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Aktueller Online-Flyer vom 23. November 2024  

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Krieg und Frieden
Durch eine Koalition von Staaten unter Koordination der USA organisiert
Der Plan zur Destabilisierung Syriens
Von Thierry Meyssan

Bei den Operationen gegen Libyen und Syrien kommen dieselben Akteure und dieselben Strategien zum Zuge. Aber die Resultate sind sehr verschieden, da diese Staaten nicht vergleichbar sind. Thierry Meyssan untersucht die halbe Niederlage der Kolonialmächte und Konterrevolutionäre und sagt für die arabische Welt einen neuen Umschlag des Pendels voraus. – Die Redaktion
 

Plante schon unter Bush 2002 die
Vernichtung Libyens und Syriens -
John Bolton
Der Versuch, die Syrische Regierung zu stürzen, ähnelt in manchen Punkten dem Vorgehen gegen Libyen, aber die Resultate sind auf Grund der besonderen sozialen und politischen Gege- benheiten sehr verschieden. Das Projekt einer gleichzeitigen Vernichtung beider Staaten wurde bereits am 6. Mai 2002 von John Bolton, seinerzeit Unterstaats-sekretär der Bush-Regierung, angekündigt. Seine Verwirklich- ung neun Jahre später unter Obama im Zusammenhang mit dem Arabischen Erwachen verläuft nicht ganz problemlos.
 
Wie in Libyen sah der ursprüngliche Plan vor, einen Militärputsch zu inszenieren, aber dies stellte sich schnell als unmöglich heraus, da sich die erforderlichen Offiziere nicht finden ließen. Nach unseren Informationen war ein identischer Plan auch für den Libanon vorgesehen. In Libyen wurde das Komplott aufgedeckt; Oberst Gaddafiließ Oberst Abdallah Gehani [1] verhaften. In allen diesen Fällen wurde der ursprüngliche Plan im Zusammenhang mit dem „Arabischen Frühling“ überarbeitet.
 
Vorbild ein Szenario wie im libyschen Benghazi
 
Nun ging man von der Idee aus, in einer sehr begrenzten Zone Wirren anzuzetteln und dort ein islamisches Emirat als Basis für die Zerschlagung des Landes auszurufen. Die Wahl des Daraa-Distriktes erklärt sich durch die Nähe zur Grenze nach Jordanien und zu dem von Israel besetzten Golan. Dadurch wäre eine Versorgung der Sezessionisten möglich gewesen.
 
Es wurde künstlich ein Zwischenfall geschaffen, Oberschüler wurden aufgefordert, Provokationen durchzuführen. Das klappte besser, als erhofft, dank der Brutalität und Dummheit des Gouverneurs und des örtlichen Polizeichefs. Als es zu Demonstrationen kam, wurden Heckenschützen auf Dächern aufgestellt, um wahllos sowohl auf die Menge als auch auf die Ordnungskräfte zu schießen, ein Szenario, das auch in Benghazi angewandt wurde, um den Aufruhr zu schüren.
 
Weitere Zusammenstöße waren eingeplant, und zwar immer in grenznahen Bezirken, um eine rückwärtige Basis zu haben, zuerst an der Grenze zu Libanon, später an der türkischen Grenze.
 
Söldner aus dem Netzwerk des Saudischen Prinzen Bandar bin Sultan
 
Die Kampfhandlungen wurden von kleinen Einheiten durchgeführt, meist von etwa 40 Mann, bestehend aus vor Ort rekrutierten Individuen und einem Kader ausländischer Söldner aus dem Netzwerk des Saudischen Prinzen Bandar bin Sultan. Er selbst erschien vor Ort in Jordanien, wo er in Verbindung mit Offizieren von CIA und Mossad den Anfang der Operationen überwachte.
 

Prinz Bandar bin Sultan
Aber Syrien ist nicht Libyen und das geplante Resultat wurde in sein Gegenteil verkehrt. Denn während Libyen ein von den Kolonialmächten geschaffener Staat ist, der gewaltsam aus Tripolitanien, Cyrenaika und dem Fezzan zusammengefügt wurde, ist Syrien eine historische Nation, die durch dieselben Kolonial-mächte auf ihre beschränkteste staatliche Erscheinungsform reduziert wurde. Während Libyen spontanen zentrifugalen Kräften ausgesetzt ist, wird Syrien durch zentripetale Kräfte zusammengehalten, die auf eine Rekonstruktion von Groß-Syrien hoffen, (das Jordanien, das besetzte Palästina, den Libanon, Zypern und einen Teil des Irak umfasst). Die Bevölkerung des heutigen Syrien kann gar nicht anders, als sich den Aufteilungsplänen zu widersetzen.
 
Bashar al-Assad – der beliebteste politische Führer des Nahen-Ostens
 
Im Übrigen ist die Autorität von Oberst Gaddafi und von Hafez al-Assad, dem Vater des jetzigen PräsidentenB ashar al-Assad, vergleichbar. Sie sind zur selben Zeit an die Macht gekommen und haben ihre Intelligenz und Brutalität eingesetzt, um sich zu behaupten. Dagegen hat Bashar al-Assad nicht die Macht ergriffen und wollte sie auch nicht erben. Er hat das Amt nach dem Tode seines Vaters angenommen, weil sein Bruder tot war, und weil nur die Legitimität der Assad-Familie einem Nachfolgekrieg unter den Generälen seines Vaters vorbeugen konnte. War es die Armee, die ihn aus London holte, wo er friedlich seinen Beruf als Augenarzt ausübte, so ist es sein Volk, das ihn erwählt hat. Er ist unbestreitbar der beliebteste politische Führer des Nahen-Ostens. Bis vor zwei Monaten war er auch der Einzige, der ohne Begleitpersonal ausging und sich vor einem Bad in der Menge nicht scheute.


Präsident Bashar al-Assad,
NRhZ-Archiv
 
Die militärischen Operation zur Destabilisierung von Syrien und die dementsprechende Medienkampagne wurden von einer Koalition von Staaten unter Koordination der USA organisiert, ebenso wie bei der Bombardierung und Stigmatisierung Libyens von der NATO sowohl Mitgliedsstaaten als auch Nichtmitgliedsstaaten koordiniert werden. Wie schon erwähnt, wurden die Söldner von Prinz Bandar-bin Sultan zur Verfügung gestellt; er begab sich extra auf eine internationale Rundreise von Pakistan bis nach Malaysia, um seine persönliche Armee, die von Manama bis Tripolis im Einsatz ist, aufzufüllen. Ein weiteres Beispiel ist die Einrichtung eines ad hoc-Zentrums für Telekommunikation in den Räumlichkeiten des libanesischen Telekom-Ministeriums.
 
Aber statt die Bevölkerung gegen das „Regime“ aufzustacheln, hat das Blutbad einen Ausbruch nationaler Gefühle um die Person von Präsident Bachar el-Assad bewirkt. Sich der Tatsache wohl bewusst, dass man sie in einen Bürgerkrieg zu stürzen versucht, sind die Syrer zusammengerückt. Während sich an den Demonstrationen gegen die Regierung insgesamt zwischen 150.000 und 200.000 Personen (bei einer Bevölkerung von 22 Millionen) beteiligten, sind bei den Demonstrationen für die Regierung Menschenmassen zusammengekommen, wie sie das Land noch nie erlebt hat.
 
Die Behörden haben mit Beherrschung auf die Ereignisse reagiert. Der Präsident hat endlich Reformen eingeleitet, die er schon seit langem realisieren wollte, und die von einer Mehrheit der Bevölkerung gebremst wurden aus Angst, die Gesellschaft würde verwestlichen. Die Baas-Partei hat das Mehrparteiensystem akzeptiert, um nicht in Anarchaismus zu versinken. Die Armee hat die Demonstranten nicht unterdrückt – trotz gegenteiliger Behauptungen der westlichen und Saudiarabischen Medien – sondern sie hat die bewaffneten Gruppen bekämpft. Allerdings haben die in der Sowjetunion ausgebildeten höheren Offiziere keine Schonung der zwischen die Fronten geratenen Zivilbevölkerung walten lassen.
 
Der Wirtschaftskrieg
 
Daraufhin änderte sich die Strategie des Westens und Saudi Arabiens. Als Washington merkte, dass die Militäraktion das Land kurzfristig nicht ins Chaos stürzen konnte, wurde entschieden, auf die Gesellschaft längerfristig einzuwirken. Man geht davon aus, dass die Assad-Regierung dabei ist, eine Mittelschicht zu schaffen (als einzig wirksame Garantie für Demokratie), und dass es möglich ist, diese Mittelschicht gegen ihn umzudrehen. Dazu muss ein wirtschaftlicher Zusammenbruch des Landes herbeigeführt werden.
 
Der Hauptreichtum Syriens ist das Erdöl, auch wenn seine Produktion nicht mit derjenigen seiner reichen Nachbarn zu vergleichen ist. Um das Öl zu verkaufen, muss das Land über Guthaben bei westlichen Banken verfügen, die als Garantie für die Transaktionen dienen. Es genügt, diese Guthaben einzufrieren, um das Land zu erdrosseln. Dazu erscheint es nützlich, das Erscheinungsbild Syriens zu verunglimpfen, um die westlichen Bevölkerungen dahin zu bringen, „Sanktionen gegen das Regime“ zu akzeptieren.
 
Versuch, Russland einzuschüchtern
 
Im Prinzip bedarf es für das Einfrieren von Guthaben einer Entschließung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, die aber unwahrscheinlich ist. Zwar könnte sich China, das schon beim Angriff auf Libyen gezwungen war, auf sein Vetorecht zu verzichten, um zu vermeiden, seinen Zugang zum saudischen Öl zu verlieren, wahrscheinlich kaum widersetzen. Aber Russland könnte dazu bereit sein, weil es durch den Verlust seiner Marinebasis im Mittelmeer mit ansehen müsste, wie seine Schwarzmeerflotte hinter den Dardanellen versauert. Um Russland einzuschüchtern, hat das Pentagon den Kreuzer USS Monterrey ins Schwarze Meer geschickt, eine Demonstration, die zeigen soll, dass die maritimen Ambitionen Russlands auf alle Fälle unrealistisch sind.
 
Wie dem auch sei, die Obama-Regierung kann den Syrian Accountablity Act aus dem Jahre 2003 wiederbeleben, um Syrische Bankguthaben einzufrieren, ohne auf einen UNO-Beschluss zu warten, und ohne dafür einen Beschluss des US-Kongresses einholen zu müssen. Die jüngste Geschichte – siehe Cuba und Iran – hat gezeigt, dass Washington seine europäischen Alliierten leicht dazu bewegen kann, sich unilateral verhängten Sanktionen anzuschließen.
 
Daher hat sich die eigentliche Auseinandersetzung vom Schlachtfeld auf die Medien verlagert. Die öffentliche Meinung im Westen lässt sich umso leichter in die Irre führen, als sie über Syrien wenig informiert ist, und weil sie an die Magie der neuen Technologien glaubt.
 
Der Medienkrieg
 
Vor allem richtet die Propagandakampagne die Aufmerksamkeit des Publikums auf die Verbrechen, für die das "Regime" verantwortlich gemacht wird, um allen Fragen zu der neuen Opposition auszuweichen. Die bewaffneten Gruppen haben wirklich nichts gemein mit den aufbegehrenden Intellektuellen, die die Erklärung von Damaskus verfasst haben. Sie kommen aus Kreisen sunnitisch-religiöser Extremisten. Als Fanatiker lehnen sie den in der Levante üblichen religiösen Pluralismus ab und träumen von einem Staat, der ihnen ähnelt. Sie bekämpfen Präsident Bachar al-Assad nicht, weil sie ihn für zu autoritär halten, sondern weil er Alawit ist, d.h. in ihren Augen ein Ketzer.
 
Insofern beruht die Propaganda gegen Assad auf einer völligen Verkehrung der Wirklichkeit.
 
Beispiel "Gay Girl in Damascus“,
 
Man nehme nur das grotesque Beispiel des Blogs des „Gay Girl in Damascus“, das im Februar 2011 erschaffen wurde. Diese Webseite, in Englisch redigiert von der jungen Amina, wurde zu einer Quelle für viele transatlantische Medien. Die Autorin beschrieb die Schwierigkeiten einer jungen Lesbe unter der Assad-Diktatur und die schreckliche Repression im Verlauf der Revolution. Als Frau und Lesbe erfreute sie sich der schützenden Sympathie westlichen Internet-Surfer, die sich für sie einsetzten, als ihre Verhaftung durch die Geheimdienste des „Regimes“ gemeldet wurde.
 

Durch Tom McMaster getürktes "Gay Girl
in Damascus"
Es stellte sich jedoch heraus, dass Amina gar nicht existiert. Durch die IP-Adresse in die Falle geraten, entpuppte sich ein 40jähriger US-amerikanischer "Student“ namens Tom McMaster als der eigentliche Autor dieser Schmierenkomödie. Der Propagandist, der in Schottland an einer Doktorarbeit schreiben soll, war auch in der Türkei bei dem von der pro-westlichen Opposition veranstalteten Kongress, bei dem zu einer NATO-Intervention aufgerufen wurde. Dort war er natürlich nicht in seiner Eigenschaft als Student. [2].
 
An dieser Geschichte überrascht am meisten nicht die Einfalt der Internet-Surfer, die an die Lügen der falschen Amina geglaubt haben, sondern das Aufgebot der Verteidiger der bürgerlichen Freiheiten zum Schutz jener, die diese bekämpfen. Im bekenntnisneutralen Syrien ist das Privatleben eine geschützte Zone. Die Homosexualität, formell verboten, wird nicht verfolgt. Es mag schwierig sein, Homosexualität in der Familie zu leben, aber nicht in der Gesellschaft. Dagegen sind jene, die in den westlichen Medien als Revolutionäre figurieren, tatsächlich jedoch aus unserer Sicht Konterrevolutionäre sind, hemmungslose Schwulenhasser. Sie empfehlen sogar, um dieses "Laster“ zu bestrafen, körperliche Züchtigungen, für einige selbst die Todesstrafe.
 
Wie man Tatsachen umdreht
 
Dieses Prinzip der vollständigen Verkehrung der Tatsachen wird in großem Stil praktiziert. Es sei nur an die UNO-Berichte über die humanitäre Krise in Libyen erinnert: Wanderarbeiter fliehen zu Zehntausenden aus dem Land, um der Gewalt zu entgehen. Daraus folgerten die nordatlantischen Medien, dass das "Regime“ von Gaddafi gestürzt werden muss, und dass die Aufständischen von Benghasi zu unterstützen sind. Es ist aber nicht die Regierung von Tripolis, die für dieses Drama verantwortlich ist, sondern es sind die sogenannten Revolutionäre der Cyrenaika, die auf die Schwarzen Jagd machten. Aufgrund rassistischer Einstellungen beschuldigten sie diese, samt und sonders im Dienst von Oberst Gaddafi zu stehen und lynchten, wessen sie habhaft werden konnten.
 
In Syrien verbreitet das nationale Fernsehen die Bilder der auf Dächern postierten bewaffneten Gruppen, die wahllos auf Demonstranten und Ordnungskräfte schießen. Aber dieselben Bilder werden von den westlichen und Saudi-arabischen Sendern übernommen, um diese Verbrechen der Regierung in Damaskus zuzuordnen.
 
Letztlich funktioniert der Plan der Destabilisierung Syriens nur halbwegs. Er hat die öffentliche Meinung im Westen überzeugt, dass das Land eine schreckliche Diktatur ist, aber er hat die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung hinter seiner Regierung zusammengeschweißt. Am Ende könnte es für die Urheber dieses Plans gefährlich werden, insbesondere für Tel-Aviv. Im Januar/Februar 2011 erlebten wir eine revolutionäre Welle in der Arabischen Welt, gefolgt von einer konterrevolutionären Welle im April/Mai. Das Pendel ist nicht am Ende seiner Bewegung angelangt. (PK)
 
Thierry Meyssan ist ein französicher Intellektueller, Gründungspräsident des Réseau Voltaire und der Konferenz Axis for Peace. Er veröffentlicht Analysen zur Außenpolitik in der arabischen, lateinamerikanischen und russischen Presse. Sein letztes Werk auf Französisch: L’Effroyable imposture : Tome 2, Manipulations et désinformations (éd. JP Bertand, 2007)
Artikel von ihm finden Sie unter http://www.voltairenet.org/article169815.html
Ein zurzeit wieder aktueller Artikel von ihm mit dem Titel "Obama, der Finanzkrieg der USA und das Gold des Libyschen Dinars - Gründe zur Beseitigung von Strauss-Kahn unter http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=16607
 
 
Übersetzung aus dem Französischen: Klaus von Raussendorff
 
[1] « La France préparait depuis novembre le renversement de Kadhafi », par Franco Bechis, Réseau Voltaire, 24 mars 2011.
 
[2] « Propagande de guerre : la bloggeuse gay de Damas », Réseau Voltaire, 13 juin 2011
 
Quelle des Originals: http://www.voltairenet.org/
Der-Destabilisierungsplan-fur
Voltaire Netzwerk | Beirut (Libanon) | 18. Juni 2011


Online-Flyer Nr. 309  vom 06.07.2011



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