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Lokales
Ein "Nachgedacht“ zum Salafisten-Kommentar im Kölner Stadt-Anzeiger
Interview mit Kölns DGB-Chef Andreas Kossiski
Von "Nachgefragt"

Am Samstag, dem 9. Juni 2012, trafen sich Salafisten in Köln zu einem sogenannten "Friedenskongress“. Die Veranstaltung der islamistischen Gruppierung wurde von einer kleinen Protestkundgebung der rechtsradikalen Gruppierung Pro-NRW begleitet. In seinem Online-Kommentar vom 8. Juni 2012 im Kölner Stadtanzeiger ging Tobias Kaufmann im Kölner Stadt-Anzeiger der Frage nach, warum die Stadtgesellschaft nicht zu einer Gegendemonstration aufgerufen hat. Hierzu ein Interview von "Nachgefragt" mit dem DGB-Regionsvorsitzenden Köln-Bonn, Andreas Kossiski:
 

Andreas Kossiski, DGB-Regionsvor-
sitzenden Köln-Bonn
Foto: arbeiterfotografie.com
"Nachgefragt": Herr Kossiski, wie bewerten Sie den Kommentar von Tobias Kaufmann im Stadtanzeiger?
 
Kossiski: Zu einem kritischen Kommentar gehört meiner Ansicht nach mehr, als nur die Äußerung der eigenen Meinung. Grundlage muss immer eine ausführliche und umfassende Recherche sein. Davon spüre ich in Kaufmanns Text nichts! Selten habe ich einen so undifferen-zierten und polemischen Kommentar gelesen! Ich hätte erwartet, dass er zumindest denjenigen, die er massiv angreift, die Gelegenheit gibt, sich zum Thema zu äußern. So kommen falsche Rückschlüsse und Interpretationen zustande! Hätte sich Herr Kaufmann ausreichend informiert, wäre auch ihm bewusst geworden, dass der DGB sich seit langem inhaltlich mit extremen Gruppierungen am rechten und linken Rand unserer Gesellschaft auseinandersetzt. Ich stelle mir die Frage, welche eigene politische Motivation Herrn Kaufmann zu diesem Kommentar getrieben hat. Ich glaube, er macht es sich zu einfach, denn auch er hat als Bürger und gerade als demokratischer Journalist die Verpflichtung, sich gegen extreme Ansichten zustellen und sich für die Demokratie in unserem Land einzusetzen. Er kann sich nicht mit einem Hinweis auf ein Zitat aus der Verantwortung schleichen.
 
"Nachgefragt": Worin sehen sie seine Polemik?
 
Kaufmann hat mit seiner kurzen Beschreibung des Salafismus als verfassungsfeindliche islamistische Strömung Recht. Keine Frage, Köln sähe anders aus, wenn die Salafisten hier eine ernst zu nehmende Kraft wären. Kaufmann hat deswegen auch jedes Recht, die Frage zu stellen, warum die Kölner Stadtgesellschaft nicht zu Gegenprotesten aufgerufen hat. Das ist seine journalistische Pflicht! Doch, anstatt die Stadtgesellschaft zu fragen, stellt er lieber eigene Vermutungen an - vielleicht, weil ihm die möglichen Antworten nicht in sein vorgefertigtes Urteil passen. Und hier wird es abenteuerlich: Über die Frage ‚Aus Angst?’ behauptet er indirekt, dass sich die Kölner Zivilgesellschaft vor einer Auseinandersetzung mit islamistischen Gruppierungen fürchtet. Kurz darauf ist es dann - wieder in einer sehr vagen Form - das ‚zugekniffene Auge’ eines ‚überwiegend links geprägten Antifaschismus’, das die Gefahr nicht wahrnehme. Andere Gründe scheint es für ihn nicht zu geben.
 
Kaufmann erzeugt mit diesen Worten eine Stimmung, die die Bedeutung des Salafismus überhöht und die aktiven Kräfte der Gesellschaft in eine Schmuddelecke drängt. Wenn er dann noch Zitat: “den politischen Islam als jene dritte, große totalitäre Bewegung nach Nationalsozialismus und Kommunismus“ bezeichnet, verlässt er ganz das journalistische Fundament für kritische Kommentare. Jetzt sind plötzlich nicht mehr nur Salafisten oder Islamisten eine Gefahr, sondern der gesamte „politische Islam“ - was immer damit gemeint ist.
 
Hier geht es nicht um Wortklauberei! Die Gleichsetzung von radikalem Islamismus und „politischem Islam“ - ohne dass es für letzteres eine allgemeine Definition gibt - zeigt, auf welcher undifferenzierten Basis Kaufmann seine Meinung herleitet. Deswegen kann ich einen solchen Vergleich nicht tolerieren! Kaufmann darf sich daher auch nicht wundern, wenn er für diese Meinung vor allem von Gruppen Zustimmung erfährt, die schon die Döner-Bude an der Ecke als Gefahr wahrnehmen.
 
Ich bin der Überzeugung, dass derzeit eine weit größere Gefahr von gewalttätigen Rechtsextremisten ausgeht. Die Morde der NSU und die vielen politischen Anschläge gegen Migrantinnen und Migranten sind doch nur die Spitze eines Eisbergs. Die Gewalttaten von Rechts haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Mittlerweile gibt es auch in Nordrhein-Westfalen Stadtteile, die von rechtsradikalen Schlägertruppen dominiert werden und in Köln werden beispielsweise fremdenfeindliche Jugendzeitungen vor Schulen verteilt.
 
"Nachgefragt": Was ist denn die Strategie des DGB und des Bündnisses "Köln stellt sich quer“?
 
In der Vergangenheit haben wir uns gegen alle radikalen und gewaltbereiten Gruppierungen, die das Grundgesetz nicht akzeptieren und einhalten wollen, geäußert und gewehrt. Für uns ist eins klar: Wir kämpfen gegen jegliche Formen von Extremismus, Gewalt und Menschenverachtung. Wir wollen nicht reflexartig auf bestimmte Ereignisse reagieren, sondern im Rahmen von eigenen Entscheidungen agieren – und genau das haben wir am 9. Juni getan!
 
Wir wollen durch kontinuierliche und nachhaltige Arbeit die Grundwerte unserer Demokratie schützen. So auch in dem, von Gewerkschaften mit initiierten Bonner Bündnis im Mai 2012, in dem sich die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner gegen jegliche Form von Rassismus, Islamfeindlichkeit, Geschichtsrevisionismus und Antisemitismus wenden. Auch die Veranstaltung am 8. Mai in Köln-Mülheim hat mit dem Titel "Leben in Freiheit, Demokratie und Vielfalt“ unsere Zielrichtung unterstrichen.
 
Ein Beispiel ist auch unsere langjährige Bildungsarbeit. Hier versuchen wir, konkret jungen Menschen demokratische Grundlagen zu vermitteln und sie gegen jede Form von Rassismus und Extremismus zu wappnen.
 
"Nachgefragt": Wie sehen Ihre weiteren Planungen aus?
 
Kossiski: Wir wollen auch zukünftig die Kräfte der Bürgergesellschaft bündeln und neue Wege des friedlichen Protestes und der politischen Bildung entwickeln. Wir dürfen in der politischen Diskussion nicht die Einen gegen die Anderen ausspielen. Es ist unsere staatsbürgerliche Aufgabe, eine Auseinandersetzung darüber zu führen, warum extremistische Gruppen Zulauf haben und wie wir in einem breiten Bündnis etwas dagegen setzen können. Dazu laden wir als Gewerkschaften ein.
 
Wir sind ständig dabei, neue Bündnispartner zu gewinnen und Informationen auszutauschen. Wir brauchen nachhaltige langfristige Aktionsformen. Im Diskurs wollen wir gemeinsam mit der Stadtgesellschaft neue Wege und Möglichkeiten finden, wie wir extremistisches Gedankengut isolieren können. Wir wollen aufklären! Dazu brauchen wir auch die Medien. Vor diesem Hintergrund möchte ich Herrn Kaufmann ausdrücklich persönlich einladen, mit den Gewerkschaften und dem Bündnis "Köln stellt sich quer“ eine kritische Diskussion über mögliche strategische Ansätze zu führen. (PK) 
 
In der Reihe "Nachgefragt“ veröffentlicht der DGB in unregelmäßigen Abständen ausführliche Stellungnahmen und Positionen von gewerkschaftlichen Experten/innen aus der Region Köln-Bonn. "Nachgefragt“ bietet nicht nur ausführliche Hintergrundinformationen, sondern spiegelt immer auch die persönliche Sichtweise der jeweiligen Experten/innen wieder.
Weitere Veröffentlichungen aus der Reihe „Nachgefragt“ finden Sie auf der Internetseite www.koeln-bonn.dgb.de. Dort können Sie „Nachgefragt“ auch als RSS-Feed abonnieren. Kontakte: Koeln@DGB.de und www.koeln-bonn.dgb.de


Online-Flyer Nr. 358  vom 13.06.2012



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