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Inland
In Bielefeld wurden die BigBrotherAwards 2012 verliehen
Sieben Datenmißbraucher ausgezeichnet
Von Peter Kleinert
Ein Spielehersteller und und einer von Schnüffelchips für Wasser in Schulen gehörten zu den "Gewinnern" der sieben BigBrotherAwards, die am Freitag, 13. April, in Bielefeld verliehen wurden. Neben den Firmen Blizzard Entertainment für das Spiel "World of Warcraft" in der Kategorie Verbraucherschutz und der Brita GmbH für das Projekt "Schoolwater" (Wirtschaft) wurden auch die Firma bofrost (Arbeitswelt), die Gamma International (Technik) und „die Cloud“ (Kommunikation) ausgezeichnet. Sozusagen als Dauerbrenner haben auch zwei Politiker den Preis bekommen: CSU-Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (Politik) und der sächsische CDU-Innenminister Markus Ulbig (Behörden und Verwaltung).
Online-Flyer Nr. 350 vom 18.04.2012
In Bielefeld wurden die BigBrotherAwards 2012 verliehen
Sieben Datenmißbraucher ausgezeichnet
Von Peter Kleinert
Ein Spielehersteller und und einer von Schnüffelchips für Wasser in Schulen gehörten zu den "Gewinnern" der sieben BigBrotherAwards, die am Freitag, 13. April, in Bielefeld verliehen wurden. Neben den Firmen Blizzard Entertainment für das Spiel "World of Warcraft" in der Kategorie Verbraucherschutz und der Brita GmbH für das Projekt "Schoolwater" (Wirtschaft) wurden auch die Firma bofrost (Arbeitswelt), die Gamma International (Technik) und „die Cloud“ (Kommunikation) ausgezeichnet. Sozusagen als Dauerbrenner haben auch zwei Politiker den Preis bekommen: CSU-Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (Politik) und der sächsische CDU-Innenminister Markus Ulbig (Behörden und Verwaltung).
Die Preise sollen vor allem auf die Datenschutzproblematik aufmerksam machen und negative Entwicklungen aufzeigen. Der Name dieser internationalen Negativ-Auszeichnung spielt auf die Figur des "Big Brother" (Großer Bruder) in dem Roman von George Orwell aus dem Jahr 1984 an. Seit dem Jahr 2000 wird er auch in Deutschland verliehen, wo der Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V. (FoeBuD) Stifter und Ausrichter dieses Negativpreises für Datenkraken ist. Neben FoeBuD gehören zur Jury der Chaos Computer Club e.V. (CCC), die Deutsche Vereinigung für Datenschutz e.V. (DVD), der Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft e.V. (FITUG), das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung e.V. (FIfF), die Humanistische Union e.V. (HU) und die Internationale Liga für Menschenrechte (ILMR).
Blizzard Entertainment
Die Firma Blizzard Entertainment erhielt den BigBrotherAward 2012 in der Kategorie "Verbraucherschutz“ für diverse Datenschutzverletzungen bei ihren Online-Spielen (z.B. "World of Warcraft"). Aus der protokollierten Spieldauer, erhobenen Rechnerdaten, dem Abgleich von Freundeslisten und dem zum Teil öffentlich im Netz einsehbaren Spielerverhalten (z.B. wie hat jemand eine bestimmte Aufgabe gelöst) lassen sich Persönlichkeitsprofile und Charakterstudien erstellen. „Psychologen können daraus ablesen, wer eine militärische Laufbahn einschlagen könnte, wer in der Bankbonität herabgestuft werden sollte, wer über Führungsqualitäten verfügt, wer potenziell spielsüchtig oder wahrscheinlich arbeitslos ist“, so Laudator Frans Valenta vom Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung. Für eine entsprechende Auswertung wurde von Blizzard Entertainment bereits 2007 ein US-Patent eingetragen – auf einen wissenschaftlichen Mitarbeiter von Google. Stück für Stück werden die Methoden zur Datenklauberei in den endlosen Nutzungsbedingungen weiter ausgeweitet. Immerhin: Der Versuch, den Zwang zu öffentlichen realen Klarnamen einzuführen, wurde durch Spielerproteste verhindert – noch.
Brita GmbH
Für ihre kostenpflichtigen Wasserspender in Schulen, die unter dem Namen
"Schoolwater“ vermarktet werden, wurde in der Kategorie Wirtschaft die Firma Brita GmbH ausgezeichnet. Diese Geräte geben nur dann Wasser ab, wenn ein Kind es mit einer mit einem RFID-Funkchip verwanzten Flasche abzapft. Auf die Gefahren von Funkchips, die man berührungslos auslesen kann, ohne dass der/die Träger/in das bemerkt, hatten FoeBuD und die anderen Jury-Organisationen in den vergangenen Jahren wiederholt hingewiesen. Dieses Wasserflaschen-System zeige in besonders eklatanter Weise den Versuch, Übertechnisierung, Überwachung und Bevormundung schon im frühen Kindesalter zu etablieren. Außerdem kritisierten sie nun mit ihrer Preisvergabe, dass damit Leitungswasser zu einem teuren, exklusiven Lebensmittel gemacht wird, anstatt es Kindern in der Schule als allgemeine Gesundheitsvorsorge unbegrenzt zur Verfügung zu stellen.
"Cloud"
In der Kategorie Kommunikation ging der Preis an die "Cloud" für deren Trend, Nutzerinnen und Nutzern die Kontrolle über ihre Daten zu entziehen. Wer Adressbücher und Fotos – und damit die Daten anderer Menschen – oder Archive, Vertriebsinfos und Firmeninterna unverschlüsselt in den undurchsichtigen Nebel der Cloud verlagert, handelt mindestens fahrlässig. Fast alle Cloud-Anbieter sind amerikanische Firmen – und die sind laut Foreign Intelligence Surveillance Act verpflichtet, US-Behörden Zugriff auf alle Daten in der Cloud zu geben, auch wenn sich die Rechnerparks auf europäischem Boden befinden. Das 2008 vom Bundesverfassungsgericht postulierte Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme wird damit eklatant verletzt.
Gamma International
In der Kategorie Technik erhielt die Gamma Group, in Deutschland vertreten durch die Gamma International, namentlich den Prokuristen Stephan Oelkers in München, den Preis für ihre Software „FinFisher“. Gamma wirbt damit, dass Sicherheitslücken in iTunes und Skype genutzt werden, um z.B. per gefälschte Updates Spionagesoftware auf andere Rechner einzuschleusen und über ihre Software FinSpy Mobile auch auf Blackberrys zugreifen zu können. Gamma-Software wird an Geheimdienste und staatliche Institutionen im In- und Ausland verkauft. Gefunden wurde sie zum Beispiel bei der Erstürmung der Kairoer Zentrale des ägyptischen Geheimdienstes durch Bürgerrechtler.
Bofrost
In der Kategorie Arbeitswelt erhielt den Preis der Tiefkühlkost-Lieferant Bofrost für seine rechtswidrige Ausforschung von Daten auf dem Computer eines Betriebsrats mit Hilfe der Fernbedienungssoftware Ultra VNC ohne dessen Wissen. Bofrost hatte die Dateiinformation eines dort gefundenen Schreibens verwendet, um einem anderen Betriebsratsmitglied zu kündigen. Das Arbeitsgericht hat die Unzulässigkeit dieses Vorgehens bestätigt worauf Bofrost in einem gerichtlichem Vergleich zusicherte, dies in Zukunft zu unterlassen.
Sachsens Innenminister Markus Ulbig
Der BigBrotherAward in der Kategorie Behörden und Verwaltung ging an den Sächsischen Staatsminister des Inneren, Markus Ulbig (CDU), für Funkzellenabfragen im Raum Dresden. Nachdem am 19. Februar 2011 in Dresden 20.000 Menschen gegen einen Nazi-Aufmarsch demonstriert hatten, forderten das Landeskriminalamt und die Polizei in Dresden die Telekommunikationsverbindungsdaten für 28 Funkzellen an, die Masse davon aus dem örtlichen Bereich des Versammlungsgeschehens. Bald tauchten die erhobenen Daten in Strafverfahren auf, für die man sicher keine Funkzellenabfrage genehmigt bekommen hätte. Preisträger Markus Ulbig verteidigt diesen Daten-Tsunami von über einer Million Datensätzen zu inzwischen mehr als 55.000 identifizierten Anschlussinhaberinnen und -inhabern bis heute als rechtmäßig.
Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich
Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich (CSU) wurde in der Kategorie Politik ausgezeichnet: für die Einrichtung eines Cyber-Abwehrzentrums ohne Legitimation durch den Bundestag, für die Einrichtung eines Gemeinsamen Abwehrzentrums gegen Rechtsextremismus (GAR), ebenfalls am Parlament vorbei, sowie für den Plan, alsbald eine gemeinsame zentrale Verbunddatei "gewaltbezogener Rechtsextremismus“ einzurichten. Mit der geplanten Verbunddatei und den neuen Abwehrzentren werden Polizei, Geheimdienste und teilweise das Militär auf problematische Weise vernetzt und verzahnt – unter Missachtung des historisch begründeten Verfassungsgebotes, nach dem diese Sicherheitsbehörden strikt voneinander getrennt sein und getrennt arbeiten müssen. (PK)
Um unsere LeserInnen mehr als die üblichen Medien über die Datenschutzproblematik und den möglichen Missbrauch von Daten zu informieren, dem sie auch selbst zum Opfer fallen können, werden wir die in Bielefeld gehaltenen Preisreden in den nächsten NRhZ-Ausgaben veröffentlichen. Wir beginnen in dieser Ausgabe mit der Rede von Dr. Rolf Gössner von der Internationalen Liga für Menschenrechte, dem wir am Abend des 15. Mai ab 19 Uhr den dritten Kölner Karls-Preis in der Gaststätte "Weißer Holunder" in der Gladbacher Straße verleihen werden.
Online-Flyer Nr. 350 vom 18.04.2012