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Kommentar
Ein langjähriger Mülheimer Anti-AKW-Aktivist meldet sich zu Wort
Kann man Hurra schreien?
Von Lothar Reinhard
Gedanken zum Atomausstieg von einem langjährigen Anti-AKW-Aktivisten - ob in Kalkar, Hamm-Uentrop, Brodorf, Grohnde, Gorleben, Wackersdorf, Ahaus, Gronau, Almelo, Malville, Plogoff oder Angra dos Reis. Lothar Reinhard ist nicht nur Anti-AKW-Aktivist, sondern auch langjähriger Stadtrat und Mitglied der Fraktion der Mülheimer Bürgerinitiativen MBI. - Die Redaktion
Lothar Reinhard
Kann oder sollte man Hurra schreien, weil der Atomausstieg in Deutschland nun endlich wirklich kommt, und das mit dem breiten Konsens aller Bundes-tagsfraktionen? War dies eine historische Entscheidung von großer Tragweite? Ich denke schon! Ich selbst kann auch Freude und eine gewisse Genugtuung nicht verleugnen, aber auch etwas Stolz, dass der jahrzehntelange Kampf nicht umsonst war.
Online-Flyer Nr. 305 vom 08.06.2011
Ein langjähriger Mülheimer Anti-AKW-Aktivist meldet sich zu Wort
Kann man Hurra schreien?
Von Lothar Reinhard
Gedanken zum Atomausstieg von einem langjährigen Anti-AKW-Aktivisten - ob in Kalkar, Hamm-Uentrop, Brodorf, Grohnde, Gorleben, Wackersdorf, Ahaus, Gronau, Almelo, Malville, Plogoff oder Angra dos Reis. Lothar Reinhard ist nicht nur Anti-AKW-Aktivist, sondern auch langjähriger Stadtrat und Mitglied der Fraktion der Mülheimer Bürgerinitiativen MBI. - Die Redaktion
Lothar Reinhard
NRhZ-Archiv
Sicherlich kommt der deutsche AKW-Ausstieg nicht ganz so schnell, wie sich das viele erhofften, dennoch! Insgesamt ist die neue Energiepolitik – gemessen an der angeblichen "Energierevolution“ aus dem Herbst 2010 mit AKW-Laufzeiten bis knapp 2040 – ein riesiger historischer Fortschritt. Und auch im Vergleich zu dem schlappen "Atomausstieg“ von Rot-Grün unter Schröder/Fischer ist der jetzige Ausstiegsbeschluss weitergehend und endlich endgültig.
"Natürlich“ gilt: Statt die Erneuerbaren bis 2020 schneller auszubauen als bisher geplant, wird der mögliche rasche Ausbau gebremst. Statt auf wirklich dezentrale erneuerbare Energien flächendeckend im ganzen Land zu setzen, sollen hauptsächlich zentralisierte und teure Offshore-Windräder in der Nord- und Ostsee errichtet und dieser Strom dann über 1.000 Kilometer nach Süddeutschland geleitet werden. Dabei herrschen auch in Süddeutschland in vielen Gebirgsgegenden gute Windverhältnisse. Auch ist zu befürchten, dass diese "Merkel“-Bremse zum langsameren Ausbau der Erneuerbaren nicht wie erhofft den deutschen Firmen zugute kommt, vgl. den WiWo-Artikel "Deutsche Solarbranche wird überrannt" vom 3. Juni (1) zum chinesischen Vormarsch in der Solarbranche.
Überhaupt sollte man nicht zu fest glauben, dass Deutschland wegen dem Atomausstieg der einzige und absolute Vorreiter sei. Insbesondere das RWE blockiert hier weiter, aber auch die anderen drei Energieriesen werden versuchen, alle dezentraleren Lösungen zu verunmöglichen. Dennoch: Die Entwicklung hat auch die vier Energieriesen in Deutschland einfach überrollt, deshalb ist die Chance riesengroß wie nie, dass sich im Energiesektor mehr verändern wird als nur die Stromproduktion im Meer statt in Brokdorf, Grohnde oder Cattenom!
Ich persönlich gehe davon aus, dass nach Fukushima nach und nach viele Länder aus ihrer Atomenergie aussteigen werden selbst bis hin zu Frankreich. Man sollte daran erinnern, dass seinerzeit der Anti-AKW-Widerstand in Frankreich etwa zu Malville (Riesen Schneller Brüter) oder zu Plogoff in der Bretagne viel breiter und massiver war als in Deutschland! Er wurde aber sehr brutal niedergeknüppelt, (in Malville bei der Riesendemo von über 100.000 gab es Tote!). Man sollte auch nicht vergessen, dass Mitterand 1981 auch deshalb gewählt wurde, weil er die Abschaltung von AKWs versprochen hatte. Doch wie Sozialdemokraten so sind… Nun wird Frankreich ähnlich dem RWE in Deutschland ins Hintertreffen gelangen, weil sie die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben! Man kann es auch krasse unternehmerische Fehlentscheidungen nennen.
Andere Länder werden nicht mehr in AKWs einsteigen. Kenia z.B. hat erst im April 2011 eine Atom-Behörde gegründet, weil wohl irgendwer dem Land aufgeschwatzt hatte, auch dieses Sonnenland brauche AKWs – wahrscheinlich über Weltbank- oder IWF-Kredite. Wetten, dass es in Kenia nie ein AKW geben wird!! Mit dem forcierten Einstieg u.a. in Solartechnologien aller Art wird das finanziell nie mehr zu rechtfertigen sein!
Doch für Menschen wie mich, die aus der Anti-AKW-Bewegung der 70iger Jahre kommen, ist der Kabinettsbeschluss vom Wochenende endlich auch ein Erfolg für jahrzehntelange Anstrengungen mit heftigsten Widerständen und vielen Repressalien. Mülheim, die Heimatstadt der NRW-Ministerpräsidentin, war stets eine der Hauptstädte der Atomindustrie u.a. als KWU-Hochburg, damals die deutsche Haupt-AKW-Baufirma im In- und Ausland. Noch heute werden in Mülheim Castoren hergestellt, und der Atom-Konzern RWE, einst entstanden als Gründung des Mülheimer Stahlbarons Stinnes, beherrscht viele Bereiche unserer Stadt, von Strom, Gas, Wasser und immer noch vielen Nachtspeicherheizungen usw. bis hin zu Mülheim als RWE-Modellstadt für den "smart meter“ (angeblich ein "intelligenter“ Stromzähler) und für die RWE-Elektroautotankstellen im Mülheimer Stadtgebiet. Mülheims Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld darf dafür im erlauchten RWE-Aufsichtsrat sitzen, mit an die 200.000 € Tantiemen für 4 Sitzungen!
Das RWE hat sicherlich die Entwicklung "verschlafen“ bzw. absichtlich blockiert. Viele Ruhrgebietsstädte besitzen RWE-Aktien, allen voran Dortmund, Essen und relativ pro Einwohner mit Abstand am meisten Mülheim/Ruhr. In der Heimatstadt von RWE-Chef Großmann und Aufsichträtin Dagmar Mühlenfeld wird es wohl mit am schwersten sein, die Kommune vom RWE abzukoppeln. Der nun zweifelsohne unumkehrbare Atomausstieg wird die RWE-Kommunen aber teuer zu stehen kommen.
In Mülheim z.B. betragen die Einnahmen durch RWE-Dividende über 30 Mio. € p.a.. Für 2010 schüttet RWE noch 3,50 € pro Aktie aus. Großmann hatte bereits vor der Japan-Apokalypse angekündigt, dass für 2011 die Ausschüttung weit unter 3 € liegen werde. Das kann sich durch Atomausstieg und fallende Aktienkurse sehr schnell weiter nach unten bewegen, egal ob das RWE sich von der Katastrophenregierung in Berlin noch Geld für Schrottreaktoren wie Biblis einklagt. Die RWE-Aktien sind also für die Stadt inzwischen zum Risikokapital geworden, das man auf absehbare Zeit auch nicht mehr günstig los wird.
Die RWE-Millionen fließen auch nicht in den städtischen Haushalt, sondern in die ausgegliederte Beteiligungsholding BHM und in Stiftungen. Die BHM finanziert damit andere defizitäre ausgegliederte GmbHs wie die Verkehrsgesellschaft MVG, die Marketinggesellschaft MST, die Wirtschaftsförderungsgesellschaft M&B, die Sozialholding für städtische Altenheime usw. Bei 3,50 € Dividende, muss die Stadt der BHM noch ca. 8 Mio. zuschießen. Wenn der Kurs auf unter 3 oder gar 2 € fällt, wird es ziemlich zappenduster in der ohnehin schon bankrotten RWE-Stadt Mülheim. Bei den Stiftungen werden die absehbaren Mindereinnahmen wegen fallender RWE-Dividende zu deutlichen Kürzungen in den vielfältigen sozialen, kulturellen und sportlichen Aktivitäten liegen, die diese für die Stadt finanzieren. (PK)
Online-Flyer Nr. 305 vom 08.06.2011