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Aktueller Online-Flyer vom 22. November 2024  

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Globales
Einwohner berichten, dass Van zum Teil einer Geisterstadt gleicht
Erdoğan stiehlt sich aus der Verantwortung
Von Claus Hübner

Der türkische Ministerpräsident Erdoğan, der sich bei Deutschlandbesuchen auch schon mal auf Deutsch wie zuletzt im Februar 2011 mit den Worten: „Unser Ministerpräsident ist in Düsseldorf!“ ankündigen lässt, ist kein Freund der leisen Töne. Manchen erscheint er in seiner Wortwahl oft maßlos oder gar größenwahnsinnig. Aber es wäre leichtsinnig, ihn auf solche Begrifflichkeiten zu beschränken. Das wäre nämlich ein Fehler!
 

Van nach den beiden Erdbeben
Wer sein bisheriges politischen Wirken versucht genau und unvoreinge-nommen zu verfolgen, wird zu dem Schluss kommen, dass er überwiegend sehr genau überlegt, was er wann und wo sagt. Seine Wutaus-brüche und seine Reden in der Öffentlichkeit sind in der Regel wohl kalkuliert und geplant.
 
Während seine Auftritte im Ausland international immer mehr Beachtung finden, schlägt ihm in der Region in der Erdbebenregion in und um Van in der Osttürkei verzweifelte Wut entgegen. Dabei hat Erdoğan die Unterstützung der heimischen Medien und damit die Mehrheit der Türken sicher auf seiner Seite. Das scheint ihm bisher zu reichen. Den Menschen in der Osttürkei und immer mehr aufmerksamen Beobachtern in der Türkei reicht dies aber ganz und gar nicht!
 
Als sich am 23.Oktober das schwere Erdbeben in der Region um Van ereignete, war er relativ schnell mit Gattin und einem großen Teil seines Kabinetts vor Ort. Er sprach von „Verbrechern“ und meinte damit die Bauherren der wie „Sand zerbröselten“ und zusammengestürzten Häuser, weil sie nicht Erdbebengerecht in einer als Erdbebenregion bekannten Region erbaut wurden. Er hatte wieder einen großen und wohlkalkulierten Auftritt im TV.
 
Insgesamt kostete das Erdbeben in Van möglicherweise knapp 1000 Menschen das Leben (die offiziellen Zahlen werden von den Bewohnern mittlerweile angezweifelt) und machte Zehntausende mitten im strengen Winter obdachlos. Während nach diesem ersten Erdbeben sich einige bekannte TV-Größen zynisch und zum Teil rassistisch über die zumeist kurdischen Opfer äußerten, hielt er sich zu dieser Art von Menschenverachtung zurück und bedeckt. Er hätte z.B. auch diese Leute kritisieren können, was er nicht tat.
 
Am Mittwoch gab es ein erneutes Erdbeben mit der Stärke von 5,7. Wieder gab es Tote und eingestürzte Häuser. Das Leid wird immer größer, die Sprüche des türkischen Ministerpräsidenten immer zynischer. So sagte er, „man könne nun nicht alle Probleme auf einmal lösen“. Aber welche Probleme hat er denn bisher gelöst? 
 
Viele Menschen sind traumatisiert und stehen noch unter Schockeinwirkungen. Ausreichende medizinische oder psychologische Betreuung ist nicht gewährleistet. Es fehlen immer noch beheizbare Zelte (die z.T. anscheinend in unbekannte Kanäle versickert sind), Medizin und Trinkwasser. Der türkische TV-Sender Show-TV berichtete Sonntagabend über ein Kind, das an Erfrierungen bzw. Bronchitis gestorben ist, weil die Familie auf der Straße in der Eiseskälte schlafen muss. Diese Familie hätte sich wohl auf dem Schwarzmarkt Plastikplanen für ein provisorisches Zelt kaufen können, aber dazu fehlen einfach die finanziellen Mittel! Die Menschen sind, soweit sie dazu in der Lage sind, aus der Stadt geflüchtet und versuchen bei Verwandten unterzukommen. Krankenhäuser arbeiten unter katastrophalen Umständen, weil auch sie z.T. schwer beschädigt wurden. Schulen sind geschlossen und niemand weiß, wie und wann es dort weitergeht. über zeigte, Die Armee und die Gendarmerie patrollieren von Zeit zu Zeit in den Straßen und lösen größere Menschenansammlungen oft mit Gewalt unter Einsatz von Tränengas auf.
 
Dass unter diesen Umständen die Nerven der Betroffenen sehr angespannt sind, ist nachvollziehbar und niemand helfen in solcher Situation zynische oder rassistische Bemerkungen in den türkischen Medien. Ein Besuch des Gouverneurs von Van, Münir Karaloğlu ist ebenfalls AKP-Mitglied, endete daher auch in einem Steinhagel der wütenden und verzweifelten Bevölkerung, worüber ausführlich in den türkischen Medien berichtet wurde. Die Menschen sind wütend, weil ihrer Meinung nach nicht genug getan wird, das Leid der Bevölkerung zu lindern oder zu verkürzen, der Staatsapparat verhält sich erschreckend passiv.
 
Einwohner erzählen, dass Van z.T. einer Geisterstadt gleicht. Überall Trümmer, halb eingestürzte Häuser und nur sehr wenige Menschen auf der Straße. Die Menschen versuchen unter Lebensgefahr aus den einsturzgefährdeten Wohnungen ihre Habseligkeiten zu retten. Niemand von den Behörden untersucht oder überprüft die Häuser, ob und wann sie wieder bezogen werden können oder abgerissen werden müssen. Die Menschen werden alleine gelassen in ihrer Not.
 
An den Straßen stehen Übertragungswagen der Medien und warten auf Neuigkeiten. Dabei stürzen sie sich am liebsten auf bekannte Gesichter der Politikszene. Über die aktuellen Lebensumstände der Leidgeprüften Bevölkerung zu berichten, bringt keine Quote und daher lässt man es dann auch direkt ganz sein.
 
Niemand kann persönlich für ein Erdbeben verantwortlich gemacht werden. Aber durchaus für einen großen Teil der Folgen!
 
Wer diese Lebensumstände in der Region Van analysiert, kann eigentlich nur zu zwei Schlußfolgerungen kommen.
1.)       Die sowieso schon ziemlich arme „Geisterstadt“ Van kommt den Politikern wie Erdogan entgegen und es wird darauf spekuliert, dass sich diese Situation verfestigt. Dies hätte zur Folge, dass die überwiegend kurdische Bevölkerung wegzieht und der PKK ein weiteres wichtiges Einzugs- und Einflußgebiet verloren geht. Diese Art der „Politik“ ist schon von den Vorgängerregierungen durch bewusste Zerstörung von Tausenden kurdischen Dörfern und die Vertreibung der Menschen durch die Armee in den letzten Jahrzehnten intensiv praktiziert worden.
2.)       Die Behörden sind total überfordert und/oder nicht in der Lage oder auch Willens, mit Sofortmaßnahmen vor Ort die Lage der zumeist kurdischen Bevölkerung erträglicher zu machen.
 
Beide Möglichkeiten sind ein Armutszeugnis für den türkischen Ministerpräsidenten! Erdoğan ist als Regierungschef in vollem Umfang für diese geschilderte Situation nach dem Erdbeben verantwortlich. Seine vermeintliche „Fürsorge“ für die türkischstämmigen Deutschen in Deutschland erweist sich als billiges Wortgeklingel und wohl überlegte Propaganda um seinen Status in der Bevölkerung zu arbeiten. Er denkt halt immer an die nächste Wahl!
In Deutschland spricht er gerne davon, dass „Assimilation ein Verbrechen“ ist, aber genau dieses Verbrechen geschieht seit Jahrzehnten in der Türkei mit der erzwungenen Assimilation (z.B. durch Vertreibung) der Kurden.
 
Manche sagen, Erdoğan sei für die sich neu organisierende arabische Welt ein „leuchtendes, demokratisches Vorbild“. Aber innerhalb der Türkei erweist er sich dagegen immer deutlicher als ein autokratischer Machthaber, der es mit den demokratischen und Menschenrechten nicht immer sehr genau nimmt.
 
Man muss kein Freund oder Anhänger der PKK sein, um den Umgang von Erdoğan vor allem mit dem kurdischen Bevölkerungsanteil als nicht besonders menschenfreundlich anzusehen. Genau darauf sollten ihn die europäischen Politiker endlich deutlicher als bisher hinweisen und ihm klarmachen, dass das Verhalten vor allem den Kurden, aber auch den anderen Kritikern seiner Regierungsarbeit, gegenüber gelinde gesagt vordemokratisch ist. Bisher hören die demokratischen Kräfte in Deutschland und Europa solche Hinweise unserer Politiker an die Türkei viel zu selten. (PK)
 
Hierzu auch der Artikel "Werden Hilfsgüter zurück gehalten?" in Nummer 326
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=17112


Online-Flyer Nr. 328  vom 16.11.2011



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