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Arbeit und Soziales
Arbeitslose nicht als Begleitmusik für 20 Jahre Tafeln-Jubelfeiern missbrauchen!
Hartz4-Plattform stellt kritische Fragen
Von Brigitte Vallenthin
Beim ersten Treffen des "kritischen Aktionsbündnisses 20 Jahre Tafeln“, Ende Juni in Berlin, kam die Mehrheit der Teilnehmer aus dem Kreis der kirchlichen Anbieter der Tafel-Ausgabestellen, von Caritas und Diakonie, sowie von tafelähnlichen Einrichtungen. Da wundert es wenig, dass später im Protokoll zu lesen ist: „Die Mehrheit der Anwesenden stellte sich hinter die Idee, nicht plakativ gegen die Tafeln zu sein bzw. vorzugehen“ und nur „einige TeilnehmerInnen wünschten sich eine fokussierte Tafelkritik“. Letztere waren Vertreter von vier Hartz IV-Initiativen, von denen kurz nach dem Treffen zwei Gruppen das Bündnis bereits wieder verlassen haben.
Sabine Werth, Gründerin der Berliner Tafel und der
Berliner Tafel-Stiftung, hinter ihr die Autorin bei einer
Lesung aus ihrem Buch "Ich bin dann mal Hartz IV"
Für sie steht in dem Bündnis, das Prof. Dr. Stefan Selke gegründet hat, die Glaubwürdig- keit einer ernsthaften Kritik am System der Tafeln in Frage. Nach Recherchen der Hartz4-Plattform kann das als Rahmen ins Auge gefasste Forschungsprojekt "Tafel-Monitor", keine glaubwürdige Grundlage für Tafel-Kritik darstellen. Man fühle sich eher als Begleitmusik für die Tafel-Jubelfeiern im nächsten Jahr missbraucht. Immerhin definiert das Hochschulprojekt sein Forschungsziel dahingehend, dass es „dezidiert die Seite der Hilfe-Anbietenden in den Blick nimmt“. Nicht zuletzt ist auch seine enge Vernetzung mit der Gründerin der Berliner Tafel sowie der Berliner Tafel Stiftung, Sabine Werth, ein Ausschluss-Kriterium für die Mitarbeit in diesem – nach Ansicht der Hartz4-Plattform – alles andere als tafelkritischem Bündnis.
Gisela Pfeifer-Mellar, stellv. Vorsitzende der
"Berliner Tafel Stiftung" und Geschäftsführerin
der Goldnetz gGmbH
Stattdessen, stellt die Hartz4-Plattform fest, bauen nicht nur die Tafeln ihr bestehendes System mit Beschleunigung aus – sie vernetzen sich auch zunehmend mit anderen Bereichen der Armutsindustrie zu eigener, profitabler Wirtschaftsmacht. So ist beispielsweise Sabine Werths "Berliner Tafel Stiftung" (4) eng verzahnt mit dem Maßnahmen- und Weiterbildungsanbieter Goldnetz e.V./gGmbH in Berlin (5). Goldnetzgründerin Gisela Pfeifffer-Mellar, ist stellvertretende Vorstands-Vorsitzende von Werths Stiftung. Und Goldnetz wiederum soll inzwischen zu den größten Arbeitgebern im Berliner Bezirk Mitte gehören – im Angebot Sozialmärkte und vor allem Fortbildungen auf Rechnung von Bildungsgutscheinen der Bundesagentur für Arbeit. Das Unternehmen empfiehlt sich auf seiner Website mit den Angeboten: „Entwicklung und Umsetzung von Beschäftigungs- und Qualifizierungs-Projekten im Rahmen der Arbeitsförderungs-, Bildungs- und Sozialpolitik.... Im Wesentlichen sind das die Instrumente und Programme des SGB II und III, beispielsweise ... Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwands-Entschädigung ... Arbeitsgelegenheiten mit Entgelt und berufliche Weiterbildung“ – d.h. 1€-Jobs und Mini-Jobs.
Online-Flyer Nr. 363 vom 18.07.2012
Arbeitslose nicht als Begleitmusik für 20 Jahre Tafeln-Jubelfeiern missbrauchen!
Hartz4-Plattform stellt kritische Fragen
Von Brigitte Vallenthin
Beim ersten Treffen des "kritischen Aktionsbündnisses 20 Jahre Tafeln“, Ende Juni in Berlin, kam die Mehrheit der Teilnehmer aus dem Kreis der kirchlichen Anbieter der Tafel-Ausgabestellen, von Caritas und Diakonie, sowie von tafelähnlichen Einrichtungen. Da wundert es wenig, dass später im Protokoll zu lesen ist: „Die Mehrheit der Anwesenden stellte sich hinter die Idee, nicht plakativ gegen die Tafeln zu sein bzw. vorzugehen“ und nur „einige TeilnehmerInnen wünschten sich eine fokussierte Tafelkritik“. Letztere waren Vertreter von vier Hartz IV-Initiativen, von denen kurz nach dem Treffen zwei Gruppen das Bündnis bereits wieder verlassen haben.
Sabine Werth, Gründerin der Berliner Tafel und der
Berliner Tafel-Stiftung, hinter ihr die Autorin bei einer
Lesung aus ihrem Buch "Ich bin dann mal Hartz IV"
Foto: Deutscher Frauenrat
Prof. Dr. Stefan Selke
Quelle: Radio Bremen
Das "kritische Aktionsbündnis 20 Jahre Tafeln“ ist, so beschrieb Prof. Selke seine Entstehung, eine Idee des "Tafelsymposium“ 2012 (1), der jährlichen Veranstaltung des bis zum Sommer 2013 vom Land Baden-Württemberg geförderten Forschungsprojekts "Tafel-Monitor“. Der "Tafel-Monitor“, ein Forschungsprojekt der Hochschulen Esslingen und Furtwangen, beschränkt sich ausdrücklich nur auf die Interessen der Tafel-Anbieter. Seine Kooperationspartner (2) kommen ausschließlich aus den kirchlichen Verbänden – also von den Betreibern der Tafel-Ausgabestellen. Im Projektbeirat aus Tafel-Praktikern (3) sitzen Sabine Werth und Vertreter aus Kirchen- und Sozialverbänden sowie Universitäten. Die Seite der Tafel-"Kunden“ ist in diesem Gremium ebenso wenig vertreten wie die der Tafel-Kritiker. Folglich ist die Zielorientierung auch auf das Fortbestehen des Tafelsystems gerichtet. Sowohl "Tafel-Monitor" als auch das von Prof. Stefan Selke ins Leben gerufene sogenannte kritische Aktionsbündnis blenden bewusst die Hauptgrundlage jeder Tafel-Kritik aus, nämlich – abgesehen von zahlreichen mittlerweile beteiligten Branchen wie Automobilindustrie, Postdienstleistern, Elektronik- und Einzelhandels-Konzernen – den wirtschaftlichen sowie profitablen immateriellen Nutzen für die Lebensmittelindustrie:
• Kosteneinsparung mittels Biomüll-Entsorgung durch die Tafeln,
• Steuergeschenke durch Spendenquittungen für das Entsorgte und
• kostenlose Image-Werbung.
Absurderweise siedelt der "Tafel-Monitor" auch die Tafeln bereits „im Netz der Hilfsorganisationen“ und „im Wohlfahrtsmix“ an und präsentiert unter den zahlreichen Tafel-„Optimierungs“-Zielen beispielsweise „für die Träger und Interessenvertretungen von Tafeln die erhöhte Transparenz
- hinsichtlich des Gebrauchswertes des Angebotes,
- auch im Hinblick auf die Öffentlichkeitsarbeit der Tafeln,
- sowie die Basis für eine fundierte Diskussion der Funktion und Position der
Tafeln im bundesdeutschen Wohlfahrtsmix“.
Tafeln im bundesdeutschen Wohlfahrtsmix“.
Und nach der am Anbieter-Nutzen orientierten Marktforschung des "Tafel-Monitor“ formuliert dann auch das Aktionsbündnis als erstes Ziel
• „ein kritisches öffentliches Bewusstsein über den Zusammenhang von Sozialstaatsabbau und Tafeln (...) zu befördern“,
eine Zielvorgabe, die pikanterweise eine erstaunliche Nähe zur Ablenkungsstrategie des Bundesverbandes der Tafeln in seiner Presseerklärung vom 20. Juni offenbart, wo es heißt:
• „Sozialpolitik muss endlich handeln!“,
so als handelten die Tafeln als selbstlose Gutmenschen, um dem Sozialstaat unter die Arme zu greifen.
Dabei wäre es – wenn der Wohltäter-Drang tatsächlich so groß wäre – für die Player im Tafelsystem ein Leichtes, aus diesem – dem "Nestle-Prinzip“ ehemaliger Dritt-Welt-Entmündigung vergleichbaren – System auszusteigen und auf Basis der bestehenden Strukturen die Privatisierung in Arbeitslosen-Hand voran zu treiben – das Almosen-Empfänger-System also in tatsächlich selbstlose, praktische Hilfe zur Selbsthilfe umzuwandeln.
Gisela Pfeifer-Mellar, stellv. Vorsitzende der
"Berliner Tafel Stiftung" und Geschäftsführerin
der Goldnetz gGmbH
Quelle: herz-schritt-macher.net
Treffen des Aktionsbündnisses in Berlin
Quelle: http://aktionsbuendnis20.de
Inzwischen hat das Aktionsbündnis zwar den Namen Sabine Werth sowohl von seiner Startseite als auch von der Mitgliederliste gelöscht. Es darf allerdings bezweifelt werden, dass deshalb die "Mutter der Tafeln“ dort keine zentrale Rolle mehr spielen wird. An vollmundigen Erklärungen und dem Selbstbewusstsein, in den unterschiedlichsten Initiativen, in allen Gassen also, unterwegs zu sein, mangelt es ihr nicht. Bereits im taz-Interview vom 19.12.2010 hatte sie sogar gemeint, das nötige "Charisma“ zu besitzen, um soziale Proteste in Gang zu bringen. Und am 26.05.2011 erklärte sie auf einer Veranstaltung der Bürgerinitiative bedingungsloses Grundeinkommen Berlin: „Ich bin ganz bestimmt Trägerin des Ehrenamts-Gens, ganz sicher“ und: Menschen, denen „das am Arsch vorbeigeht, sind Menschen, mit denen ich nichts zu tun haben will“.
Neben der Hartz4-Plattform hat sich inzwischen auch das Soziale Zentrum Höxter, für das Thomas und Margit Marion Mädel am Berliner Treffen teilgenommen hatten, von dem "kritischen Aktionsbündnis 20 Jahre Tafeln“ verabschiedet. (PK)
(4) http://www.berliner-tafel-stiftung.de/02_vorstand.php?PHPSESSID=adde96c966ccb558f807fa870ce15129
Brigitte Vallenthin ist Pressesprecherin der Hartz4-Plattform
Fon 0611-1721221
Mobil 01525-3520721
Einen ersten Beitrag zu diesem Thema konnten oder können Sie bereits in NRhZ 361 vom 4. Juli unter http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=17976 lesen
Online-Flyer Nr. 363 vom 18.07.2012