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Kommentar
Kommentar vom Hochblauen
Reisen bildet
Von Evelyn Hecht-Galinski

Schlägt man momentan die Zeitungen von Delmenhorst bis München auf, traut man seinen Augen nicht. Es gibt nur eine Bedrohung für Israel im speziellen und für die Welt insgesamt, nämlich den Iran. Anlässlich meiner letzten Veranstaltung in Osnabrück konnte auch ich feststellen, wie schlichtweg falsch, oder gar nicht informiert, auch die vermeintlich politisch interessierte Öffentlichkeit ist, wenn es um den Iran geht. Hier sieht man in furchtbarer Weise, wie medial, politisch und wirksam Manipulation vor sich geht. Schlimmerweise sieht man an diesem Beispiel wie gefährlich und fruchtbar diese dauernden Fehlinformationen tatsächlich sind.


Katajun Amirpur, in Köln geborene Islamwissenschaftlerin und Journalistin
Quelle: wikipedia

Schon Katajun Amirpur hatte am 26.03.2008 in der Süddeutschen Zeitung folgendes aufgeklärt: "Kein Satz wird so häufig mit dem amtierenden Präsidenten Irans, Mahmud Ahmadinedschad, assoziiert wie dieser: Israel muss von der Landkarte radiert werden. Das Problem ist nur - er hat diesen Satz nie gesagt…. Was also ist passiert? Am 26.10.2005 sprach Ahmadinedschad auf einer Konferenz, die unter dem Motto stand "Die Welt ohne Zionismus". Es waren im Wesentlichen die großen westlichen Nachrichtenagenturen, die die Übersetzung dieser Passage lieferten: Israel von der Landkarte radieren (AFP), Israel von der Landkarte tilgen (AP, Reuters), Israel ausrotten (DPA). Ahmadinedschad sagte jedoch wörtlich: "in rezhim-e eshghalgar bayad az safhe-ye ruzgar mahv shavad." Das bedeutet: "Dieses Besatzerregime muss von den Seiten der Geschichte (wörtlich: Zeiten) verschwinden." Oder, weniger blumig ausgedrückt: "Das Besatzerregime muss Geschichte werden." Das ist keine Aufforderung zum Vernichtungskrieg, sondern die Aufforderung, die Besatzung Jerusalems zu beenden. - Soweit Frau Katajun Amirpur.
 
Hat Ahmadinedschad mit diesen Sätzen nicht vollkommen recht? Ist es nicht im Gegenteil unser aller Pflicht solchen Sätzen beizupflichten? Fuhren wir nicht am „Tag des Bodens“ in den Libanon, zum Marsch nach Jerusalem, um auf dieses schreiende Unrecht hinzuweisen? Seitdem diese Konferenz im Iran stattfand, hat sich die Lage massiv für die palästinensische Bevölkerung verschlimmert!
 
Auch ich sage, der Zionismus muss weg und wir brauchen keine Systeme wie Israel als jüdischen Staat, der eine noch schlimmere Apartheidpolitik als das Apartheidregime Südafrikas, heute unter den Augen und mit Billigung der Weltöffentlichkeit betreibt. Warum ist das so? Weil wir Israel als Bollwerk im Nahen Osten brauchen, um Ressourcen zu verteidigen (erobern)?
 
Weil Israel mit dem Mythos, die einzige Demokratie im Nahen Osten zu sein, die Weltöffentlichkeit täuscht und ungebremst die Palästinenser im Land und in den besetzten Gebieten ihrer Rechte und ihres Landes beraubt. Um von all dem abzulenken, d.h. dem eigentlichen Problem, nämlich dem der Palästinenser, erfindet man ständig neue Bedrohungen und eröffnet neue Szenarien, um diese angeblichen Bedrohungen aufzubauschen. Man schämt
sich dabei nicht einmal den Holocaust zu missbrauchen. Nicht Ahmadineschad und der Iran sind das Problem, sondern der jüdische Staat und das ungelöste Palästinenserproblem.
 
Muss man mit jeder Aussage von Ahmadinedschad oder seiner Politik übereinstimmen? Nein. Aber er ist sicher kein Holocaustleugner! Auch die Einmaligkeit des Holocaust verbietet es nicht über ihn zu diskutieren! Auch wenn das die Israel-Lobby überall verhindern möchte. Warum eigentlich? Es gibt tatsächlich unerträgliche Holocaustleugner, das ist eine Kategorie einer ganz anderen Sorte, zu denen ich weder Ahmadinedschad, noch Gilad Atzmon zähle. Der eine Muslim, der andere Israeli und Jude. Dessen weltweit erfolgreiches Buch schon vor seinem Erscheinen in Deutschland auf gewissen Portalen in Misskredit gebracht werden soll. Gilad Atzmon sollte über eine Klage nachdenken.
 
Kommen wir nun zu der Reisegruppe die zehn Tage den Iran bereiste (1), organisiert von Yavuz Özoguz vom Delmenhorster Verein "Islamischer Weg" und Betreiber der Internetseite "Muslim Markt", dem ich vor kurzem ein Interview gab. Herr Özoguz, ein feiner und bescheidener Mann, hatte mich auch zu dieser Reise eingeladen, ich musste sie jedoch aus gesundheitlichen Gründen absagen, werde eine Iran-Reise aber sehr gern später nachholen, zumal mir schon seit längerem eine Einladung der iranischen Botschaft in den Iran vorliegt, dort auch an den Universitäten frei zu sprechen und alle Stätten zu besuchen, die ich möchte.
 
Ganz typisch also jetzt die Reaktionen auf die aktuelle Reise und die Reisegruppe in den Medien. "Bizzare Reisegruppe" ist noch das harmloseste, "Bildungsreise zum Holocaustleugner", oder speziell, weil ein FDP-Landtagskandidat aus Delmenhorst dabei war: "FDP Politiker sonnt sich mit Irans Diktator". "Möllemann lässt grüßen", durfte da nicht fehlen. - Möllemann war sicher kein Antisemit, er machte nur den großen Fehler, Scharon und Friedman (Paolo Pinkel) zu kritisieren, und das auch noch auf einem deutschen Flugblatt.
 
Wie nicht anders zu erwarten, sieht sich die Reisegruppe jetzt in allen Blättern in die antisemitsche Ecke gerückt und wird in schrecklicher Manier verunglimpft. Sicher, manchmal fallen Reiseberichte auch ein bisschen euphorisch aus, wenn man sich so vielen schönen und neuen Eindrücken ausgesetzt sah. Seinen kritischen Verstand sollte man jedoch nicht abschalten und auch auf unangenehme Dinge ansprechen. Die schönen Fotos im ersten Teil des Reiseberichts von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann zeigen uns da, wie interessant und kreativ die iranischen Frauen die Kleidungsvorschriften umsetzen. Natürlich bleibt es jedem und jeder selbst überlassen wie er oder sie sich kleidet oder verkleidet.
 
Immer nur wird von den muslimischen Vorschriften gegenüber Frauen gesprochen. Schaut man sich die Kleidung der orthodoxen jüdischen Frauen mit Tüchern, Perücken und langen Ärmeln und Röcken an, fühlt man sich auch in einer anderen Zeit, und dass kaum einer weiß, dass weder gläubige Muslime, noch orthodoxe Juden Frauen die Hand geben, geht in dieselbe Richtung. Mir scheint, dieses Phänomen kommt weder aus dem Koran, noch aus der Bibel, es entspringt mehr den Minderwertigkeitskomplexen der Männerwelt in patriarchalischen Gesellschaften. Ich empfehle dazu immer wieder sehr gern den Film "Kadosh“, der vor vielen Jahren in der ARD ausgestrahlt wurde und in ganz deutlicher Form die Unterdrückung der jüdischen orthodoxen Frau zeigt.
 
Tatsache ist auch, dass die Religionsfreiheit im Iran den Juden dort die freie Ausübung ihrer Religion gestattet und sich die etwa 20.000 Juden dort sehr wohl fühlen. Antisemitismus ist kein iranisches, sondern eher ein Problem aus christlichen Ländern. Auch deshalb ist die Vermischung von Antisemitismus und Antizionismus so falsch und gefährlich, die so wirkungsvoll zu Propagandazwecken des jüdischen Staates und seiner Unterstützer benutzt wird - um damit jede Israel-Kritik zu unterbinden und Antizionisten als Antisemiten zu diffamieren.
 
Warum wird also der Iran heute so verdammt? Unter dem Schah-Regime lieferten wir ihm die Waffen und waren freundschaftlich verbunden, auch Israel arbeitete gut mit dem Schah, dem Iran und dessen Folter-Geheimdienst Sawak zusammen. Die Springer Presse unterstützte die sogenannten "Jubelperser" vehement, so wie sie heute gegen die "Mullahs" hetzt! Man will den Iran klein machen, weil man das Öl will. Mit allen Mitteln! Sogar mit der völkerrechtswidrigen Androhung eines Erstschlags von Israel gegen den Iran, was ganz eindeutig gegen Artikel 2, Absatz 4 der Charta der Vereinten Nationen verstößt. Aber wenn Israel das macht....
 
Noch viel schlimmer ist, dass Kanzlerin Merkel Deutschland durch ihre verhängnisvolle Knesset-Rede ("Israels Sicherheit als deutsche Staatsräson") in die schlimme Lage gebracht hat, im Falle eines israelischen Angriffs auf den Iran den Agressor Israel auch noch völkerrechtswidrig zu „verteidigen“. Soviel zu Merkels Machiavelli-Außenpolitik. Genauso, wenn Außenminister Westerwelle vor dem Globalen Forum des Jüdischen Komitees in Washington versichert, immer an Israels Seite zu stehen. Er beharrt auch weiter auf der Zweistaatenlösung, zwar in den Grenzen von 1967, aber mit Tausch, und ausgeklammert wird natürlich auch das Flüchtlingsproblem. Alles wie gehabt und natürlich mit Peres und Abbas als "Friedenspartner". Nach solchen Reden sind die amerikanisch-jüdischen Vertreter natürlich zufrieden und wissen: auf unsere philosemitischen Partner in der deutschen Politik können wir uns verlassen.
 
Reisen bildet, weiß die Volksweisheit und „Reisen ist tödlich für Vorurteile" (Mark Twain). Schon deshalb sind Reisen in den Iran so wichtig. Jürgen Todenhöfer, der mit seinem Sohn schon Syrien bereiste und einen ausgesprochen interessanten Artikel darüber in der FAZ veröffentlichte, schrieb jetzt in der FR einen lesenswerten Artikel über seinen Iran-Besuch. Schon der Titel ist sehr treffend: "Auf der Suche nach der Bombe".
 
Lassen wir uns nicht abschrecken durch Hetze und Verleumdung, machen wir uns unser eigenes Bild und bereisen auch und gerade den Iran. Auch für mich war die Libanon-Reise ein einschneidendes Erlebnis. Gern wäre ich nach Gaza gefahren, aber das gelang mir leider nicht. Wichtig sind nicht die Israel-Propagandareisen nur in das schöne Kernland, sondern wären auch solche in die besetzten Gebiete, inklusive Gaza und zu den Eingeschlossenen. Das
wäre eine Aufgabe für den Jugendaustausch und eine Anregung für die Bundeszentrale für politische Bildung. (PK)
 
(1) http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=17745
 
 
Evelyn Hecht-Galinski ist Publizistin und Tochter des 1992 verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski. Unsere LeserInnen kennen sie als Autorin der Serie, die sie "vom Hochblauen", ihrem 1186 m hohen "Hausberg" im Badischen, schreibt.


Online-Flyer Nr. 353  vom 09.05.2012



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