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Lokales
Fünf "Edelweißpiraten" im Kölner Rathaus ausgezeichnet - Interviews
Keine Ehrung für die Ermordeten
Von Alexander Goeb
Verbrecher oder "entwurzelte Rowdys"? Über Jahrzehnte waren das die Varianten der großen Politik, wenn es nach dem Krieg um die Beurteilung der Aktionen der Kölner "Edelweißpiraten" ging. Diebstähle, Raubzüge und Sabotagehandlungen sowie Waffengewalt gegen die Staatsmacht listete die Geheime Staatspolizei der Nazis auf. Am 10. November 1944 wurden an einem Bahndamm im Kölner Stadtteil Ehrenfeld 13 Menschen öffentlich ohne Anklage und Urteil zur Abschreckung aufgehängt, darunter sechs Jungen, die zu den "Edelweißpiraten" gehörten. Nach Jahrzehnten der Kontroverse wurden nun am Mittwoch vergangener Woche fünf ehemalige "Edelweißpiraten“ im Historischen Kölner Rathaus mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet – für ihren „Widerstand in der NS-Diktatur und…ihr ehrenamtliches Engagement als Zeitzeugen“. Sie heißen Hans Fricke, Gertrud Koch, Peter Schäfer, Wolfgang Schwarz und Fritz Theilen. Interviews im zweiten Teil dieses Artikels.
Edelweißpirat Bartholomäus Schink - mit
16 Jahren in Ehrenfeld aufgehängt
NRhZ-Archiv
Nicht geehrt wurden bis heute die Ermordeten von 1944. Sie verscharrte man auf dem Kölner Friedhof Melaten in einem Massengrab, unter ihnen Günther Schwarz (16), Johann Müller (16), Bartholomäus Schink (16), Gustav Bermel (17), Franz Rheinberger (17) und Adolf Schütz (18). Warum keine Ehrung für die Ermordeten? Darauf angespro- chen, teilte die Bezirksregierung Köln mit, dass das Verdienst- kreuz nicht posthum verliehen werde. Das aber ist nur die halbe Wahrheit. Denn es gibt Ausnahmen von der Regel. So wurden u.a. der "Landshut“-Pilot Jürgen Schumann und der Münchener Dominik Brunner posthum ausgezeichnet.
Als Autor freut es mich, dass ich - so heißt es aus Kreisen der für Wiedergutmachungsfragen zuständigen Kölner Bezirksregierung - mit meinem Buch "Er war sechzehn, als man ihn hängte“ zu der späten Ehrung der Überlebenden beigetragen habe. Mein Vorschlag, eine solche, längst fällige offizielle Anerkennung durch die oberste Repräsentanz der Bundesrepublik Deutschland auszusprechen, den ich 2008 an den damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler gerichtet hatte, hat offenbar die nun erfolgte Entscheidung befördert.
Jahrzehntelang hatten sich zuvor Gerichte, Behörden und Politiker bemüht, den Widerstand der meist aus dem Arbeitermilieu stammenden Jugendlichen zu diskriminieren. Dennoch hatte sich auf regionaler Ebene mehr und mehr die Einschätzung durchgesetzt, dass die Aktionen der "Edelweißpiraten" eine ehrenvolle Erinnerung verdient hätten. So gibt es am Hinrichtungsort eine Gedenktafel. Eine Straße ist nach Bartholomäus Schink benannt worden. Besonders unangenehm war der großen Politik, dass 1984 Wolfgang Schwarz, Jean Jülich und posthum Bartholomäus Schink mit der "Medaille der Gerechten" ausgezeichnet wurden, der höchsten Auszeichnung des Staates Israel für Nichtjuden. Ausschlaggebend dafür war, dass die "Edelweißpiraten" zu denen gehörten, die Juden in den Trümmern Kölns versteckt, mit Lebensmitteln versorgt und damit ihr Überleben gesichert hatten.
Um die Debatte "Widerstand oder nicht?“ endlich zu beenden, sah sich Ende der 80er Jahre die Politik genötigt, die Wissenschaft zu bemühen. Der damalige NRW-Innenminister Herbert Schnoor (SPD) beauftragte den Düsseldorfer Professor Peter Hüttenberger mit einem Gutachten. Hüttenberger vergab den Auftrag an seinen Doktoranden Bernd Rusinek.
Rusinek wühlte sich durch die Nazi-Akten, nahm jedoch Abstand davon, überlebende Zeitzeugen ausgiebig zu befragen. Rusinek, heute selbst Professor, war damals ein "Stellenanwärter“, das Gutachten war seine Doktorarbeit. Er kam zu dem Fazit, dass die ermordeten "Edelweißpiraten" zwar keine Verbrecher waren. Doch als "desolate Rowdys" konnten sie nach Meinung des Doktoranden keinen politischen Widerstand geleistet haben. Die Kölner Stadtrevue schrieb damals eine vernichtende Einschätzung über Rusineks Gutachten und zitierte eingangs aus Adornos "Minima moralia“: „Selbst wenn sie außerhalb des Betriebes als ganz humane und vernünftige Wesen sich erweisen, erstarren sie zur pathetischen Dummheit in dem Augenblick, in dem sie von Berufs wegen denken.“
Neben anderen protestierte damals auch Romani Rose vom Zentralrat deutscher Sinti und Roma: „Es ist für uns unerträglich, wenn von heutigen Wissenschaftlern junge Menschen, die im Dritten Reich sich gegen die bestehenden NS-Organisationen, gerade auch gegen die Hitlerjugend, zusammenschlossen, als aufgrund der Zeitumstände “zwangsläufig kriminell“ diffamiert werden.“
Der Kölner OB Jürgen Roters (SPD) ist hier eine rühmliche Ausnahme. Für ihn, der jetzt die Verdienstkreuze an fünf ehemalige "Edelweißpiraten" übereichte, war immerhin schon 2005 klar geworden, dass die Kölner "Edelweißpiraten" politischen Widerstand im besten Sinne des Wortes geleistet hatten. Deshalb ehrte er als damaliger Regierungspräsident die Überlebenden, Anders als einer seiner Vorgänger, der Sozialdemokrat Franz-Josef Antwerpes (SPD), der bis zuletzt, wie die Nazis, den Widerstand der Jugendlichen als Verbrechen sah.
Zwei der jetzt am 12. April 2011 mit dem Bundesverdienstkreuz geehrten, Fritz Theilen und Wolfgang Schwarz, gehörten zu den vielen, die ich Ende der 70er Jahre in Köln-Ehrenfeld und anderswo interviewte. Erst nach 2000 wurde die Geschichte von Gertrud "Mucki“ Koch bekannt. 2005 habe ich mit ihr gesprochen. Die damaligen Aussagen sind auch heute noch von zeitgeschichtlicher Relevanz und deshalb sollen sie hier dokumentiert sein:
Fritz Theilen
Ihr Name ist Fritz Theilen. Sie wohnen in Köln Ehrenfeld. Haben Sie Mitglieder der Ehrenfelder Gruppe gekannt? Wenn ja, was können Sie über sie sagen?
Klar haben wir uns gekannt. Wir waren schließlich Edelweißpiraten. Wir haben uns am Bunker oder in der Körnerstraße getroffen oder auch im Volksgarten und im Blücherpark. Ich war 1943, als alles richtig anfing, erst 14. Aber es kam vor, dass die Älteren mich zu Aktionen mitgenommen haben. Das war aber noch nicht die Ehrenfelder Gruppe, sondern das war noch eher beschränkt auf die Edelweißpiraten, die hier in Ehrenfeld wohnten, den Büb Schwarz, den Barthel Schink, den Bubbes Rheinberger und den Addi Schütz. Die eigentliche Ehrenfelder Gruppe entwickelte sich erst langsam.
Was haben Sie damals gemacht?
Tja, was haben wir gemacht? Wir haben z.B. Feindsender gehört. Wir wussten schon, dass Stalingrad gefallen war, da verbreiteten die Nazis noch ihre Durchhalteparolen, und diese Nachrichten haben wir in den Luftschutzbunkern verbreitet. Da mussten wir natürlich vorsichtig sein, denn da waren auch Nazis drunter. Wir haben auch manchmal einen Nachschubzug entgleisen lassen und dann an den Bahndamm geschrieben: „Räder rollen für den Sieg, Köpfe rollen nach dem Krieg“. In das Fremdarbeiterlager an der Vogelsanger Straße haben wir Lebensmittel gebracht.
Wo hatten Sie die her?
Geklaut natürlich.
War das nicht kriminell?
Die Zustände waren kriminell. Wir haben gesehen, wie es in den Fremdarbeiterlagern aussah, das kann man sich gar nicht vorstellen. Außerdem kannten wir viele Leute, die lebten illegal, weil sie Juden waren oder sonst irgendwas. Die wären verhungert, wenn wir sie nicht versorgt hätten. Sie hätten mal sehen sollen, als die Fremdarbeiterlager auch noch bombardiert worden waren. Die Not und das Elend waren fürchterlich. Es gab auch noch andere Gruppen, die haben die Fremdarbeiter ebenfalls mit Lebensmitteln versorgt.
Wissen Sie etwas über Bartholomäus Schink?
Ich habe ihn gut gekannt. Das war ein richtiger Kerl. Meines Wissens, hatte er später Kontakt zum politischen Widerstand.
Warum waren Sie gegen die Nazis?
Ich bin, glaube ich, erblich vorbelastet. Bei uns hatte niemand etwas für die Nazis übrig. Ich selbst musste natürlich auch ins Jungvolk, da haben sie mich dann wegen Befehlsverweigerung rausgeschmissen, und mein Fahrtenmesser haben sie mir geklaut. Das hat mich unheimlich in Wut gebracht. Später haben sie diesen Vorgang wohl vergessen. Da haben sie mir dann das Kriegsverdienstkreuz verliehen. Das war 1942. Eigentlich war alles ganz einfach. Ich war nach einem Bombenangriff auf eine Flakkaserne zufällig in der Nähe und habe beim Löschen geholfen, und da haben sie mir von der Wehrmacht den Orden verliehen.
Sie sind dann auch verhaftet worden?
Ja, am 20. Juli 1944. Und das war Glück. So konnten sie mich nicht mit der Ehrenfelder Gruppe in Verbindung bringen. Aber es war auch so schlimm genug. Erst haben sie mich im Gestapo-Hauptquartier in den Elisenstraße halb totgeschlagen. Die Fragen waren immer die gleichen. Wer sind die Edelweißpiraten, sind das Kommunisten? Ich habe immer gesagt, ich weiß es nicht. Es waren auch noch andere Edelweißpiraten da. Die wurden auch fürchterlich geschlagen. Wir mussten dann Protokolle unterschrieben, mehrere Exemplare. Später merkten wir, dass die Nazis mit Hilfe der Protokolle, die sie ohne unser Zutun ausfüllten, die Leute gegeneinander ausspielten, und mit solchen Aussagen arbeiten die Arschlöcher heute noch.
Wolfgang Schwarz
Ihr Name ist Wolfgang Schwarz, sie sind 54 Jahren alt, gelernter Konditor und Bruder des 1944 öffentlich erhängten Günther Schwarz. Sie sind wie ihr Bruder Halbjude und Mitglied der Edelweißpiraten gewesen.
Ja, wir wohnten alle in der Schönsteinstraße. Unser Vater war Jude. Der war nach Holland geflüchtet. Später haben sie ihn doch umgebracht. Meine Mutter ist früh gestorben. Zuvor hatten sich meine Eltern noch scheiden lassen, um uns zu schützen. Aber wir galten als Halbjuden; waren trotzdem "minderwertig". Das wirkte sich ganz konkret aus. Wir konnten im Verein nicht mehr Fußball spielen, obwohl wir beide wirklich gute Spieler waren. Ich hatte z.B. viel für Radsport übrig. Auch da konnte ich allenfalls mittrainieren. Später ging auch das nicht mehr. Sie haben uns dann ein Schreiben geschickt, danach sollten wir uns zum Abtransport in ein Lager melden. Da sind wir nicht hingegangen. Danach haben wir keine Lebensmittelkarten mehr bekommen. Wir sind dann ausgebombt worden. Das ganze Vorderhaus war zertrümmert. Im Hinterhaus wohnte die Cilly, und der Keller vorne wurde als Treffpunkt für die Gruppe ausgebaut. Der Keller des Nebenhauses gleich mit. Die Schwarz stammen alle aus Köln. Wir sind alle in Köln geboren.
Herr Schwarz, Sie waren wie ihr Bruder Edelweißpirat. Gehörten Sie auch der Ehrenfelder Gruppe an?
Nee, eigentlich nicht. Von denen hat ja keiner überlebt. Aber irgendwie war ich auch dabei. Vielleicht waren die anderen nicht vorsichtig genug. Ich habe den Büb, ich meine den Günther, oft gewarnt. Aber, der guckte nicht links und nicht rechts. Sie haben ihn dann zuhause im Bett verhaftet.
Waren Sie bewaffnet?
Alle waren bewaffnet. Ich habe einmal nach einem Verletzten gesucht nach einem Bombenangriff, da hatte ich am Gürtel ein ganzes Arsenal von Handgranaten. Wahnsinn war das im Grunde. Ich habe wahrscheinlich nur überlebt, weil ich immer gearbeitet habe. Also nicht ständig draußen war. Ich habe über einen Bekannten im Heimatkraftfuhrpark der Wehrmacht gearbeitet. Natürlich wusste dort niemand, dass ich Halbjude war, von da hatte ich die Handgranaten.
Wissen Sie etwas über weitere Aktionen?
Der große Plan war immer das Hauptquartier der Gestapo in der Elisenstraße in die Luft zu sprengen. Aber bevor es dazu kam, sind sie alle verhaftet worden. Geplant war auch, die Hohenzollernbrücke zu schützen, das heißt, die geplante Sprengung durch die Nazis beim Vorrücken der Amerikaner zu verhindern.
Cilly Mevissen
Sie sind Cilly Mevissen, wohnhaft in Köln-Ehrenfeld. Frau Mevissen. Hans Steinbrück, der Anführer der Ehrenfelder Gruppe, der auch "Bombenhans" genannt wurde, hat bei Ihnen im Hinterhaus in der Schönsteinstraße gewohnt. Was war Steinbrück für ein Mensch? Was hatten Sie mit der Ehrenfelder Gruppe zu tun?
Ja, ich habe den Bombenhans in Deutz kennengelernt. Mein Mann war dort auch
als Häftling, und er hatte dem Bombenhans gesagt, wenn du hier abhaust, kannst du zu meiner Olga nach Ehrenfeld gehen. Das hat er auch gemacht. Er hatte ein sehr angenehmes Wesen, war groß, dunkle Locken und hatte sehr gute Umgangsformen. Er war ein Mensch, der überall Sympathien weckte. Er war überall wohl gelitten. Bei den Hausbewohnern. Überall. Er half wo es ging, z.B. die alten Leute in die Luftschutzkeller bringen.
Wen haben Sie von den anderen Gruppenmitgliedern gekannt?
Was heißt Gruppenmitglieder? Sie dürfen sich das nicht so fest vorstellen. Das war alles nicht fest organisiert. Die machten mal was, da kam der und kam mal der. Das war sehr unterschiedlich. Die meisten habe ich nicht gekannt, weil ich immer das Essen gekocht habe. Von meiner Wohnung aus, da ging ein Klingelzug in den Keller, wo sich die Jungen trafen. Wenn Gefahr im Verzug war, habe ich daran gezogen, dann waren die vorne gewarnt und konnten verschwinden. Am 2. Oktober war es dann soweit, die Gestapo war da. Die Jungen konnten zwar abhauen aber mich haben sie mitgenommen, das heißt, zuerst musste ich noch da bleiben sozusagen als Lockvogel. Denn die dachten natürlich, die Jungen hätten nichts bemerkt und würden jetzt ahnungslos eintrudeln. Später, nach dem Versuch der Jungen mich zu befreien, haben sie mich und die jüdische Frau mit ihrer Tochter, die bei uns wohnte, ins Gestapogefängnis Brauweiler transportiert.
Was passierte bei ihrer versuchten Befreiung?
Das weiß ich nicht. Ich war ja nicht dabei. Ich weiß nur, sie sind mit Autos vorgefahren und haben wild um sich geschossen. Mit Gewehren und Pistolen. Aber, es hat nicht geklappt. Die Jungen konnten zwar noch entwischen. Kurz danach sind aber alle verhaftet worden. Den Hans Balzer haben sie einfach mit einem Kopfschuss erledigt als er aus einem Kellerloch krabbelte, nach dem er kurz zuvor der Gestapo entkommen war. Den Bombenhans hätten sie beinahe nicht gekriegt. Der wollte untertauchen, zu dem Zweck hatte er sich einen Arbeitsanzug besorgt, dabei ist er von einem Wachmann erwischt worden. Der hat sofort geschossen und den Hans in den Oberschenkel getroffen. Da hat der Hans zurückgeschossen, und der Wachmann ist tot umgefallen. Die Nachbarn haben sich noch um Hans gekümmert, 'nen Arzt besorgt und so, und dann hat ihn die Gestapo doch in der Hansemannstraße erwischt.
Toni Fleischhauer
Sie heißen Toni Fleischhauer, wohnen in Köln, sind 78 Jahre alt. In welcher Beziehung standen Sie zu der sogenannten "Ehrenfelder Bande"?
In keiner direkten. Ich war Funktionär der Kommunistischen Partei, im KZ Buchenwald inhaftiert und bin von dort in das Außenlager Köln-Deutz, das in den Messehallen untergebracht war, abkommandiert worden. Meine Beziehung zu der Ehrenfelder Gruppe ist die, dass ich in Deutz den Hans Steinbrück kennengelernt habe.
Wer war Hans Steinbrück?
Er war ein guter Kamerad. Er war wagemutig wie kaum ein anderer. KZ-Häftlinge aus dem Deutzer Messelager wurden 1943 von der Stadt Köln als Bombenräumkommando angefordert. Das waren Gruppen von 20 bis 30 Mann. Hans Steinbrück war bald Leiter einer solchen Gruppe. Er setzte sich rittlings auf Hundertzentner-Bomben und schlug mit Hammer und Meißel die Bombenzünder raus. Nie passierte etwas. Steinbrück wurde bald nur noch "Bombenhans" genannt. Einmal war ein General der Wehrmacht da. Da hieß es, der Bombenhans wäre wegen seiner Verdienste beim Bombenräumen für das Ritterkreuz vorgeschlagen worden. Politische Gespräche haben wir mit Hans Steinbrück nicht geführt. Er trug den roten Winkel, was bedeutete, dass er politischer Häftling war. Er soll sich, so habe ich später erfahren, als Gestapomann ausgegeben haben und ist dabei erwischt worden. Ich hatte dann noch Kontakt zur Ehrenfelder Gruppe und erfahren, dass Bombenhans im Herbst 1943 kurz vor der 1000sten entschärften Bombe die Flucht geglückt war und er hier in Ehrenfeld untergetaucht war.
Sofie Röseler
Sie heißen Sofie Röseler, sind 61 Jahre alt, auch sie waren Mitlied der Edelweißpiraten. Sie waren schon 1935 dabei. Wie sind Sie Edelweißpiratin geworden?
Das war mehr oder weniger Zufall. Ich hatte Gretchen getroffen. Eine Klassenkameradin. Sie erzählte mir davon, dass sich am Wochenende viele Jugendliche im Königsforst träfen. Wir sind dann hin. Ich muss sagen, wir waren überwältigt. An der großen Kiesgrube, nahe der Autobahn nach Frankfurt, die damals gerade gebaut wurde, waren nahezu 400 Jungen und Mädchen versammelt, nicht nur aus Köln, auch aus Bonn, Düsseldorf und dem Ruhrgebiet. Überall brannten Lagerfeuer, und viele spielten Gitarre und hatten eine zünftige Kluft an, Manchester-Hosen und Manchester-Jacken, die Mädchen Manchester-Röcke mit vielen Reißverschlusstaschen, weiße Kniestrümpfe mit Bömmeln dran. Manche trugen ein Edelweiß am Rock.
Was haben Sie von den Auseinandersetzungen mit der Hitlerjugend bemerkt?
Eine ganze Menge. Schon beim ersten Treffen, an dem wir teilnahmen, sahen wir nicht wenige Jungen, die ganz schön mitgenommen waren. Sie erzählten davon, sie hätte ein schweres Gefecht mit einer Abteilung des HJ-Streifendienstes gehabt.
War die HJ denn nicht stärker?
Nee, meistens hat die HJ eins auf die Schnauze gekriegt. Bei den Edelweißpiraten waren viele, die, wie man bei uns sagte, ein ordentliches Möppchen in der Faust hatten. Da waren auch Boxmeister dabei. Einen habe ich gekannt, der war Schmied von Beruf. Mein Gott, hatte der einen Schlag. Die HJ war fast immer in der Überzahl, aber die hatten Angst vor uns. Vielleicht sind sie auch deshalb immer brutaler geworden. Das war ja auch das Grundsätzliche, die Nazis wollten nicht, dass Jugendliche außerhalb der HJ in größerer Zahl zusammenkamen. Das war ja damals verboten. Es sollte nur noch die HJ geben. Die Nazis haben Druck gemacht, und wir haben uns gegen den Druck gewehrt.
Jean Jülich
Sie heißen Jean Jülich und sind Gastwirt. Was wissen Sie über die Ehrenfelder?
Ich selbst gehörte nicht zu den Ehrenfeldern, sondern zur Sülzer Gruppe. Mein Vater saß im Zuchthaus in Siegburg, weil er Funktionär der KPD war. Dort habe ich bei Besuchen Kontakt zu einem gewissen Mike bekommen. Der war Führer der Bündischen Jugend. Deshalb haben die Nazis ihn eingesperrt. Heute ist er übrigens Botschafter in Rumänien Der hat mir Lieder beigebracht, die hab ich dann zu den Treffs mitgebracht. Wir haben sie gesungen und eigenen Texte dazu gemacht.
Wie lauteten denn die Texte?
Zum Beispiel so: In Junkers Kneipe, bei Wein und Pfeife, da saßen wir beisammen. Ein guter Tropfen von Malz und Hopfen, der Teufel führt uns an. Hei, wo die Burschen singen und die Mädel fallen ein. Was kann das Leben Hitlers uns geben, wir wollen bündisch sein. Hei, wo die Fahrtenmesser blitzen und die Hitlerjungen flitzen…, ja, in dem Stil ging das.
Warum waren Sie als Edelweißpirat gegen Hitler?
Jean Jülich beim Edelweißpiratenfestival
im Friedenspark in Köln am 17. Juni 2007
Foto: Factumquintus/wikipedia
Ich ging zum Beispiel in eine Musterbildungslehranstalt. Da hatten sie einen Gesellen, das war ein Supernazi, bei dem ging das so: Wer pinkeln musste, musste sagen, Heil Hitler, bitte austreten zu dürfen und danach, Heil Hitler, melde mich zurück. Das Ganze immer im Strammstehen. Im Werk mussten wir auch in die HJ. Das war die Werk-HJ. Auch da immer Antreten. Einige, die was angestellt hatten, mussten vor die versammelte Mannschaft treten, die sind dann kahlgeschoren worden. Der Ferdi und ich, wir hatten auch direkten Kontakt zu den Ehrenfeldern. Bei uns wusste jeder, besonders nachdem die russische Front zusammengebro- chen war, dass der Hitler ein Verbrecher ist. Wir hörten auch immer mehr aus den Konzentrationslagern. Der Ferdi und ich, wir sind am 10. Oktober verhaftet worden. Das war unser Glück. Sonst hätten sie uns vermutlich auch aufgehängt. Aber so konnten wir mit den Ehrenfeldern nicht direkt in Verbindung stehen, die sind erst später gefasst worden.
Gertrud Koch
Frau Koch, was hat Sie zu den Edelweißpiraten gebracht?
Wir haben damals gesagt, die Alten sind in der KPD und wir Jüngeren, wir wollen in keine Partei, wir wollten nirgendwo drin sein, nicht in der HJ nicht im BDM. Wir haben uns dann erste einmal in Gruppen zusammen getan und sind auf eigene Faust gewandert. Wenn man in einer Familie aufwächst, die so politisch orientiert ist, dann hat man mit 16/17 einen ganz anderen Durchblick. Unser Vater hat immer gesagt: Wenn der Hitler an die Regierung kommt, dann bedeutet das Krieg. Und Krieg bedeutet Untergang für uns. Das hat sich bei mir so eingeprägt.
Edelweißpiraten auf einer Wanderung – Dritte von rechts: Gertrud "Mucki" Koch
NRhZ-Archiv
Die Jungen kamen immer zu uns nach Hause und haben gesagt zu meinem Vater, nun erzähl uns doch von Eurem Kampf vor 33, von Ernst Thälmann. Wir haben dann gesagt, irgendwas müssen wir auch machen. Wehret den Anfängen. Dann waren wir noch einmal auf der Burg Waldeck und haben gesagt: Wir müssen einen Namen haben. Wir können doch nicht sagen, wir sind Wandervögel. Dann sind wir auf den Namen gekommen. Es gibt eine Blume, die oben hoch in Eis und Schnee blüht, die naturgeschützt ist, die keiner pflücken darf, wo keiner dran kommt, und das ist das Edelweiß. Dann haben wir gesagt, das ist der Name. Wir wollten frei sein von jedem Zwang und nennen uns deshalb Gruppe Edelweiß.
Was habt Ihr gemacht?
Uns getroffen und Flugblätter verteilt. Wir wurden verhaftet und wieder freigelassen. Als es gefährlicher wurde, haben wir es dann anders gemacht. Da haben wir Liebespärchen gebildet, haben uns irgendwo am Rhein hingesetzt. Die anderen haben Flugblätter verteilt an Taxiständen, in Briefkästen, am Bahnhof, Wenn die Liebespärchen auseinandergingen, dann wussten die Flugblattverteiler, dass Gefahr droht. Einige der Jungen mussten dann zum Militär. Wir wollten sie verabschieden in einer Wirtschaft hier am Eifelplatz, sonst hatten wir nichts vor. Wir hatten Gitarren dabei, haben gesungen, Dann ging die Tür auf, und es kamen zwei schwere Überfallkommandos. Man hat uns in die Gestapozentrale gebracht. Da kamen wir rein. Dann ging es erstmal eine steile Treppe runter, da kriegte man einen Tritt und eine ans Ohr. Dann unten in der Zelle, kein Bett, kein Stuhl, kein Tisch, sieben Personen auf drei Quadratmeter. Drei Tage bekamen wir nichts zu essen. Jede Stunde wurde einer geholt, der mit blauen Augen wiederkam. Nach dem Verhör hatte auch ich ein blaues Auge, die Backe war dick. Sie haben mich in den Unterleib getreten, da leide ich heute noch drunter. Wir sagten, wir haben gegen keinen etwas, wir wollen nur frei sein. Dann wurden wir nach Brauweiler gefahren. Im Gestapogefängnis war ich neun Monate.
Hat sie etwas besonders gereizt bei den Edelweißpiraten?
Oh ja, bei uns waren Jungen und Mädchen gleichgestellt, es gab keine Unterschiede. Da hieß es nicht, du kannst das nicht machen, das ist zu gefährlich, das muss ein Junge machen. Das gab es bei uns nicht.
Und die anderen, die Ehrenfelder, kannten Sie die?
Wir kannten die Ehrenfelder. Das waren keine Verbrecher. Wir hatten nicht soviel mit ihnen zu tun, weil, sie uns ein bisschen zu radikal waren. Wir machten den Protest ein bisschen leiser, vielleicht war es die bessere Art. Viele Leute wussten nichts. Sie wussten nichts über die Juden, die vergast wurden, über die Kommunisten, die ermordet wurden. Wenige wussten etwas. Das stand alles auf unseren Flugblättern. Wir haben die Flugblätter meistens auf unseren Wanderungen geschrieben. Da konnte uns keiner erwischen. (PK)
Alexander Goeb: Er war sechzehn als man ihn hängte. Das kurze Leben des Widerstandskämpfers Bartholomäus Schink. ISBN 3-499-23026-7, Taschenbuch EUR 7,90
Jean Jülich: Kohldampf Knast und Kamelle. Ein Edelweißpirat erzählt sein Leben. Mit einem Vorwort von Wolfgang Niedecken. ISBN 3-462035-40-1
Online-Flyer Nr. 298 vom 20.04.2011
Fünf "Edelweißpiraten" im Kölner Rathaus ausgezeichnet - Interviews
Keine Ehrung für die Ermordeten
Von Alexander Goeb
Verbrecher oder "entwurzelte Rowdys"? Über Jahrzehnte waren das die Varianten der großen Politik, wenn es nach dem Krieg um die Beurteilung der Aktionen der Kölner "Edelweißpiraten" ging. Diebstähle, Raubzüge und Sabotagehandlungen sowie Waffengewalt gegen die Staatsmacht listete die Geheime Staatspolizei der Nazis auf. Am 10. November 1944 wurden an einem Bahndamm im Kölner Stadtteil Ehrenfeld 13 Menschen öffentlich ohne Anklage und Urteil zur Abschreckung aufgehängt, darunter sechs Jungen, die zu den "Edelweißpiraten" gehörten. Nach Jahrzehnten der Kontroverse wurden nun am Mittwoch vergangener Woche fünf ehemalige "Edelweißpiraten“ im Historischen Kölner Rathaus mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet – für ihren „Widerstand in der NS-Diktatur und…ihr ehrenamtliches Engagement als Zeitzeugen“. Sie heißen Hans Fricke, Gertrud Koch, Peter Schäfer, Wolfgang Schwarz und Fritz Theilen. Interviews im zweiten Teil dieses Artikels.
Edelweißpirat Bartholomäus Schink - mit
16 Jahren in Ehrenfeld aufgehängt
NRhZ-Archiv
Als Autor freut es mich, dass ich - so heißt es aus Kreisen der für Wiedergutmachungsfragen zuständigen Kölner Bezirksregierung - mit meinem Buch "Er war sechzehn, als man ihn hängte“ zu der späten Ehrung der Überlebenden beigetragen habe. Mein Vorschlag, eine solche, längst fällige offizielle Anerkennung durch die oberste Repräsentanz der Bundesrepublik Deutschland auszusprechen, den ich 2008 an den damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler gerichtet hatte, hat offenbar die nun erfolgte Entscheidung befördert.
Jahrzehntelang hatten sich zuvor Gerichte, Behörden und Politiker bemüht, den Widerstand der meist aus dem Arbeitermilieu stammenden Jugendlichen zu diskriminieren. Dennoch hatte sich auf regionaler Ebene mehr und mehr die Einschätzung durchgesetzt, dass die Aktionen der "Edelweißpiraten" eine ehrenvolle Erinnerung verdient hätten. So gibt es am Hinrichtungsort eine Gedenktafel. Eine Straße ist nach Bartholomäus Schink benannt worden. Besonders unangenehm war der großen Politik, dass 1984 Wolfgang Schwarz, Jean Jülich und posthum Bartholomäus Schink mit der "Medaille der Gerechten" ausgezeichnet wurden, der höchsten Auszeichnung des Staates Israel für Nichtjuden. Ausschlaggebend dafür war, dass die "Edelweißpiraten" zu denen gehörten, die Juden in den Trümmern Kölns versteckt, mit Lebensmitteln versorgt und damit ihr Überleben gesichert hatten.
Um die Debatte "Widerstand oder nicht?“ endlich zu beenden, sah sich Ende der 80er Jahre die Politik genötigt, die Wissenschaft zu bemühen. Der damalige NRW-Innenminister Herbert Schnoor (SPD) beauftragte den Düsseldorfer Professor Peter Hüttenberger mit einem Gutachten. Hüttenberger vergab den Auftrag an seinen Doktoranden Bernd Rusinek.
Rusinek wühlte sich durch die Nazi-Akten, nahm jedoch Abstand davon, überlebende Zeitzeugen ausgiebig zu befragen. Rusinek, heute selbst Professor, war damals ein "Stellenanwärter“, das Gutachten war seine Doktorarbeit. Er kam zu dem Fazit, dass die ermordeten "Edelweißpiraten" zwar keine Verbrecher waren. Doch als "desolate Rowdys" konnten sie nach Meinung des Doktoranden keinen politischen Widerstand geleistet haben. Die Kölner Stadtrevue schrieb damals eine vernichtende Einschätzung über Rusineks Gutachten und zitierte eingangs aus Adornos "Minima moralia“: „Selbst wenn sie außerhalb des Betriebes als ganz humane und vernünftige Wesen sich erweisen, erstarren sie zur pathetischen Dummheit in dem Augenblick, in dem sie von Berufs wegen denken.“
Neben anderen protestierte damals auch Romani Rose vom Zentralrat deutscher Sinti und Roma: „Es ist für uns unerträglich, wenn von heutigen Wissenschaftlern junge Menschen, die im Dritten Reich sich gegen die bestehenden NS-Organisationen, gerade auch gegen die Hitlerjugend, zusammenschlossen, als aufgrund der Zeitumstände “zwangsläufig kriminell“ diffamiert werden.“
Der Kölner OB Jürgen Roters (SPD) ist hier eine rühmliche Ausnahme. Für ihn, der jetzt die Verdienstkreuze an fünf ehemalige "Edelweißpiraten" übereichte, war immerhin schon 2005 klar geworden, dass die Kölner "Edelweißpiraten" politischen Widerstand im besten Sinne des Wortes geleistet hatten. Deshalb ehrte er als damaliger Regierungspräsident die Überlebenden, Anders als einer seiner Vorgänger, der Sozialdemokrat Franz-Josef Antwerpes (SPD), der bis zuletzt, wie die Nazis, den Widerstand der Jugendlichen als Verbrechen sah.
Zwei der jetzt am 12. April 2011 mit dem Bundesverdienstkreuz geehrten, Fritz Theilen und Wolfgang Schwarz, gehörten zu den vielen, die ich Ende der 70er Jahre in Köln-Ehrenfeld und anderswo interviewte. Erst nach 2000 wurde die Geschichte von Gertrud "Mucki“ Koch bekannt. 2005 habe ich mit ihr gesprochen. Die damaligen Aussagen sind auch heute noch von zeitgeschichtlicher Relevanz und deshalb sollen sie hier dokumentiert sein:
Fritz Theilen
Ihr Name ist Fritz Theilen. Sie wohnen in Köln Ehrenfeld. Haben Sie Mitglieder der Ehrenfelder Gruppe gekannt? Wenn ja, was können Sie über sie sagen?
Klar haben wir uns gekannt. Wir waren schließlich Edelweißpiraten. Wir haben uns am Bunker oder in der Körnerstraße getroffen oder auch im Volksgarten und im Blücherpark. Ich war 1943, als alles richtig anfing, erst 14. Aber es kam vor, dass die Älteren mich zu Aktionen mitgenommen haben. Das war aber noch nicht die Ehrenfelder Gruppe, sondern das war noch eher beschränkt auf die Edelweißpiraten, die hier in Ehrenfeld wohnten, den Büb Schwarz, den Barthel Schink, den Bubbes Rheinberger und den Addi Schütz. Die eigentliche Ehrenfelder Gruppe entwickelte sich erst langsam.
Was haben Sie damals gemacht?
Tja, was haben wir gemacht? Wir haben z.B. Feindsender gehört. Wir wussten schon, dass Stalingrad gefallen war, da verbreiteten die Nazis noch ihre Durchhalteparolen, und diese Nachrichten haben wir in den Luftschutzbunkern verbreitet. Da mussten wir natürlich vorsichtig sein, denn da waren auch Nazis drunter. Wir haben auch manchmal einen Nachschubzug entgleisen lassen und dann an den Bahndamm geschrieben: „Räder rollen für den Sieg, Köpfe rollen nach dem Krieg“. In das Fremdarbeiterlager an der Vogelsanger Straße haben wir Lebensmittel gebracht.
Wo hatten Sie die her?
Geklaut natürlich.
War das nicht kriminell?
Die Zustände waren kriminell. Wir haben gesehen, wie es in den Fremdarbeiterlagern aussah, das kann man sich gar nicht vorstellen. Außerdem kannten wir viele Leute, die lebten illegal, weil sie Juden waren oder sonst irgendwas. Die wären verhungert, wenn wir sie nicht versorgt hätten. Sie hätten mal sehen sollen, als die Fremdarbeiterlager auch noch bombardiert worden waren. Die Not und das Elend waren fürchterlich. Es gab auch noch andere Gruppen, die haben die Fremdarbeiter ebenfalls mit Lebensmitteln versorgt.
Wissen Sie etwas über Bartholomäus Schink?
Ich habe ihn gut gekannt. Das war ein richtiger Kerl. Meines Wissens, hatte er später Kontakt zum politischen Widerstand.
Warum waren Sie gegen die Nazis?
Ich bin, glaube ich, erblich vorbelastet. Bei uns hatte niemand etwas für die Nazis übrig. Ich selbst musste natürlich auch ins Jungvolk, da haben sie mich dann wegen Befehlsverweigerung rausgeschmissen, und mein Fahrtenmesser haben sie mir geklaut. Das hat mich unheimlich in Wut gebracht. Später haben sie diesen Vorgang wohl vergessen. Da haben sie mir dann das Kriegsverdienstkreuz verliehen. Das war 1942. Eigentlich war alles ganz einfach. Ich war nach einem Bombenangriff auf eine Flakkaserne zufällig in der Nähe und habe beim Löschen geholfen, und da haben sie mir von der Wehrmacht den Orden verliehen.
Sie sind dann auch verhaftet worden?
Ja, am 20. Juli 1944. Und das war Glück. So konnten sie mich nicht mit der Ehrenfelder Gruppe in Verbindung bringen. Aber es war auch so schlimm genug. Erst haben sie mich im Gestapo-Hauptquartier in den Elisenstraße halb totgeschlagen. Die Fragen waren immer die gleichen. Wer sind die Edelweißpiraten, sind das Kommunisten? Ich habe immer gesagt, ich weiß es nicht. Es waren auch noch andere Edelweißpiraten da. Die wurden auch fürchterlich geschlagen. Wir mussten dann Protokolle unterschrieben, mehrere Exemplare. Später merkten wir, dass die Nazis mit Hilfe der Protokolle, die sie ohne unser Zutun ausfüllten, die Leute gegeneinander ausspielten, und mit solchen Aussagen arbeiten die Arschlöcher heute noch.
Wolfgang Schwarz
Ihr Name ist Wolfgang Schwarz, sie sind 54 Jahren alt, gelernter Konditor und Bruder des 1944 öffentlich erhängten Günther Schwarz. Sie sind wie ihr Bruder Halbjude und Mitglied der Edelweißpiraten gewesen.
Ja, wir wohnten alle in der Schönsteinstraße. Unser Vater war Jude. Der war nach Holland geflüchtet. Später haben sie ihn doch umgebracht. Meine Mutter ist früh gestorben. Zuvor hatten sich meine Eltern noch scheiden lassen, um uns zu schützen. Aber wir galten als Halbjuden; waren trotzdem "minderwertig". Das wirkte sich ganz konkret aus. Wir konnten im Verein nicht mehr Fußball spielen, obwohl wir beide wirklich gute Spieler waren. Ich hatte z.B. viel für Radsport übrig. Auch da konnte ich allenfalls mittrainieren. Später ging auch das nicht mehr. Sie haben uns dann ein Schreiben geschickt, danach sollten wir uns zum Abtransport in ein Lager melden. Da sind wir nicht hingegangen. Danach haben wir keine Lebensmittelkarten mehr bekommen. Wir sind dann ausgebombt worden. Das ganze Vorderhaus war zertrümmert. Im Hinterhaus wohnte die Cilly, und der Keller vorne wurde als Treffpunkt für die Gruppe ausgebaut. Der Keller des Nebenhauses gleich mit. Die Schwarz stammen alle aus Köln. Wir sind alle in Köln geboren.
Herr Schwarz, Sie waren wie ihr Bruder Edelweißpirat. Gehörten Sie auch der Ehrenfelder Gruppe an?
Nee, eigentlich nicht. Von denen hat ja keiner überlebt. Aber irgendwie war ich auch dabei. Vielleicht waren die anderen nicht vorsichtig genug. Ich habe den Büb, ich meine den Günther, oft gewarnt. Aber, der guckte nicht links und nicht rechts. Sie haben ihn dann zuhause im Bett verhaftet.
Waren Sie bewaffnet?
Alle waren bewaffnet. Ich habe einmal nach einem Verletzten gesucht nach einem Bombenangriff, da hatte ich am Gürtel ein ganzes Arsenal von Handgranaten. Wahnsinn war das im Grunde. Ich habe wahrscheinlich nur überlebt, weil ich immer gearbeitet habe. Also nicht ständig draußen war. Ich habe über einen Bekannten im Heimatkraftfuhrpark der Wehrmacht gearbeitet. Natürlich wusste dort niemand, dass ich Halbjude war, von da hatte ich die Handgranaten.
Wissen Sie etwas über weitere Aktionen?
Der große Plan war immer das Hauptquartier der Gestapo in der Elisenstraße in die Luft zu sprengen. Aber bevor es dazu kam, sind sie alle verhaftet worden. Geplant war auch, die Hohenzollernbrücke zu schützen, das heißt, die geplante Sprengung durch die Nazis beim Vorrücken der Amerikaner zu verhindern.
Cilly Mevissen
Sie sind Cilly Mevissen, wohnhaft in Köln-Ehrenfeld. Frau Mevissen. Hans Steinbrück, der Anführer der Ehrenfelder Gruppe, der auch "Bombenhans" genannt wurde, hat bei Ihnen im Hinterhaus in der Schönsteinstraße gewohnt. Was war Steinbrück für ein Mensch? Was hatten Sie mit der Ehrenfelder Gruppe zu tun?
Ja, ich habe den Bombenhans in Deutz kennengelernt. Mein Mann war dort auch
als Häftling, und er hatte dem Bombenhans gesagt, wenn du hier abhaust, kannst du zu meiner Olga nach Ehrenfeld gehen. Das hat er auch gemacht. Er hatte ein sehr angenehmes Wesen, war groß, dunkle Locken und hatte sehr gute Umgangsformen. Er war ein Mensch, der überall Sympathien weckte. Er war überall wohl gelitten. Bei den Hausbewohnern. Überall. Er half wo es ging, z.B. die alten Leute in die Luftschutzkeller bringen.
Wen haben Sie von den anderen Gruppenmitgliedern gekannt?
Was heißt Gruppenmitglieder? Sie dürfen sich das nicht so fest vorstellen. Das war alles nicht fest organisiert. Die machten mal was, da kam der und kam mal der. Das war sehr unterschiedlich. Die meisten habe ich nicht gekannt, weil ich immer das Essen gekocht habe. Von meiner Wohnung aus, da ging ein Klingelzug in den Keller, wo sich die Jungen trafen. Wenn Gefahr im Verzug war, habe ich daran gezogen, dann waren die vorne gewarnt und konnten verschwinden. Am 2. Oktober war es dann soweit, die Gestapo war da. Die Jungen konnten zwar abhauen aber mich haben sie mitgenommen, das heißt, zuerst musste ich noch da bleiben sozusagen als Lockvogel. Denn die dachten natürlich, die Jungen hätten nichts bemerkt und würden jetzt ahnungslos eintrudeln. Später, nach dem Versuch der Jungen mich zu befreien, haben sie mich und die jüdische Frau mit ihrer Tochter, die bei uns wohnte, ins Gestapogefängnis Brauweiler transportiert.
Was passierte bei ihrer versuchten Befreiung?
Das weiß ich nicht. Ich war ja nicht dabei. Ich weiß nur, sie sind mit Autos vorgefahren und haben wild um sich geschossen. Mit Gewehren und Pistolen. Aber, es hat nicht geklappt. Die Jungen konnten zwar noch entwischen. Kurz danach sind aber alle verhaftet worden. Den Hans Balzer haben sie einfach mit einem Kopfschuss erledigt als er aus einem Kellerloch krabbelte, nach dem er kurz zuvor der Gestapo entkommen war. Den Bombenhans hätten sie beinahe nicht gekriegt. Der wollte untertauchen, zu dem Zweck hatte er sich einen Arbeitsanzug besorgt, dabei ist er von einem Wachmann erwischt worden. Der hat sofort geschossen und den Hans in den Oberschenkel getroffen. Da hat der Hans zurückgeschossen, und der Wachmann ist tot umgefallen. Die Nachbarn haben sich noch um Hans gekümmert, 'nen Arzt besorgt und so, und dann hat ihn die Gestapo doch in der Hansemannstraße erwischt.
Toni Fleischhauer
Sie heißen Toni Fleischhauer, wohnen in Köln, sind 78 Jahre alt. In welcher Beziehung standen Sie zu der sogenannten "Ehrenfelder Bande"?
In keiner direkten. Ich war Funktionär der Kommunistischen Partei, im KZ Buchenwald inhaftiert und bin von dort in das Außenlager Köln-Deutz, das in den Messehallen untergebracht war, abkommandiert worden. Meine Beziehung zu der Ehrenfelder Gruppe ist die, dass ich in Deutz den Hans Steinbrück kennengelernt habe.
Wer war Hans Steinbrück?
Er war ein guter Kamerad. Er war wagemutig wie kaum ein anderer. KZ-Häftlinge aus dem Deutzer Messelager wurden 1943 von der Stadt Köln als Bombenräumkommando angefordert. Das waren Gruppen von 20 bis 30 Mann. Hans Steinbrück war bald Leiter einer solchen Gruppe. Er setzte sich rittlings auf Hundertzentner-Bomben und schlug mit Hammer und Meißel die Bombenzünder raus. Nie passierte etwas. Steinbrück wurde bald nur noch "Bombenhans" genannt. Einmal war ein General der Wehrmacht da. Da hieß es, der Bombenhans wäre wegen seiner Verdienste beim Bombenräumen für das Ritterkreuz vorgeschlagen worden. Politische Gespräche haben wir mit Hans Steinbrück nicht geführt. Er trug den roten Winkel, was bedeutete, dass er politischer Häftling war. Er soll sich, so habe ich später erfahren, als Gestapomann ausgegeben haben und ist dabei erwischt worden. Ich hatte dann noch Kontakt zur Ehrenfelder Gruppe und erfahren, dass Bombenhans im Herbst 1943 kurz vor der 1000sten entschärften Bombe die Flucht geglückt war und er hier in Ehrenfeld untergetaucht war.
Sofie Röseler
Sie heißen Sofie Röseler, sind 61 Jahre alt, auch sie waren Mitlied der Edelweißpiraten. Sie waren schon 1935 dabei. Wie sind Sie Edelweißpiratin geworden?
Das war mehr oder weniger Zufall. Ich hatte Gretchen getroffen. Eine Klassenkameradin. Sie erzählte mir davon, dass sich am Wochenende viele Jugendliche im Königsforst träfen. Wir sind dann hin. Ich muss sagen, wir waren überwältigt. An der großen Kiesgrube, nahe der Autobahn nach Frankfurt, die damals gerade gebaut wurde, waren nahezu 400 Jungen und Mädchen versammelt, nicht nur aus Köln, auch aus Bonn, Düsseldorf und dem Ruhrgebiet. Überall brannten Lagerfeuer, und viele spielten Gitarre und hatten eine zünftige Kluft an, Manchester-Hosen und Manchester-Jacken, die Mädchen Manchester-Röcke mit vielen Reißverschlusstaschen, weiße Kniestrümpfe mit Bömmeln dran. Manche trugen ein Edelweiß am Rock.
Was haben Sie von den Auseinandersetzungen mit der Hitlerjugend bemerkt?
Eine ganze Menge. Schon beim ersten Treffen, an dem wir teilnahmen, sahen wir nicht wenige Jungen, die ganz schön mitgenommen waren. Sie erzählten davon, sie hätte ein schweres Gefecht mit einer Abteilung des HJ-Streifendienstes gehabt.
War die HJ denn nicht stärker?
Nee, meistens hat die HJ eins auf die Schnauze gekriegt. Bei den Edelweißpiraten waren viele, die, wie man bei uns sagte, ein ordentliches Möppchen in der Faust hatten. Da waren auch Boxmeister dabei. Einen habe ich gekannt, der war Schmied von Beruf. Mein Gott, hatte der einen Schlag. Die HJ war fast immer in der Überzahl, aber die hatten Angst vor uns. Vielleicht sind sie auch deshalb immer brutaler geworden. Das war ja auch das Grundsätzliche, die Nazis wollten nicht, dass Jugendliche außerhalb der HJ in größerer Zahl zusammenkamen. Das war ja damals verboten. Es sollte nur noch die HJ geben. Die Nazis haben Druck gemacht, und wir haben uns gegen den Druck gewehrt.
Jean Jülich
Sie heißen Jean Jülich und sind Gastwirt. Was wissen Sie über die Ehrenfelder?
Ich selbst gehörte nicht zu den Ehrenfeldern, sondern zur Sülzer Gruppe. Mein Vater saß im Zuchthaus in Siegburg, weil er Funktionär der KPD war. Dort habe ich bei Besuchen Kontakt zu einem gewissen Mike bekommen. Der war Führer der Bündischen Jugend. Deshalb haben die Nazis ihn eingesperrt. Heute ist er übrigens Botschafter in Rumänien Der hat mir Lieder beigebracht, die hab ich dann zu den Treffs mitgebracht. Wir haben sie gesungen und eigenen Texte dazu gemacht.
Wie lauteten denn die Texte?
Zum Beispiel so: In Junkers Kneipe, bei Wein und Pfeife, da saßen wir beisammen. Ein guter Tropfen von Malz und Hopfen, der Teufel führt uns an. Hei, wo die Burschen singen und die Mädel fallen ein. Was kann das Leben Hitlers uns geben, wir wollen bündisch sein. Hei, wo die Fahrtenmesser blitzen und die Hitlerjungen flitzen…, ja, in dem Stil ging das.
Warum waren Sie als Edelweißpirat gegen Hitler?
Jean Jülich beim Edelweißpiratenfestival
im Friedenspark in Köln am 17. Juni 2007
Foto: Factumquintus/wikipedia
Gertrud Koch
Frau Koch, was hat Sie zu den Edelweißpiraten gebracht?
Wir haben damals gesagt, die Alten sind in der KPD und wir Jüngeren, wir wollen in keine Partei, wir wollten nirgendwo drin sein, nicht in der HJ nicht im BDM. Wir haben uns dann erste einmal in Gruppen zusammen getan und sind auf eigene Faust gewandert. Wenn man in einer Familie aufwächst, die so politisch orientiert ist, dann hat man mit 16/17 einen ganz anderen Durchblick. Unser Vater hat immer gesagt: Wenn der Hitler an die Regierung kommt, dann bedeutet das Krieg. Und Krieg bedeutet Untergang für uns. Das hat sich bei mir so eingeprägt.
Edelweißpiraten auf einer Wanderung – Dritte von rechts: Gertrud "Mucki" Koch
NRhZ-Archiv
Die Jungen kamen immer zu uns nach Hause und haben gesagt zu meinem Vater, nun erzähl uns doch von Eurem Kampf vor 33, von Ernst Thälmann. Wir haben dann gesagt, irgendwas müssen wir auch machen. Wehret den Anfängen. Dann waren wir noch einmal auf der Burg Waldeck und haben gesagt: Wir müssen einen Namen haben. Wir können doch nicht sagen, wir sind Wandervögel. Dann sind wir auf den Namen gekommen. Es gibt eine Blume, die oben hoch in Eis und Schnee blüht, die naturgeschützt ist, die keiner pflücken darf, wo keiner dran kommt, und das ist das Edelweiß. Dann haben wir gesagt, das ist der Name. Wir wollten frei sein von jedem Zwang und nennen uns deshalb Gruppe Edelweiß.
Was habt Ihr gemacht?
Uns getroffen und Flugblätter verteilt. Wir wurden verhaftet und wieder freigelassen. Als es gefährlicher wurde, haben wir es dann anders gemacht. Da haben wir Liebespärchen gebildet, haben uns irgendwo am Rhein hingesetzt. Die anderen haben Flugblätter verteilt an Taxiständen, in Briefkästen, am Bahnhof, Wenn die Liebespärchen auseinandergingen, dann wussten die Flugblattverteiler, dass Gefahr droht. Einige der Jungen mussten dann zum Militär. Wir wollten sie verabschieden in einer Wirtschaft hier am Eifelplatz, sonst hatten wir nichts vor. Wir hatten Gitarren dabei, haben gesungen, Dann ging die Tür auf, und es kamen zwei schwere Überfallkommandos. Man hat uns in die Gestapozentrale gebracht. Da kamen wir rein. Dann ging es erstmal eine steile Treppe runter, da kriegte man einen Tritt und eine ans Ohr. Dann unten in der Zelle, kein Bett, kein Stuhl, kein Tisch, sieben Personen auf drei Quadratmeter. Drei Tage bekamen wir nichts zu essen. Jede Stunde wurde einer geholt, der mit blauen Augen wiederkam. Nach dem Verhör hatte auch ich ein blaues Auge, die Backe war dick. Sie haben mich in den Unterleib getreten, da leide ich heute noch drunter. Wir sagten, wir haben gegen keinen etwas, wir wollen nur frei sein. Dann wurden wir nach Brauweiler gefahren. Im Gestapogefängnis war ich neun Monate.
Hat sie etwas besonders gereizt bei den Edelweißpiraten?
Oh ja, bei uns waren Jungen und Mädchen gleichgestellt, es gab keine Unterschiede. Da hieß es nicht, du kannst das nicht machen, das ist zu gefährlich, das muss ein Junge machen. Das gab es bei uns nicht.
Und die anderen, die Ehrenfelder, kannten Sie die?
Wir kannten die Ehrenfelder. Das waren keine Verbrecher. Wir hatten nicht soviel mit ihnen zu tun, weil, sie uns ein bisschen zu radikal waren. Wir machten den Protest ein bisschen leiser, vielleicht war es die bessere Art. Viele Leute wussten nichts. Sie wussten nichts über die Juden, die vergast wurden, über die Kommunisten, die ermordet wurden. Wenige wussten etwas. Das stand alles auf unseren Flugblättern. Wir haben die Flugblätter meistens auf unseren Wanderungen geschrieben. Da konnte uns keiner erwischen. (PK)
Alexander Goeb: Er war sechzehn als man ihn hängte. Das kurze Leben des Widerstandskämpfers Bartholomäus Schink. ISBN 3-499-23026-7, Taschenbuch EUR 7,90
Jean Jülich: Kohldampf Knast und Kamelle. Ein Edelweißpirat erzählt sein Leben. Mit einem Vorwort von Wolfgang Niedecken. ISBN 3-462035-40-1
Online-Flyer Nr. 298 vom 20.04.2011