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Inland
Der BigBrotherAward 2011 in der Kategorie „Behörden und Verwaltung“ Teil 4
Für Prof. Dr. Gert G. Wagner für "Zensus2011“
Von Werner Hülsmann
Am 1. April, wurden zum elften Mal die BigBrotherAwards - laut Le Monde die "Oscars für Überwachung" - in Bielefeld an Firmen, Organisationen und Personen verliehen, die in besonderer Weise und nachhaltig die Privatsphäre von Menschen beeinträchtigen oder persönliche Daten Dritten zugänglich machen. Preisträger in der Kategorie „Behörden und Verwaltung“, den wir hier in Folge 4 unserer Serie vorstellen, ist stellvertretend für alle Beteiligten Prof. Dr. Gert G. Wagner für den anstehenden "Zensus2011“. Der Professor kam aber nicht zur Preisverleihung und konnte deshalb die Preisrede des Diplominformatikers Werner Hülsmann nicht hören. Deshalb leiten wir sie hiermit an ihn weiter. - Die Redaktion
Eine Frage an das Publikum: Wer von Ihnen ist vom Zensus 2011 – wie die Volkszählung dieses Jahr heißt – betroffen? Danke! Allen denen, die glauben, dass sie nicht betroffen sind, kann ich sagen: Heute vor genau fünf Monaten, am 1. November 2010, wurde zur Vorbereitung der diesjährigen Volkszählung ein erster Registerabgleich von allen Einwohnermeldeämtern an die Statistischen Landesämter übermittelt. Von jeder Einwohnerin und jedem Einwohner wurden folgen Daten weitergegeben:
1. Ordnungsnummer im Melderegister,
2. Familienname, frühere Namen und Vornamen,
3. Straße, Straßenschlüssel, Hausnummer und Anschriftenzusätze,
4. Wohnort, Postleitzahl und amtlicher Gemeindeschlüssel,
5. Tag der Geburt,
6. Standesamt und Nummer des Geburtseintrags,
7. Geburtsort einschließlich erläuternder Zugehörigkeitsbezeichnungen,
8. bei im Ausland Geborenen: Geburtsstaat,
9. Geschlecht,
10. Staatsangehörigkeiten,
11. Familienstand,
12. Wohnungsstatus (alleinige Wohnung, Haupt- oder Nebenwohnung),
13. Anschrift und Wohnungsstatus in der Gemeinde, aus der die Person zugezogen ist,
14. Anschrift der zuletzt bewohnten Wohnung in der Gemeinde,
15. Tag des Beziehens der Wohnung,
16. Tag des Zuzugs in die Gemeinde,
17. Herkunftsstaat bei Zuzug aus dem Ausland,
18. Tag der Anmeldung bei der Meldebehörde,
19. Tag des Wohnungsstatuswechsels,
20. Familienname, frühere Namen, Vornamen, Tag der Geburt und Ordnungsnummer des Ehegatten oder des eingetragenen Lebenspartners oder der eingetragenen Lebenspartnerin,
21. Familienname, frühere Namen, Vornamen, Tag der Geburt und Ordnungsnummer der minderjährigen Kinder sowie Familienname, Vornamen, Tag der Geburt, Schlüssel und Ordnungsnummer der gesetzlichen Vertreter,
22. Tag der letzten Eheschließung oder Begründung der letzten eingetragenen Lebenspartnerschaft,
23. Tag der Auflösung der letzten Ehe oder letzten eingetragenen Lebenspartnerschaft,
24. Anschrift des Wohnungsgebers,
25. Information über freiwillige Anmeldung im Melderegister,
26. Übermittlungssperre nebst Grund der Übermittlungssperre,
27. rechtliche Zugehörigkeit zu einer öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaft.
Diese Daten werden noch einmal zum 09. Mai 2011, dem Stichtag der Volkszählung, und zum 09. August 2011 übermittelt. So viele Daten, nur um die Bevölkerung zu zählen? Zumindest ist das ja die Begründung: Es würden genaue Einwohnerzahlen benötigt, für die Statistik, für den Finanzausgleich der Länder, für die Planung.
Also, wenn die, die sich hier vorhin nicht gemeldet haben, weder bei dem Einwohnermeldeamt noch bei der Sozialversicherung gemeldet sind, dann könnte es tatsächlich so sein, dass sie noch nicht von der Volkszählung 2011 betroffen sind.
Die Daten der Einwohnermeldeämter reichen den Statistischen Ämtern aber noch nicht aus. Auch die Bundesagentur für Arbeit liefert zum Stichtag 9. Mai 2011 umfangreiche Daten an das Statistische Bundesamt. Neben Wohnort, Postleitzahl und amtlichem Gemeindeschlüssel, Straße, Hausnummer und Anschriftenzusätzen, Familienname und Vornamen, sowie Geschlecht und Tag der Geburt werden noch folgende Daten übermittelt:
1. für jede sozialversicherungspflichtig beschäftigte Person sowie für jede geringfügig entlohnt beschäftigte Person als Erhebungsmerkmale:
1. Arbeitsort (amtlicher Gemeindeschlüssel),
2. Wirtschaftszweig,
3. Betriebsnummer der Arbeitsstätte,
4. Ausbildung,
5. ausgeübter Beruf,
6. Status der Beschäftigten (beschäftigt oder geringfügig beschäftigt),
2. für jede als arbeitslos oder Arbeit suchend gemeldete oder nicht zu aktivierende Person als Erhebungsmerkmale:
1. Status (arbeitslos, nicht arbeitslos aber Arbeit suchend, nicht zu aktivieren) – ja, das steht genauso im § 4 des Zensusgesetzes! –,
2. höchster erreichter Schulabschluss,
3. letzte abgeschlossene Berufsausbildung,
3. für jede Person, die als Teilnehmer oder Teilnehmerin an Maßnahmen der Arbeitsförderung geführt wird, als Erhebungsmerkmale:
1. Art der Maßnahme (soweit von Bedeutung für die Erfassung der Erwerbstätigkeit),
2. höchster erreichter Schulabschluss,
3. letzte abgeschlossene Berufsausbildung.
Und wenn sich hier nun Beamtinnen oder Beamte freuen, dass sie ja nicht bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet sind, dann kann ich zumindest für die Beamtinnen und Beamten des Bundes sagen: Zu früh gefreut, da die nach § 11 Absatz 2 Nummer 3 des Finanz- und Personalstatistikgesetzes auskunftspflichtigen Stellen des Bundes ebenfalls Daten an das Statistische Bundesamt übermitteln.
Doch damit nicht genug. Knapp 10% der Bevölkerung werden in der sogenannten „Haushaltsstichprobe“ durch Erhebungsbeauftragte aufgesucht. Aber wenn so jemand bei Ihnen klingelt, raten wir zur Vorsicht: Bei diesen Erhebungsbeauftragten kann es sich auch um Nazis handeln, die ihre politischen Feinde oder Ausländerinnen und Ausländer ausforschen wollen. Diverse Landesverbände der NPD haben ganz offen ihre Mitglieder zu einem derartigen Missbrauch der Volkszählung aufgerufen.
Klar, es wäre verboten, Informationen, die den Erhebungsbeauftragten im Rahmen des Zensus bekannt werden, für andere Zwecke zu gebrauchen. Ebenso klar ist allerdings, dass die Tatsache, dass etwas verboten ist, nicht unbedingt dazu führt, dass es nicht getan wird. Wenn alle Menschen sich an Verbote halten würden, wären ja Polizisten, Gefängnisse oder Videoüberwachungskameras überflüssig. Ja, natürlich werden die Personalien von Erhebungsbeauftragten registriert und man weiß, wen sie besucht haben – bei einem späteren Einbruch kämen die schwarzen Schafe also schnell in Verdacht. Aber all das garantiert nicht, dass alle gute Absichten haben und ihre Infos nicht z.B. an Menschen mit bösen Absichten weiter geben.
Gehen wir nun mal davon aus, dass die Volkszählerinnen und Volkszähler, die an etwa 10% Ihrer Türen klingeln, nur redliche Absichten haben und sich in erster Linie für Ihre Daten interessieren. Selbst dann könnte es sein, dass diese Erhebungsbeauftragten Ihnen lieber beim Beantworten der 46 Fragen helfen und den ausgefüllten Fragebogen der Einfachheit halber auch gleich wieder mitnehmen. Verwunderlich wäre das nicht, denn nur ein vollständig ausgefüllter Fragebogen bringt die volle Entschädigung von 7,50 Euro pro Fragebogen. Fehlen Antworten oder besteht der bzw. die Befragte gar darauf, den Fragebogen alleine auszufüllen und per Post der Erhebungsstelle zukommen zu lassen, so bekommt der Volkszähler oder die Volkszählerin gerade mal 2,50 Euro. Es ist den Erhebungsbeauftragten selbstverständlich verboten, fehlende Antworten selbst in die Bögen einzutragen.
Falls Sie eigentlich erwerbstätig sind, aber in der Woche vom 9. bis zum 15. Mai nicht mal mindestens eine Stunde arbeiten werden, werden Sie dies – sofern sie für die Haushaltsstichprobe ausgewählt wurden – begründen müssen. Sie müssen dann angeben, ob Sie Urlaub hatten, krank waren, unregelmäßige Arbeitszeiten hatten, im Mutterschutz waren, Elternzeit in Anspruch nahmen, sich gar weiterbildeten oder schon in der Altersteilzeit sind.
Immerhin, die Frage, zu welcher der im Fragebogen genannten Religionen, Glaubensrichtungen oder Weltanschauungen Sie sich bekennen, ist freiwillig. Beim Islam können Sie sogar zwischen sunnitischem, schiitischem und alevitischem Islam unterscheiden. Bei anderen Religionen haben Sie keine so große Auswahl, so können Sie beim Buddhismus nicht angeben, ob Sie sich zum Theravada, Mahayana oder Vajrayana bekennen. Die Antwort auf die Frage, ob Sie einer öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaft angehören, ist dagegen Pflicht. Und dies, obwohl die Frage nach einem Religionsbekenntnis in der EU-Richtlinie zur Volkszählung nicht enthalten ist.
Auch Gebäude- und Wohnungseigentümer werden im Rahmen der Gebäude- und Wohnungszählung (GWZ, nicht zu verwechseln mit der GEZ!) befragt und sollen neben anderen Angaben zu den Wohnungen bei vermietetem Wohnraum die Namen von bis zu zwei Mieterinnen bzw. Mietern angeben.
Und dann gibt es noch die sogenannten sensiblen und nicht-sensiblen Sonderbereiche. Das „sind Gemeinschafts-, Anstalts- und Notunterkünfte, Wohnheime und ähnliche Unterkünfte.“ (§ 2 Abs. 5 ZensG). Zu den nicht-sensiblen Sonderbereichen gehören z.B. Studentenwohnheime und Altenheime. Zu den sensiblen Sonderbereichen gehören u.a. Knäste, psychiatrische Anstalten und andere „Bereiche, bei denen die Information über die Zugehörigkeit für Betroffene die Gefahr einer sozialen Benachteiligung hervorrufen könnte“ (§ 2 Abs. 5 ZensG). Diese Sonderbereiche werden erfasst und von allen ihren Bewohnerinnen und Bewohnern acht Erhebungsmerkmale, wie z.B. Beginn der Unterbringung, Staatsangehörigkeit und Geburtsstaat sowie drei Hilfsmerkmale (Name, Geburtstag und -ort) erfasst. Die nicht-sensiblen Sonderbereiche können – wenn es der Zufall will – in die Haushaltsstichprobe kommen, so dass auch Studentenwohnheime in die vollständige Erfassung kommen können.
Gibt es hier jemanden, der selbst oder dessen Vater oder dessen Mutter nach dem 31.12.1955 nach Deutschland gezogen ist? Das ist nämlich nach dem ZensG die Definition des sogenannten „Migrationshintergrunds“.
Auch bei der Bestimmung des Migrationshintergrunds geht Deutschland weit über die Anforderung der EG-Richtlinie hinaus. Laut EU hat jemand einen Migrationshintergrund, wenn er oder sie nach 1981 in das jeweilige EU-Land gezogen ist. Nach der deutschen Definition ist das bereits der Fall, wenn er selbst oder auch nur ein Elternteil nach 1955 nach Deutschland gezogen ist.
Wie werden diese ganzen Daten nun zusammengeführt, so dass sie einzelnen Personen zugeordnet werden können?
Hierzu gibt es sogenannte Ordnungsnummern für „jede Anschrift, jedes Gebäude, jede Wohnung, jeden Haushalt und jede Person“, die „von den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder“ vergeben werden. Diese Ordnungsnummern „dürfen zusammen mit den Erhebungsmerkmalen gespeichert werden“ (vgl. § 13 ZensG) und sind spätestens am 9. Mai 2015 zu löschen. Sie dienen dazu, die Daten aus den unterschiedlichen Quellen personenbezogen zusammenzuführen.
Vor- und Nachname, Geburtsdatum, Anschrift und die Original-Erhebungsunterlagen sind „spätestens vier Jahre nach dem Berichtszeitpunkt zu löschen“ bzw. zu vernichten (§ 19 Abs. 2 ZensG). Immerhin: „So früh wie möglich“, steht im Gesetz, aber das ist kein einklagbarer Begriff. Damit sind die Persönlichkeitsprofile noch bis zu vier Jahre verfügbar! Anonyme Statistik sieht anders aus.
Kann man sich einfach weigern?
Nein. Wer meint, die Fragen doch besser nicht beantworten zu wollen, sollte wissen, dass die Beantwortung, egal ob im Rahmen der GWZ, der Haushaltsstichprobe oder in den Sonderbereichen, Pflicht ist und die Nichtbeantwortung mit Zwangsgeldern belegt und Bußgeldern von bis zu 5.000 Euro geahndet werden kann. Auch bei Zwangsgeldzahlung muss man die Fragen trotzdem noch beantworten.
Haben Sie all diese Dinge gewusst? Nein? Kein Wunder, denn die Information der Bürger über das, was mit "Zensus 11" zusammenhängt, ist absolut unzureichend.
Wem haben wir nun die Volkszählung 2011 zu verdanken?
Da ist zum einen die EU. In der EG-Verordnung Nr. 763/20081 wird vorgeschrieben, dass EU-weit alle 10 Jahre eine Volkszählung durchzuführen ist. Dabei haben wir die Volkszählung auch der ausdrücklichen Ja-Stimme unserer Bundesregierung zu verdanken. Der Bundestag ist auch beteiligt, denn er hat den entsprechenden Gesetzen zugestimmt. Dem Bundesrat haben wir zu verdanken, dass die Fragen zur Religion und dem viel zu weit gefassten Migrationshintergrund aufgenommen wurden. Auch die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder sind beteiligt. Diese führen nicht nur gerne die Gesetze zur Volkszählung aus, sondern sie haben auch die Konzepte, Methoden und Verfahren entwickelt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di dürfen wir auch nicht vergessen. Dort gibt es doch tatsächlich entscheidende Leute, die glauben, dass die Volkszählung 2011 Arbeitsplätze in den Statistischen Landesämtern sichern würde. Dabei waren diese doch in einigen Bundesländern bereits mit der Auswertung der Vorbereitungsfragebögen zur GWZ überfordert und haben diese Aufgaben an ein privates Unternehmen vergeben. Übrigens: Weil ver.di keine klare Aussage zur Volkszählung getroffen hat, gucken Beschäftigte im öffentlichen Dienst, die als Zähler zwangsverpflichtet werden können, in die Röhre, wenn sie dagegen gewerkschaftliche Unterstützung suchen. Last but not least gibt es unter den Schuldigen, die uns dieses Drama eingebrockt haben, die Zensuskommission. Ihre Aufgabe ist es „die von den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder entwickelten Konzepte, Methoden und Verfahren für den registergestützten Zensus 2011, einschließlich der ergänzenden Stichprobe, zu prüfen, die entsprechenden Umsetzungsarbeiten kritisch und konstruktiv zu begleiten sowie Empfehlungen für das weitere Vorgehen auszusprechen.“(1) Diese Kommission hat laut der Wochenzeitschrift Freitag vom 15. Juli 2010 „ausdrücklich bedauert, dass das Gesetz den Fragenkatalog am Ende doch stark beschränke“.(2)
Der Vorsitzende der Zensuskommission ist Prof. Dr. Gert G. Wagner (TU Berlin). Im Handelsblatt vom 03. März 2011 (Seite 14) wird er mit folgenden Aussagen zitiert: „Beim Zensus werden doch vergleichsweise langweilige Daten erhoben. Für Marketing-Zwecke etwa sind die total ungeeignet.“
Offensichtlich scheint sich Prof. Dr. Wagner nicht so gut mit dem Adresshandel auszukennen, sonst wüsste er sicher, dass die im Rahmen der Volkszählung 2011 zusammengeführten Datensätze der 82 Millionen Bewohnerinnen und Bewohner auch ohne zusätzliche Informationen für den Adresshandel sehr wertvoll wären. Mit weiteren in der Marketingbranche vorhandenen Daten angereichert, wären diese Daten nahezu unbezahlbar.
Prof. Wagner weiter: „Was Google über jemanden abspeichert, der eine Suchanfrage startet, sagt viel mehr über eine Person aus.“
Es ist aber niemand gezwungen, über Google zu suchen. Google kennt meine IP-Nummer, aber nicht meinen Namen, meine Adresse und meine Religionszugehörigkeit. Und nicht zuletzt gibt es auch datenschutzfreundliche Suchmaschinen und Anonymisierungsdienste. Bei der Volkszählung kann ich nicht entscheiden, ob ich mitmache oder nicht. Von daher wird mit der Volkszählung gravierend in mein Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen. Derartiges Unverständnis dieses Datenschutzgrundrechts ist bei einem Vorsitzenden der Zensuskommission unentschuldbar.
Herzlichen Glückwunsch, Herr Prof. Dr. Gert G. Wagner!
(1) http://www.zensuskommission.de/
(2) http://www.freitag.de/wochenthema/1028-ich-hoffe-dass-das-beim-n-chsten-mal-besser-l-uft
Online-Flyer Nr. 299 vom 27.04.2011
Der BigBrotherAward 2011 in der Kategorie „Behörden und Verwaltung“ Teil 4
Für Prof. Dr. Gert G. Wagner für "Zensus2011“
Von Werner Hülsmann
Am 1. April, wurden zum elften Mal die BigBrotherAwards - laut Le Monde die "Oscars für Überwachung" - in Bielefeld an Firmen, Organisationen und Personen verliehen, die in besonderer Weise und nachhaltig die Privatsphäre von Menschen beeinträchtigen oder persönliche Daten Dritten zugänglich machen. Preisträger in der Kategorie „Behörden und Verwaltung“, den wir hier in Folge 4 unserer Serie vorstellen, ist stellvertretend für alle Beteiligten Prof. Dr. Gert G. Wagner für den anstehenden "Zensus2011“. Der Professor kam aber nicht zur Preisverleihung und konnte deshalb die Preisrede des Diplominformatikers Werner Hülsmann nicht hören. Deshalb leiten wir sie hiermit an ihn weiter. - Die Redaktion
Eine Frage an das Publikum: Wer von Ihnen ist vom Zensus 2011 – wie die Volkszählung dieses Jahr heißt – betroffen? Danke! Allen denen, die glauben, dass sie nicht betroffen sind, kann ich sagen: Heute vor genau fünf Monaten, am 1. November 2010, wurde zur Vorbereitung der diesjährigen Volkszählung ein erster Registerabgleich von allen Einwohnermeldeämtern an die Statistischen Landesämter übermittelt. Von jeder Einwohnerin und jedem Einwohner wurden folgen Daten weitergegeben:
1. Ordnungsnummer im Melderegister,
2. Familienname, frühere Namen und Vornamen,
3. Straße, Straßenschlüssel, Hausnummer und Anschriftenzusätze,
4. Wohnort, Postleitzahl und amtlicher Gemeindeschlüssel,
5. Tag der Geburt,
6. Standesamt und Nummer des Geburtseintrags,
7. Geburtsort einschließlich erläuternder Zugehörigkeitsbezeichnungen,
8. bei im Ausland Geborenen: Geburtsstaat,
9. Geschlecht,
10. Staatsangehörigkeiten,
11. Familienstand,
12. Wohnungsstatus (alleinige Wohnung, Haupt- oder Nebenwohnung),
13. Anschrift und Wohnungsstatus in der Gemeinde, aus der die Person zugezogen ist,
14. Anschrift der zuletzt bewohnten Wohnung in der Gemeinde,
15. Tag des Beziehens der Wohnung,
16. Tag des Zuzugs in die Gemeinde,
17. Herkunftsstaat bei Zuzug aus dem Ausland,
18. Tag der Anmeldung bei der Meldebehörde,
19. Tag des Wohnungsstatuswechsels,
20. Familienname, frühere Namen, Vornamen, Tag der Geburt und Ordnungsnummer des Ehegatten oder des eingetragenen Lebenspartners oder der eingetragenen Lebenspartnerin,
21. Familienname, frühere Namen, Vornamen, Tag der Geburt und Ordnungsnummer der minderjährigen Kinder sowie Familienname, Vornamen, Tag der Geburt, Schlüssel und Ordnungsnummer der gesetzlichen Vertreter,
22. Tag der letzten Eheschließung oder Begründung der letzten eingetragenen Lebenspartnerschaft,
23. Tag der Auflösung der letzten Ehe oder letzten eingetragenen Lebenspartnerschaft,
24. Anschrift des Wohnungsgebers,
25. Information über freiwillige Anmeldung im Melderegister,
26. Übermittlungssperre nebst Grund der Übermittlungssperre,
27. rechtliche Zugehörigkeit zu einer öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaft.
Diese Daten werden noch einmal zum 09. Mai 2011, dem Stichtag der Volkszählung, und zum 09. August 2011 übermittelt. So viele Daten, nur um die Bevölkerung zu zählen? Zumindest ist das ja die Begründung: Es würden genaue Einwohnerzahlen benötigt, für die Statistik, für den Finanzausgleich der Länder, für die Planung.
Also, wenn die, die sich hier vorhin nicht gemeldet haben, weder bei dem Einwohnermeldeamt noch bei der Sozialversicherung gemeldet sind, dann könnte es tatsächlich so sein, dass sie noch nicht von der Volkszählung 2011 betroffen sind.
Die Daten der Einwohnermeldeämter reichen den Statistischen Ämtern aber noch nicht aus. Auch die Bundesagentur für Arbeit liefert zum Stichtag 9. Mai 2011 umfangreiche Daten an das Statistische Bundesamt. Neben Wohnort, Postleitzahl und amtlichem Gemeindeschlüssel, Straße, Hausnummer und Anschriftenzusätzen, Familienname und Vornamen, sowie Geschlecht und Tag der Geburt werden noch folgende Daten übermittelt:
1. für jede sozialversicherungspflichtig beschäftigte Person sowie für jede geringfügig entlohnt beschäftigte Person als Erhebungsmerkmale:
1. Arbeitsort (amtlicher Gemeindeschlüssel),
2. Wirtschaftszweig,
3. Betriebsnummer der Arbeitsstätte,
4. Ausbildung,
5. ausgeübter Beruf,
6. Status der Beschäftigten (beschäftigt oder geringfügig beschäftigt),
2. für jede als arbeitslos oder Arbeit suchend gemeldete oder nicht zu aktivierende Person als Erhebungsmerkmale:
1. Status (arbeitslos, nicht arbeitslos aber Arbeit suchend, nicht zu aktivieren) – ja, das steht genauso im § 4 des Zensusgesetzes! –,
2. höchster erreichter Schulabschluss,
3. letzte abgeschlossene Berufsausbildung,
3. für jede Person, die als Teilnehmer oder Teilnehmerin an Maßnahmen der Arbeitsförderung geführt wird, als Erhebungsmerkmale:
1. Art der Maßnahme (soweit von Bedeutung für die Erfassung der Erwerbstätigkeit),
2. höchster erreichter Schulabschluss,
3. letzte abgeschlossene Berufsausbildung.
Und wenn sich hier nun Beamtinnen oder Beamte freuen, dass sie ja nicht bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet sind, dann kann ich zumindest für die Beamtinnen und Beamten des Bundes sagen: Zu früh gefreut, da die nach § 11 Absatz 2 Nummer 3 des Finanz- und Personalstatistikgesetzes auskunftspflichtigen Stellen des Bundes ebenfalls Daten an das Statistische Bundesamt übermitteln.
Doch damit nicht genug. Knapp 10% der Bevölkerung werden in der sogenannten „Haushaltsstichprobe“ durch Erhebungsbeauftragte aufgesucht. Aber wenn so jemand bei Ihnen klingelt, raten wir zur Vorsicht: Bei diesen Erhebungsbeauftragten kann es sich auch um Nazis handeln, die ihre politischen Feinde oder Ausländerinnen und Ausländer ausforschen wollen. Diverse Landesverbände der NPD haben ganz offen ihre Mitglieder zu einem derartigen Missbrauch der Volkszählung aufgerufen.
Klar, es wäre verboten, Informationen, die den Erhebungsbeauftragten im Rahmen des Zensus bekannt werden, für andere Zwecke zu gebrauchen. Ebenso klar ist allerdings, dass die Tatsache, dass etwas verboten ist, nicht unbedingt dazu führt, dass es nicht getan wird. Wenn alle Menschen sich an Verbote halten würden, wären ja Polizisten, Gefängnisse oder Videoüberwachungskameras überflüssig. Ja, natürlich werden die Personalien von Erhebungsbeauftragten registriert und man weiß, wen sie besucht haben – bei einem späteren Einbruch kämen die schwarzen Schafe also schnell in Verdacht. Aber all das garantiert nicht, dass alle gute Absichten haben und ihre Infos nicht z.B. an Menschen mit bösen Absichten weiter geben.
Gehen wir nun mal davon aus, dass die Volkszählerinnen und Volkszähler, die an etwa 10% Ihrer Türen klingeln, nur redliche Absichten haben und sich in erster Linie für Ihre Daten interessieren. Selbst dann könnte es sein, dass diese Erhebungsbeauftragten Ihnen lieber beim Beantworten der 46 Fragen helfen und den ausgefüllten Fragebogen der Einfachheit halber auch gleich wieder mitnehmen. Verwunderlich wäre das nicht, denn nur ein vollständig ausgefüllter Fragebogen bringt die volle Entschädigung von 7,50 Euro pro Fragebogen. Fehlen Antworten oder besteht der bzw. die Befragte gar darauf, den Fragebogen alleine auszufüllen und per Post der Erhebungsstelle zukommen zu lassen, so bekommt der Volkszähler oder die Volkszählerin gerade mal 2,50 Euro. Es ist den Erhebungsbeauftragten selbstverständlich verboten, fehlende Antworten selbst in die Bögen einzutragen.
Falls Sie eigentlich erwerbstätig sind, aber in der Woche vom 9. bis zum 15. Mai nicht mal mindestens eine Stunde arbeiten werden, werden Sie dies – sofern sie für die Haushaltsstichprobe ausgewählt wurden – begründen müssen. Sie müssen dann angeben, ob Sie Urlaub hatten, krank waren, unregelmäßige Arbeitszeiten hatten, im Mutterschutz waren, Elternzeit in Anspruch nahmen, sich gar weiterbildeten oder schon in der Altersteilzeit sind.
Immerhin, die Frage, zu welcher der im Fragebogen genannten Religionen, Glaubensrichtungen oder Weltanschauungen Sie sich bekennen, ist freiwillig. Beim Islam können Sie sogar zwischen sunnitischem, schiitischem und alevitischem Islam unterscheiden. Bei anderen Religionen haben Sie keine so große Auswahl, so können Sie beim Buddhismus nicht angeben, ob Sie sich zum Theravada, Mahayana oder Vajrayana bekennen. Die Antwort auf die Frage, ob Sie einer öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaft angehören, ist dagegen Pflicht. Und dies, obwohl die Frage nach einem Religionsbekenntnis in der EU-Richtlinie zur Volkszählung nicht enthalten ist.
Auch Gebäude- und Wohnungseigentümer werden im Rahmen der Gebäude- und Wohnungszählung (GWZ, nicht zu verwechseln mit der GEZ!) befragt und sollen neben anderen Angaben zu den Wohnungen bei vermietetem Wohnraum die Namen von bis zu zwei Mieterinnen bzw. Mietern angeben.
Und dann gibt es noch die sogenannten sensiblen und nicht-sensiblen Sonderbereiche. Das „sind Gemeinschafts-, Anstalts- und Notunterkünfte, Wohnheime und ähnliche Unterkünfte.“ (§ 2 Abs. 5 ZensG). Zu den nicht-sensiblen Sonderbereichen gehören z.B. Studentenwohnheime und Altenheime. Zu den sensiblen Sonderbereichen gehören u.a. Knäste, psychiatrische Anstalten und andere „Bereiche, bei denen die Information über die Zugehörigkeit für Betroffene die Gefahr einer sozialen Benachteiligung hervorrufen könnte“ (§ 2 Abs. 5 ZensG). Diese Sonderbereiche werden erfasst und von allen ihren Bewohnerinnen und Bewohnern acht Erhebungsmerkmale, wie z.B. Beginn der Unterbringung, Staatsangehörigkeit und Geburtsstaat sowie drei Hilfsmerkmale (Name, Geburtstag und -ort) erfasst. Die nicht-sensiblen Sonderbereiche können – wenn es der Zufall will – in die Haushaltsstichprobe kommen, so dass auch Studentenwohnheime in die vollständige Erfassung kommen können.
Gibt es hier jemanden, der selbst oder dessen Vater oder dessen Mutter nach dem 31.12.1955 nach Deutschland gezogen ist? Das ist nämlich nach dem ZensG die Definition des sogenannten „Migrationshintergrunds“.
Auch bei der Bestimmung des Migrationshintergrunds geht Deutschland weit über die Anforderung der EG-Richtlinie hinaus. Laut EU hat jemand einen Migrationshintergrund, wenn er oder sie nach 1981 in das jeweilige EU-Land gezogen ist. Nach der deutschen Definition ist das bereits der Fall, wenn er selbst oder auch nur ein Elternteil nach 1955 nach Deutschland gezogen ist.
Wie werden diese ganzen Daten nun zusammengeführt, so dass sie einzelnen Personen zugeordnet werden können?
Hierzu gibt es sogenannte Ordnungsnummern für „jede Anschrift, jedes Gebäude, jede Wohnung, jeden Haushalt und jede Person“, die „von den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder“ vergeben werden. Diese Ordnungsnummern „dürfen zusammen mit den Erhebungsmerkmalen gespeichert werden“ (vgl. § 13 ZensG) und sind spätestens am 9. Mai 2015 zu löschen. Sie dienen dazu, die Daten aus den unterschiedlichen Quellen personenbezogen zusammenzuführen.
Vor- und Nachname, Geburtsdatum, Anschrift und die Original-Erhebungsunterlagen sind „spätestens vier Jahre nach dem Berichtszeitpunkt zu löschen“ bzw. zu vernichten (§ 19 Abs. 2 ZensG). Immerhin: „So früh wie möglich“, steht im Gesetz, aber das ist kein einklagbarer Begriff. Damit sind die Persönlichkeitsprofile noch bis zu vier Jahre verfügbar! Anonyme Statistik sieht anders aus.
Kann man sich einfach weigern?
Nein. Wer meint, die Fragen doch besser nicht beantworten zu wollen, sollte wissen, dass die Beantwortung, egal ob im Rahmen der GWZ, der Haushaltsstichprobe oder in den Sonderbereichen, Pflicht ist und die Nichtbeantwortung mit Zwangsgeldern belegt und Bußgeldern von bis zu 5.000 Euro geahndet werden kann. Auch bei Zwangsgeldzahlung muss man die Fragen trotzdem noch beantworten.
Haben Sie all diese Dinge gewusst? Nein? Kein Wunder, denn die Information der Bürger über das, was mit "Zensus 11" zusammenhängt, ist absolut unzureichend.
Wem haben wir nun die Volkszählung 2011 zu verdanken?
Da ist zum einen die EU. In der EG-Verordnung Nr. 763/20081 wird vorgeschrieben, dass EU-weit alle 10 Jahre eine Volkszählung durchzuführen ist. Dabei haben wir die Volkszählung auch der ausdrücklichen Ja-Stimme unserer Bundesregierung zu verdanken. Der Bundestag ist auch beteiligt, denn er hat den entsprechenden Gesetzen zugestimmt. Dem Bundesrat haben wir zu verdanken, dass die Fragen zur Religion und dem viel zu weit gefassten Migrationshintergrund aufgenommen wurden. Auch die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder sind beteiligt. Diese führen nicht nur gerne die Gesetze zur Volkszählung aus, sondern sie haben auch die Konzepte, Methoden und Verfahren entwickelt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di dürfen wir auch nicht vergessen. Dort gibt es doch tatsächlich entscheidende Leute, die glauben, dass die Volkszählung 2011 Arbeitsplätze in den Statistischen Landesämtern sichern würde. Dabei waren diese doch in einigen Bundesländern bereits mit der Auswertung der Vorbereitungsfragebögen zur GWZ überfordert und haben diese Aufgaben an ein privates Unternehmen vergeben. Übrigens: Weil ver.di keine klare Aussage zur Volkszählung getroffen hat, gucken Beschäftigte im öffentlichen Dienst, die als Zähler zwangsverpflichtet werden können, in die Röhre, wenn sie dagegen gewerkschaftliche Unterstützung suchen. Last but not least gibt es unter den Schuldigen, die uns dieses Drama eingebrockt haben, die Zensuskommission. Ihre Aufgabe ist es „die von den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder entwickelten Konzepte, Methoden und Verfahren für den registergestützten Zensus 2011, einschließlich der ergänzenden Stichprobe, zu prüfen, die entsprechenden Umsetzungsarbeiten kritisch und konstruktiv zu begleiten sowie Empfehlungen für das weitere Vorgehen auszusprechen.“(1) Diese Kommission hat laut der Wochenzeitschrift Freitag vom 15. Juli 2010 „ausdrücklich bedauert, dass das Gesetz den Fragenkatalog am Ende doch stark beschränke“.(2)
Der Vorsitzende der Zensuskommission ist Prof. Dr. Gert G. Wagner (TU Berlin). Im Handelsblatt vom 03. März 2011 (Seite 14) wird er mit folgenden Aussagen zitiert: „Beim Zensus werden doch vergleichsweise langweilige Daten erhoben. Für Marketing-Zwecke etwa sind die total ungeeignet.“
Offensichtlich scheint sich Prof. Dr. Wagner nicht so gut mit dem Adresshandel auszukennen, sonst wüsste er sicher, dass die im Rahmen der Volkszählung 2011 zusammengeführten Datensätze der 82 Millionen Bewohnerinnen und Bewohner auch ohne zusätzliche Informationen für den Adresshandel sehr wertvoll wären. Mit weiteren in der Marketingbranche vorhandenen Daten angereichert, wären diese Daten nahezu unbezahlbar.
Prof. Wagner weiter: „Was Google über jemanden abspeichert, der eine Suchanfrage startet, sagt viel mehr über eine Person aus.“
Es ist aber niemand gezwungen, über Google zu suchen. Google kennt meine IP-Nummer, aber nicht meinen Namen, meine Adresse und meine Religionszugehörigkeit. Und nicht zuletzt gibt es auch datenschutzfreundliche Suchmaschinen und Anonymisierungsdienste. Bei der Volkszählung kann ich nicht entscheiden, ob ich mitmache oder nicht. Von daher wird mit der Volkszählung gravierend in mein Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen. Derartiges Unverständnis dieses Datenschutzgrundrechts ist bei einem Vorsitzenden der Zensuskommission unentschuldbar.
Herzlichen Glückwunsch, Herr Prof. Dr. Gert G. Wagner!
(1) http://www.zensuskommission.de/
(2) http://www.freitag.de/wochenthema/1028-ich-hoffe-dass-das-beim-n-chsten-mal-besser-l-uft
Online-Flyer Nr. 299 vom 27.04.2011