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Eindrücke und Erkenntnisse von einer Reise in den Iran
Land der Liebe
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
Gibt es ein Land, in dem die 30 Stunden-Woche mit sechs Stunden an fünf Tagen eingeführt ist? Gibt es ein Land, in dem jeder Mensch, ob Mann oder Frau, ob Baby oder Greis, ein bedingungsloses Grundeinkommen erhält? Gibt es ein Land, in dem auch die Tätigkeit der Frau in der Familie als vollwertige Arbeit honoriert wird? Gibt es ein Land, in dem das Prinzip der Vergebung einen hohen Rang hat, in dem betroffene Angehörige eine Tat – selbst Mord – vergeben können, um damit die Haft- oder Todesstrafe in eine Geldstrafe umzuwandeln? Gibt es ein Land, in dem die höchstgestellten Politiker Atomwaffen verurteilen? Das Land heißt Islamische Republik Iran. Wir haben es mit einer Gruppe von kulturell und politisch Interessierten vom 19. bis 29. April bereist. Der vorliegende Artikel ist ein Auftakt für eine Folge von Fotogalerien mit Bildern, die bei dieser Reise entstanden sind.
Online-Flyer Nr. 352 vom 02.05.2012
Eindrücke und Erkenntnisse von einer Reise in den Iran
Land der Liebe
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
Gibt es ein Land, in dem die 30 Stunden-Woche mit sechs Stunden an fünf Tagen eingeführt ist? Gibt es ein Land, in dem jeder Mensch, ob Mann oder Frau, ob Baby oder Greis, ein bedingungsloses Grundeinkommen erhält? Gibt es ein Land, in dem auch die Tätigkeit der Frau in der Familie als vollwertige Arbeit honoriert wird? Gibt es ein Land, in dem das Prinzip der Vergebung einen hohen Rang hat, in dem betroffene Angehörige eine Tat – selbst Mord – vergeben können, um damit die Haft- oder Todesstrafe in eine Geldstrafe umzuwandeln? Gibt es ein Land, in dem die höchstgestellten Politiker Atomwaffen verurteilen? Das Land heißt Islamische Republik Iran. Wir haben es mit einer Gruppe von kulturell und politisch Interessierten vom 19. bis 29. April bereist. Der vorliegende Artikel ist ein Auftakt für eine Folge von Fotogalerien mit Bildern, die bei dieser Reise entstanden sind.
Heilige Stadt Qom, 24.4.2012 – Mausoleum Fatima Masumas
Alle Bilder: arbeiterfotografie.com
Teheran, 23.4.2012 – Fotografin beim Rundfunksender IRIB
Teheran, 27.4.2012 – Geschäft im Viertel Tajrish
Teheran, 21.4.2012 – Autoproduktion SAIPA
Isfahan, 26.4.2012 – Motorrad-Geschäft
Teheran, 27.4.2012 – im Viertel Tajrish
Der Iran: ein Land, das von Depression, Armut und Unterdrückung gezeichnet ist? Nein, so haben wir den Iran nicht erlebt. Ganz im Gegenteil! Wo wir auch hinkamen, dominierten Geschäftigkeit, (relativer) Wohlstand, Freundlichkeit und Lebensfreude. Die Bazare und Geschäfte sind voll von Waren und Menschen. Am Abend sind die Geschäftsauslagen - mit Energiesparlampen - hell erleuchtet. Die Sprit-Preise liegen bei 30 Cent pro Liter. Die Straßen sind oft, besonders in Teheran, in einer Weise voll mit Autos, dass es verwundert, dass trotzdem ein Fortkommen möglich ist. Aber es funktioniert, wenn auch der Fahrstil gewöhnungsbedürftig ist. Von Embargo ist nichts zu spüren. Auch die gegen den Iran gerichtete Kriegsdrohung wird im ersten Moment nicht spürbar, obwohl fast jeder davon weiß und ihm klar ist, dass es Mächte auf dieser Welt gibt, die jede eigenständige und unabhängige Entwicklung zunichte machen wollen. Immer wieder ist von den unterdrückenden imperialistischen Mächten die Rede.
Gemäß Verfassung der immerhin nur 32 Jahre jungen Islamischen Republik kommt die Hauptaufgabe der Familienbetreuung den Frauen zu. Der Mann ist dazu verpflichtet, für den Unterhalt zu sorgen. Darüber hinaus bildet die Familie – wie in südlichen europäischen Länder noch weit verbreitet – ein natürliches soziales Sicherungssystem. In der Öffentlichkeit sind Menschen in Gruppen von Familien und Freunden ein alltägliches Bild. In allen Parks, vor und in religiösen Stätten, selbst auf Friedhöfen, kommen sie insbesondere an Feiertagen zum Picknick zusammen. Zu beobachten sind liebevolle Väter, die ihre Kinder "auf Händen“ tragen, darunter durch Kopfschmuck ausgezeichnete religiöse Würdenträger. Mädchen und Frauen gehen Hand in Hand und ebenso – wie im Orient üblich – die Männer. In der Präambel der Verfassung ist die Familie „die grundlegende Einheit der Gesellschaft und der Mittelpunkt der Entwicklung des Fortschritts des Menschen“. (siehe auch Auszüge aus der Verfassung unten)
Keine Aggressivität
Der chaotisch wirkende Straßenverkehr funktioniert bei aller Drängelei nur deshalb so gut, weil jeder (auf) jeden achtet. Hin und wieder – wesentlich häufiger als bei uns überhaupt noch üblich – sind Verkehrspolizisten zu beobachten. Hin und wieder sind schlendernde junge Männer in Militärkleidung zu sehen, kaum Polizei. Das Leben geht seinen Gang, vor allem am Abend, wenn die zahlreichen kleinen Geschäfte stimmungsvoll beleuchtet sind. Neben allen möglichen Waren gibt es Eiscreme, süße Spezialitäten in ungeahnter Vielfalt und frisch zubereitete Säfte.
Nach der Revolution von 1979 entschied sich das Volk im April 1980 in einem Referendum mit großer Mehrheit für das System der Islamischen Republik. Das aus 73 Mitgliedern bestehende Gremium der Verfassung gebenden Versammlung (heute Expertenrat genannt) verabschiedete im August 1980 eine Verfassung, die im Dezember 1980 in einem Volksentscheid angenommen wurde. Basis der Verfassung bilden die Werte der islamischen Religion. Wie in westlichen Demokratien besteht Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive und Judikative. Politische Parteien gibt es nicht. Die Parlamentsabgeordneten und der Präsident des Staates werden direkt vom Volk gewählt.
Reiseland Iran
Jeder und Jede ist aufgerufen, das in diesem und in den kommenden Artikeln Dargestellte nachzuprüfen – am besten durch einen Besuch des Landes. Reisende aus Deutschland genießen große Sympathie. Kontakte sind sehr willkommen. Wir haben nicht alles gesehen. Mit Sicherheit gibt es auch Dinge, die zu kritisieren sind, vielleicht auch zu verurteilen. Aber eine Vorverurteilung aufgrund dessen, was über den Hauptteil der westlichen Medien Verbreitung findet, darf es nicht geben. Zu oft hat sich beim Hinterfragen und Recherchieren herausgestellt, dass die Realität entscheidend verfälscht dargestellt wird. Vieles ist anders als im Westen. Iran ist eine islamische Republik, respektiert aber trotzdem die Minderheiten anderer Religionen. Z.B. haben Christen und Juden jeweils einen Vertreter im Parlament und es gibt ein Recht auf Religionsausübung und im bürgerlichen Recht eine eigene Rechtsprechung. Liebe, Streben nach Wahrheit und Gerechtigkeit sind ganz entscheidende Bestandteile des islamischen Weltbildes, wie es im Iran vermittelt wird.
Eine erste Welle der Diffamierung gegen die Reisegruppe vonseiten der Kriegstreiber, die am Erhalt des Feindbildes Iran ein großes Interesse haben, ist bereits in vollem Gange. Es ist klar: für das US-Imperium mit Israel als einem gewichtigen Bestandteil ist das Zerstören eines Feindbildes das Schlimmste, was geschehen kann. Wir haben gegenüber unseren Gastgebern die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass die Entwicklung des Landes niemals durch einen Krieg gestoppt werden möge. Jede und jeder ist aufgerufen, sich gegen Feindbilder und Krieg zu stellen.(PK)
Anmerkung:
Allgemeine Grundsätze aus der Verfassung von 1980 (Auszüge)
Die Islamische Republik ist eine Ordnung, die auf folgenden Glaubensgrundsätzen beruht:
Kap.1, Art. 2
Ehre und Würde des Menschen und seine mit Verantwortung verbundene Freiheit vor Gott. Die Islamische Republik gewährt durch Gerechtigkeit politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Unabhängigkeit und nationale Zusammengehörigkeit…
6c) Ablehnung jeder Unterdrückung und jeder Unterwürfigkeit, jeder Herrschaft und Knechtschaft (außer in Gott).
Kap.1, Art. 3
Um die in Art. 2 erwähnten Ziele zu erreichen, ist die Regierung der Islamischen Republik Iran verpflichtet, alles einzusetzen, um…
3) unentgeltliche Bildung, Erziehung und Leibeserziehung für alle auf allen Gebieten zu gewährleisten sowie die höhere Bildung zu fördern und der Allgemeinheit zugänglich zu machen
4) den Forschungsgeist auf allen wissenschaftlichen, technischen, kulturellen und islamischen Gebieten durch Errichtung von Forschungszentren zu stärken und die Forscher zu motivieren
Online-Flyer Nr. 352 vom 02.05.2012