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Aktueller Online-Flyer vom 25. November 2024  

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Globales
Anders als die meisten Medien behaupten: Keine guten Gründe für die Bomben
Nachdenkliches zu Libyen
Von Tilo Gräser

Im Februar kamen die ersten Nachrichten, dass es nach Tunesien und Ägypten, Jemen und anderen arabischen Ländern auch in Libyen zu einem Aufstand gegen den dortigen Machthaber Muammar Al Gaddafi gekommen sei. Das Land schien ebenfalls erfasst zu werden von der Demokratisierungswelle im Nahen Osten, die nicht erwartet worden war. Gaddafi schlug zurück und versuchte mit Hilfe seines Militärs und Sicherheitsapparates der Lage Herr zu werden. Er versuchte das auch verbal und bezeichnete die Aufständischen in Ostlibyen als Drogensüchtige und gab Al Qaida und ausländischen Agenten die Schuld für die Ereignisse. „Bizarr“ und „wirr“ war das Urteil über Gaddafis etwa einstündige TV-Rede am 23. Februar. Inzwischen führen die westlichen Staaten mit Unterstützung anderer Williger Krieg gegen Gaddafi und seine Truppen, nachdem die UN-Resolution 1973 den Weg dafür frei machte. Der Schutz der Zivilbevölkerung wurde als Grund dafür ausgegeben. In Reden wurde der Kriegseinsatz mit potentiellen Massakern und einem „Völkermord“, den es zu verhindern gelte, begründet. Das fand viel Zustimmung, vor allem im Westen, quer durch alle politischen Strömungen.


NATO-Bomben auf Libyen
Quelle: www.yoice.net
  
Jetzt, Anfang April, deutet manches daraufhin, dass Gaddafi, so bizarr und wirr er auch wirkte, mit seinen Behauptungen Recht hatte oder mindestens nicht falsch lag. Heute lässt einiges den Schluss zu, dass Frankreich, Großbritannien und die USA sowie die anderen Staaten mit Hilfe der NATO am 21. März einen lange vorbereiteten Krieg gegen das libysche Staatsoberhaupt begannen, die UNO und die Öffentlichkeit dafür missbrauchten und der Aufstand in Bengasi und anderen Orten dafür ein willkommener, wenn nicht gar herbeigeführter Grund war. Es hat den Anschein, dass uns da erneut ein Schauspiel vorgeführt wird, dessen Grundmuster unter anderem schon bei beiden Kriegen der USA gegen den Irak 1990 und 2003, beim jugoslawischen Bürgerkrieg Anfang der 90er Jahre und beim NATO-Krieg gegen Rest-Jugoslawien 1999 zu beobachten war. Allem Anschein nach wird die Kraft der Bilder und Worte wieder einmal bewusst eingesetzt, um unser Urteilsvermögen zu trüben. Es ist bedauerlich, dass diese Manipulationen ein weiteres Mal funktionieren.
 
Der Mainstream der Medien ist sich einig: Der Kampf der Aufständischen gegen Gaddafi ist gerecht und hat Demokratie und Menschenrechte als Ziel. Doch manches was zu lesen und zu hören ist, stellt diesen fast einhelligen Tenor in Zweifel. In der Berliner Zeitung vom 28. Februar wurde Hanspeter Mattes vom Hamburger German Institute of Global and Area Studies (GIGA), der zu Deutschlands besten Libyen-Kennern gehöre, zitiert: "Auf der Straße sind eigentlich alle, die mit dem Revolutionsregime Gaddafis zumindest seit Anfang 2011 nicht mehr einverstanden sind." Diese unterschiedlichen politischen Strömungen ohne politisches Programm eine nur der Slogan "Gaddafi, verschwinde".(1)
 
In dem Beitrag werden die unterschiedlichen Gruppen und deren Interessen benannt sowie ihre Motive, warum sie gegen Gaddafi jetzt aufstehen. Es ist auch zu lesen, warum besonders der Osten Libyens rebelliert: „Die Monarchisten, die die 1969 von Gaddafi gestürzte Senussi-Monarchie wiederherstellen wollen und deren Fahne jetzt so etwas wie das Oppositionssymbol geworden ist, seien vor allem in Ostlibyen, der Cyrenaika, verbreitet. … Wegen der starken religiösen Prägung der Menschen seien dort auch die meisten Islamisten zu finden. … Die meisten Libyer, die sich Bin Laden und Al Kaida angeschlossen hätten, stammten aus den ostlibyschen Städten Darna und Tobruk.“ Vereinzelt war auch der Hinweis darauf zu vernehmen, dass die libyschen Unruhen sich bezüglich der sozialen Ursachen von denen in Tunesien, Ägypten oder Jemen unterscheiden. Dr. Wolfgang Bator, ehemaliger DDR-Botschafter in Libyen, stellt in einer Analyse fest: „Die anspruchsvolle Wirtschafts- und Sozialpolitik verwandelte den einstmalig rückständigen Wüstenstaat zu einem relativ wohlhabenden arabischen Land, das internationale Anerkennung fand und seinen Bewohnern im Vergleich mit anderen arabischen Staaten ein relativ hohes Lebensniveau sicherte. Während das Pro-Kopf-Einkommen im Jahre 1970 lediglich 5845 US-$ betrug, waren es im Jahre 1977  8440 US-$ und 2010 bereits 12 020 US-$. (World Bank).“ Er verweist darauf, dass die dennoch hohe Arbeitslosigkeit von 30 Prozent gerade unter den jungen Libyern aufgrund der staatlichen Leistungen „nicht unmittelbar in die Armut“ führe. Aber fehlende Perspektiven für die berufliche Entwicklung gehören laut Bator mit zu den Ursachen für die Unruhen. (2)
 
Solche Analysen waren und sind aber nur selten zu sehen, zu hören oder zu lesen. Sie wurden allem Anschein nach auch von der westlichen Politik ignoriert. Dieser Eindruck entsteht, wenn zu lesen ist, dass der Westen zwar Bomben gegen Gaddafis Truppen wirft, aber gar nicht weiß, wer die libysche Opposition ist, die auf diese Weise unterstützt wird. So schrieb unter anderem SPIEGEL online am 31. März: „General Carter Ham, der über das in Stuttgart ansässige Afrika-Kommando Africom den Libyen-Einsatz der USA leitet, hatte seiner Besorgnis Ausdruck verliehen, wie wenig man eigentlich über das Land im Bürgerkrieg wisse.“(3) Sieht so verantwortungsvolle Politik aus? Werden Kriegseinsätze auf Grundlage von Nichtwissen befohlen?
 
Gaddafi ist gewiss kein „Guter“, schon gar nicht nach den ach so hehren westlichen Maßstäben. Aber welcher Politiker ist das schon. Der libysche Staatschef ist aber auch nicht das Monster, als das er von den westlichen Politikern und Medien dargestellt wird. Da ist zum Beispiel das wiederholte Gerede von angeblichem bzw. drohendem "Völkermord" durch Gaddafi. Beweise dafür gibt es bis heute nicht. Die vermisst unter anderem auch Lutz Herden.(4) Das einzige, was sicher ist, ist, dass dieser Vorwurf seit langem der am meisten vorgebrachte Grund für Kriege des Westens gegen souveräne, aber eben unbotmäßige Staaten ist. Dabei wird auch ohne jegliche Grundlage das bisher geltende Völkerrecht missachtet.(5) Das war auch gegen Jugoslawien und gegen den Irak so, um nur zwei Beispiele zu nennen.
 
Immer wieder wurde und wird berichtet, wie brutal Gaddafis Truppen gegen die Aufständischen vorgegangen sein sollen. Doch wenn ein Militärapparat wie der des libyschen Staates gegen schlecht bewaffnete und kaum ausgebildete Aufständische in Gang gesetzt wird, ist es nicht verwunderlich, dass es zu Kämpfen kommt und auch zu Opfern. Das ist bedauerlich und wirft die Frage auf: Was wurde vorher getan, um solch einen Konflikt zu vermeiden oder zu entschärfen? Es stellen sich aber auch die Fragen, welcher Staat tatenlos zusehen würde, wenn seine Macht mit Waffen in Frage gestellt wird, und wer und was diesen Konflikt und diese Kämpfe ausgelöst hat. Die Politikwissenschaftlerin Ulrike C. Wasmuht schrieb 1991 aus Anlass des ersten USA-Krieges gegen den Irak, es sei „zwar eine Binsenweisheit, dass jeder aktuelle Konflikt und jede konkrete Krise tiefliegende, auch historisch verankerte strukturelle Ursachen hat, aber es scheint, dass diese Tatsache vergessen wird: Man berichtet nur über die augenblickliche Situation und be- und verurteilt die eine oder die andere bzw. beide Seiten“.(6)
 
Die BBC-Berichte von den zahlreichen Opfern durch Gaddafi-Truppen können stimmen, müssen es aber nicht, da die BBC-Reporter auch nicht dabei waren oder die Toten zählten. Wir können es zu allerletzt überprüfen. Stattdessen gibt es vereinzelte Berichte wie den der Basler Zeitung aus der Schweiz vom 9. März, wonach der Schein der TV-Bilder trüge: „Die Bilder entstehen in der Regel außerhalb der Kampfzone. Das behauptete Helmut Scheben … in einem Beitrag des Onlineportals Journal21. Scheben gehört zu den erfahrensten Redaktoren der SF-Tagesschau. Er schreibt: „Die meisten Bilder von Kampfhandlungen sind gestellt. Das ist eine banale Weisheit, denn jedem ist klar, dass ein Kameramann keine Kampfhandlungen aus der Nähe filmen kann, es sei denn, er ist lebensmüde." Steigen die Kameraleute und Fotografen aus ihren Autos, lassen die Rebellen ein paar Feuerstöße aus ihren Kalaschnikows los, und alles werde gefilmt.(7) Private Äußerungen deutscher Journalisten, die vor Ort waren, bestätigen diesen Zeitungsbericht aus der Schweiz. Und da ist dann noch eine Meldung der russischen Nachrichtenagentur Interfax vom 1. März (8), der zufolge russische Militärs den Meldungen von BBC und Al Jazeera widersprechen, dass libysche Kampfflugzeuge am 22. Februar die Stadt Bengasi angegriffen hätten. Die Militärs beriefen sich auf die Überwachung Libyens mit Satelliten aus dem Weltraum seit Beginn der Unruhen und seien sehr ungehalten darüber, dass die Medien weltweit über Angriffe geschrieben haben, die nie stattgefunden hatten. Selbst US-Verteidigungsminister Robert Gates sagte Anfang März, „dass das Pentagon keine Bestätigung dafür habe, dass Revolutionsführer Gaddafi seine Bevölkerung tatsächlich aus der Luft habe beschießen lasse. Er habe das bisher nur Presseberichten entnommen.“ (9)
 
Die Berichte über die Taten der Gaddafi-Truppen können stimmen, aber sie erinnern teilweise auch an die Berichte über die angeblichen serbische Gräuel im Kosovo, die 1999 zum Nato-Krieg gegen Rest-Jugoslawien führten. Später stellte sich unter anderem raus, dass das sogenannte Racak-Massaker, untersucht von internationalen Experten, keines war. (10) Aber 1999 diente es erst einmal als Kriegsgrund und -anlass. Der Dokumentarfilm „Es begann mit einer Lüge“ von Jo Angerer und Mathias Werth aus dem Jahr 2001 hat die Kriegspropaganda deutscher und anderer westlicher Politiker wie den „Hufeisenplan“ des damaligen „Verteidigungsministers“ Rudolf Scharping eindrücklich be- und widerlegt. Erinnert sei auch an all die kriegsbegründeten Lügen vor den Kriegen gegen den Irak 1990 und 2003. Die dabei angewandten Muster scheinen sich im Fall Libyen zu wiederholen. Wann erfahren wir, was da wirklich lief und läuft? Und gegen welchen Diktator und Despoten, gegen welchen wie auch immer an die Macht gekommenen Herrscher will der Westen seine Bomber als nächstes los schicken? Ein Grund lässt sich immer finden oder konstruieren, und wenn es nur der ist, dass solch ein Staatsoberhaupt dem Westen nicht mehr in den Kram passt. Hätte zum Beispiel Saddam Hussein gemacht, was der Westen von ihm erwartete und wenn „er das gleiche Spiel gespielt hätte wie die Saudis“, wäre er heute noch im Irak an der Macht, stellt unter anderem der US-Ökonom John Perkins in seinen "Bekenntnissen eines Economic Hit Men“ (S. 351) fest, ebenso in "Weltmacht ohne Skrupel“ (S. 204).
 
Dass der Westen den Kriegseinsatz um jeden Preis wollte zeigte sich auch daran, dass die Einladungen Gaddafis an die UNO, die Situation im Land zu beobachten, abgelehnt wurden. Der Politologe Werner Ruf stellte in einem Interview mit Neues Deutschland am 23. März fest: „… nachdem UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon relativ elegant den Vorschlag Libyens abgelehnt hat, man solle doch UN-Beobachter zur Beobachtung des Waffenstillstands schicken, den das Gaddafi-Regime angekündigt hatte, kam so gut wie keine Reaktion seitens der UN. Was meines Erachtens eine sträfliche Vernachlässigung der Pflicht des Sicherheitsrats und der Vereinten Nationen schlechthin ist, Frieden herzustellen.“ Aus Vermittlungsvorschlägen unter anderem von Venezuelas Präsident Chavéz sei nichts geworden, „weil man daraus nichts werden lassen wollte“.(11)
 
Auch das erinnert an den Krieg 1999 gegen Jugoslawien und den gegen den Irak 2003. Milosevic und Hussein wurden unerfüllbare Bedingungen gestellt und als diese erwartungsgemäß abgelehnt wurden, diente auch das als Kriegsvorwand. Milosevic hatte die OSZE ins Land gelassen. Deren Beobachter widersprachen den Behauptungen der NATO, was diese nicht hinderte, den Krieg zu beginnen. Der Irak wurde von UNO-Waffeninspekteuren durchsucht. Sie fanden keine Massenvernichtungswaffen. Das hinderte die USA nicht, das Land zu überfallen. Später bezeichnete der damalige US-Außenminister Colin Powell seine Lügenshow im UN-Sicherheitsrat über die angeblichen mobilen irakischen Chemie- und Biowaffenlabore als "Fehler". Da war der Krieg aber schon gelaufen.
 
Der Westen hatte sich zwar in den letzten Jahren mit Gaddafi arrangiert, aber ihm wurde nie verziehen, dass er nach dem Putsch 1969 die Briten und die USA von ihren Militärstützpunkten in Libyen vertrieb(12) und das libysche Öl verstaatlichte. Im Libyen-Kapitel seines Buches „Killing Hope“ (dt.: „Zerstörung der Hoffnung“; S. 469-484) beschreibt William Blum, ein ehemaliger US-Diplomat, welche Folgen und Auswüchse das für das nordafrikanische Land und seinen „Revolutionsführer“ hatte. Das Öl mag nicht der wichtigste Grund für die Bomben und den Kriegseintritt des Westens sein, aber angesichts der Tatsache, dass Libyen das erdölreichste Land in Afrika und mit zu den erdölreichsten Ländern der Welt gehört(13), dürfte es kein unwichtiger sein. Vielleicht spielt auch eine Rolle, dass Gaddafi schon 2009 überlegte, die Ölfirmen, die in Libyen Öl fördern durften, zu nationalisieren(14). Die russische Pravda fragte am 25. März, ob das ein Kriegsgrund sein könnte. Es hätte eine Reihe westlicher Ölkonzerne getroffen: Shell, British Petroleum, U.S. ExxonMobil, Hess Corp., Marathon Oil, Occidental Petroleum,  ConocoPhillips, Repsol, Wintershall, OMV, Statoil, Eni and Petro Canada(15).

Und wenn es um Demokratie und Menschenrechte ginge, stellt sich die Frage:
Seit wann bringen ausgerechnet die USA und die anderen westlichen Staaten die
Demokratie nach Nordafrika? Nachdem sie so oft Demokratie zerstörten, 1956
in Guatemala, 1953 im Iran, 1973 in Chile und und und ... Am Ende wird ihnen
das politische System des Landes egal sein, entscheidend ist, ob die
politische Klasse des jeweiligen Landes bereit ist, die US-Interessen, vor
allem die wirtschaftlichen, ordentlich zu berücksichtigen. Wenn nicht gibt
es einen Putsch oder einen Aufstand, mal militärisch, mal demokratisch.
 
Es gibt keinen guten Grund für die Bomben auf Libyen. Wieder einmal werden diese geworfen, ohne dass alle zivilen und politischen Mittel zur Konfliktlösung vorher ausgeschöpft wurden. Stattdessen verkünden westliche Politiker, "Experten“ und Journalisten kriegsbegeistert und mit Schaum vorm Mund als Ziel der Bomben "Gaddafi muss weg", entgegen aller anderen offiziellen Begründungen. Zwei Beispiele: Am 19. März im "ZDF spezial" antwortet Korrespondent Udo van Kampen aus Brüssel auf die Frage, was Gaddafi von den westlichen Militäraktionen zu erwarten hat: "Nichts Gutes, denn er legt sich mit dem mächtigsten Bündnis der Welt an und da hat er allen Grund, um seine Gesundheit, wenn nicht um sein Leben zu fürchten. Denn das politische Ziel ist klar und das heißt: Gaddafi muss weg, notfalls auch mit Gewalt."(16) Am 21. März legt „Nahostexperte“ Michael Lüders im ARD-Brennpunkt nach: Auf die Frage der Moderatorin: "Die US-Amerikaner betonen offiziell, es sei nicht ihr Ziel, Gaddafi zu stürzen oder auszuschalten. Halten Sie das für richtig?", antwortet Lüders: "Nun es ist die offizielle Verlautbarung, aber natürlich geht es um einen Regimewechsel, um nichts anderes. Das kann man so nicht sagen. Das wäre vom Völkerrecht natürlich nicht gedeckt, aber sowohl die Europäer wie auch die Amerikaner und nicht zuletzt die Araber sind sich einig darin, dass mit Gaddafi kein weiterer politischer Handel möglich sein würde. Er ist eine potenzielle Quelle der Instabilität ..."(17)
 
Es ist das immer gleiche Spiel des Westens: Wenn die andere Seite etwas behauptet, wird das als Propaganda abgetan, während die eigene Propaganda als "objektive Berichterstattung" verkauft wird. Die anderen werden dämonisiert und die Stimmung wird so lang aufgeputscht, bis alle Gutmenschen nach einer "humanitären" Intervention rufen. Dabei wird nebenbei noch das Völkerrecht entsorgt. So war es in Jugoslawien zweimal, im Irak, so wird es gehandhabt beim Iran und Venezuela, und jetzt auch in Libyen. Es läuft eine Propagandamaschinerie, die schon mehrfach beschrieben wurde, so unter anderem von Andreas Elter in seinem Buch "Die Kriegsverkäufer: Geschichte der US-Propaganda 1917-2005", von Mira Beham in "Kriegstrommeln. Medien, Krieg und Politik", von Jörg Becker und Mira Beham in „Operation Balkan: Werbung für Krieg und Tod“, von John Mc Arthur in "Schlacht der Lügen" oder von Norman Solomon und Reese Erlich in "Angriffsziel Irak. Wie die Medien uns den Krieg verkaufen“. Dieses immer gleiche Muster funktioniert in erschreckender Weise immer wieder. Es ist und bleibt leider so, auch im Fall Libyen: Zuerst stirbt immer die Wahrheit, wenn sie denn jemals an das Licht der Welt kam.
 
Es ist und bleibt verlogen und zynisch, was uns da medial und von der herrschenden Politik aufgetischt wird. Stück für Stück kommt immerhin raus, dass Gaddafi mit seiner Behauptung, der Westen und Al Qaida stecken hinter den Aufständen zumindest teilweise nicht unrecht hatte. Da melden SPIEGEL online und FOCUS online am 31. März, dass nach einem Bericht der New York Times CIA und der britische MI 6 schon seit Wochen in Libyen operieren.(18) Einen Tag später ist zu lesen, dass „schon seit Wochen Hunderte Soldaten der legendären Eliteeinheit Special Air Service (SAS) in Libyen im Einsatz“ seien. „Es soll sich um zwei speziell trainierte Einheiten mit dem Codenamen "Smash" handeln. Das englische Wort bedeutet "zerschlagen" und steht für die destruktiven Fähigkeiten der britischen Elitesoldaten.“ (19) Dazu passt ein Bericht des Pakistan Observer, dass laut einem libyschen Bericht Soldaten Frankreichs, Großbritanniens und der USA bereits Ende Februar in Tobruk und Bengasi per Schiff anlandeten(20).
Fast zur selben Zeit berichten die Medien, die alles, was Gaddafi sagt, als bizarre Propaganda darstellen, dass USA und NATO Al Qaida in Libyen vermuten. Da wird die Antwort des früheren CIA-Agenten Bruce Riedel aus einem „New York Times“-Beitrag auf die Frage zitiert, welchen Prozentsatz die islamistischen Extremisten unter den libyschen Rebellen ausmachten: "Stellen sie zwei Prozent? Sind es 20 Prozent? Oder sind es 80 Prozent?" (21) Das Wall Street Journal berichtete am 2. April, dass zwei Afghanistanveteranen und ein ehemaliger Guantanamo-Häftling die militärische Führung der der Rebellen in der Stadt Darna bilden.(22) Schon Jahre zuvor gab es Berichte, dass die Islamisten den Osten Libyens als Rückzugs- und Ausbildungsraum nutzen.(23) Inzwischen gibt es auch Hinweise, dass der Krieg des Westens gegen Gaddafi schon vor der Rebellion in Ostlibyen vorbereitet wurde, wie Abou Hassan und Michael Opperskalski in der NRhZ berichteten(24). Joachim Guilliard hat in seinem Internet-Blog einen Text von Heinz Eckel veröffentlicht, in dem zahlreiche Fakten zusammengetragen werden, die darauf hindeuten, dass der Kriegseinsatz gegen Libyen schon vor dem Ausbruch der Unruhen im Februar nicht nur vorbereitet sondern sogar geübt wurde. Da wird nicht nur von dänischen Kampfflugzeugen berichtet, die in Italien den Einsatz gegen Libyen übten, sondern auch von einem von Frankreich und Großbritannien im November 2010 beschlossenen gemeinsamen Manöver im März 2011 unter dem Namen "Southern Mistral" ("Südlicher Mistral"). Szenario des Manövers sei der Einsatz auf Grundlage einer UNO-Resolution gegen eine Diktatur in einem imaginären Land namens "Southland“ ("Südland“), die „verantwortlich für einen Angriff auf Frankreichs nationale Interessen“ sei. Das sind nicht die einzigen "Zufälle“, auf die der Text aufmerksam macht.(25)
 
Zuletzt noch ein paar Bemerkungen zum vorgebrachten Kriegsgrund Menschenrechte: Es muss daran erinnert werden, dass das Prinzip „Menschenrecht bricht Staatsrecht“ niemand anders als Adolf Hitler in "Mein Kampf“ beschrieb.(26) Das scheint deutsche Tradition zu sein, denn schon 1918 stellte Prinz Max von Baden in seiner Denkschrift über den "ethischen Imperialismus“ klar: „Eine so ungeheure Kraft, wie wir sie in diesem Kriege entfaltet haben, muss sich vor der Welt ethisch begründen, will sie ertragen werden. Darum müssen wir allgemeine Menschheitsziele in unseren nationalen Willen aufnehmen.“ (in: „Europastrategien des deutschen Kapitals 1900 – 1945“, herausgegeben von Reinhard Opitz; S. 433). Bedauerlich und erschreckend, dass auch die Grünen diese deutsche Tradition fortsetzen.
 
Wie verlogen dieses Prinzip ist, belegt eine Meldung vom 25. März: „Der Tod eines Demonstranten beim Weltwirtschaftsgipfel in Genua im Jahr 2001 hat keine juristischen Folgen für Italien. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschied am Donnerstag rechtskräftig, dass die tödlichen Schüsse eines Carabinieri auf den Demonstranten Carlo Giuliani nicht menschenrechtswidrig waren.“(27) In einem Beitrag in der Zeitschrift Ossietzky schrieb Dieter Antelmann schon 2010: „… zum effektiven Schutz vor einer nicht mehr alles hinnehmenden Bevölkerung ermöglicht der Lissabon-Vertrag die Todesstrafe und die Tötung im "Aufstand" oder "Aufruhr". In den Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, die unter der Leitung des Präsidiums des Konvents zur Ausarbeitung der Charta formuliert und unter der Verantwortung des Präsidiums des Europäischen Konvents aktualisiert wurden, heißt es zum Artikel über das Recht auf Leben: »Eine Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie durch eine Gewaltanwendung verursacht wird, die unbedingt erforderlich ist, um einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen.«" (28)Und während die Meldung über das EGMR-Urteil nur in wenigen Medien zu finden war (Google-News ergab nur vier Fundstellen online), wurden Bomben auf Libyen abgeworfen, weil Gaddafi auf Demonstranten und Rebellen schießen ließ. (PK)
 
(1) http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2011/0228/tagesthema/0020/index.html
(2) http://www.bator.eu/index.php?option=com_content&view=article&id=49%3Ahintergruende-der-unruhen-in-libyen-im-fruehjahr-2011&catid=6%3Aarabische-staaten&Itemid=16&limitstart=5
 
(3) http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,754198,00.html
(4) http://www.freitag.de/positionen/1113-treibgut-wahrheit
(5) http://www.freitag.de/positionen/1112-nato-entsorgt-un-charta
(6) Zeitschrift Wissenschaft & Frieden 1/91
(7) http://bazonline.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/Die-meisten-Kampfbilder-aus-Libyen-sind-gestellt/story/27307628/print.html)
(8) http://rt.com/news/airstrikes-libya-russian-military/)
(9) http://www.faz.net/s/RubA24ECD630CAE40E483841DB7D16F4211/Doc~E9532AB8A57324044B8FECD4ED011CB9B~ATpl~Ecommon~Scontent.html)
(10) http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2000/0324/politik/0002/index.html
(11) http://www.neues-deutschland.de/artikel/193829.verhandlungsloesungen-gruendlich-verbaut.html)
(12) siehe unter anderem http://www.ossietzky.net/6-2011&textfile=1355
(13) siehe http://www.bator.eu/index.php?option=com_content&view=article&id=49%3Ahintergruende-der-unruhen-in-libyen-im-fruehjahr-2011&catid=6%3Aarabische-staaten&Itemid=16&limitstart=1
(14) http://uk.reuters.com/article/2009/01/21/businessproind-us-libya-gaddafi-oil-idUKTRE50K61F20090121
(15) http://english.pravda.ru/hotspots/crimes/25-03-2011/117336-reason_for_war_oil-0/
(16) http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1289304/ZDF-spezial-Krisen-in-Japan-und-Libyen?bc=sts;suc&flash=off
(17) http://www.ardmediathek.de/ard/servlet/content/3517136?documentId=6770770
(18) http://www.nytimes.com/2011/03/31/world/africa/31intel.htmlhttp://www.focus.de/politik/ausland/krise-in-der-arabischen-welt/libyen-cia-und-mi6-unterstuetzen-rebellen_aid_613772.html, http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,754172,00.html)
(19) http://www.abendblatt.de/politik/deutschland/article1840162/Die-Nato-kaempft-auch-am-Boden.html)
(20) http://pakobserver.net/detailnews.asp?id=78009).
(21) http://www.nytimes.com/2011/03/30/world/africa/30diplo.html?ref=libyahttp://www.abendblatt.de/politik/ausland/article1838481/Nato-vermutet-al-Qaida-in-Libyen.html)
(22) http://online.wsj.com/article/SB10001424052748703712504576237042432212406.html?mod=WSJ_hp_MIDDLENexttoWhatsNewsThird)
(23) http://www.upi.com/Top_News/2008/04/17/Al-Qaida-revival-in-Libya-concerns-US/UPI-30681208430573/)
(23) http://www.upi.com/Top_News/2008/04/17/Al-Qaida-revival-in-Libya-concerns-US/UPI-30681208430573/
(24) http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=16328
(25) http://jghd.twoday.net/stories/truppen-aktivitaeten-und-manoever-deuten-auf-interventionsvorbereitung/)
(26) http://www.jungewelt.de/2011/03-02/042.php)
(27) http://www.sueddeutsche.de/s5G387/3987669/Strassburger-Richter-sprechen-Italien-frei.html
(28) http://www.sopos.org/aufsaetze/4c57f56440a4a/1.phtml)
 
Tilo Gräser, Jahrgang 65, lebt in Berlin, ist Journalist und seit 2004 Pressereferent der Volkssolidarität: www.volkssolidaritaet.de/
Ende der 90er war er Redakteur bei der jungen Welt, von 1999 bis 2001 Pressesprecher der Rosa-Luxemburg-Stiftung, danach freier Journalist fürs ND, die junge Welt, Freitag und Ossietzky.


Online-Flyer Nr. 297  vom 13.04.2011



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