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Nazijägerin Beate Klarsfeld kam nach 40 Jahren nach Essen zurück
Ohrfeige für Sarkozy?
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
Am 31. Januar war die als "Nazi-Jägerin" bekannte Beate Klarsfeld, die 1968 Bundeskanzler Kiesinger geohrfeigt hatte, zu einer Veranstaltung nach Essen gekommen. Und der große Saal der Volkshochschule war übervoll. Gut 40 Jahre zuvor war sie schon einmal in Essen. Damals ging es um den FDP-Bundestagsabgeordneten Dr. Ernst Achenbach, dem sie Mitwirkung an Judendeportationen vorwarf. Mit einer Gruppe von Begleitern drang sie in dessen Rechtsanwaltskanzlei ein. Diese und weitere Aktionen rief Beate Klarsfeld in Erinnerung und stellte sich dann den Fragen des Publikums, darunter auch solchen, die sie mit der Gegenwart konfrontierten.
Online-Flyer Nr. 340 vom 08.02.2012
Nazijägerin Beate Klarsfeld kam nach 40 Jahren nach Essen zurück
Ohrfeige für Sarkozy?
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
Am 31. Januar war die als "Nazi-Jägerin" bekannte Beate Klarsfeld, die 1968 Bundeskanzler Kiesinger geohrfeigt hatte, zu einer Veranstaltung nach Essen gekommen. Und der große Saal der Volkshochschule war übervoll. Gut 40 Jahre zuvor war sie schon einmal in Essen. Damals ging es um den FDP-Bundestagsabgeordneten Dr. Ernst Achenbach, dem sie Mitwirkung an Judendeportationen vorwarf. Mit einer Gruppe von Begleitern drang sie in dessen Rechtsanwaltskanzlei ein. Diese und weitere Aktionen rief Beate Klarsfeld in Erinnerung und stellte sich dann den Fragen des Publikums, darunter auch solchen, die sie mit der Gegenwart konfrontierten.
Beate Klarsfeld in Essen
Alle Fotos: arbeiterfotografie.com
„Sieben junge Franzosen demonstrierten am Donnerstag mit Flugblättern und Plakaten in der Essener Rechtsanwaltskanzlei des FDP-Bundestagsabgeordneten Dr. Ernst Achenbach, dem sie Mitwirkung an Judendeportationen aus Paris während des Krieges vorwarfen, und forderten 'Raus aus dem Bundestag'. Die Franzosen, angeblich Kinder von Widerstandkämpfern, waren unter Führung von der durch die Kiesinger-Ohrfeige bekannt gewordenen Beate Klarsfeld nachts aus Paris angereist und drangen in das Anwaltsbüro ein, wo sie sich in einem Raum zusammen mit einem Essener Rechtsanwalt einschlossen. Nach etwa 20 Minuten ließen sie sich widerstandslos von einem größeren Polizeiaufgebot abführen. Wie die Essener Staatsanwaltschaft mitteilt, wird gegen sie wegen Freiheitsberaubung, Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung ermittelt. Dr. Ernst Achenbach war als Gesandtschaftsrat und engster Mitarbeiter von Botschafter Abetz an der 'Endlösung der Judenfrage' in Frankreich beteiligt.“
So ist im Ankündigungsfaltblatt für die Veranstaltung mit Beate Klarsfeld ein Artikel aus der WAZ vom 25. Juni 1971 zitiert. Über diese und weitere Aktivitäten, mit der der fehlende Bruch der deutschen Gesellschaft mit der Nazi-Vergangenheit ins Bewusstsein gerückt wurde, berichtete Beate Klarsfeld am 31. Januar im großen Saal der Essener Volkshochschule vor ca. 200 interessierten Zuhörerinnen und Zuhörern, und zog sie damit in ihren Bann.
Beate Klarsfeld, Nicolas Sarkozy und Israel
Beate Klarfeld sind zahlreiche Ehrungen zuteil geworden. 1974 erhielt sie von der israelischen Ministerpräsidentin Golda Meir die „Tapferkeitsmedaille der Ghettokämpfer“. 1984 wurde sie vom französischen Präsidenten François Mitterrand zum „Ritter der Ehrenlegion“ ernannt. 1985 erhielt sie den Freiheitspreis der Hebräischen Hilfsorganisation für Einwanderer HIAS, 1987 den Golda-Meir-Preis. 2007 wurde sie vom französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy zum „Offizier der Ehrenlegion“ ernannt. 2011 wurde sie mit dem Giesberts-Lewin-Preis der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit ausgezeichnet. Gerne hätte sie auch das Bundesverdienstkreuz, wie sie sagt. Ihr Sohn Arno nahm 2002 die israelische Staatsbürgerschaft an, trat in die israelischen Streitkräfte ein und wurde zum Vertrauten von Präsident Sarkozy. In Artikeln und Interviews verteidigt er den Irak-Krieg.
Gegen die großen Verbrechen unserer Zeit intervenieren?
„Eine Frage, die auf die Jetzt-Zeit Bezug nimmt: Können Sie sich vorstellen, dass Sie sich auch gegen die großen Verbrechen unserer aktuellen Zeit wenden? Im Irak-Krieg sind seit 2003 mehr als eine Million Menschen ums Leben gekommen. Und im vergangenen Jahr sind in Libyen durch den Nato-Krieg viele zehntausend Menschen ums Leben gekommen. Können Sie sich vorstellen, auch dagegen zu intervenieren...“ Im Saal entsteht Unruhe. „...z.B. Ihrem Präsidenten, dem Herrn Sarkozy, den maßgebliche Schuld am Libyen-Krieg trifft, eine Ohrfeige zu verpassen...“ Die Unruhe steigert sich. „...oder ihm zumindest die Auszeichnung, die Sie von ihm erhalten haben, zurückzugeben?“
Das war eine Frage aus dem Publikum. Beate Klarsfeld fiel es augenscheinlich schwer, darauf zu antworten. Alle Fragen zuvor hatten sie nicht weiter gefordert. Auf diese Frage wusste sie kaum eine Antwort: Aber sie sagte – mit einem Kichern in der Stimme: „Sarkozy? Auf keinen Fall! Das kann ich nicht sagen. Auf keinen Fall!“
Die Veranstaltung mit Beate Klarsfeld in der Essener Volkshochschule
Als der Fragesteller nachhakte und zu bedenken gab: „Aber die großen Verbrechen? Mehr als eine Million Menschen allein im Irak...?“ wurde ihr Hilfe zuteil. Aus dem Publikum waren Äußerungen wie „Ist jetzt gut!“ und „Bescheuert!“ zu hören. Und auch der Moderator intervenierte: „Also... keine Zwiesprache... In der Tat ist es schon eine Frage der Zivilcourage... Aber die Gleichsetzung machen wir nicht mit. Denn die industrielle Vernichtung von Millionen Menschen ist ein historischer Akt einer Singularität, die durch nichts relativierbar ist.“ Mit den „Herausforderungen von heute“ sollten wir uns selber befassen. Große Teile des Publikums applaudierten dem Moderator. Aber es war auch zu hören: „Die Frage war absolut berechtigt!“
Ein Exempel, wie das Denken gesteuert werden soll
Es war offensichtlich: der eingebrachte Gedankengang war alles andere als erwünscht. Der Ordnungsruf „Keine Zwiesprache“ stand im Gegensatz zur Verfahrensweise zuvor. Es hatte mit einem anderen Diskutanten aus dem Publikum ein willkommen erscheinendes, mehrfaches Hin und Her gegeben. Doch stärker wiegt der Versuch, den Fragesteller über den Vorwurf der Holocaust-Relativierung zu diskreditieren.
Im Faltblatt, mit dem für die Veranstaltung geworben wurde, wird die Aktualität von Beate Klarsfelds Wirken herausgestellt. „Beate Klarsfeld hat in der deutschen Nachkriegsgeschichte Zeichen gesetzt. Sie hat dazu beigetragen, das Schweigen zu durchbrechen. Sie kann uns Mut machen, dem Terror von heute entgegenzutreten: Afghanistan, Irak, Libyen... Das Morden der Nato-Staaten zeigt, wie notwendig das ist.“ - So könnte es im Faltblatt heißen. Aber so lautet es dort nicht. Derartiges soll nicht ins Bewusstsein gerückt werden. Was dort tatsächlich steht, ist folgendes: „Beate Klarsfeld hat in der deutschen Nachkriegsgeschichte Zeichen gesetzt. Sie hat dazu beigetragen, das Schweigen zu durchbrechen. Sie kann uns Mut machen, dem Naziterror entgegenzutreten. Die Mordserie der Nazigruppe NSU zeigt, wie notwendig das ist.“
"Die allerschönsten Blumen von allen sind die Kinder" (Oscar Wilde)
Das Verhalten von Beate Klarsfeld und des Moderators, wie auch das Faltblatt der Veranstalter machen deutlich, wohin sich die Aufmerksamkeit richten soll und wohin nicht. Aber die Kanalisierung der Gedanken funktionierte nach der unerwünschten Frage nicht mehr vollständig. In einer Art Schlusswort der Publikumsdiskussion kam eine Frau zu Wort, die Beate Klarsfelds Kiesinger-Ohrfeige würdigte, und dann fortfuhr:
„Ich habe überhaupt nicht verstanden, warum sich die bundesdeutsche Geschichte dermaßen entwickeln konnte, dass viele Ämter mit Nazis wiederbesetzt wurden. Aber nicht nur das. Es wurden ja auch die Verbrechen ausgewertet. Nach dem Krieg wurden ehemalige Nazi-Verbrecher in die USA eingeladen und als Spezialisten eingestellt. Beim BKA gab es den bereits in der NS-Zeit aktiven Herrn Dickopf. Da gab es ganz viele...“
Auch die Initiative von Beate und Serge Klarsfeld, die Ausstellung „11.000 jüdische Kinder – Mit der Reichsbahn in den Tod“ entstehen zu lassen würdigte die Frau aus dem Publikum: „Ihre Arbeit mit den Kindern, mit den Portraits, mit der Bahn: das fand ich ganz fabelhaft, wunderbar. Da war ich auch dabei. Ich fand, das war eine großartige, gelungene Aktion, an Menschen ranzukommen und über Bilder zu zeigen, wie Menschenleben und Menschenschicksale tangiert sind. Was ich aber sagen muss: Menschenrechte oder Menschenleben sind nicht teilbar. Wenn weltweit Verbrechen in großem Ausmaß begangen werden, muss uns das doch alle schockieren, müssen wir doch sagen: das kann ich nicht mit unterstützen. Und deshalb fand ich die Frage sehr richtig, ob Sie nicht doch Herrn Sarkozy, der Krieg führt – entgegen aller UNO-Konventionen – sagen könnten: meine Güte, da bin ich nicht mit einverstanden. Ich würde mir wirklich sehr wünschen, wenn Sie ein kleines bisschen ein Auge auch auf all die anderen Kinder dieser Welt hätten.“ Das Publikum reagiert teilweise mit Beifall.
Beate Klarsfeld, Iran und die "Judenmörder von heute und morgen“
Um die Reaktion von Beate Klarsfeld zu verstehen, ist es hilfreich zu wissen, dass sie zu den Erstunterzeichnern der Kampagne STOP THE BOMB gehört, die den Iran als Bedrohung für Israel und die Welt hinstellt und dem Iran unterstellt, die Atombombe zu entwickeln, und damit zum Krieg gegen den Iran treibt. Sie befindet sich in diesem Bündnis, das sich "Bündnis gegen das iranische Vernichtungsprogramm" nennt, in der Gesellschaft von bak shalom, dem rechten Trupp innerhalb der LINKEN, sowie den Israel-Propagandisten Henryk M. Broder und Sacha Stawski von Honestly Concerned. Auch die Organisation "Söhne und Töchter der jüdischen Deportierten Frankreichs" (Fils et filles de déportés juifs de France), in der sie mitwirkt und in der ihr Mann Serge Präsident ist, gehört zu den Unterstützern der Kampagne.
Beate Klarsfeld hält sich also keineswegs aus der aktuellen Politik heraus. Im Gegenteil. In Zusammenhang mit Verhandlungen des in Wien ansässigen Öl- und Gas-Unternehmens OMV mit dem Iran, machte sie sich 2008 in extremer Weise zur Propagandistin des Feindbildes Iran, indem sie äußerte: „Will Österreich sich... schon wieder schuldig machen, indem es die Judenmörder von heute und morgen unterstützt?“
Beate Klarsfeld berichtete im Rahmen der Veranstaltung am 31. Januar über ihre zahlreichen Aktionen. Im Mittelpunkt stand der Fall Achenbach. Aber zum Thema wurden auch ihre Aktionen in Zusammenhang mit Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger, mit dem ehemaligen Gestapochef von Lyon, Klaus Barbie alias Klaus Altmann, mit dem bei Köln lebenden ehemaligen SS-Obersturmbannführer Kurt Lischka und mit dem ehemaligen UNO-Generalsekretär Kurt Waldheim.
Beate Klarsfeld, Kurt Georg Kiesinger und Horst Mahler
Am 7. November 1968 hatte sie Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger wegen dessen Nazivergangenheit geohrfeigt. Sie rief: „Nazi, démissione!“ zu deutsch: „Nazi, tritt zurück!“. Die Ohrfeige war für die sich entwickelnde studentische Aufbruchbewegung wie ein erlösender Befreiungsschlag. Beate Klarsfeld wurde für ihre Aktion zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, erreichte aber mit ihrem Anwalt – dem heute in der rechten Szene agierenden Horst Mahler –1969 die Umwandlung der Strafe in vier Monate auf Bewährung.
Die Hand, mit der Beate Klarsfeld Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger ohrfeigte
Der Beginn der Aktivitäten von Beate Klarsfeld fiel aber nicht nur zusammen mit den Rufen nach Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit im Rahmen der Studenten-Proteste 1967/68 sondern auch mit der geänderten Haltung maßgebender Kräfte in den USA. Norman Finkelstein charakterisiert in seinem weltbekannten Buch "Die Holocaust-Industrie – Wie das Leiden der Juden ausgebeutet wird“ diesen Wandel in den USA wie folgt: „Von seiner Gründung im Jahre 1948 bis zum Junikrieg von 1967 spielte Israel in der strategischen Planung Amerikas keine entscheidende Rolle.... [Nach Israels Juni-Krieg von 1967] entdeckten die jüdischen Eliten Amerikas plötzlich Israel.... Israel wurde für die amerikanischen Juden ebenso zum strategischen Besitz wie für die Vereinigten Staaten.... Angesichts ihrer erwiesenen Nützlichkeit bedienten sich die organisierten Juden Amerikas nach dem Juni-Krieg [1967] der Massenvernichtung der Juden durch die Nazis. Einmal ideologisch umgeformt, erwies DER HOLOCAUST sich als die perfekte Waffe, um Kritik an Israel abzuwehren.“
Beate Klarsfeld, Kurt Waldheim und Benjamin Netanyahu
1986 beteiligte sich Beate Klarsfeld an Protesten gegen Kurt Waldheim, der seinerzeit als Kandidat der ÖVP (etwa entsprechend der deutschen CDU/CSU) zum österreichischen Bundespräsidenten gewählt wurde. Im Rahmen der Veranstaltung erzählte sie: „Ich habe mich auch engagiert in Österreich in der Kampagne gegen Waldheim, bevor er Präsident wurde und während er Präsident war. Als der Papst nach Wien kam und Waldheim dort begrüßte, hatten wir ein Spektakel organisiert gegenüber vom Stephansdom, wo der Papst mit Waldheim zusammentraf. Eines unserer Mitglieder trug die Papstrobe und Arno [ihr Sohn] die Uniform von Waldheim. Sie wurden festgenommen.“
Waldheim war von 1972 bis 1981 UNO-Generalsekretär gewesen. In seine Amtszeit fiel die UN-Resolution 332 von 1973, die Israels militärische Aggressionen gegen Libanon verurteilte. 1974 zog Kurt Waldheim den Zorn der USA und Israels auf sich, als er sich für den Auftritt von PLO-Chef Jassir Arafat vor der UN-Vollversammlung einsetzte. Schon 1971/72 war Waldheim "unangenehm" aufgefallen, weil er protestierte, als die USA die Deichanlagen in Nordvietnam bombardierten. Am 3. März 1986 veröffentlichte das österreichische Nachrichtenmagazin Profil unter der Schlagzeile "Waldheim und die SA" einen Artikel, in dem behauptet wurde, Waldheim habe in seiner kurz zuvor erschienenen Autobiografie über sein Verhalten während der Zeit des Nationalsozialismus lückenhaft und teilweise falsch informiert. Am 25. März 1986 beantragte der Jüdische Weltkongress die Eintragung Kurt Waldheims in die "watch list" des US-amerikanischen Justizministeriums, was gleichbedeutend ist mit einem Einreiseverbot. Am 8. Juni 1986 wurde er trotz der gegen ihn gerichteten Kampagne zum österreichischen Präsidenten gewählt. Am 27. April 1987 wurde bekannt gegeben, dass Kurt Waldheim in die "watch list" aufgenommen worden sei. Auch Israel und Kanada verhängten Einreiseverbote. Damit war Waldheim international weitgehend isoliert.
Am 10. April 1986 hatte der heutige israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, damals israelischer UN-Botschafter, im New Yorker UNO-Gebäude belastende Dokumente in den Akten von Kurt Waldheim "entdeckt". Nach Darstellung des Ex-Mossad-Agenten Victor Ostrovsky stellt sich dieser Vorgang wie folgt dar: „Die 'Entlarvung' war von einer AI-Einheit [des Mossad] vorbereitet worden, die in das UNO-Gebäude an der Park Avenue in New York eingedrungen war und verschiedene belastende Dokumente, die anderen Akten entnommen worden waren, in die Akte von Waldheim... geschmuggelt hatte. Die gefälschten Dokumente wurden dann von dem israelischen Botschafter bei der UNO, Benjamin Netanyahu, 'entdeckt'. Das war Teil einer Diffamierungskampagne gegen Waldheim, der den israelischen Aktivitäten im südlichen Libanon kritisch gegenüberstand.“ ("Geheimakte Mossad", Goldmann Taschenbuch 1996, S. 291)
Ausgezeichnetes Instrument
Geschichte aufzuarbeiten, ist von entscheidender Bedeutung. Daraus können wir für die Auseinandersetzung in der Gegenwart lernen und uns gegen die dabei lauernden Gefahren wappnen. Das setzt aber voraus, dass wir uns hinsichtlich der Übertragung der Vergangenheit auf die Gegenwart nicht aufs Glatteis führen lassen.
Geschichte ist immer wieder auch eingesetzt worden, um neue Verbrechen zu legitimieren. Ein extremes Beispiel ist die Rechtfertigung der NATO-Kriegsverbrechen in Jugoslawien 1999 mit der Behauptung von Außenminister Joseph Fischer, es sei der NATO um die Verhinderung eines neuen Auschwitz gegangen, wogegen Peter Gingold, Esther Bejerano, Kurt Goldstein und zahlreiche weitere Antifaschisten mit einer ganzseitigen Anzeige in der Frankfurter Rundschau unter dem Motto "Gegen eine neue Art der Auschwitz-Lüge“ entschieden protestiert haben.
Wenn der Holocaust eingesetzt wird, um damit Kritik an Israels Politik abzuwehren, oder um einen Krieg gegen den Iran zu legitimieren, müssen wir entschieden sagen: NEIN! Nie wieder! Wenn Beate Klarsfeld an die Verbrechen der Nazis erinnert, ist das gut und wichtig. Wenn sie aber nicht gleichzeitig gegen die heute begangenen oder drohenden Verbrechen einschreitet oder gar die Feindbilder zur Führung neuer Kriege bedient, macht sie sich zu einem – ausgezeichneten – Instrument neuen Unrechts. (PK)
Quellen und Hinweise
und darunter ein aktueller Leserkommentar
und darunter ein aktueller Leserkommentar
Faltblatt "Beate Klarsfeld – eine Nazijägerin kommt nach 40 Jahren nach Essen zurück"
Angaben zu Beate Klarsfeld bei Wikipedia
Angaben zu Beate Klarsfeld bei Munzinger
Angaben zu Beate Klarsfeld bei klarsfeldfoundation.org, u.a.:
Artikel der Kölnischen Rundschau zur Verleihung des Giesberts-Lewin-Preises für Beate Klarsfeld, 2.12.2011
Angaben zu Beate Klarsfelds Sohn Arno bei Wikipedia
Artikel der "Welt" über Arno Klarsfeld, 8.6.2007
"Der Sohn der Nazi-Jägerin will ins Parlament"
Artikel der Jerusalem Post über Arno Klarsfeld, 9.7.2007
"Israeli may join Sarkozy's cabinet"
Information zu BKA-Chef Paul Dickopf im Artikel "Das machen wir selbst" über das Olympia-Attentat des "Schwarzen September"
Stop-the-bomb Erstunterzeichner
Stop-the-bomb Unterstützende Organisationen
Offener Brief von Stop-the-bomb an das österreichische Außenministerium und die österreichische Bundesregierung, 27.5.2008
Zitat von Beate Klarsfeld, 2008
"Will Österreich sich... schon wieder schuldig machen, indem es die Judenmörder von heute und morgen unterstützt?"
Angaben zu Kurt Waldheim bei Wikipedia
Angaben zur Waldheim-Affäre bei Wikipedia
Artikel der New York Times, 10.4.1986
"ISRAELI EXAMINES U.N. FILE ON WALDHEIM"
Victor Ostrovsky: Geheimakte Mossad
Fotoreportage, Essen, 31.1.2012
"Eine Nazijägerin kommt nach 40 Jahren nach Essen zurück" - Veranstaltung mit Beate Klarsfeld
http://www.arbeiterfotografie.com/galerie/reportage-2012/index-2012-01-31-essen-beate-klarsfeld.html
Portraits von Beate Klarsfeld in der Rubrik 'Portraits unserer Zeit'
Kommentar von Günter Schenk aus Straßburg, Frankreich
Es war vorauszusehen: friedliebende Antifaschisten in Essen laden die französische "Antifaschistin" Beate Klarsfeld in die Essener Volkshochschule ein. Aber Fragen, welche Lehren wir aus den schweren Verbrechen der Vergangenheit für jetzt und heute zu ziehen haben, dazu war von ihr nichts zu erfahren. Madame Klarsfeld ist schließlich allseits
anerkannte Nazijägerin, eine wahrhaftige Spezialistin.
In Frankreich meinen ihre Kritiker, die Klarsfeld hätten die Verbrechen der Vergangenheit zu ihrem Beruf gewählt. Sie hatte vor Jahren in Essen durch die "Enttarnung" des damaligen FDP-Bundestagsabgeordneten Achenbach als Altnazi für Furore gesorgt, wie auch durch andere spektakuläre Aktionen die notwendige personelle Aufarbeitung von Verstrickung und Schuld in der Nazi-Zeit gesorgt.
Wer aber in Frankreich den Namen Klarsfeld, Beate, wie auch den ihres Ehemannes, des Anwaltes Serge hört, der verbindet diese Namen mit frühen Rechtfertigungen, bis hin zur Unterstützung aktueller Verbrechen wie den Angriffskrieg gegen Irak, die Nato-Intervention in Afghanistan, ja zu öffentlicher Anstachelung zu einem gewaltsamen Eingreifen gegen Iran.
Arno, der Sohn, trat als Freiwilliger in die israelische Armee ein und ließ sich stolz, mit umgehängter Uzi, fotografieren. In der Uniform einer von der Menschenrechtsorganisation der Vereinten Nationen schwerer Kriegsverbrechen, bis hin zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschuldigten Armee. Das Tragen dieser Uniform tat seiner "Ehre" keinen Abbruch. Er gilt als Vertrauter und Berater des aktuellen französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy, der ihn mit Sonderaufgaben betraute.
Dem Bericht der Arbeiterfotografie in der NRhZ ist zu verdanken, dass über die Essener Veranstaltung mit Frau Klarsfeld in bester journalistischer Manier berichtet wurde. Besonders aufmerksam hab ich den Bericht über die Schlussdiskussion gelesen, in der eine Zuhörerin all das zusammenfasste, was Frau Klarsfeld tatsächlich lobenswerter Weise in die öffentliche Diskussion gebracht hat, aber auch, was die übervorsichtige Moderation zu verhindern suchte.
Eine Brücke von Verbrechen, den schwersten im Namen Deutschlands und neuer Verbrechen mit Tausenden und Abertausenden unschuldiger Opfer, Verbrechen zu verantworten, nun nicht von Nazis, sondern von den Staaten des "freien Westen" zu verantworten. Die Rolle des französischen Staatspräsident Sarkozy im Angriffskrieg gegen Libyen ist von Frau Klarsfeld niemals kritisch hinterfragt worden, geschweige die aktuellen verbrecherischen Vorbereitungen eines Krieges gegen den Iran. Kein Wunder darum, das peinliche Kichern aufgrund einer durchaus relevanten Frage aus dem Saal.
Wären dies nicht die aus den Verbrechen der Nazis zu ziehenden Lehren? Wozu kann das Aufarbeiten vergangener Verbrechen dienen, wenn nicht der Verhinderung zukünfiger?
Ausführlich und bewegend lobte die Zuhörerin in der Schlussdebatte die tatsächlich notwendige Erinnerungsarbeit von Frau Klarsfeld, ersparte aber weder der aus Paris Angereisten, noch den Zuhörern ihren, in großer Sachlichkeit vorgebrachten Wunsch, doch von der Referentin eine Antwort zu erhalten zu den aktuellen Fragen von Verbrechen gegen Völker.
Hier aber bissen die Fragesteller auf Granit, denn das war denn wohl Frau Klarsfeld des Vergleichens zu viel. Dem Moderator, der dies "entschuldigend" ansprach, sei dies verziehen, denn, allein die ausführlichere Beantwortung dieser Fragen hätte, so wird er vermutet haben, seine Moderation aus dem Ufer treten lassen. Dem wäre er wohl nicht gewachsen gewesen, und es hätte wohl auch der zu zelebrierenden Harmonie der Veranstaltung Schaden zugeführt. Somit musste der Hunger der Anwesenden, aber auch der Lesers dieses Berichtes ungestillt bleiben.
Der Bericht von Arbeiterfotografie zeigt, dass objektive und engagierte Berichterstattung keine Gegensätze sein müssen. Diesen Bericht hätte man in der Tat von den Printmedien von Rhein und Ruhr nach der Veranstaltung erwarten müssen.
Danke - um so mehr - der Arbeiterfotografie! Dank auch an die NRhZ!
Günter Schenk
Straßburg, Frankreich
Mehr über Günter Schenk unter
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Online-Flyer Nr. 340 vom 08.02.2012