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Inland
Kunst ist frei - aber nicht für Werner Tübke in Thüringen
Die Bilderstürmerinnen von Erfurt
Von Hans-Dieter Hey
Worum geht es? Die Ausstellung im Thüringer Landtag ist einem der großen deutschen Gegenwartsmaler, Werner Tübke, gewidmet, der vor zwei Jahren verstorben ist und in der ehemaligen DDR gewirkt hat. Tübke wurde vor allem durch das Bild "Frühbürgerliche Revolution" über den Bauernkrieg des 16. Jahrhunderts bekannt. Es ist mit 1.722 qm das größte Tafelbild der Welt und im Panoramamuseum von Bad Frankenhausen in Thüringen zu sehen.
Nach der sogenannten Wiedervereinigung forderten einige DDR-"Bürgerrechtler" und Politiker vor allem der CDU, den verächtlich als "Elefantenklo" abgekanzelten Museums-Rundbau von Bad Frankenhausen mit Tübkes altmeisterlichem Großwerk abzureißen. Die Zerstörung konnte im eifernden "Wende"-Klima mühsam verhindert werden, dafür vergreift man sich jetzt unter politischen Vorwänden an einem weniger bekannten Frühwerk Tübkes, das man zumindest aus der politischen Herrschaftssphäre verbannen möchte.
Weißer Terror - im Erfurter Landtag abgehängt
Foto: Galerie Schwind, Leipzig
Bei dem aktuell umstrittenen Bild handelt es sich um eine Zeichnung des damals 28jährigen Werner Tübke aus der Serie "Faschistischer Terror in Ungarn" mit dem Titel "Weißer Terror". Es beleuchtet die Zeit des Ungarn-Aufstands 1956, der den Künstler offensichtlich tief beeindruckt hatte. Zu sehen ist auf dem Bild ein Gelynchter, der von einem Laternenpfahl heruntergenommen wird. Nach Intervention der Stasi-Landesbeauftragten Neubert ließ die thüringische Landtagspräsidentin Prof. Dagmar Schipanski (CDU) den Aufgehängten sofort aus der Ausstellung nehmen, ohne die Aussteller zu benachrichtigen. Landauf, landab ließ sie medial verbreiten, dass das Bild nicht dem vom Parlament vertretenen Geschichtsbild entspräche und eine Verhöhnung des Freiheitswillens des ungarischen Volkes sei. Stattdessen hat Schipanski Tübkes Bild "Vorsaison an der Ostsee" aufgehängt - bisher noch ohne Einwände von Hildigund Neubert.
Man könnte die ganze Geschichte als lächerlich-absurde Provinz-Parlamentsposse abtun, wenn nicht einige klärenswerte Fragen auftauchten. Beispielsweise die, wieso es zu den Aufgaben der Landesbeauftragten für Stasi-Unterlagen gehört, eine Ausstellung zu zensieren und ein Bild entfernen zu lassen, das keinerlei Bezug zu den Aufgaben einer "Stasi-Beauftragten" enthält. Da eine Erklärung hierfür fehlt, mutmaßt die Vizepräsidentin des Thüringer Landtags, Dr. Birgit Klaubert (PDS), gegenüber der NRHZ ironisch: "Frau Neubert wurde in der damaligen DDR sozialisiert, offensichtlich hat sie das bis heute nicht überwunden und auch nicht verstanden. In der Zensur von Kunst haben wir nämlich 50 Jahre Erfahrung."
Mit Zensur hatte Werner Tübke - der sich widerborstig nie in ein System zwingen ließ - auch schon zu DDR-Zeiten seine Schwierigkeiten. Vor allem auch wegen eben dieses Bildes mit dem schließlich hochoffiziell vom damaligen Ministerium für Kunst genehmigten Titel "Weißer Terror". Und hier taucht als nächste Frage die nach dem Geschichtsverständnis der Landtagspräsidentin Prof. Schipanski auf, das sie offenbar dem gesamten Thüringer Parlament überstülpen will. Mit dem Bildtitel wird darauf verwiesen, dass in der Zeit des Ungarnaufstandes eben auch restaurative Kräfte eine Chance sahen, die Macht wieder an sich zu reißen. Zu diesen Kräften gehörten unter anderen die so genannten Horthy-Faschisten. Die beriefen sich auf den ungarischen Diktator Miklós Horthy, der bereits vor dem Krieg mit Adolf Hitler paktiert und Ungarn bis 1945 brutal traktiert hatte. Dass die Horthy-Faschisten zur Zeit des Aufstandes lynchend durch die Straßen von Budapest liefen und Angst und Schrecken verbreiteten, ist historische Realität, die das schwarz-weiß gestrickte Geschichtsbild von Frau Schipanski offensichtlich nicht wahrhaben will.
Differenzierter geht Tübke dagegen mit dem Thema um und zeigt die andere Seite des Terrors während des Aufstandes, mit dem sich die Ungarn unter großen Opfern vom Einfluss der sowjetischen Vorherrschaft befreien wollten. Mit seiner ikonographischen Darstellung in einer deutlich an religiöse Sakralkunst von Mittelalter und Renaissance anknüpfenden Bildsprache weigert er sich, dem "sozialistischen Realismus" der DDR zu folgen, unterläuft die erwarteten Muster und eröffnet weitere Interpretationsmöglichkeiten.
Sogar die realsozialistischer Neigungen unverdächtige FAZ schrieb 2004 über den "Malermönch" Tübke: "Mit seinem Werk bewies er, dass die komplizierten alten Bildsprachen sich durchaus für eine Analyse moderner Geschichtskomplexe und schwieriger Seelenverfassungen eignen." Wegen seiner eigenwilligen Interpretation der Geschehnisse im Gegensatz zur offiziellen Sichtweise gerade in der nun als DDR-Propagandakunst abqualifizierten Bildserie zum Ungarnaufstand hat sich Tübke schon heftig mit der SED-Parteiführung in Leipzig gefetzt. Seine ausgesprochen kritische Auseinandersetzung mit den Parteibürokraten geht aus einer Gesprächsaufzeichnung von Sonja Kurella aus dem Jahr 2001 hervor, die zu DDR-Zeiten Mitarbeiterin der Kulturabteilung des Zentralkomitees der SED war. Der damalige Parteivorsitzende Leipzigs, Paul Fröhlich, wollte den Künstler deshalb aus der SED ausschließen, der Tübke seit 1950 angehörte. Stattdessen entließ man ihn "nur" aus den Diensten der Hochschule.
Mit dem Abhängen des Bildes jetzt in Erfurt tut man dem Künstler im Nachhinein erneut Unrecht. Tübke, das muss denen entgegengehalten werden, die ihn ohne besondere Kenntnis pauschal als SED-Hofmaler oder DDR-Staatskünstler abqualifizieren, passte eben nie ins Welt- und Geschichtsbild der jeweils Herrschenden, egal ob 1956 oder 2006. Deshalb, so der geschäftsführende Direktor der galerie.leipziger-schule im GALERIE HOTEL LEIPZIGER HOF, Prof. Dr. Klaus Eberhard, sei das Foto der Leipziger Malerin Saane Süßmilch von Werner und Brigitte Tübke besonders symbolträchtig: "Werner Tübke hat immer wieder die wichtige, abschirmende Rolle seiner Frau betont, die ihm ermöglichte, sich ausschließlich seiner Malerei zu widmen."
Werner Tübke - passte nie ins Bild der Herrschenden
Foto: Saane Süßmilch,(c) Galerie Hotel Leipziger Hof
Es ist das letzte Foto von Werner Tübke in der 'galerie.leipziger-schule'.
Und damit taucht eine letzte Frage auf: Die Kunst ist frei. Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern, zu verbreiten und sich zu informieren. Eine Zensur findet nicht statt. So steht's bisher noch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, in die die DDR samt Erfurt vor einigen Jahren eingemeindet wurde. Gilt diese Freiheit nun in Thüringen oder nicht? Darüber sollten die Stasi-Landesbeautragte und die Landtagspräsidentin von Thüringen doch noch mal ein bisschen genauer nachdenken.
Online-Flyer Nr. 53 vom 18.07.2006
Kunst ist frei - aber nicht für Werner Tübke in Thüringen
Die Bilderstürmerinnen von Erfurt
Von Hans-Dieter Hey
Worum geht es? Die Ausstellung im Thüringer Landtag ist einem der großen deutschen Gegenwartsmaler, Werner Tübke, gewidmet, der vor zwei Jahren verstorben ist und in der ehemaligen DDR gewirkt hat. Tübke wurde vor allem durch das Bild "Frühbürgerliche Revolution" über den Bauernkrieg des 16. Jahrhunderts bekannt. Es ist mit 1.722 qm das größte Tafelbild der Welt und im Panoramamuseum von Bad Frankenhausen in Thüringen zu sehen.
Nach der sogenannten Wiedervereinigung forderten einige DDR-"Bürgerrechtler" und Politiker vor allem der CDU, den verächtlich als "Elefantenklo" abgekanzelten Museums-Rundbau von Bad Frankenhausen mit Tübkes altmeisterlichem Großwerk abzureißen. Die Zerstörung konnte im eifernden "Wende"-Klima mühsam verhindert werden, dafür vergreift man sich jetzt unter politischen Vorwänden an einem weniger bekannten Frühwerk Tübkes, das man zumindest aus der politischen Herrschaftssphäre verbannen möchte.
Weißer Terror - im Erfurter Landtag abgehängt
Foto: Galerie Schwind, Leipzig
Bei dem aktuell umstrittenen Bild handelt es sich um eine Zeichnung des damals 28jährigen Werner Tübke aus der Serie "Faschistischer Terror in Ungarn" mit dem Titel "Weißer Terror". Es beleuchtet die Zeit des Ungarn-Aufstands 1956, der den Künstler offensichtlich tief beeindruckt hatte. Zu sehen ist auf dem Bild ein Gelynchter, der von einem Laternenpfahl heruntergenommen wird. Nach Intervention der Stasi-Landesbeauftragten Neubert ließ die thüringische Landtagspräsidentin Prof. Dagmar Schipanski (CDU) den Aufgehängten sofort aus der Ausstellung nehmen, ohne die Aussteller zu benachrichtigen. Landauf, landab ließ sie medial verbreiten, dass das Bild nicht dem vom Parlament vertretenen Geschichtsbild entspräche und eine Verhöhnung des Freiheitswillens des ungarischen Volkes sei. Stattdessen hat Schipanski Tübkes Bild "Vorsaison an der Ostsee" aufgehängt - bisher noch ohne Einwände von Hildigund Neubert.
Man könnte die ganze Geschichte als lächerlich-absurde Provinz-Parlamentsposse abtun, wenn nicht einige klärenswerte Fragen auftauchten. Beispielsweise die, wieso es zu den Aufgaben der Landesbeauftragten für Stasi-Unterlagen gehört, eine Ausstellung zu zensieren und ein Bild entfernen zu lassen, das keinerlei Bezug zu den Aufgaben einer "Stasi-Beauftragten" enthält. Da eine Erklärung hierfür fehlt, mutmaßt die Vizepräsidentin des Thüringer Landtags, Dr. Birgit Klaubert (PDS), gegenüber der NRHZ ironisch: "Frau Neubert wurde in der damaligen DDR sozialisiert, offensichtlich hat sie das bis heute nicht überwunden und auch nicht verstanden. In der Zensur von Kunst haben wir nämlich 50 Jahre Erfahrung."
Mit Zensur hatte Werner Tübke - der sich widerborstig nie in ein System zwingen ließ - auch schon zu DDR-Zeiten seine Schwierigkeiten. Vor allem auch wegen eben dieses Bildes mit dem schließlich hochoffiziell vom damaligen Ministerium für Kunst genehmigten Titel "Weißer Terror". Und hier taucht als nächste Frage die nach dem Geschichtsverständnis der Landtagspräsidentin Prof. Schipanski auf, das sie offenbar dem gesamten Thüringer Parlament überstülpen will. Mit dem Bildtitel wird darauf verwiesen, dass in der Zeit des Ungarnaufstandes eben auch restaurative Kräfte eine Chance sahen, die Macht wieder an sich zu reißen. Zu diesen Kräften gehörten unter anderen die so genannten Horthy-Faschisten. Die beriefen sich auf den ungarischen Diktator Miklós Horthy, der bereits vor dem Krieg mit Adolf Hitler paktiert und Ungarn bis 1945 brutal traktiert hatte. Dass die Horthy-Faschisten zur Zeit des Aufstandes lynchend durch die Straßen von Budapest liefen und Angst und Schrecken verbreiteten, ist historische Realität, die das schwarz-weiß gestrickte Geschichtsbild von Frau Schipanski offensichtlich nicht wahrhaben will.
Differenzierter geht Tübke dagegen mit dem Thema um und zeigt die andere Seite des Terrors während des Aufstandes, mit dem sich die Ungarn unter großen Opfern vom Einfluss der sowjetischen Vorherrschaft befreien wollten. Mit seiner ikonographischen Darstellung in einer deutlich an religiöse Sakralkunst von Mittelalter und Renaissance anknüpfenden Bildsprache weigert er sich, dem "sozialistischen Realismus" der DDR zu folgen, unterläuft die erwarteten Muster und eröffnet weitere Interpretationsmöglichkeiten.
Sogar die realsozialistischer Neigungen unverdächtige FAZ schrieb 2004 über den "Malermönch" Tübke: "Mit seinem Werk bewies er, dass die komplizierten alten Bildsprachen sich durchaus für eine Analyse moderner Geschichtskomplexe und schwieriger Seelenverfassungen eignen." Wegen seiner eigenwilligen Interpretation der Geschehnisse im Gegensatz zur offiziellen Sichtweise gerade in der nun als DDR-Propagandakunst abqualifizierten Bildserie zum Ungarnaufstand hat sich Tübke schon heftig mit der SED-Parteiführung in Leipzig gefetzt. Seine ausgesprochen kritische Auseinandersetzung mit den Parteibürokraten geht aus einer Gesprächsaufzeichnung von Sonja Kurella aus dem Jahr 2001 hervor, die zu DDR-Zeiten Mitarbeiterin der Kulturabteilung des Zentralkomitees der SED war. Der damalige Parteivorsitzende Leipzigs, Paul Fröhlich, wollte den Künstler deshalb aus der SED ausschließen, der Tübke seit 1950 angehörte. Stattdessen entließ man ihn "nur" aus den Diensten der Hochschule.
Mit dem Abhängen des Bildes jetzt in Erfurt tut man dem Künstler im Nachhinein erneut Unrecht. Tübke, das muss denen entgegengehalten werden, die ihn ohne besondere Kenntnis pauschal als SED-Hofmaler oder DDR-Staatskünstler abqualifizieren, passte eben nie ins Welt- und Geschichtsbild der jeweils Herrschenden, egal ob 1956 oder 2006. Deshalb, so der geschäftsführende Direktor der galerie.leipziger-schule im GALERIE HOTEL LEIPZIGER HOF, Prof. Dr. Klaus Eberhard, sei das Foto der Leipziger Malerin Saane Süßmilch von Werner und Brigitte Tübke besonders symbolträchtig: "Werner Tübke hat immer wieder die wichtige, abschirmende Rolle seiner Frau betont, die ihm ermöglichte, sich ausschließlich seiner Malerei zu widmen."
Werner Tübke - passte nie ins Bild der Herrschenden
Foto: Saane Süßmilch,(c) Galerie Hotel Leipziger Hof
Es ist das letzte Foto von Werner Tübke in der 'galerie.leipziger-schule'.
Und damit taucht eine letzte Frage auf: Die Kunst ist frei. Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern, zu verbreiten und sich zu informieren. Eine Zensur findet nicht statt. So steht's bisher noch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, in die die DDR samt Erfurt vor einigen Jahren eingemeindet wurde. Gilt diese Freiheit nun in Thüringen oder nicht? Darüber sollten die Stasi-Landesbeautragte und die Landtagspräsidentin von Thüringen doch noch mal ein bisschen genauer nachdenken.
Online-Flyer Nr. 53 vom 18.07.2006