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Gespräch mit Farida Akhter über Biodiversität und Unabhängigkeit – Teil 1
Das Verschwinden der Schmetterlinge
Von Anneliese Fikentscher
Das Buch "Samenkörner sozialer Bewegungen" von Farida Akhter, das Maria Mies am 15. Juni in der NRhZ vorgestellt hat(1), ist ein ermutigendes Buch. Es enthält viele Berichte darüber, wie Widerstandsbewegungen gegen kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung von Frauen und Armen "gesät“ werden können. Doch die Autorin bleibt nicht bei der Beschreibung und Analyse stehen. Sie zeigt auch, dass solche Bewegungen "von unten“ Früchte tragen können, d.h. Erfolg haben. Und sie zeigt Mittel zur Erlangung dieses Zieles - die Änderung unseres Lebensstils...
Farida Akhter - sät soziale Bewegungen
Anneliese Fikentscher: Du bist Wirtschaftswissenschaftlerin. Wie weit war der Weg von der Universität zur Gründung einer Neuen Bauernbewegung, Nayakrishi Andolon?
Online-Flyer Nr. 314 vom 10.08.2011
Gespräch mit Farida Akhter über Biodiversität und Unabhängigkeit – Teil 1
Das Verschwinden der Schmetterlinge
Von Anneliese Fikentscher
Das Buch "Samenkörner sozialer Bewegungen" von Farida Akhter, das Maria Mies am 15. Juni in der NRhZ vorgestellt hat(1), ist ein ermutigendes Buch. Es enthält viele Berichte darüber, wie Widerstandsbewegungen gegen kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung von Frauen und Armen "gesät“ werden können. Doch die Autorin bleibt nicht bei der Beschreibung und Analyse stehen. Sie zeigt auch, dass solche Bewegungen "von unten“ Früchte tragen können, d.h. Erfolg haben. Und sie zeigt Mittel zur Erlangung dieses Zieles - die Änderung unseres Lebensstils...
Farida Akhter - sät soziale Bewegungen
Foto: Arbeiterfotografie
Farida Akhter: Ich wurde (mehr zufällig) in einem Dorf geboren - mit Hilfe einer Hebamme - und nicht in irgendeinem Krankenhaus. Ich hatte einen älteren Bruder und eine ältere Schwester, und nach mir kamen noch zwei Brüder und eine Schwester. Mein älterer Bruder starb an Typhus als er im fünften Schuljahr war. Deshalb wollte ich immer Ärztin werden. Obwohl ich bereits angefangen hatte, Naturwissenschaften, Biologie und Chemie zu studieren, wurde daraus nichts, weil ich keine Leichen sezieren wollte. Alle rieten mir, etwas typisch Weibliches zu studieren. Aber das wollte ich nicht. Deshalb machte ich eine komplette Kehrtwendung und entschied mich für Wirtschaftswissenschaften - weil das für Frauen als (zu) schwierig angesehen war. Unter 170 Studenten waren wir vier junge Frauen.
Nach Beendigung des Studiums habe ich als Journalistin für die "English Daily“, "Peoples View“ und andere Zeitungen geschrieben. In dieser Zeit, 1979/80, gab es nur wenige Journalistinnen. Aber ich erkannte schnell, dass es nicht möglich ist, als eine wirklich freie Journalistin zu arbeiten. Nachdem ich einen Artikel mit dem Titel „Der Kunde ist nicht König“ geschrieben hatte, war der Besitzer der Zeitung sehr verärgert und warf mir vor: „Sie schreiben gegen die Werbung.“ Ich habe bald gekündigt, weil ich unabhängig recherchieren und forschen wollte. Daraus entstand 1984 die Forschungs-einrichtung UBINIG. UBINIG ist bangla und heißt übersetzt soviel wie Grundsatzforschung für eine alternative Entwicklungspolitik (Policy Research for Development Alternative).(2) Hauptgedanke war, die von Weltbank und WTO diktierte Entwicklungspolitik in Frage zu stellen und statt dessen die Probleme aus der Sicht der Bevölkerung zu untersuchen. Wir gingen in die Dörfer und haben die Leute selbst gefragt, welche Entwicklung sie sich wünschen. Sie wollten sich befreien von der so genannten "Grünen Revolution", der modernen Landwirtschaft. Das bedeutet den Einsatz von Pestiziden, chemischen Düngemitteln und anderen Agrargiften. Die "Grüne Revolution" als vorgebliche Lösung des Armutsproblems bedeutet, dass die Bauern in der Dritten Welt auf Kredit hochertragreiche Samensorten kaufen mussten. Aber die kleinen Farmer, Kleinbauern, merkten, dass sie immer ärmer wurden. Sie verloren Land, weil sie auch die Schulden nicht mehr zurückzahlen konnten. Die Suche nach einem Ausweg führte uns gemeinsam zu Nayakrishi Andolon, einer "Initiative von Bauerngemeinschaften für ein glückliches Leben“.
Einfache Landfrauen und Kleinbauern widersetzen sich mit Unterstützung von UBINIG der Weltbank, der WTO und den mächtigen Konzernen. Wie ist das möglich?
Als Mitte der 60er Jahre unter Weltbankpräsident McNamara die Entwicklungspolitik aufkam, behandelte er - wie ein Doktor, der von Entwicklungsrezepten sprach - die asiatischen Länder, als hätten sie eine Krankheit. Es war als ob Mr. Worldbank Rezepte für die kranke Dritte Welt verordnet - gegen die Armutskrankheit. Sie geben uns ein Rezept, um diese Krankheit loszuwerden. Dabei gingen sie immer von der Voraussetzung aus, dass ein Land, das einen anderen Standard hat, bestimmt, was oben und was unten ist. Aber diese Rezepte waren für unser Land zerstörerisch. Früher nutzten die Bauern ihr spezielles lokales Saatgut. Es gab fünfzehntausend verschiedene Sorten von Reis, aber nach der "Grünen Revolution“ hatten sie nur noch 50 Sorten. Als wir von UBINIG die Farmer aufsuchten, stellten wir uns eine neue Art der Landwirtschaft vor. Aber es waren vor allem die Frauen, die zu uns kamen und sagten, wir haben ein Problem. Sie beobachteten, dass es aufgrund des Einsatzes der Gifte keine Schmetterlinge mehr gab und keine Bienen, keine Erdwürmer, und in den Reis-Gewässern schwammen auch keine kleinen Fische mehr, die sehr wichtig als Nahrungsmittel für die armen Leute sind. Also sagten sie: Die Pestizide zerstören meinen Körper. Und damit meinten sie nicht nur ihren eigenen Körper, sondern auch alles, was darum herum ist, den Boden, die Umwelt. Sie sagten: Unsere Kinder werden krank, haben Hautkrankheiten. Wir setzten uns zusammen und überlegten: was können wir tun, um diese Situation zu ändern? Wenn wir fragten, warum macht ihr denn überhaupt weiter mit Eurer Bauernwirtschaft, sagten sie: weil wir glücklich sein wollen. Das heißt: die Arbeit ist gleichzeitig eine Freude. Wenn im Herbst die Ernte eingebracht wird, wird den ganzen Tag gearbeitet, und die ganze Nacht hindurch wird gesungen und gefeiert. Dieses Glück, dieses Konzept der Freude beruht darauf, all das sehen zu können, was da wächst und gedeiht, einen Grashalm und Wildpflanzen, Heilkräuter, Gemüse. Diese Freude drücken sie in ihren Liedern aus. Wir setzten uns zusammen und wollten benennen, was jetzt zu tun ist.
Ihr habt zehn Grundsätze und Regeln aufgestellt, zu allererst kommt der Verzicht auf den Einsatz von Pestiziden. Aber auch in anderer Hinsicht ist Nayakrishi Andolon ein revolutionärer Ausbruch aus der Denkmaschine.
Wir nannten diese Bewegung Nayakrishi. Naya bedeutet neo. Wir wollten es nicht national farming oder ökologische Landwirtschaft nennen, weil es den Menschen rückwärtsgewandt vorkam. Naya heißt aber neu und ist die Neue Landwirtschaft, die neuer ist als die "moderne“ Landwirtschaft. Das ist super neu, super modern, obermodern, prima und besser als modern. Krishi bedeutet Landwirtschaft. Wir haben einen neuen Begriff verwendet, weil wir nicht unterminiert werden wollten. Wir haben herausfordernd einen eigenen Begriff geschaffen. Auch die Konzepte, die Begriffe müssen strategisch geplant werden; wenn du etwas benennst, musst du wissen, was dabei herauskommen soll. Wer ist das Zielpublikum, wer wird das wissen wollen. Aus diesem Grund ist der Name sehr von Bedeutung. Die Bauernhaushalte, die sich Nayakrishi angeschlossen haben, antworteten auf die Frage, warum sie dies tun mit „Weil wir glücklich sein wollen. Sonst nichts!!“ Ananda heißt Glück. Wir haben nicht nur die Produktionsweise sondern auch die Vermarktungsweise verändert. Nayakrishi arbeitet für den Binnenmarkt, nicht für den Export. Die Nachfrage ist groß. In Dhaka haben wir ein zweites Geschäft eröffnen müssen. Dort verkaufen wir die verschiedenen Reissorten: Puffreis, Linsen und Gewürze aber auch Kleidungstücke.
In diesem Haus gibt es auch ein Restaurant, einen Treffpunkt, der jeden Montag in der Woche nur den Frauen vorbehalten ist. Das nennt Ihr Adda. Was hat es damit auf sich?
Der Begriff Adda nimmt Bezug auf das Adda der Männer, die sich nach getaner Arbeit in Gruppen zusammensetzen und quatschen, über Politik oder die Ereignisse des Tages. Das Besondere ist jetzt zu sagen, Frauen können das auch, können auch ihren Treffpunkt, ihr Adda haben. Das ist eine Herausforderung. Es kam ein alter Mann, der brachte regelmäßig seine Schwiegertochter zur Adda. Setzte sie nur ab. Aber eines Tages sprach er mich an und sagte: „Sie machen eine wirklich gute Sache. Mein Sohn ist sehr beschäftigt und meine Schwiegertochter bleibt sehr oft alleine zu Hause. Aber meine Nachbarn fragten mich schon, wenn ich sie gebracht habe und dann (allein) zurückkomme: wo bist du hingegangen? Als sie von Adda für Frauen hörten, waren sie erschrocken und sagten: Könnt ihr den Namen nicht ändern?" Aber das ist genau der Grund, weshalb ich den Namen nicht ändern will. Und das muß akzeptiert werden.
Viele Menschen in Bangladeshs Bevölkerung haben keine Ausbildung. Hältst Du es für wichtig, dass die Frauen und Mädchen in die Schule gehen?
Es ist sehr wichtig. Wenn ich mit Dorfbewohnern spreche, dann sagen sie: ich hatte keine Bildung, aber ich wünsche, dass mein Kind die Möglichkeit hat. Sie würden ihren Schmuck verkaufen, um dafür das Geld aufzutreiben. Das, worauf es mir ankommt, ist zu sagen: auch Analphabeten müssen nicht ungebildet sein. Sie verfügen über Wissen und über Fähigkeiten. Und Weisheit haben sie auch. In Bangladesh gibt es Leute, die können nicht lesen und nicht schreiben. Daher ist es für mich nicht so wichtig, in Bangladesh ein Buch zu veröffentlichen. Aber was wir tun, ist uns zu unterhalten - mit allen Leuten - indem wir singen.
Eure Organisation UBINIG hat fünf verschiedene Zentren im Lande, Ihr lebt dort in einer Kommune und beginnt den Tag mit Singen und beendet den Tag mit Singen. Wie können wir uns das vorstellen?
Jeden Tag singen wir eine Stunde am Morgen, wenn die Sonne aufgeht, und eine Stunde am Abend, wenn die Sonne wieder untergeht. Morgens singen wir über Krishna - das ist im Grunde genommen ein Hindugott. Bangladesh ist ein muslimisches Land, und dass über einen Hindugott gesungen wird, ist schon bemerkenswert. Als kleiner Junge musste Krishna die Kühe hüten. Morgens musste er hinaus mit den Kühen und spielte dann mit seinen Freunden herum. Und was er da alles machte, davon handeln die Lieder, die wir morgens singen. Und am Abend sind es Lieder, wo die Menschen ihre Demut beschreiben, weil sie im Laufe des Tages Fehler gemacht haben könnten. In Bangladesh fängt kein Treffen, keine Zusammenkunft an, ohne zu singen. Das Lied des Fakirs Lalon ist ein philosophisches Lied über einen Vogel, der sich weigert, kein anderes Wasser als Regenwasser zu trinken. Mit offenen Mund schaut er hoch zu den Wolken, um einen Tropfen Regen zu bekommen. Diese Metaphorik bedeutet, dass unsere Seele nach Weisheit dürstet. Unsere Leute können vielleicht nicht Lesen und Schreiben, aber sie müssen genau wissen, welche Samen sind gut wofür.
Alle singen im ganzen Land. Die Fischer bei der Arbeit, die Frauen auf dem Dorf singen beim Reisstampfen in einem bestimmten Rhythmus. Wenn jemand stirbt, wird geweint und gleichzeitig gesungen. Das Weinen selbst ist Singen. Sie teilen damit mit, wie sie sich fühlen. Auch der Schmied und die Weberinnen und Weber verlieren den Faden ihrer Arbeit, wenn sie nicht singen. Und am wichtigsten ist es, wenn wir protestieren, dann müssen wir singen. Und es wird oft demonstriert. Es ist ein großer Bereich unserer Arbeit, auf die Straße zu gehen.
Der überwiegende Teil der Bevölkerung arbeitet in der Landwirtschaft. Dort gehen die Einflüsse der multinationalen Konzerne so weit, dass sie Euch vorschreiben, was ihr anzubauen habt. Und ehemalige Bauern, die ihr eigenes Land verloren haben, arbeiten als "Contract Growers“, als "Auftragsfarmer“. Was ist damit alles verbunden?
70% der Menschen in Bangladesh sind Bauern. Es gab aber Zeiten, da waren es 80 bis 85 %. Unter diesen 70% gibt es keine Großgrundbesitzer mit 100ha Land. In einem Dorf gibt es nur wenige Bauern, die mehr als 10 Hektar Land besitzen. Die mittelgroßen Landwirtschaften haben 5 bis 7 ha. Die Subsistenz-Farmer, die für ihren eigenen Bedarf wirtschaften, besitzen unter 3 ha Land. Dann gibt es eine große Bevölkerungsschicht, die kein eigenes Land besitzt, die aber per Share Cropping, d.h. auf Pachtbasis das Land bebauen. Dabei handelt es sich auch um Flächen aus dem Besitz wohlhabender Städter.
Große Konzerne kommen ins Land und die Regierung ergreift Maßnahmen, um das für diese schmackhaft zu machen. Mittlerweile wird auch nicht mehr von Landwirtschaft gesprochen, sonder von Vertragsanbau. Wir erfuhren davon und begannen mit Protesten dagegen. Vor zwei, drei Jahren hat eine britisch-amerikanische Firma, ein Tabak-Multi sehr viel Land aufgekauft und zwingt die Farmer dazu, Tabak anzubauen. Virginia-Tabak, der in den USA angebaut werden sollte. Es wird keine Nahrung dort angebaut, sondern Tabak. Die Bauern liefern die Blätter an die Firma. Damit entsteht ein Abhängigkeitsverhältnis. Und jetzt haben wir gehört, obwohl es noch nicht offiziell ist, dass mit der Autofirma Toyota Vereinbarungen getroffen wurden, Zuckerrohr für Biosprit anzubauen. Wir werden ebenso gezwungen, Mais anzubauen für Hühnerfutter. Anstatt Nahrungsmittel für die Menschen in Bangladesh zu produzieren, werden wir gezwungen, Soja und andere Sachen anzubauen als Viehfutter, für den Weltmarkt. Genetisch verändertes Saatgut wird eingeführt und alles wird kontrolliert.
Unsere Naya Farmer machten Lieder gegen diese Multi-Konzerne. In Dhaka haben wir schon viele große Demonstrationen vor den Gebäuden dieser Konzerne veranstaltet. Einmal kam ein Repräsentant von Monsanto nach Dhaka und übernachtete in einem teuren Hotel. Wir zogen mit unseren Bauern vor dieses Hotel und sangen unsere Lieder gegen Monsanto. Dieser Mann verließ drei Tage nicht das Hotel...
Unglücklicherweise ist unsere Regierung sehr schwach, sie sind auch erpressbar. Wenn sie angeboten bekommen, für ihre Kinder ein Stipendium zu erhalten, um in den USA zu studieren, dann unterschreiben sie schnell einen Deal. In diesem Zusammenhang möchte ich von einem Konzept sprechen, dass in der Via Campesina Anwendung findet. Das ist die Nahrungs-Souveränität. Das heißt, die Bauern sollen entscheiden, was sie anbauen wollen, sie sollen entscheiden und selbst die Kontrolle über weitere Schritte behalten. So wie es Länder-Souveränität gibt, bestehen wir darauf, dass die Bauern die Souveränität darüber haben, zu bestimmen, was sie anbauen. (PK)
(2) UBINIG betreibt unabhängige Forschung, erstellt darüber unabhängige Dokumentationen im Print-, Foto- und Videobereich. UBINIG betreibt einen eigenen Verlag. Näheres unter www.ubinig.org
Den zweiten Teil des Gespräches können Sie in der nächsten NRhZ-Ausgabe lesen.
Online-Flyer Nr. 314 vom 10.08.2011