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Kommentar
Zum Treffen von Angela Merkel und Mahmud Abbas
Vertrauen in den Staat schwindet
Von Anis Hamadeh

Unsere Bundeskanzlerin hat dem Palästinenser Mahmud Abbas bei deren Treffen am 5. Mai die Leviten gelesen: Die Palästinenser müssen Israel anerkennen, auf Gewalt verzichten und die Verträge einhalten, mahnte sie. Ein Anlass für diese Worte war die Einigung zwischen Fatah und Hamas in Kairo, die ebenso wie die Demokratisierungsprozesse in der arabischen Welt ein Horror-Szenario für Israel darstellt. Wie üblich hat Merkel keine komplementären Mahnungen ausgesprochen: Israel wird weder aufgefordert, Palästina anzuerkennen, noch auf Gewalt zu verzichten, noch irgendwelche Verträge einzuhalten. Und das, obwohl Israel hundert Mal einflussreicher und der weit bessere Adressat für solche Forderungen ist als der demokratisch schon lange nicht mehr legitimierte abgehalfterte Fatah-Führer, der im Wesentlichen nur für den Westen die Palästinenser repräsentiert.


Cartoon: Kostas Koufogiorgos
 
Nichts Neues also, nur die gewohnte Lobby-Politik außerhalb rechtsstaatlicher Normen. Merkel ist gut damit gefahren, die Militärpolitik Israels und der USA dogmatisch und nach Kräften zu unterstützen. Das mag verwundern, da bekanntlich der überwiegende Teil der deutschen Bevölkerung der Außenpolitik dieser beiden Staaten kritisch bis ablehnend gegenübersteht. Viele empfinden die entsprechenden Bekenntnisse aus Medien und Politik als eine Käseglocke, die über unser Land gesetzt ist, und sie sehnen sich nach frischer Luft.
 
Nicht genug freilich, um Veränderungen herbeizuführen. Da hat wohl die jahrzehntelange Gehirnwäsche ihre Wirkung getan. Das Volk versteht wohl noch, was Massenproteste sind, und entlädt sich gegen Atomkraft, Hartz IV und Stuttgart 21. Dies sind unbestritten wichtige Themen, sie wirken allerdings zuweilen als Alibis, wenn man berücksichtigt, wogegen eben nicht protestiert wird: den unsinnig-gefährlichen militärischen "Krieg gegen Terror" zum Beispiel oder die planvolle und systematische Zerstörung der palästinensischen Gesellschaft und Kultur.


Treffen von Frau Merkel mit Abbas am 5. Mai
http://indonesiakatakami.
 
Nur durch Dogmen, Unterdrückung und Diffamierung ist es überhaupt möglich, eine solche Zerstörung gegen jegliches Recht durchzusetzen. Immerhin gibt es kaum eine Situation, die so klar ist wie die in Israel/Palästina. Man muss schon auf beiden Augen blind sein, um nicht zu sehen, dass es kein israelisches Friedensszenario gibt, stattdessen aber einen seit 1948 fortgesetzten Landraub, der einhergeht mit der Entrechtung der einheimischen palästinensischen Bevölkerung bis hin zum Mord. Dass eine solche Politik auf den Widerstand der Betroffenen stößt und auch zum Terror einzelner Gruppen, kann niemanden ernsthaft überraschen. Doch selbst eine Hamas hat schon mehrfach klar gemacht, dass sie ein Israel in den Grenzen von 1967 zähneknirschend akzeptieren würde. Das militärisch weit überlegene Israel ist weit davon entfernt, eine solche Lösung anzunehmen.
 
Deutschlands Medien und Politik zeigen kein intelligentes Verhalten, wenn sie davon ausgehen, dass sie den Genozid an den Juden in irgendeiner Form dadurch kompensieren können, dass sie israelische Rechtsbrüche inklusive Morden in großem Stil rechtfertigen und unterstützen. Hatten sie nicht früher die Rechtsbrüche und Morde der Nazis gerechtfertigt und unterstützt? Ebenfalls mit Dogmen, Unterdrückung und Diffamierung?
 
Die deutsche Bevölkerung ist nicht blöd, eher verängstigt und fehlgeleitet. Sie wählt Gewaltpolitiker und rezipiert Gewaltmedien. Viele Leute verstehen durchaus, dass das Lügen für Israel auch das Lügen in anderen Fällen wahrscheinlich macht. Wie soll man einem Staat vertrauen, der sich so weit von den rechtstaatlichen Prinzipien seines eigenen Grundgesetzes entfernt hat? Der willkürlich bestimmte Staaten und Gruppen bedingungslos schützt, während er andere angreift? Wer möchte einer Kanzlerin vertrauen, die den außergerichtlichen Mord an einem Menschen, und sei es bin Laden, bejubelt, nur um als US-Musterschülerin dazustehen? 
 
Das Vertrauen in diesen Staat schwindet weiter, und das ist eine logische Konsequenz. Wie gern würde man zu Deutschland stehen, seiner Kultur, Fortschrittlichkeit, Toleranz, Kraft und Innovation! Im Vergleich zu vielen anderen Ländern haben wir eine potenziell stabile und funktionierende Gesellschaft. Und oft reden sich unsere Politiker und Medien nur ein, dass wir den USA und Israel gegenüber hörig sein müssen, nämlich wenn es sich um Relikte unserer autoritären Vergangenheit handelt, bei denen der Stärkste unterstützt wird. In Wirklichkeit brauchen wir all das nicht.
 
Wenn das Vertrauen in den eigenen Staat, seine Parteien, Medien und sonstigen Vertreter der öffentlichen Meinung fehlt, wenn zudem Verbrechen unterstützt werden, dann gibt es auch Widerstand. Die 1300 Ermordeten in Gaza waren offensichtlich noch nicht genug, um in Deutschland zu einem sichtbaren Widerstand zu führen. Die blinden Hüter der Käseglocke sprechen weiterhin von Schmuggeltunneln und Kassam-Raketen und lullen uns damit ein. Doch der Druck auf die palästinensische Bevölkerung steigt weiter, wie jeder täglich auf www.theheadlines.org verfolgen kann. Wohin führt es am Ende? Und was wird mit den deutschen Hütern der Käseglocke geschehen, wenn die Angst vor dem willkürlichen Antisemitismus- und Terror-Vorwurf nicht mehr aufrecht erhalten werden kann? Anstatt auf die große Wut zu warten, die sich in den Straßen entlädt, müssen wir jetzt und heute alles daran setzen, um zu den rechtlichen Normen zurückzukehren, die wir uns über Jahrtausende mühsam erarbeitet haben. Die heutige dicht vernetzte globalisierte Welt macht es unmöglich, sich zu Gruppen zu bekennen, wenn wir uns nicht zu allererst zum Recht bekennen.
 
Anis Hamadeh, Künstler und Publizist, arbeitet derzeit am Solo-Kabarettstück „Der Palästina-Express“, Trailer unter www.youtube.com/watch?v=TfIXZr0PJNI. Seine Website ist www.anis-online.de


Online-Flyer Nr. 301  vom 11.05.2011



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