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Arbeit und Soziales
Hartz IV-Fortentwicklungsgesetz macht Erwerbslose rechtlos
Vor der endgültigen Lösung
Von Hans-Dieter Hey
Über den Grund der Umbenennung kann man nur spekulieren. Optimierungsgesetz klang wahrscheinlich zu schön für ein Straf- und Verfolgungsgesetz für Arbeitslose. Vielleicht hatte man auch aufgrund historischer Erfahrungen eine gewisse Scheu vor allzu schönen Namen für Abscheulichkeiten. Birkenau und Buchenwald klangen damals ja auch schön. Überhaupt nicht nach Arbeitslager und Zwangsarbeit. Haben wirklich alle daraus gelernt?
Stefan Müller, parlamentarischer Hinterbänkler der CSU, offenbar nicht. Auf seiner Web Site forderte er: "Alle arbeitsfähigen Langzeitarbeitslosen müssen sich dann jeden Morgen bei einer Behörde zum Gemeinschaftsdienst melden und werden dort zu regelmäßiger, gemeinnütziger Arbeit eingeteilt - acht Stunden pro Tag, von Montag bis Freitag. Wer sich verweigert und nicht erscheint, muss mit empfindlichen finanziellen Einbußen rechnen." - Die Aussage erinnert fatal an die braunen Hetzkampagnen, die ab Jahr 1935 zunächst zum Reichsarbeitsdienst führten.
Ulrich Reitz, Chefredakteur der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, ist auch nicht besser. Gegen ihn liegt eine Beschwerde vom 19. Juni beim Deutschen Presserat vor. Er behauptete nämlich, mit Hartz IV werde eine "schmarotzerhafte Mitnahme-Mentalität" gefördert. Fakt ist dagegen, dass es unter sämtlichen Erwerbslosen - nach einer Pressemitteilung der Bundesagentur für Arbeit vom 20. Juni - im Jahr 2005 insgesamt 22.900 Verdachtsmomente gab, die in nur 4.200 Fällen zum Wegfall der Arbeitslosenunterstützung führten. Außerdem gab es 35,7 Mio. Euro Überzahlungen, die zurückgefordert wurden. Und das bei über 7 Mio. tatsächlicher Erwerbsloser. Wie das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut WSI am 22. Juni mitteilte, spielen Mißbrauchsfälle statistisch keine Rolle. Demgegenüber könnte der Fiskus - angesichts der Fälle von Steuerhinterziehungen, vor allem in der Wirtschaft - gut und gern jährlich 100 Mrd. Euro zur Senkung der Staatsverschuldung einnehmen, wenn die Politiker in Berlin ein Rückgrat hätten.
Arbeitsdienst für Erwerbslose?
Foto: Hans-Dieter Hey
Bundespräsident Köhler, höchstbezahlter Beamter im Staat, hat ebenfalls mehr Verfolgung des "Missbrauchs" durch Erwerbslose gefordert und sich damit - wie schon öfter - höchst inkompetent aus dem Fenster gelehnt. Ketzerische Zungen würden behaupten, er sei wegen seiner gelegentlichen politischen Entgleisungen besser als Sparkassendirektor geeignet, weil er auch so aussieht. Dass die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, INSM, für ein "weiter so" bei Hartz IV wirbt, ist hingegen nicht verwunderlich. Längst ist sie bei Kennern als Vertreter der Lobbyisten mit Geld aus der Wirtschaft in Verruf. Nur wissen leider noch viel zu wenige, woher was kommt.
Die vergiftete Saat für eine endgültige Lösung des Erwerbslosenproblems ist gesät. Sie wird viel moderner sein als früher. Wie in England beispielsweise. Dort wurden die Erwerbslosen durch Maggie Thatcher und Tony Blair und deren Vollstrecker regelrecht fertig gemacht, erniedrigt, gedemütigt und verarmt, bis kein politischer Mucks mehr von ihnen kam. Ein halbes Jahr Stütze - dann folgt der Bettelstab. Oder beispielsweise wie in Spanien. Dort wird politisch unliebsamen Erwerbslosen, wenn sie auf Demonstrationen auftauchen, einfach die Stütze gestrichen.
Und nun sind auch wir auf dem richtigen Weg: Gedacht wird an staatliche Schikanen, um erwerbslosen Menschen den Bezug von Sozialleistungen unmöglich zu machen, zum Beispiel durch Senkung der Regelsätze beim ALG II auf 225 Euro. Ex-DDR-Lehrer und Ministerpräsident in Thüringen, Dieter Althaus (CDU), ist auch Vizechef der CDU-Grundsatzprogrammkommission. Er stellt sich Deutschland ohne das Grundgesetz vor. Jedenfalls dann, wenn er laut über eine "bedarfsunabhängige Grundsicherung" nachdenkt, um sie in der CDU zu diskutieren. Sozialhilfe ja, aber man darf nicht davon leben können, denn Hungerarbeit soll sich in Deutschland wieder lohnen. Schon heute führt ja der Zwang zu Niedriglohnjobs wegen der Überschreitung der Zuverdienstmöglichkeiten dazu, dass Menschen unentgeltlich arbeiten. Der 0-Euro-Job verdrängt den 1-Euro-Job.
Gemeinsam gegen Entrechtung
Foto: Hans-Dieter Hey
Auch der alte Rechtsgrundsatz "Wer was will, muss es beweisen" gilt für Erwerbslose nicht. Ob eine eheähnliche Gemeinschaft vorliegt, mussten bisher die Ämter nachweisen. Nun müssen Erwerbslose beweisen, dass sie mit ihren Mitbewohnern nicht ins Bett steigen. Diese Beweislastumkehr ist nach Auffassung von Bundessozialrichter Wenner "vollständig verfehlt" und verfassungsrechtlich bedenklich, wie die Frankfurter Rundschau am 6. Juni schrieb. Und auch die Datenschützer haben sich in ihrer gemeinsamen Erklärung gegen diese Umkehrung der Beweislast gestellt. Aber Datenschützer sind eben Papiertiger.
Mit der gleichen Erklärung stellen sie sich auch gegen den weiteren Ausbau des Schnüffelstaates: "Es ist mit dem Menschenbild des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren, auf diese Weise alle Arbeitsuchenden, die Grundsicherung beanspruchen, unter Generalverdacht zu stellen". Denn: Erwerbslose werden durch Telefonabfragen privater Callcenter verfolgt. Ihr grundgesetzlich verbrieftes Recht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung wird durch "Hausbesuche" und "Ermittlungen im privaten Umfeld" durch staatliche Schnüffler und Under-Covers für Erwerbslose nahezu außer Kraft gesetzt. Auch der "Abgleich" zwischen allen möglichen privaten und öffentlichen Stellen wird für sie demnächst anlaufen. Das ebenfalls grundgesetzlich verbriefte Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Person gilt für Erwerbslose nicht. Für sie gilt ein Recht zweiter Klasse.
Der Vermögensfreibetrag wird von 200 auf 150 Euro pro Lebensjahr gekürzt, der für Kinder auf 3.100 und der Höchstbetrag auf 9.750 Euro. Dies bedeutet eine erhebliche Verschärfung bei der Bedürftigkeitsprüfung, und viele werden so ihren Leistungsanspruch verlieren. Weitere Leistungen, z.B. bei Notfällen oder bei der Geburt eines Kindes werden gesetzlich ausgeschlossen. Bisher gab es sie noch. Vom bisherigen Regelsatz soll weiter der Strom - entgegen der Urteile von Sozialgerichten - gezahlt werden. Er zählt damit nicht zu den Unterhaltskosten. Erwerbslose werden zunehmend mit Stromsperren zu tun haben.
Doch damit des Terrors nicht genug. Jeder Arbeitgeber, jedes so genannte Fortbildungsinstitut kann der Arbeitsagentur völlig willkürlich mitteilen, ein Erwerbsloser hätte "mangelnde Arbeitsbereitschaft". Die Arbeitsagentur kann danach sofort sämtliche Leistungen einschließlich der Miete streichen. Auch hier geht die Umkehr der Beweislast zu Lasten der Erwerbslosen. Das Recht der freien Berufswahl oder der Freizügigkeit gilt für Erwerbslose nicht.
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de
Der DGB schimpft, hat es aber offenbar immer noch nicht ganz verstanden und schreibt am 24. Mai eine 15-seitige Bewertung mit Verbesserungsvorschlagen für etwas, was so nicht zu verbessern ist. Denn: die schwarz-rote Regierung will bereits im Herbst über weitere "Anpassungen" reden. Vielleicht wird über Erwerbslose dann die Reichsacht verhängt, und sie werden dann vogelfrei und völlig rechtlos. Vor allem aber völlig verarmt. Eine moderne endgültige deutsche Lösung. Es sei denn, sie beginnen, sich - wie Anfang Juni in Berlin - gemeinsam dagegen zu wehren.
Online-Flyer Nr. 50 vom 27.06.2006
Hartz IV-Fortentwicklungsgesetz macht Erwerbslose rechtlos
Vor der endgültigen Lösung
Von Hans-Dieter Hey
Über den Grund der Umbenennung kann man nur spekulieren. Optimierungsgesetz klang wahrscheinlich zu schön für ein Straf- und Verfolgungsgesetz für Arbeitslose. Vielleicht hatte man auch aufgrund historischer Erfahrungen eine gewisse Scheu vor allzu schönen Namen für Abscheulichkeiten. Birkenau und Buchenwald klangen damals ja auch schön. Überhaupt nicht nach Arbeitslager und Zwangsarbeit. Haben wirklich alle daraus gelernt?
Stefan Müller, parlamentarischer Hinterbänkler der CSU, offenbar nicht. Auf seiner Web Site forderte er: "Alle arbeitsfähigen Langzeitarbeitslosen müssen sich dann jeden Morgen bei einer Behörde zum Gemeinschaftsdienst melden und werden dort zu regelmäßiger, gemeinnütziger Arbeit eingeteilt - acht Stunden pro Tag, von Montag bis Freitag. Wer sich verweigert und nicht erscheint, muss mit empfindlichen finanziellen Einbußen rechnen." - Die Aussage erinnert fatal an die braunen Hetzkampagnen, die ab Jahr 1935 zunächst zum Reichsarbeitsdienst führten.
Ulrich Reitz, Chefredakteur der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, ist auch nicht besser. Gegen ihn liegt eine Beschwerde vom 19. Juni beim Deutschen Presserat vor. Er behauptete nämlich, mit Hartz IV werde eine "schmarotzerhafte Mitnahme-Mentalität" gefördert. Fakt ist dagegen, dass es unter sämtlichen Erwerbslosen - nach einer Pressemitteilung der Bundesagentur für Arbeit vom 20. Juni - im Jahr 2005 insgesamt 22.900 Verdachtsmomente gab, die in nur 4.200 Fällen zum Wegfall der Arbeitslosenunterstützung führten. Außerdem gab es 35,7 Mio. Euro Überzahlungen, die zurückgefordert wurden. Und das bei über 7 Mio. tatsächlicher Erwerbsloser. Wie das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut WSI am 22. Juni mitteilte, spielen Mißbrauchsfälle statistisch keine Rolle. Demgegenüber könnte der Fiskus - angesichts der Fälle von Steuerhinterziehungen, vor allem in der Wirtschaft - gut und gern jährlich 100 Mrd. Euro zur Senkung der Staatsverschuldung einnehmen, wenn die Politiker in Berlin ein Rückgrat hätten.
Arbeitsdienst für Erwerbslose?
Foto: Hans-Dieter Hey
Bundespräsident Köhler, höchstbezahlter Beamter im Staat, hat ebenfalls mehr Verfolgung des "Missbrauchs" durch Erwerbslose gefordert und sich damit - wie schon öfter - höchst inkompetent aus dem Fenster gelehnt. Ketzerische Zungen würden behaupten, er sei wegen seiner gelegentlichen politischen Entgleisungen besser als Sparkassendirektor geeignet, weil er auch so aussieht. Dass die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, INSM, für ein "weiter so" bei Hartz IV wirbt, ist hingegen nicht verwunderlich. Längst ist sie bei Kennern als Vertreter der Lobbyisten mit Geld aus der Wirtschaft in Verruf. Nur wissen leider noch viel zu wenige, woher was kommt.
Die vergiftete Saat für eine endgültige Lösung des Erwerbslosenproblems ist gesät. Sie wird viel moderner sein als früher. Wie in England beispielsweise. Dort wurden die Erwerbslosen durch Maggie Thatcher und Tony Blair und deren Vollstrecker regelrecht fertig gemacht, erniedrigt, gedemütigt und verarmt, bis kein politischer Mucks mehr von ihnen kam. Ein halbes Jahr Stütze - dann folgt der Bettelstab. Oder beispielsweise wie in Spanien. Dort wird politisch unliebsamen Erwerbslosen, wenn sie auf Demonstrationen auftauchen, einfach die Stütze gestrichen.
Und nun sind auch wir auf dem richtigen Weg: Gedacht wird an staatliche Schikanen, um erwerbslosen Menschen den Bezug von Sozialleistungen unmöglich zu machen, zum Beispiel durch Senkung der Regelsätze beim ALG II auf 225 Euro. Ex-DDR-Lehrer und Ministerpräsident in Thüringen, Dieter Althaus (CDU), ist auch Vizechef der CDU-Grundsatzprogrammkommission. Er stellt sich Deutschland ohne das Grundgesetz vor. Jedenfalls dann, wenn er laut über eine "bedarfsunabhängige Grundsicherung" nachdenkt, um sie in der CDU zu diskutieren. Sozialhilfe ja, aber man darf nicht davon leben können, denn Hungerarbeit soll sich in Deutschland wieder lohnen. Schon heute führt ja der Zwang zu Niedriglohnjobs wegen der Überschreitung der Zuverdienstmöglichkeiten dazu, dass Menschen unentgeltlich arbeiten. Der 0-Euro-Job verdrängt den 1-Euro-Job.
Gemeinsam gegen Entrechtung
Foto: Hans-Dieter Hey
Auch der alte Rechtsgrundsatz "Wer was will, muss es beweisen" gilt für Erwerbslose nicht. Ob eine eheähnliche Gemeinschaft vorliegt, mussten bisher die Ämter nachweisen. Nun müssen Erwerbslose beweisen, dass sie mit ihren Mitbewohnern nicht ins Bett steigen. Diese Beweislastumkehr ist nach Auffassung von Bundessozialrichter Wenner "vollständig verfehlt" und verfassungsrechtlich bedenklich, wie die Frankfurter Rundschau am 6. Juni schrieb. Und auch die Datenschützer haben sich in ihrer gemeinsamen Erklärung gegen diese Umkehrung der Beweislast gestellt. Aber Datenschützer sind eben Papiertiger.
Mit der gleichen Erklärung stellen sie sich auch gegen den weiteren Ausbau des Schnüffelstaates: "Es ist mit dem Menschenbild des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren, auf diese Weise alle Arbeitsuchenden, die Grundsicherung beanspruchen, unter Generalverdacht zu stellen". Denn: Erwerbslose werden durch Telefonabfragen privater Callcenter verfolgt. Ihr grundgesetzlich verbrieftes Recht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung wird durch "Hausbesuche" und "Ermittlungen im privaten Umfeld" durch staatliche Schnüffler und Under-Covers für Erwerbslose nahezu außer Kraft gesetzt. Auch der "Abgleich" zwischen allen möglichen privaten und öffentlichen Stellen wird für sie demnächst anlaufen. Das ebenfalls grundgesetzlich verbriefte Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Person gilt für Erwerbslose nicht. Für sie gilt ein Recht zweiter Klasse.
Der Vermögensfreibetrag wird von 200 auf 150 Euro pro Lebensjahr gekürzt, der für Kinder auf 3.100 und der Höchstbetrag auf 9.750 Euro. Dies bedeutet eine erhebliche Verschärfung bei der Bedürftigkeitsprüfung, und viele werden so ihren Leistungsanspruch verlieren. Weitere Leistungen, z.B. bei Notfällen oder bei der Geburt eines Kindes werden gesetzlich ausgeschlossen. Bisher gab es sie noch. Vom bisherigen Regelsatz soll weiter der Strom - entgegen der Urteile von Sozialgerichten - gezahlt werden. Er zählt damit nicht zu den Unterhaltskosten. Erwerbslose werden zunehmend mit Stromsperren zu tun haben.
Doch damit des Terrors nicht genug. Jeder Arbeitgeber, jedes so genannte Fortbildungsinstitut kann der Arbeitsagentur völlig willkürlich mitteilen, ein Erwerbsloser hätte "mangelnde Arbeitsbereitschaft". Die Arbeitsagentur kann danach sofort sämtliche Leistungen einschließlich der Miete streichen. Auch hier geht die Umkehr der Beweislast zu Lasten der Erwerbslosen. Das Recht der freien Berufswahl oder der Freizügigkeit gilt für Erwerbslose nicht.
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de
Der DGB schimpft, hat es aber offenbar immer noch nicht ganz verstanden und schreibt am 24. Mai eine 15-seitige Bewertung mit Verbesserungsvorschlagen für etwas, was so nicht zu verbessern ist. Denn: die schwarz-rote Regierung will bereits im Herbst über weitere "Anpassungen" reden. Vielleicht wird über Erwerbslose dann die Reichsacht verhängt, und sie werden dann vogelfrei und völlig rechtlos. Vor allem aber völlig verarmt. Eine moderne endgültige deutsche Lösung. Es sei denn, sie beginnen, sich - wie Anfang Juni in Berlin - gemeinsam dagegen zu wehren.
Online-Flyer Nr. 50 vom 27.06.2006