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Aktueller Online-Flyer vom 23. November 2024  

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Kommentar
Kommentar vom Hochblauen
Die deutschen Spezialisten für Menschenrechte!
Von Evelyn Hecht-Galinski

Ja wir haben sie, die immer bereiten Spezialisten für Menschenrechte. Sie sind schnell dabei, wenn es um deutsche politische Interessen geht. Zählen wir einige von ihnen auf: Volker Beck, der auf dem Israel-Kongress von Honestly Concerned sprach. Er setzt sich so stark für Julia Timoschenko ein. Tom Koenigs, grüner Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, ebenfalls. Ingo Schulz, Bündnis 90, die Grünen. Markus Meckel von der SPD, bläst ins gleiche Horn. Er zieht sogar seinen Hut vor Markus Löning, dem Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, dass er so klar Position bezieht. Alles für Frau Timoschenko und gegen die Menschenrechtsverletzungen der Ukraine. Schwor diese "Jeanne d`Arc“ der Ukraine nicht schon vor zehn Jahren, nach ihrer Entlassung aus der Untersuchungshaft ganz in Weiß gekleidet, ihren politischen Gegnern Rache? Julia Timoschenkos System kennt nur Freunde und Feinde, unvergessen bis heute ihr Machtkampf mit Juschtschenko, wo sie schon damals versuchte, westliche Verbündete für ihr Machtstreben und ihre Geldgier für sich zu gewinnen. Warum setzt sich Kanzlerin Merkel also schon seit Monaten so vehement für die Freilassung der, wegen umstrittener, und für Timoschenko sehr gewinnbringende Gasgeschäfte mit Russland verurteilte Politikerin ein? Soll Timoschenko in Deutschland behandelt werden, um dann eine neue Runde im ukrainischen Wahl/Machtkampf einzuleiten? Noch bis zur ukrainischen Parlamentswahl im kommenden Herbst? Diese Einmischung in die ukrainische Politik könnte für Deutschland mehr als unangenehm werden. Wichtiger als die machtbesessene Politikerin scheinen mir die vielen unschuldig einsitzenden politischen Häftlinge. Hier zeigt sich erneut das traurige Schauspiel der deutschen Politik, die für die wirklichen Menschenrechtsvergehen kein Auge hat.


Julia Timoschenko
Quelle: http://de.rian.ru/politics
 
Und neben Ruprecht Polenz, seit 2005 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, bezog natürlich unser oberster Menschenrechtsspezialist und ehemaliger Bürgerrechtler, Bundespräsident Joachim Gauck, der Mann der Freiheit, am eindeutigsten Stellung und sagte gleich seine Reise in die Ukraine ab. Natürlich in Absprache mit "Chefin" Merkel, eine besonders ausgewiesene Menschenrechtsspezialistin und ehemalige DDR-Mitbürgerin von Herrn Gauck.
 
Vergessen wir nicht das Charité-Team unter Prof. Einhäupl, das schon mit Schmerztherapeuten, Physiotherapeuten, Psychologen und ähnlichem bereit steht, um sich ganz Frau Timoschenko widmen zu können. - Nicht dass man mich falsch versteht, auch ich bin sehr für die Einhaltung der Menschenrechte! Aber warum gilt diese hektische Aktivität besonders verurteilten Poltikerinnen wie Timoschenko oder Oligarchen wie Michail Chordorskowski? Verurteilte man sie nicht - jenseits politischer Absichten - wirklich wegen Vergehen?
 
In Bahrein durften die Saudis der Herrscherfamilie bei der Niederschlagung von Protesten helfen, besonders blutig und mörderisch! Wahrscheinlich auch noch mit unseren Leopard-Panzern! Groß ist der Aufschrei gegen das syrische Regime! In Libyen wurde der ehemals auch von der Bundesregierung hofierte Gaddafi ermordet. Mubarak wollte man auch nicht gehen lassen. Ben Ali, dem Frankreich noch zur Niederschlagung der Proteste mit französischen Polizisten zu Hilfe kommen wollte. Vergessen wir nicht Bin Laden und die Taliban, die wie Saddam Hussein ebenfalls vom Freund zum Feind wurden - denke man nur an die vielen schönen Fotos dieser Persönlichkeiten mit unseren und anderen westlichen Führungsfiguren. Frau Merkel eröffnete soeben mit dem chinesischen Ministerpräsidenten die Hannover Messe, Dissidenten mussten zuhause bleiben! Und wurde nicht unser vor-vor-Bundespräsident Köhler ein Opfer seiner leichtfertigen Ehrlichkeit, indem er sogar Kriege im Namen der Wirtschaftsinteressen nicht ausschließen wollte? So weit nur eine kleine Auswahl von Verlogenheit der Politik, mit der wir ständig "verdummt" werden.
 
Lassen Sie mich aber jetzt zum eigentlichen Punkt kommen, der mir speziell auf dem Herzen liegt: In israelischen Gefängnissen sitzen etwa 4.600 Palästinenser, wegen Straftaten gegen die Sicherheit Israels. Der palästinensische Ministerpräsident forderte zu Recht, sie endlich als Kriegsgefangene anzuerkennen. "Das wird der erste Schritt zu ihrer Freilassung sein", zitierte ihn die palästinensische Nachrichtenagentur WAFA. 1.350 dieser Häftlinge begannen am 17. April einen Hungerstreik, um auf ihren Kampf für ein menschenwürdiges Leben und Freiheit für sie und ihr Volk aufmerksam zu machen. Haben wir in "unseren Medien" etwas darüber gelesen, gehört oder gesehen - vergleichbar zu dem, was wir täglich über Julia Timoschenko erfahren? Diese Gefangenen sitzen in Gefängnissen außerhalb vom Westjordanland und Gaza. Angehörige dürfen sie kaum besuchen, man hält sie im Widerspruch zu allen Konventionen gefangen, unter Bedingungen, die allen Menschenrechten widersprechen. Unter ihnen Frauen, Kranke und Minderjährige. Man versorgt sie schlecht mit Nahrungsmitteln, nimmt ihnen jegliche Menschenwürde und demütigt ihre Angehörigen systematisch an den israelischen Militärsperren, wenn sie dann doch einmal zu Besuchen der Gefangenen kommen dürfen.
 
Besonders schlimm trifft es die Gefangenen aus dem Gazastreifen, sie werden noch größeren Schikanen ausgesetzt. Unter diesen Gedemütigten sitzen auch etwa 320 Häftlinge in sogenannter Verwaltungshaft. Sie können ohne Anklage, nur an Hand von geheimen Ermittlungsergebnissen für jeweils verlängerbare Zeiträume von sechs Monaten festgehalten werden. Diese palästinensischen Häftlinge – unter dem zionistisch/rassistischen Regime des jüdischen Staates unrechtmäßig festgehalten – verdienen unser aller Solidarität und Anteilnahme.
 
Herr Bundespräsident Gauck, wie wäre es, wenn Sie aus Protest gegen diese und andere Menschenrechtsverletzungen des jüdischen Staates Israel, auf Ihre für Mai geplante Reise verzichten würden? Wäre das nicht der richtige Ansatz für den Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit? Oder klammern sie den Kampf der Palästinenser für Freiheit, gegen ihre Besatzung und Enteignung einfach aus, nur weil es eben Israel ist und unsere besonderen Beziehungen betrifft? Sollten sie doch fahren, könnten sie ein Zeichen setzen und sich an Ort und Stelle für die Entrechteten und Unterdrückten einsetzen. Besuchen Sie nicht nur Jad Vaschem, sondern blicken Sie dann auch auf Dir Yassin, den schrecklichen Ort eines Massakers, angerichtet von jüdischen Terroristen der Irgun- und Stern-Gruppe, direkt gegenüber.
 
Gehen sie in die besetzten Gebiete, inklusive Gaza und schauen Sie sich die Apartheidmauer an, viel schlimmer und höher als die Berliner Mauer – und am allerschlimmsten zum größten Teil auf geraubtem palästinensischen Land. Sie machen sich sonst UNGLAUBWÜRDIG, Herr Bundespräsident! Als Reisebegleitung empfehle ich Ihnen nicht den Präsidenten des Zentralrates der Juden, Dieter (mir graut vor Dir) Graumann, sondern die ganzen oben erwähnten Menschenrechtsspezialisten.
 
Es ist eine Schande, dass Israel ungestraft weiter so handeln darf, wie es das seit der Staatsgründung tut. Feiert Israel den 64. Jahrestag seiner Staatsgründung am 14. Mai nicht im Schatten der Nakba, also der Katastrophe für die Palästinenser? Werden wir nicht immer wieder und immer schlimmerer Propaganda der Israel-Versteher und ihrer Medien-Helfer
überzogen? Dagegen immun zu werden und diese unwahren propagandistischen Mythen nicht mehr einfach hinzunehmen, müssen wir alle noch lernen.
 
Das führt mich direkt zur Springer-Presse. Ich will nicht nur keine BILD im Briefkasten, sondern auch keine Stürmer der Woche, wie sie am 22. April in der Welt am Sonntag stürmten. Schlimmerweise liegt die Welt, oder Welt am Sonntag fast in jedem Hotel in Deutschland KOSTENLOS aus! Also an besagtem 22. April fiel mir durch Zufall die Welt am Sonntag auf, da die erste Seite titelte: Repräsentative Umfrage der "Welt am Sonntag": Die klare Mehrheit der Deutschen steht an der Seite Israels. Ich rieb mir die Augen und wunderte mich, hatte ich doch ganz andere Umfragen gelesen. Aber war es nicht genau so, als man Volkes Meinung nicht hören wollte, um den Denunzierungskrieg gegen Günter Grass in den Medien besser gewinnen zu können? Wir wissen ja, nicht zuletzt nach der "Islamstudie" des
Bundesinnenministeriums, wie man Studien und Umfragen manipulieren und
instrumentalisieren kann.
 
Aber es kam noch schlimmer in der Welt am Sonntag! Auf Seite acht und neun gab es ein Exclusiv-Interview mit dem israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu, geführt speziell zum Holocaust-Gedenktag, unter anderem von einem Broder-Spezi und Welt-Kollegen, nämlich Clemens Wergin und Kollege/innen. Dieses Interview war so klebrig unterwürfig und gefährlich unwahr, dass es schon fast eine Satire war, wäre es nicht wirklich so ernst, wie Israel - wie Grass sehr richtig betonte - den Weltfrieden bedroht. Es bedroht aber auch den inneren Frieden, indem das israelische Justizministerium momentan an einem neuen Gesetzentwurf arbeitet, der den Einfluss des Obersten Gerichts einschänken soll, das in den Palästinensergebieten immer wieder Siedler und Armee stoppte.  
 
Ich möchte hier nur einige Aussagen von Netanjahu wiedergeben, die für sich sprechen: "Netanjahu betonte, dass die Sicherheitszusammenarbeit mit Deutschland auf Gegenseitigkeit beruht und in einer Weise, die der deutschen Öffentlichkeit wahrscheinlich nicht allgemein bekannt ist. Denn wir kooperieren auch in Sachen Geheimdienstinformationen und bei der Terrorbekämpfung."
"Wir haben uns gegen undenkbare Widerstände durchgesetzt und haben ein unglaublich progressives (meinte er nicht aggressives?) Land aufgebaut mit einer der höchst entwickelten technologischen Ökonomien der Welt?"
"Wir haben Versprengte aus der Diaspora zurückgebracht, sowie es die biblische Prophezeihung verhieß?"
"Es kommt einem Wunder gleich. Aber Wunder gibt es in der Geschichte nicht umsonst. Jedes Volk kann nur eine begrenzte Zahl davon vollbringen. Also müssen wir stark bleiben und dieses Wunder gegen all die zu schützen, die uns auslöschen wollen".
 
Netanjahu zeigt in dem ganzen Interview mit Hilfe der Springer-Stürmer, wie er denkt und handelt. Rückkehrrecht, selbstverständlich, aber nur für Juden. Für die unrechtmäßig Vertriebenen, also für die Palästinenser, gilt das natürlich nicht? Siedlungen stellen kein Problem dar. Natürlich nicht, wenn man wie er und seine Regierung täglich sogar Außenposten legalisiert und entgegen allem Völkerrecht siedelt und Land stiehlt.
 
Dieses Interview war ein Spiegel der israelischen Unrechtspolitik, ein Lehrstück für die Arroganz eines scheinbar Übermächtigen. Lassen wir uns nicht mehr von den Menschenrechts- und Springer-Spezialisten mit falscher Propaganda für Israel gehirnwaschen, sondern protestieren wir alle gemeinsam gegen dieses Unrecht. Kaufen wir keine Springer-Zeitungen mehr. BDS für BILD und Welt, damit wir uns wieder ein ungespringertes Bild von der Welt machen können. (PK)
 
Evelyn Hecht-Galinski ist Publizistin und Tochter des 1992 verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski. Unsere LeserInnen kennen sie als Autorin der Serie, die sie "vom Hochblauen", ihrem 1186 m hohen "Hausberg" im Badischen, schreibt.
 


Online-Flyer Nr. 352  vom 02.05.2012



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