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Lokales
Klassische Diplom- und Magister-Studiengänge an der Uni Köln erhalten!
Kampagne: Zwangsexmatrikulationen stoppen!
Von Peter Kleinert

Die Universität Köln droht zurzeit mehr als 1.600 Diplom- und Magister-Studierenden, die das Grundstudium noch nicht abgeschlossen haben, mit Zwangsexmatrikulation zum 1. April 2011. Dagegen haben sich Betroffene zusammengeschlossen, um im Bündnis mit der Verfassten Studierendenschaft gegen die rabiate Abwicklung der klassischen Studiengänge zu Gunsten der ungeliebten Bachelor/Master-Schmalspur-Studiengänge zu kämpfen. Am Mittwoch, den 23. März, tagt um 10 Uhr der Prüfungsausschuss in geschlossener Sitzung. Aus diesem Anlass wollen die Betroffenen die Verantwortlichen der Universität zur Rede stellen und die Prüfungsausschussmitglieder zur Rücknahme der Exmatrikulationsdrohungen und zur Aussetzung der diesen zu Grunde liegenden Fristen bewegen. Treffpunkt ist um 9:30 Uhr vor dem Hauptgebäude der Universität.
 
Obwohl sich die Bachelor/Master-Studiengänge nach Erfahrung der Studierenden nicht bewährt haben, sollen die Magister- und Diplom-Studierenden der Universität Köln, die nicht bis zum 1. April 2011 ihre Zwischenprüfung bzw. Vordiplom absolviert haben, zwangsexmatrikuliert werden. Nach Angaben des Prüfungsamtes der Philosophischen Fakultät sind mehr als 1600 Studierende davon betroffen. "Diese rabiate Abwicklung der klassischen Studiengänge ist menschen- und lernfeindlich und entspricht nicht der dringend erforderlichen Humanisierung des Studiums", heißt es in einem aktuellen Aufruf des "Bündnis gegen Zwangsexmatrikulationen".
 
„Grundlage für ein Studium sind die jeweiligen Studien- und Prüfungsordnungen in der jeweils zu Studienbeginn aktuellen Form“, erklärt Rechtsanwältin Barbara Ginsberg aus Köln, „In den für die Betroffenen gültigen Ordnungen ist aber explizit keine Höchststudienzeit festgeschrieben, die Fristen wurden erst bei der Umstellung auf Bachelor/Master vor drei Jahren in den Prüfungsordnungen nachgetragen und stehen somit im Widerspruch zum rechtlich verbrieften Vertrauensschutz. Keiner der Betroffenen konnte schließlich davon ausgehen, dass ihm die Universität nach einigen Semestern mit Zwangsexmatrikulation droht, wenn sie sich für ihr Studium Zeit lassen.“
 
Felix v. Massenbach, Magister-Student mit Hauptfach Geschichte, erläutert den Standpunkt der Betroffenen: „Ein vernünftiges Studium kann nicht darin bestehen, mit einer Frist im Nacken vorgefertigte Wissenschaftsinhalte entfremdet abzuarbeiten, sondern soll zu wissenschaftlicher Arbeit, zu kritischer Einordnung der wissenschaftlichen Erkenntnisse und zu gesellschaftlich verantwortlichem Handeln befähigen. Ein vertieftes, die Lehrinhalte und die wissenschaftliche Ausrichtung kritisch hinterfragendes Studium erfordert aber Zeit und Muße.“
 
Stefan Brackertz, Diplom-Student und aktiv in der Fachschaft Physik: „Ein Studium ohne Fristen ermöglicht zudem hochschulpolitische Arbeit und ist damit ein Grundpfeiler der demokratischen Verfasstheit der Hochschule. Vor dem Hintergrund der hochschulpolitischen Herausforderungen – für die soziale Öffnung der Hochschulen, für den Erhalt und die Weiterentwicklung des kritischen Potenzials des Studiums, für eine friedliche und gesellschaftlich verantwortliche statt unternehmerische Orientierung der Hochschule – ist jede Gängelung fehl am Platz.“
 
„Außerdem bilden die klassischen Diplom- und Magister-Studiengänge im Vergleich zu Bachelor/Master bessere Voraussetzungen für ein kooperatives, interessengeleitetes Studium und dafür, dass kritische und mündige Hochschulmitglieder in gesellschaftlicher Verantwortung wissenschaftlich arbeiten.“ meint Pia Axmacher, Magisterstudentin mit Hauptfach Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft. „Sie sind eine geeignetere Grundlage für die demokratische Erarbeitung einer menschengerechten Studienreform, die einen wissenschaftlichen Beitrag zu Frieden, sozialer Wohlfahrt und demokratischer Partizipation ermöglicht. Statt die klassischen Studiengänge mitsamt Studierenden abzuschaffen, müssen daher Diplom und Magister wieder für alle geöffnet und Bachelor- und Master-Studierenden der unkomplizierte Wechsel ermöglicht werden.“
 
Offener Brief
 
In einem Offenen Brief an die Mitglieder der Engeren Fakultät der Philosophischen Fakultät heißt es u.a.: "…für alle Beteiligten – Studierende, Lehrende, Verwaltung – haben die Bachelor/Master-Studiengänge nur zu mehr aufreibender Arbeit und Verdruss geführt. Das Studium gleicht mehr bulimischem als analytischem, reflektiert-kritischem Lernen, wenn die Studierenden von den Lehrenden vorgefertigte „Wissenshäppchen“ im Eiltempo in sich hinein pauken müssen, um sie in der Prüfung dann wieder auszuspucken. Das dadurch oktroyierte instrumentelle Kunden-Dienstleister-Verhältnis zwischen Studierenden und Lehrenden verhindert die Einheit von Forschung und Lehre. Die Studierenden werden
angesichts von Massenarbeitslosigkeit durch knappe Masterplätze und Dauerprüferei untereinander in Konkurrenz gestellt und vom kooperativen Lernen abgehalten. Für demokratisches Engagement bleibt keine Zeit.
 
Die Proteste der Studierendenbewegung gegen diese Zurichtung des Studiums haben dazu geführt, dass Bachelor/Master nun gesellschaftlich in Frage gestellt ist. Eine Abkehr wird immer mehr unumgänglich. Doch obwohl Bachelor/Master politisch gescheitert ist, werden weiterhin Magister- und Diplom-Studierende mit der Androhung der Zwangsexmatrikulation zum Abbruch oder zum Wechsel in die Bachelor/Master-Studiengänge gedrängt. Die Fortsetzung dieser Praxis ist aber nicht nur hinter der Zeit zurück, sondern widerspricht auch dem wachsenden Erfordernis einer humanen und verantwortungsvollen Wissenschaft.
 
Nach Art. 13 Abs. 1 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, von der BRD 1973 ratifiziert und seit 1976 Bundesrecht, „[muss] Bildung auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und des Bewusstseins ihrer Würde gerichtet sein und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten stärken [...]“. Ferner „[muss] die Bildung es jedermann ermöglichen[...], eine nützliche Rolle in einer freien Gesellschaft zu spielen“ und „Verständnis, Toleranz und Freundschaft unter allen Völkern und allen rassischen, ethnischen und religiösen Gruppen fördern sowie die Tätigkeit der Vereinten Nationen zur Erhaltung des Friedens unterstützen [...]“.
 
Den menschenrechtlichen Maßstab der Bildung als von der Würde des Menschen abgeleiteter Subjektentwicklung mit der Perspektive einer gesellschaftlich nützlichen Rolle für die Schaffung und Verbreitung von Frieden, sozialer Wohlfahrt und demokratischer Partizipation könnte die Welt gut vertragen. Dass dieser Maßstab durch das neoliberale Bildungsverständnis, welches den Menschen auf ein Objekt ökonomischer Verwertung reduziert („Humankapital“), in den letzten Jahren verdrängt wurde, hat mit zur aktuellen Bildungskrise geführt. Diese menschen- und wissenschaftsfeindliche Ausrichtung der Bildung zeigt sich auch bei den Bachelor/Master-Studiengängen:
 
Was bleibt von der Würde des Menschen, wenn er nur noch möglichst effizient und schnell als „Humanressource“ den Unternehmen bereitgestellt werden soll? Wie sollen die neuen Studiengänge zu Völkerverständigung und internationaler Kooperation beitragen, wenn sie selber Konkurrenz schüren?
 
Wie soll Bachelor/Master für eine nützliche Rolle in einer freien Gesellschaft qualifizieren, wenn er demokratische Partizipation bereits an der Hochschule verhindert?
Wie können die Hochschulmitglieder unter der durch die Bachelor/Master-Politik forcierten Arbeitsmarktorientierung für eine friedliche Entwicklung forschen und lernen, wenn gerade Milliardenprofite mit Rüstungsforschungund -produktion gemacht werden?
 
Im Vergleich zu den Bachelor/Master-Studiengängen bilden die klassischen Diplom- und Magister-Studiengänge bessere Voraussetzungen für Kollegialität, demokratisches Engagement und dafür, dass kritische und mündige Hochschulmitglieder in gesellschaftlicher Verantwortung wissenschaftlich arbeiten. Sie wären eine vernünftige Grundlage für die demokratische Erarbeitung einer menschengerechten Studienreform, mit welcher interessengeleitetes, kritisches Studieren ermöglicht wird.
 
Es liegt in der Hand der Fakultät, die bisherigen Fristen zum Auslaufen der klassischen Studiengänge aufzuheben. Wenn keine Exmatrikulationsdrohungen mehr im Raum stehen, ist ein Schritt dahin gemacht, dass nicht mehr die Angst das Studium bestimmt. Damit einhergehend sollte sich die Philosophische Fakultät öffentlich für die Öffnung der Diplom- und Magister-Studiengänge als Voraussetzung für die Erarbeitung einer Studienreform einsetzen, mit der Bildung und Wissenschaft ihr emanzipatorisches Potenzial entfalten und verantwortungsvoll zu Problemlösungen für eine erfreuliche gesellschaftliche Entwicklung beitragen können. Ein solcher Beschluss der Philosophischen Fakultät wäre auch eine Ermutigung für andere Hochschulen, Fakultäten und Gremien, auf ein Ende des Bachelor/
Master-Desasters hinzuwirken.
 
Daher fordern wir:
· Die Aufhebung der zeitlichen Begrenzungen für die Absolvierung der klassischen Studiengänge und keine weiteren Exmatrikulationsdrohungen oder Zwangsexmatrikulationen.
· Eine öffentliche Stellungnahme der Philosophischen Fakultät für die Öffnung der Diplom und Magister-Studiengänge und die Möglichkeit für alle Bachelor/Master-StudentInnen, unkompliziert zu wechseln, mit der Perspektive einer grundlegenden demokratischen Studienreform.
Felix v. Massenbach
Barbara Kraft
Alexander Schröder
Daniel Thomson
Marcel Fiedler
 
Unterschriftenkampagne
 
Informationen für eine Unterschriftenkampagne gegen die Abschaffung der klassischen Studiengänge und gegen Zwangsexmatrikulationen sowie die Unterschriftenlisten erhalten Sie hier: felixmassenbach@web.de
Direkt unterschreiben kann man auf der Homepage www.kommerzialisierungstoppen.uni-koeln.de/zwangsexmatrikulationen-stoppen
Die gesammelten Unterschriften werden regelmäßig den jeweiligen Fakultätsleitungen und zuständigen Gremien übergeben.
Listenabgabe: Bibliothek der Anglo-Amerikanischen und der Ibero- / Lateinamerikanischen Abteilung im Erdgeschoss des Philosophikums während der Öffnungszeiten. (PK)


Online-Flyer Nr. 294  vom 21.03.2011



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