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Lokales
Kriminalstatistik 2011:
Und wieder „explodiert“ die Kriminalität in Köln.
Von Klaus Jünschke

Alle Jahre wieder, wenn die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) vorgestellt wird, erleben wir, dass die Boulevard-Medien zur Hochform auflaufen, sind es doch „sex and crime“ womit sie am meisten Geld verdienen. Der Kölner Express titelte am 13. März 2012 auf der halben ersten Seite „Köln: Immer mehr Verbrechen“ und darunter fett: Taschendiebstahl + 34%, Einbruch +13%, Betrug +30%, Vergewaltigung +8%. Das Ganze ist mit einem Foto unterlegt, das einen finsteren Typen zeigt mit Kapuze und Sturmhaube.
 
Auf der ganzen letzten Seite, dann der Artikel zu diesem Aufmacher: ganz oben werden rot unterlegt die Zahlen wiederholt, darunter ein Foto, das drei Polizisten zeigt, die einen Mann mit auf den Rücken gefesselten Händen abführen. Dazu die Schlagzeile mit fetten Lettern: „Kriminalität explodiert: Köln braucht mehr Polizisten.“ In einem Kasten wird ein Interview mit Rüdiger Thust, dem Chef des Bundes der Kriminalbeamten in Köln wiedergegeben. Titel: „Wenn wir nicht handeln, sind wir am Ende.“ Dazu das Originalzitat: „Wenn wir jetzt nicht massiv gegensteuern, werden wir der Kriminalität in unserer Stadt nicht mehr Herr.“
 
Die beiden Express-Redakteure, Oliver Meyer und Carsten Rust, legen sich ins Zeug und behaupten: „Die Zahlen der Kriminalstatistik 2011 beweisen: Die Polizei ist am Ende, die Straftaten explodieren in Köln und Leverkusen, die Bürger sind in großer Sorge.“
 
Im Kölner Stadt-Anzeiger erschien in den vergangenen Jahren regelmäßig eine etwas weniger aufgeregte Variante von der Präsentation der PKS im Polizeipräsidium mit der selben Stoßrichtung. In diesem Jahr war alles anders: Die Lokalredaktion der größten Kölner Tageszeitung hatte beschlossen, die Auseinandersetzung mit der polizeilichen Statistik zum Thema der Woche zu machen und startete am Montag, den 12. März mit einer zweiseitigen  Auseinandersetzung mit dem kriminalpolizeilichen Zahlenwerk. Titel: „Die Statistik wird ganz gern frisiert.“ Untertitel: „Kriminalität: Datenmaterial lässt sich sehr unterschiedlich interpretieren.“
 
Allein für diese beiden Seiten, die am Morgen vor der Präsentation der PKS erschienen sind, sollte Tim Stinauer, Kriminalreporter des Kölner Stadt-Anzeiger, ausgezeichnet werden. In der Hoffnung, dass Express, Bild und Kölnische Rundschau im kommenden Jahr nachziehen.
 
Die Leserinnen und Leser konnten an diesem Montag erfahren, was der Unterschied zwischen Hellfeld, den angezeigten Straftaten, und dem Dunkelfeld ist, den der Polizei nicht bekannt geworden Delikten. Es wurde anschaulich vermittelt, dass ein Ansteigen der Anzeigen nicht auf ein „Explodieren“ der Kriminalität zurückzuführen ist, sondern allein Resultat eines veränderten Anzeigeverhaltens sein kann.
 
In einem zweiten Artikel setzte sich Tim Stinauer mit dem Einfluss der Medien auf das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger auseinander: „Kriminologen der Uni Köln haben in einer Studie herausgefunden, dass die Berichterstattung in den Medien zu einer gesteigerten Kriminalitätsfurcht beitragen kann. Eines der Ergebnisse lautete: ‚Diejenigen, die sich in den Medien besonders intensiv über lokale Angelegenheiten informieren, sind auch furchtsamer.’“ Die Express-Redakteure haben das wie gesagt ignoriert und am folgenden Tag in der sattsam bekannten Art die Kriminalität wieder mal explodieren lassen.
 
Die Präsentation der PKS war am Dienstag, den 13.3.2012 auch im Stadt-Anzeiger das Hauptthema. Titel: „Kriminologe warnt vor voreiligen Schlüssen“. Am Ende seines Kommentars bleibt Tim Stinauer aber leider bei guten Ratschlägen an die Bürgerinnen und Bürger stehen und fragt: „So engagiert die Polizei in vielen Bereichen auch arbeiten mag: Oft sind es die Opfer, die es den Tätern denkbar einfach machen. Wie die Täter Statistik 2012 wohl aussehen würde, wenn wir ab sofort keine Portemonnaies mehr im offenen Rucksack herumtrügen, keine Wertsachen mehr im Auto liegen ließen und die Fenster schlössen, bevor wir die Wohnung verlassen?“
 
Der Kriminalreporter kommt hier leider nicht über „Die Kriminalpolizei rät“ hinaus. Das ist nicht nur verwunderlich, weil die Kriminologen seit 100 Jahren darauf verweisen, dass die beste Kriminalpolitik eine gute Sozialpolitik ist. Das ist auch deswegen schade, weil es der Stadt-Anzeiger immerhin geschafft hat, über mehrere aktuelle Studien zur wachsenden Kinderarmut ausführlich zu berichten und im Blatt mehrfach Christoph Butterwegge, einer der bundesweit anerkannten Armuts- und Reichtumsforscher, ausführlich zu Wort kam. 
 
Die Schwäche der Kriminalberichterstattung ist, dass sie die gesellschaftlichen Ursachen und die Kriminalpolitik bei der Kriminalisierung nicht ausreichend reflektiert. Das zeigt sich besonders deutlich beim Thema „Drogenkriminalität“. Am Donnerstag hat der Stadt-Anzeiger ein Gespräch mit dem neuen Kölner Polizeipräsidenten Wolfgang Albers und dem Chef der Kölner Kriminalpolizei, Norbert Wagner mit Tim Stinauer abgedruckt. Titel der Seite: „Drogenkriminalität auf null bringen.“
 
Nachdem schon vor Jahren im Magazin Focus das Ergebnis einer Umfrage unter den Polizeipräsidenten der Großstädte zum Thema Drogen nach zu lesen war – die Mehrheit hat sich für eine Entkriminalisierung des Drogenkonsums ausgesprochen -, war wenigstens zu erwarten, dass die Kölner Polizeichefs im Jahr 2012 hinter diesen Stand nicht zurückfallen würden. Immerhin hat der Bundestag im vergangenen Jahr Heroin als Medikament zur Behandlung von Süchtigen zugelassen. Aber weit gefehlt. Wolfgang Albers darf unkommentiert zum Thema „Rauschgiftkriminalität“ erzählen: „In diesem Bereich gibt es so gut wie keine Anzeigen. Das ist ein klassisches Kontrolldelikt. Statistisch gesehen könnte ich die Drogenkriminalität in Köln auf null bringen, ich müsste nur die zuständigen Kommissariate auflösen. Das werde ich aber nicht tun.“
 
Da war Joern Foegen, der verstorbene Leiter der JVA Köln, viel weiter. Er hat mehrfach öffentlich erklärt, dass er durch eine an Leidverminderung orientierte Drogenpolitik ein Drittel aller Zellen im Klingelpütz schließen könnte. Immerhin hat mit Tom Koenigs auch ein erster Bundestagsabgeordneter öffentlich erklärt, dass die Folgen der repressiven Drogenpolitik schlimmer sind, als die Drogen selbst. 
 
Und das verweist auf eine ganz andere Fragestellung als die Forderung nach immer mehr Polizei: wie muss eine Gesellschaft aussehen, in der die Bevölkerung mit weniger Polizei in größerer sozialer und persönlicher Sicherheit leben kann? Die Entkriminalisierung des Drogengebrauchs und des Drogenhandels sind genau wie weitere Anstrengungen zur Überwindung häuslicher Gewalt, Projekte gegen Kinderarmut und die Entkriminalisierung der Ausländergesetzgebung Antworten dazu. (PK)
 
 
 
 
 
 
 
 
 


Online-Flyer Nr. 346  vom 21.03.2012



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