.02.2011
[5] Schnelles Angebot, geringe Nachfrage; Frankfurter Allgemeine Zeitung 10.03.2011
[6] Regierungserklärung durch Bundesaußenminister Westerwelle vor dem Deutschen Bundestag zum Umbruch in der arabischen Welt; Berlin, 16.03.2011. S. auch Die deutsche Doppelstrategie
[7] Westerwelle und Niebel zu Gesprächen in Kairo; www.freiheit.org
[8] "Die Ägypter haben ihre Angst verloren"; www.kas.de 06.03.2011
[9] Islamische Wirtschaftsordnung und Soziale Marktwirtschaft
[10] s. dazu Die neuen Partner in Ankara (I), Die neuen Partner in Ankara (II) und Das türkische Modell
Der Beitrag erschien zuerst bei http://www.german-foreign-policy.com/
Online-Flyer Nr. 294 vom 23.03.2011