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Inland
Die Transformation der Bundeswehr im Dienste nationaler Interessen - Teil 2
„Dran, drauf, drüber!“
Von Jürgen Rose

Dran, drauf, drüber!“ war der schon vom damaligen Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Helmut Willmann, im "Wegweiser für die Traditionspflege im Heer" am 1. Dezember 1999 offiziell festgelegte Schlachtruf der Panzergrenadiertruppe, der sinngemäß bedeutet: „Ran an den Feind, drauf auf den Feind, hinweg über den Feind“. Und dies war möglich, obwohl das Grundgesetz (GG) alle deutsche staatliche Gewalt schon in seiner Präambel kategorisch auf den Frieden in der Welt verpflichtet. Hier der zweite Teil einer kritischen Analyse des ehemaligen Oberstleutnants der Bundeswehr, Jürgen Rose. – Die Redaktion
 

Ran an den Feind, drauf
auf den Feind, hinweg
über den Feind -
Helmut Willmann
Phraseologisch verbrämt wird die neue deutsche Sicherheitspolitik im offiziellen Jargon des Bundesministeriums der Verteidigung mit Parolen wie jener, daß „von der Nation fortan erwartet“ werde, „vermehrt internationale Verantwortung zu übernehmen“ und daß es „ehrenvoll [sei], in deutscher Uniform für eine bessere, gerechtere, freiere und sichere Welt einzutreten.“(1) Doch tritt hinter der propagandistischen Fassade unverblümt nackte Macht- und Interessen-politik hervor, wenn der amtierende Verteidigungsminister Thomas de Maizière verlauten läßt: „Wohlstand erfordert Verantwortung“(2) und: „Wir haben ein nationales Interesse am Zugang zu Wasser, zu Lande und in der Luft.“(3) Im Klartext heißt das: Es geht um die Durchsetzung der Globalisierung mit militärischen Gewaltmitteln, vulgo: Wirtschaftskrieg für die Profitinteressen der heimischen Produzenten.
 

Menschenrechtsfrage lediglich
etwas für die Galerie –
Freiherr zu Guttenberg
NRhZ-Archiv
Eine gewisse Ehrlichkeit diesbezüglich hatte zuvor schon mit Deutschlands ehemaligem Kriegsminister „Dr.“ von und zu Guttenberg Einzug gehalten, als dieser Ende Januar 2010 am Rande des Weltwirtschaftsgipfels im schweizerischen Davos völlig unverhohlen aussprach, worum es beim Bundeswehreinsatz am Hindukusch in Wahrheit geht, nämlich daß man „auch das Thema Afghanistan … im energiepolitischen Kontext sehen (müsse). Die Stabilität dieses Landes habe große Auswirkungen auf die gesamte Region, die für die Gewinnung und die Weiterleitung von Energierohstoffen eine große Rolle spiele.“(4) Darüber hinaus bekannte der forsche Freiherr wenig später, am 12. Februar 2010, im Fernsehsender „PHOENIX“ frank und frei, dass die im Afghanistankontext so häufig beschworene Menschenrechtsfrage lediglich etwas für die Galerie ist, indem er „selbstkritisch“ anmerkte: „… haben wir nicht Gründe nachgeschoben, um in schwierigen Momenten auch mal eine Anerkennung unserer Bevölkerung zu bekommen? Natürlich ist es unbestreitbar wichtig, dass man Kindern hilft, daß man Frauen hilft in ihren Rechten und all jenen. … Aber das waren Gründe, die nachgeschoben wurden. Der eigentliche Grund damals war, diesen Rückzugsraum zu verhindern … .“(5)
 

Mit kaum zu überbietendem Zynismus
– Horst Köhler
Noch unverblümter hatte wenig später, im Mai 2010, der damalige Bundespräsident Horst Köhler nach seiner dem deutschen Feldlager von Mazār-i Scharif abgestatteten Stippvisite zum Ausdruck gebracht, warum Deutschland den Krieg am Hindukusch in Wahrheit führt, nämlich weil „ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandels-orientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen.“(6) Mit kaum zu überbietendem Zynismus stammelte das deutsche Staatsoberhaupt anschließend dem Interviewer von„Deutschlandradio Kultur“ ins Mikrophon, daß es in Afghanistan auch weiterhin „sozusagen Todesfälle geben“ wird in den Reihen der Bundeswehr, denn „man muss auch um diesen Preis – sozusagen seine am Ende Interessen wahren – mir fällt das schwer, das so zu sagen, aber ich halte es für unvermeidlich, dass wir dieser Realität ins Auge blicken.“(7)
 
In all diesen Aussagen aus Minister- und Präsidentenmund demaskiert sich die Fratze des Neokolonialismus. Daß dies keineswegs lediglich Zufall oder Unbeholfenheit geschuldet ist, zeigt ein Blick in die derzeit gültigen konzeptionellen sicherheitspolitischen Grundlagendokumente, deren einschlägige Ausführungen nämlich vollkommen mit den zitierten Einlassungen korrespondieren. So heißt es bereits im »Weißbuch der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik und Zukunft der Bundeswehr« aus dem Jahr 2006, daß „die Sicherheitspolitik Deutschlands von … dem Ziel geleitet wird, die Interessen unseres Landes zu wahren“, worunter insbesondere fällt, „den freien und ungehinderten Welthandel als Grundlage unseres Wohlstands zu fördern“(8). Und laut den ganz aktuellen »Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR)« vom Mai 2011 gehört es zu den deutschen Sicherheitsinteressen, nicht nur ganz allgemein „außen- und sicherheitspolitische Positionen nachhaltig und glaubwürdig zu vertreten und einzulösen“, was immer unter diesem "Container-Begriff“ zu verstehen sein mag, sondern auch ganz konkret „einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen.“(9)
 
Mit ihrem penetrant neokolonialistischen bis imperialistischen Soupçon kontrastieren derartige Programmaussagen auffällig mit den Vorgaben aus höchstrichterlichem Munde, denn in seinem schon genannten Urteilsspruch hatte das Bundesverwaltungsgericht besonders herausgestrichen, daß „der Einsatz der Bundeswehr ‚zur Verteidigung’ mithin stets nur als Abwehr gegen einen ‚militärischen Angriff’ (‚armed attack’ nach Art. 51 UN-Charta) erlaubt [ist], jedoch nicht zur Verfolgung, Durchsetzung und Sicherung ökonomischer oder politischer Interessen.“ In Anbetracht dessen drängt sich die Frage nachgerade auf, inwieweit die Sicherheitspolitik dieser Republik den Boden des Grundgesetzes nicht längst verlassen hat. Ohnehin sucht man sowohl im Weißbuch 2006 als auch in den VPR 2011 nach dem in der Satzung der Vereinten Nationen kodifizierten Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen ebenso vergebens wie nach dem dort verankerten Interventionsverbot – in den derzeit gültigen sicherheitspolitischen Grundlagendokumenten dieser Republik werden diese für das Völkerrecht konstitutiven Normen offenbar keinerlei Erwähnung für wert befunden. Indes lautet der Schlüsselbegriff zum Verständnis der Entwicklung, welche die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland genommen hat: Entgrenzung – und diese manifestiert sich sowohl geographisch als auch inhaltlich im Spektrum der Optionen, die für unterschiedlichste Einsätze deutscher Streitkräfte eröffnet wurden. Diese reichen von der „präventiven Selbstverteidigung“ über die „antizipatorische Nothilfe für Bündnispartner“,
den Mißbrauch im Rahmen einer ‚reformulierten Responsibility to Protect‘, die Aufgabenpriorisierung im Rahmen „internationaler Konfliktverhütung“ bis hin zur zügellosen Nutzung der „Bundeswehr als Instrument der Außenpolitik“(10). Zu monieren ist dabei insbesondere, daß essentielle Fragen, deren Beantwortung indes die Grundvoraussetzung für jegliche Planungen zur weiteren Transformation der Bundeswehr bilden müßten, bis dato ungestellt blieben, geschweige denn, daß sie befriedigend geklärt worden wären(11).
 
Erstens: Welchen absehbaren bzw. wahrscheinlichen Erfordernissen ist Rechnung zu tragen? Das setzt eine nüchterne Analyse und Bewertung der gegenwärtigen wie zukünftigen sicherheits- und verteidigungspolitischen Lage voraus. Zweitens: Was können Streitkräfte zur Problembewältigung prinzipiell beitragen? Das verlangt nach sorgfältiger Auswertung der über zwanzigjährigen Erfahrung mit Auslandseinsätzen. Und drittens: Wozu dürfen Streitkräfte überhaupt genutzt werden? Das erfordert eine kritische Erörterung der Legalität und Legitimität von Streitkräfteeinsätzen und zwar wiederum vor dem Hintergrund der Fälle militärischen Gewaltgebrauchs in den beiden zurückliegenden Jahrzehnten einschließlich deren wechselnder Begründungen. Damit hätte der „Einsatz“ als sinnentleertes Mantra der Politik dem informierten gesellschaftlichen Diskurs zu weichen. Er darf nicht länger als Selbstzweck dargestellt werden, sondern muß an den verteidigungs- und friedenspolitischen Auftrag des Grundgesetzes rückgebunden und in die Institutionen bundesdeutscher Politik zurückgeholt werden – außer der Regierung steht vor allem das Parlament in der Verantwortung. Diese Aufgabe wiegt umso schwerer, als sich die militärische Praxis seit Ende des globalen Macht- und Systemgegensatzes und Herstellung der deutschen Einheit an anderen Kriterien ausrichtet: der Verfolgung nationaler Interessen und der Enttabuisierung des Militärischen. Es geht also um nichts weniger als um die Notwendigkeit einer grundlegenden Kehrtwende. Der nach zu Guttenbergs Intermezzo ins Amt gekommene Verteidigungsminister Thomas de Maizière hätte nicht nur die Chance, sondern auch die Pflicht, entsprechende Impulse zu setzen. (PK)
 
 
Dipl. Päd. Jürgen Rose ist mittlerweile als Oberstleutnant aus dem Dienst in der glorreichen Bundeswehr ausgeschieden und daher nicht länger gezwungen, aus disziplinarrechtlichen Gründen darauf hinzuweisen, daß er in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen darlegt.
 
 
(1) Maizière, Thomas de: Neuausrichtung der Bundeswehr. Rede des Bundesministers der Verteidigung, Berlin, 18. Mai 2011, S. 3;
http://www.bmvg.de/resource/resource/MzEzNTM4MmUzMzMyMmUzMTM1MzMyZTM2MzEzMDMwMzAzMDMwMzAzMDY3NmY2Nzc3NzQ2MjcyNzgyMDIwMjAyMDIw/BM%20Rede%2018.05.2011.pdf
(2) Ibid., S. 10.
(3) Ibid., S. 7.
(4) Norbert Lossau: „Beleidigte Leberwurst“. Guttenberg und Brüderle zanken sich in Davos, in: Die Welt, 31. Januar 2010;
http://www.welt.de/wirtschaft/article6046680/Guttenberg-und-Bruederle-zanken-sich-in-Davos.html. Siehe von und zu Guttenberg an anderer Stelle nahezu gleichlautend in: „Das ist noch mal eine echte Chance“. Wozu sind wir am Hindukusch? Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg über veraltete Kriegsziele, seine neue Strategie und die Hoffnung auf die Afghanistankonferenz. In: Die Zeit, Hamburg, Nr. 5, 28. Januar 2010, S. 2; http://www.zeit.de/2010/05/Interview-Guttenberg.
(5) Zit. nach: Grüne Friedensinitiative, 16. Februar 2010; http://blog.gruene-friedensinitiative.de/?p=126.  Im Originalton: Guttenberg, Karl-Theodor zu: Diskussionsrunde „Deutschland im Krieg?”. Phoenix, 66. Forum Pariser Platz, 12. Februar 2010; http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2010/02/12/drk_20100212_1907_a3249873.mp3.
(6) Köhler, Horst: Mehr Respekt für deutsche Soldaten in Afghanistan. Bundespräsident fordert Diskurs in der Gesellschaft. Horst Köhler im Gespräch mit Christopher Ricke, Deutschlandradio Kultur, 22. Mai 2010;
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/1188780/ sowie im Originalton: http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2010/05/22/drk_20100522_0751_c6f918db.mp3
(7) Ibid..
(8) Bundesministerium der Verteidigung (Hrsg.): Weißbuch 2006 zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr, Berlin 2006, S. 23; http://www.bmvg.de/resource/resource/MzEzNTM4MmUzMzMyMmUzMTM1MzMyZTM2MzEzMDMwMzAzMDMwMzAzMDY3NmE2ODY1NmQ2NzY4MzEyMDIwMjAyMDIw/WB_2006_dt_mB.pdf.
Komplett umfaßt der Interessenkatalog:
· Recht und Freiheit, Demokratie, Sicherheit und Wohlfahrt für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zu bewahren und sie vor Gefährdungen zu schützen,
· die Souveränität und die Unversehrtheit des deutschen Staatsgebietes zu sichern,
· regionalen Krisen und Konflikten, die Deutschlands Sicherheit beeinträchtigen können, wenn möglich vorzubeugen und
zur Krisenbewältigung beizutragen, globalen Herausforderungen, vor allem der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus und die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, zu begegnen,
· zur Achtung der Menschenrechte und Stärkung der internationalen Ordnung auf der Grundlage des Völkerrechts beizutragen,
· den freien und ungehinderten Welthandel als Grundlage unseres Wohlstands zu fördern und dabei die Kluft zwischen armen und reichen Weltregionen überwinden zu helfen.
(9) Bundesministerium der Verteidigung (Hrsg.): Verteidigungspolitische Richtlinien, Berlin 2011, S. 5; http://www.bmvg.de/resource/resource/MzEzNTM4MmUzMzMyMmUzMTM1MzMyZTM2MzEzMDMwMzAzMDMwMzAzMDY3NmY2ODMyNzU3OTY4NjIyMDIwMjAyMDIw/Verteidigungspolitische%20Richtlinien%20(27.05.11).pdf
Die vollständige Liste lautet:
· Krisen und Konflikte zu verhindern, vorbeugend einzudämmen und zu bewältigen, die die Sicherheit Deutschlands und seiner Verbündeten beeinträchtigen;
· außen- und sicherheitspolitische Positionen nachhaltig und glaubwürdig zu vertreten und einzulösen;
· die transatlantische und europäische Sicherheit und Partnerschaft zu stärken;
· für die internationale Geltung der Menschenrechte und der demokratischen Grundsätze einzutreten, das weltweite Respektieren des Völkerrechts zu fördern und die Kluft zwischen armen und reichen Weltregionen zu reduzieren; einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen.
(10) Vgl. hierzu ausführlicher Jaberg, Sabine: Wehe, wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe … Zur Begründung eines friedenswissenschaftlichen Standpunkts zum Norm-Empirie-Problem bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr, in: dies./Biehl, Heiko/Mohrmann, Günter/Tomforde, Maren: Auslandseinsätze der Bundeswehr. Sozialwissenschaftliche Analysen, Diagnosen und Perspektiven, Sozialwissenschaftliche Schriften, Heft 47, Berlin 2009, S. 302ff.
(11) Vgl. zum Folgenden Bald, Detlef/Barandat, Jörg/Brzoska, Michael/Ehrhart, Hans-Georg/Fröhling, Hans-Günter/Gießmann, Hans-Joachim/Groß, Jürgen/Jaberg, Sabine/Klingbeil, Lars/Meyer, Berthold/Mutz, Reinhard/Nachtwei, Winfried/Rinke, Bernhard/Schäfer, Paul: Strukturoptimierung reicht nicht – Bundeswehrreform braucht Politikreform. Stellungnahme der Kommission „Europäische Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ am IFSH, Hamburg, Mai 2011, S. 4f; http://www.ifsh.de/pdf/profil/Strukturoptimierung.pdf.http://www.ifsh.de/pdf/profil/Strukturoptimierung.pdf.


Online-Flyer Nr. 353  vom 09.05.2012



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