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"Dem Aachener Karls-Preisträger schon mal recht nahe gekommen" - Teil II
Rede des in Köln Preisgekrönten
Von Rolf Gössner
Meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde! Gleich zu Beginn bedanke ich mich bei der „Neuen Rheinischen Zeitung“ und bei Peter Kleinert ganz herzlich für die heutige Verleihung des Kölner Karls-Preises für engagierte Literatur und Publizistik. Und auch bei Laudator Werner Rügemer (erster Kölner Karls-Preisträger) sowie bei Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin der Internationalen Liga für Menschenrechte), die als Überraschungsgast extra aus Berlin angereist ist, möchte ich mich für die lobenden Worte herzlich bedanken.
Rolf Gössner, Träger des Kölner Karlspreises 2012 für engagierte Literatur und Publizistik (alle Fotos: arbeiterfotografie.com)
Radikaldemokratisch, sozialistisch, Kritik der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, Revolution – da kommt viel zusammen, was heute in hohem Maße verdächtig klingt und einem leicht das Stigma „linksextremistisch“ oder „verfassungsfeindlich“ eintragen kann. Mit diesen Verdachtskriterien unterscheidet sich der Kölner Karls-Preis im Übrigen explizit von seinem berühmten Pendant aus Aachen, das nach Karl dem Großen benannt ist. Also nach jenem Kaiser und Kriegsherrn, der als einer der bedeutendsten Herrscher des Abendlandes gilt, der das kollektive europäische Geschichtsbewusstsein geprägt haben soll und dem Verdienste um eine erste Einigung Europas zugesprochen werden - obwohl bei genauerem Hinsehen dieser Karl seine „Verdienste“ weitgehend mit kriegerischen Mitteln, mit Eroberungskriegen, Gewalt, Zwangschristianisierung und Deportationen erwarb, so während der Sachsenkriege von 772 bis etwa 804.
Preisverleihung im Weissen Hollunder - von links: Fanny-Michaela Reisin, Peter Kleinert und Tom Koesel
Klaus der Geiger
Da der Kölner Karlspreis, im Unterschied zum Aachener, eine Auszeichnung für kritische Publizistik ist, habe ich mich selbst gefragt, wem ich eigentlich das Publizieren ursprünglich zu verdanken habe und warum ich so hartnäckig dabei geblieben bin. Es ist schon eigenartig: Ausgerechnet ein renommiertes, solides schwäbisches Bankhaus - so was gab es mal - hat mich zur Flucht ins Veröffentlichen meiner frühen dissidenten Gedanken getrieben und angesichts des ersten Erfolgs auch noch dazu, immer weiter zu publizieren. Es war Ende der sechziger Jahre, als ich – so um die 20 Jahre jung – in der schwäbischen Landeshauptstadt Stuttgart eine zweijährige Banklehre absolvierte. Es waren die Zeiten der Studenten- und allmählich auch der Lehrlingsbewegung. Die Berufsausbildung zum Bankkaufmann, die seinerzeit als „Königin der Lehren“ galt, entsprach jedoch nicht meinen jugendlichen Vorstellungen, meinen demokratisch-emanzipatorischen Erwartungen und enttäuschte mich schwer. So schwer, dass ich die obligatorischen Lehrlingsberichte, die alle Auszubildenden zu schreiben hatten, zu „Gegenberichten“ umfunktionierte, in denen ich dann etwa die stupide Sortiertätigkeit in der Überweisungsabteilung, Botengänge und Brötchenholen für die Belegschaft authentisch beschrieb und danach erläuterte, was man alles in dieser oder jener Abteilung hätte lernen können. Diese Gegenberichte schickte ich an Bankvorstand und Personalrat mit dem Angebot, gerne ein Gespräch mit dem Vorstand darüber zu führen.
Online-Flyer Nr. 355 vom 23.05.2012
"Dem Aachener Karls-Preisträger schon mal recht nahe gekommen" - Teil II
Rede des in Köln Preisgekrönten
Von Rolf Gössner
Meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde! Gleich zu Beginn bedanke ich mich bei der „Neuen Rheinischen Zeitung“ und bei Peter Kleinert ganz herzlich für die heutige Verleihung des Kölner Karls-Preises für engagierte Literatur und Publizistik. Und auch bei Laudator Werner Rügemer (erster Kölner Karls-Preisträger) sowie bei Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin der Internationalen Liga für Menschenrechte), die als Überraschungsgast extra aus Berlin angereist ist, möchte ich mich für die lobenden Worte herzlich bedanken.
Rolf Gössner, Träger des Kölner Karlspreises 2012 für engagierte Literatur und Publizistik (alle Fotos: arbeiterfotografie.com)
Lassen Sie mich anlässlich dieser Verleihung in ungewöhnlichem Rahmen ein paar persönliche Anmerkungen, Anekdoten und Assoziationen zum Besten geben: Zwar weiß ich die Auszeichnung - benannt nach dem bedeutenden Philosophen und Ökonomen Karl Marx (1818 – 1883) - wohl zu schätzen; zumal das Werk von Marx gerade angesichts der herrschenden Finanz- und Wirtschaftskrise eine beachtliche Renaissance erlebt. Ob ich allerdings diese „originelle und in ihrer Ausrichtung einzigartige Ehrung“ - so der letzte Preisträger Wolfgang Bittner - tatsächlich verdient habe, weiß ich jedoch nicht so recht - zumal ich weder auf philosophischem noch ökonomischem Gebiet arbeite, sondern mich vielmehr ideologiekritisch mit dem Überbau beschäftige, in der Disziplin rechtspolitisch-bürgerrechtlich orientierter Staats- und Gesellschaftskritik. Doch um einen „Marx-Orden“ umgehängt zu bekommen, braucht man offenbar weder Philosoph noch Ökonom, auch nicht Kommunist oder Marxist zu sein. Tatsächlich bezieht sich die Auszeichnung im Kern auf Marxens Funktion als politischer Redakteur der radikaldemokratisch-sozialistischen Kölner „Neuen Rheinischen Zeitung“ (im Untertitel hieß sie: „Organ der Demokratie“) in der Zeit von 1848 bis zu deren Ende 1849 – immerhin eine ganz wichtige Tageszeitung in Zeiten des Umbruchs, der Revolutionsjahre im damaligen Deutschland; und sie bezieht sich auf die Marxsche Kritik der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft.
Peter Kleinert zeichnet Rolf Gössner mit dem Kölner Karlspreis 2012 aus
Peter Kleinert zeichnet Rolf Gössner mit dem Kölner Karlspreis 2012 aus
Radikaldemokratisch, sozialistisch, Kritik der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, Revolution – da kommt viel zusammen, was heute in hohem Maße verdächtig klingt und einem leicht das Stigma „linksextremistisch“ oder „verfassungsfeindlich“ eintragen kann. Mit diesen Verdachtskriterien unterscheidet sich der Kölner Karls-Preis im Übrigen explizit von seinem berühmten Pendant aus Aachen, das nach Karl dem Großen benannt ist. Also nach jenem Kaiser und Kriegsherrn, der als einer der bedeutendsten Herrscher des Abendlandes gilt, der das kollektive europäische Geschichtsbewusstsein geprägt haben soll und dem Verdienste um eine erste Einigung Europas zugesprochen werden - obwohl bei genauerem Hinsehen dieser Karl seine „Verdienste“ weitgehend mit kriegerischen Mitteln, mit Eroberungskriegen, Gewalt, Zwangschristianisierung und Deportationen erwarb, so während der Sachsenkriege von 772 bis etwa 804.
Kritiker sehen im Aachener Karlspreis deshalb eine unangebrachte „Mystifizierung“ Karls des Großen, seiner Kriegspolitik, seines Großreiches und der Staatsdoktrin der Einheit von Kirche und Reich. Dennoch - oder deshalb? - wird der Preis seit 1950 an verdiente „große Europäer“ verliehen, die jedoch nicht selten die demokratiedefizitäre Europäische Union repräsentieren – wie etwa die Gemeinschaftswährung „Euro“, der Ex-Präsident der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, oder Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Aber auch der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger wurde schon bedacht, trotz seiner Mitwirkung an der Eskalation des Vietnamkrieges und an dem von US-Geheimdiensten unterstützten Putsch gegen die sozialistische Regierung Chiles unter Salvador Allende. Und auch Tony Blair und Javier Solana sind Aachener Karlspreisträger, obwohl sie als Mitverantwortliche für die Luftangriffe gegen Jugoslawien gelten. Eine illustere Gesellschaft im Geiste Karls des Großen.
Preisverleihung im Weissen Hollunder - von links: Fanny-Michaela Reisin, Peter Kleinert und Tom Koesel
In diesem Jahr wird – parallel zur heutigen Verleihung des Kölner Karlspreises 2012 – der Aachener Karlspreis an Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) verliehen – „einen großen Europäer“, wie es in der Würdigung heißt, „der sich historische Verdienste um die Überwindung der deutschen und europäischen Teilung“ und um die „Stabilisierung der Währungsunion“ erworben hat.
„Historische Verdienste“ hat sich Wolfgang Schäuble auch als Bundesinnenminister er-worben, für die er schon drei Jahre früher ausgezeichnet worden ist. Dabei sind sich die späteren Aachener und Kölner Karls-Preisträger schon mal recht nahe gekommen: Denn ich hatte die „Ehre“, nach Otto Schily auch Wolfgang Schäuble mit dem BigBrotherAward auszuzeichnen und die Laudatio auf ihn zu halten. Diesen Negativpreis erhielt er 2009 für seine Art von „Antiterrorpolitik“ und für seine Bestrebungen, „den demokratischen Rechtsstaat in einen präventiv-autoritären Sicherheitsstaat umzubauen“, so die Begründung: „Dies führte zu einer gefährlichen Entgrenzung von Polizei, Geheimdiensten und Militär und damit zu einer Gefährdung von Bürgerrechten, Datenschutz und Demokratie.“ Wie so viele, hat auch Schäuble diese Auszeichnung, eine künstlerisch wertvolle Trophäe, leider verschmäht.
Ich komme zurück auf unsere heutige Verleihung eines Positivpreises hier in Köln, mit der übrigens das Spektrum der beiden Auszeichnungen, die mich bislang ereilten, enorm verbreitert wird: Also auf der einen Seite der Kölner Karls-Preis 2012 für engagierte Literatur und Publizistik in Gestalt einer Karl-Marx-Münze hier im „Weißen Holunder“ - und vier Jahre zuvor die Theodor-Heuss-Medaille, die ich 2008 im „Weißen Saal“ des Stuttgarter Neuen Schlosses von der FDP-nahen Theodor-Heuss-Stiftung verliehen bekam. Und zwar zusammen mit den anderen Mitherausgebern des jährlich erscheinenden „Grundrechte-Report – Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland“ (Fischer-TB) – eine Art alternativer Verfassungsschutzbericht. Die Ehrung erfolgte, so die wörtliche Begründung, für "vorbildliches demokratisches Verhalten, bemerkenswerte Zivilcourage und beispielhaften Einsatz für das Allgemeinwohl". „Papa Heuss“ und der „olle Marx“ – wie passt das zusammen an einer Brust, um einen Hals?
Einer wird diesen Widerspruch besonders zu schätzen und zu nutzen wissen: der „Verfassungsschutz“, der mich über vier Jahrzehnte lang unter Beobachtung stellte. Denn der wird sich in seinen kaltekriegsgeprägten Denkmustern bestätigt fühlen: Danach dürfte die liberale Heuss-Medaille meiner Tarnung dienen, die Marx-Münze hingegen mein wahres „staatsfeindlich-extremistisches“ Gesicht zeigen. Denn einerseits sei ich in etablierten demokratischen Kreisen unterwegs – andererseits, so der Vorwurf, habe ich Kontakte zu „linksextremistischen“ Kreisen, die ich damit als – so wörtlich –„prominenter Jurist nachdrücklich unterstütze“. Eine „Nahtstellenperson“ also, die schon allein wegen dieser Bandbreite ihrer Kontakte gefährlich scheint – zunächst ganz unabhängig davon, was sie inhaltlich von sich gibt. Zudem eine höchst subversive Person, wie sich aus folgendem Zitat des hier in Köln ansässigen Bundesamtes für Verfassungsschutz erschließen lässt:
„Dabei agiert er (also ich; RG) ganz bewusst nicht als Mitglied einer offen extremistischen Partei oder Organisation. Nicht etwa, weil er sich von den verfassungsfeindlichen Zielen der unterstützten Organisationen distanzieren, sondern weil er so seine Glaubwürdigkeit nach Außen als vermeintlich unabhängiger Experte zu wahren versucht.“ Darin steckt die abstruse Behauptung, ich sei praktisch seit Jahrzehnten taktisches Nichtmitglied bei diversen, durchaus disparaten „extremistischen“ Parteien oder Organisationen…
Klaus der Geiger
Da der Kölner Karlspreis, im Unterschied zum Aachener, eine Auszeichnung für kritische Publizistik ist, habe ich mich selbst gefragt, wem ich eigentlich das Publizieren ursprünglich zu verdanken habe und warum ich so hartnäckig dabei geblieben bin. Es ist schon eigenartig: Ausgerechnet ein renommiertes, solides schwäbisches Bankhaus - so was gab es mal - hat mich zur Flucht ins Veröffentlichen meiner frühen dissidenten Gedanken getrieben und angesichts des ersten Erfolgs auch noch dazu, immer weiter zu publizieren. Es war Ende der sechziger Jahre, als ich – so um die 20 Jahre jung – in der schwäbischen Landeshauptstadt Stuttgart eine zweijährige Banklehre absolvierte. Es waren die Zeiten der Studenten- und allmählich auch der Lehrlingsbewegung. Die Berufsausbildung zum Bankkaufmann, die seinerzeit als „Königin der Lehren“ galt, entsprach jedoch nicht meinen jugendlichen Vorstellungen, meinen demokratisch-emanzipatorischen Erwartungen und enttäuschte mich schwer. So schwer, dass ich die obligatorischen Lehrlingsberichte, die alle Auszubildenden zu schreiben hatten, zu „Gegenberichten“ umfunktionierte, in denen ich dann etwa die stupide Sortiertätigkeit in der Überweisungsabteilung, Botengänge und Brötchenholen für die Belegschaft authentisch beschrieb und danach erläuterte, was man alles in dieser oder jener Abteilung hätte lernen können. Diese Gegenberichte schickte ich an Bankvorstand und Personalrat mit dem Angebot, gerne ein Gespräch mit dem Vorstand darüber zu führen.
Doch keine Reaktion – monatelang. Solche Ignoranz irritierte mich als engagierten Lehrling, weshalb ich mich genötigt sah, den Druck zu erhöhen: Und so schickte ich meinen Gegenbericht unter dem Titel „Kritische Lehre“ an den Gabler-Wirtschaftsverlag in Wiesbaden, der ihn tatsächlich in seiner in Finanzkreisen viel gelesenen Fachzeitschrift „Der Bankkaufmann“ (Auflage knapp 50.000) veröffentlichte und mir mein erstes Honorar in Höhe von 100 DM zukommen ließ. Meine Kritik am Banklehrsystem führte zu heftigen Diskussionen unter Bankkaufleuten und Auszubildenden – obwohl oder weil die Redaktion den Text mit Lehrherrenmeinungen durchsetzt hatte, etwa: „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“, „hier irrt der kritische Lehrling“, „wir sind doch kein Lehrstuhl für Bankwissenschaft“ etc. Die Diskussionen fielen sehr heftig aus - und siehe da: In diversen Bankinstituten kam es zu Verbesserungen der Ausbildung. Nicht aber in meiner Bank. Dort dauerte es länger, bis es zu spürbaren Reformen kam: Doch eines Tages wurden die eigentlich interessanten Kredit- und Börsenabteilungen, bislang für Lehrlinge tabu, zu Ausbildungsstätten, plötzlich gab es auch Schulungen außerhalb der Bank, in denen abseits der täglichen Routinearbeit endlich auch finanzpolitische und ökonomische Zusammenhänge thematisiert und behandelt werden konnten.
Diese frühzeitige Erfahrung, dass man mit widerständigem Verhalten und öffentlichem Druck etwas Handfestes erreichen kann, führte mich zum Schreiben und Veröffentlichen als einer Form von Gegenwehr – und beflügelte mich offenbar, immer weiter zu veröffentlichen, bis heute.
“Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt drauf an, sie zu verändern” – mit seiner elften und letzten "Feuerbachthese" machte Karl Marx darauf aufmerksam, dass man sich nicht mit dem theoretischen Ergründen der Welt begnügen dürfe. Philosophie müsse Praxisbezug und -relevanz bieten. Das gilt für andere Disziplinen auch. Marx ging es bei dieser These darum, konkrete gesellschaftliche Veränderungen zu initiieren, denn er empfand die gesellschaftlichen Verhältnisse seiner Zeit, die von der einsetzenden Industrialisierung und von Ausbeutung geprägt waren, als höchst ungerecht. Ungerecht geht es auch heutzutage zu – nicht direkt vergleichbar, aber immer noch und wieder in steigendem Maße.
Deshalb habe ich in meinen Veröffentlichungen, deren eigentliche Ziele Enthüllung und Aufklärung sind, des Öfteren davon geschrieben, dass es zur Lösung bestimmter Probleme, zur Beseitigung von Missständen einer ursachenorientierten, also „grundlegenden gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderung“ bedürfe. Das Bundesamt für Verfassungsschutz witterte bei solchen Sätzen Verrat an der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ und schrieb in einem seiner Schriftsätze dazu: „Was der Kläger da äußert, klingt zwar auf den ersten Blick ganz demokratisch – aber gemeint hat er etwas ganz Anderes“ – und kramte daraufhin zum Beweis dieser Behauptung das Politische Wörterbuch der DDR aus seiner Asservatenkammer, in dem zu lesen sei, was ich mit grundlegender Veränderung eigentlich meinte: eine sozialistische Revolution, die mit der Verfassung nicht zu vereinbaren sei.
Unabhängig von solch inquisitorischer Beweisführung war mir tatsächlich auch an der Veränderung ungerechter Zustände und Strukturen gelegen. Als Journalist, Anwalt oder parlamentarischer Berater wollte ich bürgerrechtsorientierte Veränderungsprozesse auf unterschiedlichen Wegen begründen und initiieren. Es scheint, als habe ich auch gera-de deshalb das nachhaltige Interesse des bundesdeutschen Inlandsgeheimdienstes wecken können, der mir und meiner Arbeit offenbar ungeahnte Kräfte und Wirkung zu-zusprechen schien. So etwa: Mit meiner „diffamierenden Kritik“ an der herrschenden Sicherheitspolitik und den Sicherheitsorganen, insbesondere an Polizei und Verfassungsschutz, aber auch am KPD-Verbot und den Berufsverboten (die es angeblich niemals gab), wolle ich die Bundesrepublik wehr- und schutzlos machen gegenüber linksextremistischen Bestrebungen und revolutionärer Umwälzung…
Zwölf Jahre nach meinen ersten Bank-Erfahrungen in Stuttgart, nach meinem Jura-Studium in Freiburg und meiner Gerichtsreferendarzeit in Bremen erschien 1982 mein erstes, mit dem Journalisten und früheren Wallraff-Mitarbeiter Uwe Herzog verfasstes Buch „Der Apparat. Ermittlungen in Sachen Polizei“ im Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch. Es waren Zeiten politisch-sozialer Bewegungen der achtziger Jahre, in denen unsere Polizeikritik große Resonanz erfuhr, auch reichlich Furore in den politisch-sozialen Bewegungen, insbesondere der Anti-AKW- und Friedensbewegung, machte - aber auch innerhalb des Polizeiapparates. Das Buch wurde zum Bestseller und auch in hoher Auflage als Raubdruck in Kölner Kneipen verkauft. Angesichts einer prekären Polizeientwicklung und diverser Polizeiübergriffe und -skandale bot das Buch Initialzündung für diverse oppositionelle Projekte: So entstanden in elf Städten Initiativen „Bürger beobachten bzw. kontrollieren die Polizei“ und auch die 1985 gegründete Bundesarbeitsgemeinschaft Kritische Polizistinnen und Polizisten ließ sich hiervon inspirieren. Solche Effekte bestätigten mich darin, mit Schreiben und Veröffentlichen fortzufahren, um damit etwas zu bewegen. Und so wurde aus mir seit den beginnenden achtziger Jahren ein politischer Publizist – parallel zu meinen Berufen als Anwalt und parlamentarischer Berater, die sich im Ideal- und Einzelfall auch bestens kombinieren lassen.
Ich möchte die „Apparat“-Erfahrungen nur als ein frühes Beispiel unter weiteren nennen – im Laufe der Jahre, mit der Entwicklung der digitalisierten Mediengesellschaft und abnehmender politisch-sozialer Bewegungen, sind im Übrigen politische Wirkungen immer schwerer gelungen. Trotzdem konnte ich immer auf besonders treue Stammleser und -hörer bauen, wie ich Jahre später erfahren durfte: Nun, jeder Autor und jeder Referent freut sich über eine treue und kritische Leser- und Zuhörerschaft. Und so nahm ich durchaus mit Genugtuung zur Kenntnis, dass Bedienstete des Bundesamtes für Verfassungsschutz über mehrere Beamten-Generationen hinweg zu meinen treuesten Mitlesern und Mithörern gehörten – leider auch zu den verständnislosesten und böswilligsten. Umso mehr freue ich mich über die heutige Würdigung meiner publizistischen Aufklärungsarbeit sowie meines „Doppelsieges“ über den Verfassungsschutz des Bundes und in Nordrhein-Westfalen. Und ich verspreche Ihnen/Euch (und dem Verfassungsschutz), weiterzumachen – soweit es meine Kräfte zulassen.
Abschließend möchte ich in diesem Zusammenhang an einen Ausspruch des Schriftstellers und Hörspielautors Günther Eich erinnern, den ich in meinem Abitur 1967 mit Bedacht als Aufsatzthema ausgewählt hatte und der in gewisser Weise zu meinem Lebensmotto wurde: „Seid unbequem, seid Sand, nicht Öl im Getriebe der Welt.“
Veranstaltungshinweis
WER SCHÜTZT UNS VORM VERFASSUNGSSCHUTZ?
Die heillose Verstrickung des Verfassungsschutzes in rechtsextreme Szenen und Parteien
Referent:
Dr. ROLF GÖSSNER
Rechtsanwalt/Publizist und Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte
Donnerstag, 24. Mai 2012, 19.30 Uhr
WABE-Büro / Stadthalle Verden (Raum Zielona Gora), Holzmarkt 15
Presse-Echo
BREMER NACHRICHTEN
Bremer Publizist erhält Kölner Karls-Preis
Bremen (jad). Der Bremer Rolf Gössner wird mit dem Kölner Karls-Preis für engagierte Literatur und Publizistik 2012 ausgezeichnet. Am Dienstag wird ihm der Preis der „Neuen Rheinischen Zeitung“ für sein Engagement als Rechtsanwalt, Publizist, parlamentarischer Berater und Bürgerrechtsaktivist verliehen, so die Begründung.
Gewürdigt werde damit auch sein „Doppelsieg“ über die NRW- Verfassungsschutzbehörde und das Bundesamt für Verfassungsschutz, das ihn laut Urteil des Verwaltungsgerichts Köln seit 1970 „unverhältnismäßig und grundrechtswidrig“
überwachen ließ. Der Kölner Karls-Preis wird laut Veranstaltern zum dritten
Mal an eine Person vergeben, die sich auf dem Feld kritischer Publizistik verdient gemacht habe. Bisherige Preisträger waren Werner Rügemer und Wolfgang Bittner.
Junge Welt
Preis für Gössner
Der Bremer Bürgerrechtler, Publizist und Rechtsanwalt Rolf Gössner erhält den
»Kölner Karls-Preis für engagierte Literatur und Publizistik«. Der Preis wird gestiftet von der Neuen Rheinischen Zeitung und Gössner am Dienstag ab 19 Uhr im »Weißen Holunder«, in der Gladbacher Straße 48 vergeben. Die Laudatio auf Rolf Gössner wird der erste Karls-Preisträger aus dem Jahr 2008, Werner Rügemer, halten. Vor der Preisverleihung wird der Fernsehfilm »Ein Staat sieht ROT – Justizopfer des Kalten Krieges« zu sehen sein, den Rolf Gössner 1994 als Co-Autor zusammen mit dem Kölner KAOS Film- und Video-Team gemacht hat. Darin geht es um die Kommunistenverfolgung in Westdeutschland nach dem Verbot der KPD 1956. Gössner selbst stand von 1970 bis 2008 ununterbrochen unter Beobachtung des Bundesamtes
für Verfassungsschutz. Das dürfte die längste Dauerbeobachtung einer unabhängigen Einzelperson durch den Geheimdienst gewesen sein, die bislang dokumentiert werden konnte. (jW)
taz – Die Tageszeitung
Karlspreis für Gössner
Rolf Gössner ist Träger des Kölner Karlspreises. Die Auszeichnung, namensgleich mit dem wesentlich älteren Aachener Karlspreis, bekommt Gössner für seinen „Doppelsieg über die NRW-Verfassungsschutzbehörde und das Bundesamt für Verfassungsschutz“, wie die preisauslobende Neue Rheinische Zeitung formuliert. Gössner wehrte sich erfolgreich gegen seine seit 1970 vorgenommene geheimdienstliche Überwachung. Der Bremer Anwalt ist Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte. Die bisherigen Träger des Kölner Karlspreises sind Werner
Rügemer und Wolfgang Bittner.
RADIO BREMEN
Interview mit Rolf Gössner anlässlich der Verleihung des Kölner Karls-Preises 2012 (Sonntagsgast).
Die Kölner Lokalpresse des Verlagshauses M. DuMont Schauberg hat über die Verleihung des Kölner Karls-Preis natürlich nicht berichtet, wird dies zum Aachener Preis aber selbstverständlich tun. (PK)
Online-Flyer Nr. 355 vom 23.05.2012