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Interview mit dem Vorsitzenden des Zentralrats der Armenier, Azat Ordukhanyan
Armenier fordern Mahnmal in Berlin
Von Sahin Aydin
Während des Ersten Weltkriegs wurde unter der dabei vom Deutschen Reich unterstützten jungtürkischen Regierung, aber vor der Gründung der Republik Türkei unter Atatürk, der Völkermord an den Armeniern begangen. Diesem Genozid fielen durch Massaker und Todesmärsche vor allem 1915 und 1916 nach türkischen Angaben 300.000 nach armenischen mehr als 1,5 Millionen Menschen zum Opfer. Der Genozid wurde durch die Vereinten Nationen auf Grundlage der 1948 beschlossenen Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes als solcher anerkannt. Die Armenier fordern seit Jahrzehnten ein angemessenes Gedenken auch in der Türkei. Dazu dieses Interview. – Die Redaktion
Azat Ordukhanyan
Online-Flyer Nr. 325 vom 26.10.2011
Interview mit dem Vorsitzenden des Zentralrats der Armenier, Azat Ordukhanyan
Armenier fordern Mahnmal in Berlin
Von Sahin Aydin
Während des Ersten Weltkriegs wurde unter der dabei vom Deutschen Reich unterstützten jungtürkischen Regierung, aber vor der Gründung der Republik Türkei unter Atatürk, der Völkermord an den Armeniern begangen. Diesem Genozid fielen durch Massaker und Todesmärsche vor allem 1915 und 1916 nach türkischen Angaben 300.000 nach armenischen mehr als 1,5 Millionen Menschen zum Opfer. Der Genozid wurde durch die Vereinten Nationen auf Grundlage der 1948 beschlossenen Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes als solcher anerkannt. Die Armenier fordern seit Jahrzehnten ein angemessenes Gedenken auch in der Türkei. Dazu dieses Interview. – Die Redaktion
Azat Ordukhanyan
Sahin Aydin: Die in Deutschland lebenden Armenier fordern ein Mahnmal für die anderthalb Millionen Opfer des osmanischen Völkermords von 1915 an ihren Landsleuten. Warum in Berlin? Warum nicht in Ankara?
Azat Ordukhanyan: Ein solches Mahnmal in Ankara steht selbst-verständlich auch auf unserer Agenda. Wir sind uns damit in der armenischen Diaspora in aller Welt durchaus einig. Aber erstens leugnet die Türkei diesen Völkermord bis heute und verweigert uns jede Äußerung von Trauer an den Tatorten von damals. Und zweitens würde ein solches Mahnmal uns nicht von der Pflicht befreien, auch hierzulande die Erinnerung wach zu halten und die Geschichte als Mahnung an die Zukunft lebendig werden zu lassen.
Überfrachten wir nicht die Aufnahmefähigkeit der deutschen Hauptstadt, wenn wir hier Mahnmale für alle möglichen historischen Katastrophen in dieser Welt errichten wollten?
Es geht nicht um Katastrophen, nicht um irgendwelche Naturereignisse – es geht um Völkermord. Und es geht nicht um einen Völkermord irgendwo auf der Welt, sondern um einen Genozid, in den das Deutsche Reich, damals wichtigster Verbündeter der Türkei, in vielfacher Weise verknüpft war. Es gibt hier also durchaus eine gemeinsame historische Verantwortung, der sich auch Deutschland zu stellen hat. Der Bundestag hat sich in der Resolution von 2005 beim armenischen Volk für die negative Rolle des Deutschen Kaiserreichs entschuldigt und sich verpflichtet, einen Beitrag zur Aufarbeitung und Versöhnung zu leisten.
Sie wollen dieses Mahnmal bis 2015, zur hundertsten Jahrestag des Völker-mords, errichten. Warum erst jetzt?
Der Zentralrat der Armenier fordert seit Jahren die Errichtung eines Mahnmals bzw. einer Gedenkstätte. Aber offenbar ist erst jetzt in Deutschland die Zeit reif für ein solches Projekt. Auch in Deutschland hat zunächst die Zensur jahrzehntelanges Schweigen zu der Schande dieses Genozids bewirkt, danach haben demokratische Parlamente und die publizierte Öffentlichkeit es noch sehr lange einfach bequem gefunden, dieses Thema in der Versenkung zu lassen. Die offizielle Kandidatur der Türkei zur EU-Mitgliedschaft hat dem Thema Völkermord an den Armeniern einen neuen Impuls gegeben.
Spätestens mit der Bundestagsresolution von 2005 zum Thema „Erinnerung und Gedenken an die Vertreibungen und Massaker an den Armeniern 1915“ fand doch die von Ihnen lange geforderte Anerkennung des Völkermords statt.
Nein. Wir fühlen uns bis heute getäuscht. Tatsächlich ist diese Resolution in der politischen Wirklichkeit Deutschlands nicht angekommen. Sie vermeidet aus diplomatischer Rücksicht auf den Täterstaat, die Türkei, den Begriff Völkermord und sie bietet damit allen Leugnern eine Hilfestellung, Völkermorde zu leugnen.
Wenn das so ist – haben Sie denn in der Berliner Politik Verbündete für das Projekt Mahnmal?
Jeder, der es mit der Bundestagsresolution ernst meint, ist ein potentieller Verbündeter. In den politischen Gesprächen, die wir regelmäßig mit den unterschiedlichen Parteien und Fraktionen auf Landes- wie auf Bundesebene führen, stoßen wir auf große Zustimmung. Dennoch fehlt es noch am politischen Willen, ein solches Projekt zu verwirklichen. Daran arbeiten wir unermüdlich weiter.
Was muss sich ändern?
Die Berliner Politik muss schlicht einsehen, dass es keinen Sinn mehr hat, eine offizielle Anerkennung des Völkermordes weiterhin zu umgehen. Wenn das wieder, wie bei den mündlichen und schriftlichen Begründungen für die Bundestagsresolution von 2005, Konsens wird, kann die Zustimmung zu unserem Mahnmal nur noch eine Formalie sein. Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir nicht nur die Zustimmung sondern auch die Unterstützung durch die Politik finden werden.
Heißt das, es braucht erst noch eine neue Entschließung des Parlaments, in der der Begriff Völkermord ausdrücklich aufgenommen wird?
Wir halten eine solche neuerliche Entschließung für dringend geboten, weil die Verwendung des völkerrechtlich korrekten Begriffs mehr Rechtsverbindlichkeit produziert. Die Errichtung eines Mahnmals kann jedoch einer neuerlichen Entschließung durchaus vorausgehen. Da braucht es nur den guten politischen Willen aller Beteiligten.
Dieser gute Wille fehlt?
Der politische Wille fehlte tatsächlich über lange Jahre. Das hat sich geändert. Heute ist, wie wir immer wieder feststellen, der gute Wille durchaus da, uns zu unterstützen. Aber es mangelt noch an politischer Konsequenz. Die deutsche Außenpolitik ist widersprüchlich, ihre Motivation oft nicht nachzuvollziehen. Da muss ein Umdenken stattfinden. Die Außenpolitik der Bundesregierung hat nichts zur Normalisierung der Beziehungen zwischen den Republiken Armenien und Türkei, und schon gar nicht zur Versöhnung zwischen den Armeniern und Türken beigetragen – so wie es der Bundestag im Jahre 2005 gefordert hat. Deutschland muss endlich Sorge tragen, die Türkei zu einer dauerhaften Versöhnung mit Armenien zu motivieren und sie zur Anerkennung des Völkermordes zu bewegen. Aber wie soll das geschehen, solange Deutschland selbst den Völkermord nicht anerkannt hat? Sonntagsreden und harte Wirklichkeit klaffen noch immer weit auseinander.
Wie wollen Sie das ändern?
Wir müssen dicke Bretter bohren. Konsequente und harte Arbeit ist angesagt Und wir wollen ein Zeichen setzen. Mit dem Mahnmal werden wir ein solches Zeichen setzen. Wir werden genügend Verbündete finden, die uns den politischen Rückhalt verschaffen und uns in diesem Projekt unterstützen.
Kommen wir zur praktischen Seite. Wie stellen Sie sich das Mahnmal vor. Gibt es schon Entwürfe? Wie groß soll es sein, wo wird es stehen? Was wird es kosten?
Der ZAD verfolgt dieses Projekt gemeinsam mit der Diözese der Armenischen Kirche in Deutschland. Das Mahnmal soll Öffentlichkeit herstellen, es soll in Sichtweite des Reichstags stehen und damit eine Verbindung zu unseren guten demokratischen Tugenden demonstrieren. Es wird eine richtige Relation zum großen Holocaust-Denkmal haben und als Symbol auch für das wiedererwachende armenische Leben in Deutschland wirken. Darüber hinaus wäre es durchaus Symbol für eine versöhnliche Geste unseres heutigen Heimatlandes, das uns damals, als es die Macht dazu hatte, so schmählich im Stich gelassen hat. Es gibt aus gutem Grund noch keine konkreten Entwürfe, sondern nur erste Ideenskizzen. Wir planen einen Wettbewerb unter armenischen Künstlern, die in Deutschland leben. Tatsächlich können wir ein solches Mahnmal relativ schnell realisieren. Es braucht allerdings dafür nicht nur ideelle, sondern auch finanzielle Unterstützung. Die Kosten wollen wir heute noch nicht kalkulieren. Aber an der Finanzierung wird dieser Plan nicht scheitern!
Vielen Dank für das Gespräch.
Azat Ordukhanyan, geboren in Jerewan/Armenien. Studium in Armenien und in Deutschland. Historiker. Wohnt in Bochum. Promotion an der Ruhr-Universität Bochum. Vorsitzender des Armenisch-Akademischen Vereins 1860 e.V., Vorsitzender des Zentralrats der Armenier in Deutschland.
Online-Flyer Nr. 325 vom 26.10.2011