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Der Kassenpatient
oder: Besser reich und gesund
Von Wolfgang Bittner

Wissen Sie, dass man aus deutschen Krankenhäusern nicht selten kränker an Körper und Seele herauskommt als man hineingeht? Ein Beispiel: Kürzlich wurde mein Freund Walter wegen Verdachts auf Herzinfarkt, was sich erfreulicherweise als Fehldiagnose herausstellte, in die Klinik eingeliefert. Als erstes musste er seine Versichertenkarte abgeben: AOK. Das erwies sich als ungünstig.
 
In der Notfallstation geriet er an eine sehr junge Assistenzärztin und einen offensichtlich gestressten Pfleger. Einen Oberarzt bekam er nicht zu Gesicht. Der Pfleger – Walter meint, es war ein Praktikant – bohrte wortkarg mehrmals in seinem linken Arm herum, bis er endlich eine passende Vene fand, um die Flexüle anzubringen und ihn an einen Tropf anzuschließen. Dann kam Walter in ein Dreibettzimmer mit zwei anderen Patienten, die jedoch bald starben.
Eigentlich war ihm schon klar, dass er keinen Herzinfarkt hatte, aber es fand sich niemand bereit, ihm zuzuhören. Zu Kontrollzwecken wurde ihm alle drei Stunden Blut abgenommen, allerdings aus dem rechten Arm, weil die Flexüle – offenbar ein Billigprodukt – nicht funktionierte. Ein Desinfektionsmittel wendete der wortkarge Praktikant nicht an. Er betastete die Armbeuge wie auch den Tupfer, bevor er ihn auf den Einstich drückte. Bald war Walters linker Arm dick angeschwollen. Es fehlte nicht viel – so sagt er –, und er hätte einen Herzinfarkt bekommen.
 
Wäre er nicht Kassenpatient, sondern Privatpatient gewesen, hätte Walter natürlich Chefarztbehandlung beanspruchen können und womöglich bessere Chancen gehabt, das Krankenhaus gesund zu verlassen. Doch ihm als AOK-Patient war das nicht vergönnt. Als er nämlich einige Tage später mit seinem entzündeten Arm schwach und zittrig einen Arzt aufsuchte, bei dem er als Kassenpatient erst mal drei Stunden warten musste, wurde bei ihm MRSA festgestellt: Multiresistenter Staphylococcus aureus. Hinter vorgehaltener Hand erfuhr er, dass die meisten deutschen Kliniken – im Gegensatz zum Beispiel zu niederländischen Kliniken – von derartigen Keimen befallen sind, die inzwischen gegen sämtliche Antibiotika resistent sind.
 
„Da kann ich weiter nichts machen“, soll der Arzt gesagt haben, vielleicht werde sich Walters Körper selber helfen. Der Körper tat es, allerdings dauerte das einige Monate, in denen sich Walter ziemlich elend fühlte. Weniger Glück hatte eine Mitpatientin, die am Fuß operiert worden war und eine Knochenentzündung bekam; ihr wurde das Bein amputiert.
 
Kürzlich war zu lesen, dass in Deutschland jährlich bis zu 40.000 Menschen an Infektionen mit MRSA sterben. Seither hat Walters Abneigung gegen Krankenhäuser und gegen unser Gesundheitssystem traumatische Züge angenommen. Zurzeit ist er wegen einer Krankenhausphobie in psychotherapeutischer Behandlung. (PK)


Online-Flyer Nr. 359  vom 20.06.2012



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