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Wer schützt unsere Verfassung vor diesem Verfassungsschutz…
...und vor Innenminister Friedrich?
Von Hans Fricke
Man mag die Beteuerungen nicht mehr hören, die wenige Tage nach dem Auffliegen der Zwickauer Terrorzelle "NSU" vom Verfassungsschutz geschredderten Akten hätten keine Bezüge zur Terrorzelle enthalten. Die bisherigen Ermittlungen zeigen, dass es sich dabei um Schutzbehauptungen handelt, die jeder Grundlage entbehren. Die Erkenntnisse über immer neue Vorfälle treffen schneller ein, als der Sonderermittler arbeiten kann.
Neuer Verfassungsschutzpräsident
Hans-Georg Maaßen - soll alles
besser machen…
Am selben Tag, als die Ermittler Akten für die Bundesanwaltschaft zusam-menstellen sollten, sind nach Miteilung von Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm Akten vernichtet worden. Der Untersuchungsausschuss des Bundestages geht von einer gezielten Aktenvernichtung im Bundesamt für Verfassungsschutz aus. "Heute ist nachdrücklich klar geworden: Es gab eine Vertuschungsaktion", erklärte der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) am Rande einer nichtöffentlichen Sondersitzung des Gremiums. Weiter sagte er: Sie (die Ermittler) seien aufgefordert worden, Akten zu suchen, sie haben Akten gefunden und sie haben die Akten vernichtet.
...und natürlich weiter unter
Bundesinnenminister Friedrich
Wie dessen Sprecher Jens Teschke am Freitag einräumte, habe sich die Vernichtung von Abhörprotokollen durch das Bundesamt für Verfassungsschutz bis zum Mai dieses Jahres hingezogen(...). Bekannt war, dass mehrere Beamte im Bundesamt für Verfassungsschutz im November 2011 in zwei Schritten und auf eigene Faust Akten (mit Informationen über die 'Operation Rennsteig') vernichtet haben.
Online-Flyer Nr. 364 vom 25.07.2012
Wer schützt unsere Verfassung vor diesem Verfassungsschutz…
...und vor Innenminister Friedrich?
Von Hans Fricke
Man mag die Beteuerungen nicht mehr hören, die wenige Tage nach dem Auffliegen der Zwickauer Terrorzelle "NSU" vom Verfassungsschutz geschredderten Akten hätten keine Bezüge zur Terrorzelle enthalten. Die bisherigen Ermittlungen zeigen, dass es sich dabei um Schutzbehauptungen handelt, die jeder Grundlage entbehren. Die Erkenntnisse über immer neue Vorfälle treffen schneller ein, als der Sonderermittler arbeiten kann.
Neuer Verfassungsschutzpräsident
Hans-Georg Maaßen - soll alles
besser machen…
Quelle: wikipedia
Wie andere Abgeordnete erklärte auch der FDP-Obmann Hartfried Wolff: "Nach den neuen Meldungen fällt es mir wirklich schwer zu glauben, dass die Akten versehentlich oder zufällig vernichtet wurden."
Unter Bezugnahme auf - unmittelbar nach Auffliegen des NSU - vom Verfassungsschutz gelöschte V-Mann-Akten teilte der Grünen-Obmann Wolfgang Wieland mit, dass das Innenministerium davon ausgehe, "dass das absichtlich und planvoll geschah". Einem Bericht der Stuttgarter Nachrichten vom 19.07.2012 zufolge habe auch das Bundesinnenministerium nur zehn Tage nach Auffliegen der Terrorzelle einen Befehl zur Löschung von Protokollen erteilt, die Abhörmaßnahmen gegen Neofaschisten enthielten.
Der ehemalige, für das Schreddern verantwortliche Referatsleiter hat in geheimer Sitzung einen verheerenden Einblick in den Umgang der Behörde mit ihrem wichtigsten Gut, den Akten, gegeben. Es gleiche einer Lotterie, ob Akten zur Erkenntnis-Beschaffung gelöscht oder aufbewahrt wurden, sagte Unions-Obmann Clemens Binninger. Und Grünen-Obmann Wolfgang Wieland meinte, die Aktenführung sei völlig freihändig gewesen.
Löschungsvermerk? Fehlanzeige
Unter der Überschrift "Friedrich ließ in Serie schreddern" schrieb Markus Decker am 21.Juli 2012 in der Frankfurter Rundschau: "Das von Hans-Peter Friedrich (CSU) geführte Bundesinnenministerium ließ in weit größerem Umfang Akten zur NSU-Affäre vernichten, als bisher bekannt war.
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Bundesinnenminister Friedrich
NRhZ-Archiv
Darüber hinaus, das wird seit Mittwochabend schrittweise öffentlich, wurden auf Geheiß des Ministeriums vom 14.November 2011 viermal Akten über Abhörmaßnahmen im rechtsextremistischen Bereich geschreddert, in deren Zentrum offenbar auch Personen standen, die mit dem NSU um Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zu tun hatten - nämlich im November, im Dezember, im April und im Mai."
In Thüringen sind nach einem Bericht des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) neue Akten zur NSU-Terrorzelle aufgetaucht. In Archiven der Kriminalpolizei seien tausende Dokumente gefunden worden, die 20 Ordner füllen, berichtete der MDR. Darin seien Einzelheiten zu Ermittlungen gegen die rechtsextreme Vereinigung "Thüringer Heimatschutz" enthalten, wo Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe Mitglieder waren.
"Hier wird nicht aufgeklärt, sondern vertuscht"
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, kritisierte die Vorgänge unterdessen heftig. "Hier wird nicht aufgeklärt, sondern vertuscht", sagte er der Berliner Zeitung. "Und auch das Bundesinnenministerium trägt zur Vertuschung bei. "Dies sei "ein ungeheuerlicher Vorgang". Kolat fügte hinzu: "Herr Friedrich trägt jetzt die volle politische Verantwortung und muss gegebenenfalls die politischen Konsequenzen ziehen." Er schlage zunächst vor, ihn als Zeugen vor den Untersuchungsausschuss zu laden.
Wird hinter den Neonazis aufgeräumt? Wer hat Interesse daran, mögliche Verquickungen der Terroristen mit deutschen Behörden zu vertuschen Volle Aufklärung, das ist bei der Anzahl der bereits vernichteten Akten zu befürchten, wird es kaum noch geben können. Da die Existenz der Terrorzelle den Behörden jahrelang verborgen blieb, werden viele personelle und organisatorische Verbindungen des Terrortrios erst jetzt rekonstruierbar.
Am 8.November 2011, d.h. vier Tage nach dem Tod von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, traf sich das Bundeskabinett laut Berliner Zeitung zu einer Beratung im Kanzleramt. Thema der Sitzung: Existenz einer rechten Terrorgruppe in Deutschland. Höchst bemerkenswert daran: Die Fahnder wollen erst einen Tag später, am 9. November, bei der Auswertung der Spuren in der Zwickauer Brandruine auf die Querverbindung zwischen den toten Eisenacher Bankräubern und der Mordserie an Migranten gestoßen sein. Im Kanzleramt wusste man das offenbar schon früher.
Neue Geheimakte zum "NSU"
Nach dem Rücktritt dreier Amtschefs sorgt nun eine neue Geheimakte des Bundesamtes zum "NSU" für Aufregung. Die Dokumente wurden erst kürzlich unerwartet in Sachsen gefunden. Wie sie in das dortige Landesamt für Verfassungsschutz gelangten ist wie so vieles unklar. Das Konvolut hatte bei der bereits abgeschlossenen Untersuchung der sächsischen parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) zum NSU-Komplex gefehlt. Fraglich ist neben der Herkunft, ob die Akte zunächst bewusst zurückgehalten wurde.
Die Opposition im Bundestag fordert nun Aufklärung vom Bundesinnenminister. "Der Sachsen-Skandal ist mithin ein Bundes-Skandal. Und politisch zuständig ist letztlich Bundesinnenminister Friedrich", sagte die Linke-Abgeordnete und Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau am 12 .Juli 2012.
Der Thüringer Verfassungsschutz hat einem Pressebericht vom 18.12.2012 zufolge erstmals eine Geldzahlung an das Zwickauer Neonazi-Trio eingeräumt. Danach ließ der Geheimdienst der Terrorzelle über Mittelsmänner mehr als 2.000 Mark für gefälschte Pässe zukommen. Das habe ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes am 6. Dezember 2011 vor der geheim tagenden Kontrollkommission des Thüringer Landtages berichtet, schreibt Bild am Sonntag. Der Thüringer Verfassungsschutz finanzierte das Neonazi-Trio indirekt auch durch den Ankauf des antisemitischen Brettspiels "Pogromly" für jeweils 100 Mark, schreibt die Zeitung.
Der "Glaser-Bericht"
Im Jahr 2000 wurde der damalige Präsident des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz, Helmut Roewer, suspendiert. Der Rechtsanwalt, ehemalige Thüringer Staatssekretär und Innenminister (2004 bis 2008), Karl-Heinz Gasser untersuchte die Zustände im Amt unter Roewer und fasste seine Erkenntnisse in einem zunächst als "VS - geheim" klassifizierten umfangreichen Bericht zusammen. Der "Glaser-Bericht", der zwischenzeitlich als verschollen galt, ist nun im Internet unter https:nsuleaks.wordpress.com veröffentlicht worden.
Er gestattet einen ebenso interessanten wie aufschlussreichen Einblick in die inneren Zustände im Thüriger Verfassungsschutz der 90er Jahre. Unter 4. Situation des Amtes, Ursachen ist u.a. zu lesen:
"Das Amt befindet sich derzeit in einem labilen Zustand, die Funktionsfähigkeit ist in Teilbereichen gestört. Bei den Mitarbeitern ist eine deutliche Unruhe, mangelnde Motivation und z.T. sogar Angst vorhanden. Viele sind insbesondere darüber bestürzt, das Interna des Amtes nach außen gelangt sind und dies - wie sich den einschlägigen Presseberichten entnehmen lässt - weiterhin geschieht.
Das Amt ist durch Gruppierungsbildungen gespalten. Innerhalb des Amtes lassen sich zwei Gruppierungen feststellen, die sich bekämpfen und ihre Auseinandersetzungen durch gezielte Informationen an die Medien fortsetzen. (...)
Im Zusammenhang mit der Tätigkeit der wissenschaftlichen Angestellten sind eine Vielzahl ungewöhnlicher Verhaltensweisen geschildert worden, die gegen nahezu alle Grundsätze einer ordnungsgemäßen Personalführung verstoßen. (...)
Ungewöhnlich dürfte auch sein, dass der Behördenleiter öfters auf dem Flur oder in seinem Dienstzimmer mit auf dem Schreitisch liegenden nackten Füßen angetroffen wurde."
Jeder normale Mensch stellt sich angesichts der oben geschilderten skandalösen Sachverhalte, die mit Sicherheit nur die Spitze der Verhältnisse des Eisbergs "Innengeheimdienst der Bundesrepublik Deutschland" kennzeichnen, die Frage, wie ist so etwas Unfassbares überhaupt möglich?
Ein "Hort brauner Gesinnung"
"Nicht möglich ! So denkt man im ersten Augenblick," meinte auch Hans-Peter Hoffmann in seiner Lesermeinung in junge Welt vom 21./22.7.2012, bevor er fortfuhr: "Wenn man aber die historischen Zusammenhänge betrachtet, erscheint die Sache nicht mehr so unmöglich: Unter den Gründern des Verfassungsschutzes waren zahlreiche altgediente und verdiente Nazis, die sich ihre Lorbeeren in Hitlers Verbrecherorganisationen geholt hatten. Sie waren in Zeiten des kalten Krieges hochwillkommene Spezialisten im Kampf gegen die Ausbreitung des Kommunismus. Von der Adenauer-Regierung eingeladen, hoben sie Verfassungsschutz, Kriminalämter und den Vorläufer des BND aus der Taufe.
Ihre Gesinnung hatten die Herren nicht geändert, sondern nur spärlich mit einem demokratischen Mäntelchen getarnt. Nachfolger wurden in erster Linie aus verlässlichen Verwandten- und Freundeskreis angeworben. So war der heute deutlich zu sehende braune Rechtstrend programmiert.
Durch staatlich verordnete strengste Geheimhaltung, fernab aller Kontrollmechanismen entwickelte sich so der Verfassungsschutz zum Hort brauner Gesinnung und zu einem Filz von Nazi- und Neonazisympathisanten (...) In diesem Kreis wäre es nicht einmal nötig, Anweisungen zur Vernichtung brisanter Unterlagen zu geben. Die Kameraden handeln auch aus Pflichtbewusstsein im Sinne eines vorauseilenden Gehorsams."
Hinter die Kulissen schauen
Bei allem Unglück, das die neonazistischen Mörder der Zwickauer Terrorzelle viele Jahre lang ungestört von den deutschen Sicherheitsorganen über die Familien der von ihnen getöteten Opfer bringen konnten, und bei aller Deutlichkeit, mit der das Unvermögen bzw. der Unwille dieser Organe, insbesondere des Verfassungsschutzes, dem brauen Spuk ein Ende zu bereiten, seit Monaten zutage tritt, bieten die derzeitigen Untersuchungen die Chance, hinter die Kulissen zu schauen, den Verfassungsschutz und seine Arbeitsmethoden bar aller Geheimnistuerei kennenzulernen und sich für Veränderungen der gegenwärtigen Verhältnisse, der unerträglichen Bespitzelungen demokratisch gesinnter Bürgerinnen und Bürger, der Verletzungen der Persönlichkeitsrechte und des Grundgesetzes einzusetzen.
Es ist höchste Zeit, dass die Bürger aufwachen, erkennen, was gespielt wird, von den Geheimdiensten gesetzliches Handeln und von den Regierenden eine ständige zuverlässige Kontrolle fordern.
Nachfolgeorganisation der Gestapo
Die eigentliche Aufgabe des Verfassungsschutzes ist nicht der Schutze der Verfassung, sondern die Überwachung Deutschlands auf Bewegungen, die dem System der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und Ausbeutung gefährlich werden könnten. Seine Aufgabe ist es, nichts zuzulassen, welches der weitergehenden Plünderung von Land und Bevölkerung durch Konzerne und Banken entgegenwirken könnte.
Der deutsche Verfassungsschutz wurde im Jahr 1950 als Nachfolgeorganisation der Gestapo gegründet und wird seitdem von den alliierten Geheimdiensten geführt, bzw. vom NATO-Kommando, das auch für "GLADIO" zuständig war. (GLADIO war eine geheime Terrororganisation von NATO, CIA und der britischen MI 6 während des kalten Krieges. 1990 wurde bekannt, dass Teile der Organisation unter Mitwirkung von staatlichen Organen systematisch und zielgerichtet an gravierenden Terrorakten in mehreren europäischen Ländern beteiligt waren.) Hierin ließe sich auch die Behauptung einordnen, Adolf von Thadden und der bititische MI 6 sollen die NPD gegründet haben.
"Das Grundgesetz ist links"
In seiner Kolumne "Verfassungsschutz-Affäre. Das Grundgesetz ist links" schrieb Jacob Augstein am 26.01.2012 in SPIEGEL ONLINE: "Von wegen Verfassungsschutz! Es geht um das (vor)herrschende System. Das Grundgesetz ist großartig. Es lohnt unbedingt, dieses Gesetz zu schützen. Man sollte es allerdings vorher mal lesen. Artikel 14, Eigentum verpflichtet, oder Artikel 15, Produktionsmittel können vergesellschaftet werden - wer das zur Richtschnur seines politischen Handelns machen wollte, wäre in Deutschland ein Revolutionär. Und damit ein Fall für die Bespitzelung durch den Verfassungsschutz. Das Grundgesetz ist keine Ausnahme unter den deutschen Verfassungstexten. In der Bayrischen Landesverfassung findet sich der Satz, die Erbschaftssteuer diene auch dem Zweck 'die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen einzelner zu verhindern'. Dies hätte Sahra Wagenknecht auch nicht besser formulieren können. Aber die wird ja auch vom Verfassungsschutz überwacht.
Die Linkspartei hat 76 Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Sie lag in den vergangenen Wahlen im Jahr 2009 bei 11,9 Prozent der Stimmen. Sie ist in 13 Länderparlamenten vertreten. In fünf Ländern erreichte sie mehr als 20 Prozent der Stimmen. Wenn dies eine Partei voller Verfassungsfeinde ist, hat Deutschland ein ernstes Problem. Da kann man den sieben BFV-Mitbeitern nur Glück wünschen, die mit der Beobachtung von 27 Abgeordneten und 11 weiteren Fraktionsmitgliedern in den Ländern ihr Dasein fristen.
Herman Gröhe fasste die Notwendigkeit, die Linkspartei zu beobachten, knapp zusammen: Sie ist eine "Gefahr für unsere Demokratie". Das sagt der Generalsekretär der CDU, die einen Präsidenten stellt, für den die Wahrheit eine disponible Größe ist, eine Kanzlerin, die einem Plagiator die Stange halten wollte und eine Bundesregierung, der das Parlament seine Rechte vor dem Bundesverfassungsgericht abtrotzen muss."
Beobachtung von Mitgliedern der Linksfraktion
Welche Aufgabe erfüllt heute der Verfassungsschutz? Er schützt keineswegs die Verfassung, sondern die (vor)herrschenden Verhältnisse. Und die haben mit dem Geist der Verfassung immer weniger zu tun.
Die Gründungsväter der Bundesrepublik hatten einen anderen Staat vor Augen, als wir ihn heute sehen. Nämlich einen, der - das steht übrigens in Artikel 20 - sozial, demokratisch und föderal ist. Sozial ist das Land schon lange nicht mehr, demokratisch ist es immer weniger, einzig der föderale Charakter ist noch einigermaßen intakt."
Von nicht wenigen Politikern hat man aufgrund ihres Verhältnisses zum Grundgesetz den Eindruck, dass sie vom Grundgesetz reden, ohne zu wissen, was drin steht. Sie erinnern in fataler Weise an den Bundesinnenminister Hermann Höcherl (CSU), von dessen politischem Leben vor allem ein Satz blieb. Er könne schließlich nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen, sagte er im Zusammenhang mit einer Abhöraffäre des Jahres 1963.
Dass mehr als ein Drittel der Linksfraktion im Bundestag offenbar vom Verfassungsschutz beobachtet werden, schockiert nicht nur die Linken selbst. Auch in anderen Parteien wird Kritik am Vorgehen der Geheimdienste laut, und zwar bis in die Regierung hinein. So äußerte Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) Unverständnis über das Vorgehen des Verfassungsschutzes gegen die Partei. "Es kann nicht sein, das Abgeordnete flächendeckend überwacht werden", sagte Niebel.
Auch für die Grünen ist das Verhalten des Verfassungsschutzes nicht nachvollziehbar. Es stelle sich schon die "Frage nach Sinn und Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, Volker Beck. "Disproportional wirken die Maßnahmen zudem, wenn man sie vom Aufwand her mit den Maßnahmen gegen die NPD vergleicht." Der SPIEGEL berichtete, sieben Mitarbeiter des Verfassungsschutzes seien mit der Linkspartei beschäftigt. Für die rechtsextreme NPD seien zehn Stellen eingeplant.
Nach den der Parlamentarischen Geschäftsführerin der Linken, Dagmar Enkelmann, vorliegenden Hinweisen werte der Verfassungsschutz nicht nur offen zugängliche Quellen über die Abgeordneten der Linkspartei aus, sondern bespitzele sie auch. "Das ist eine ernste Beeinträchtigung meiner Aufgabe als direkt gewählte Abgeordnete", sagte sie. Sie müsse damit rechnen, dass Menschen aus ihrem Wahlkreis sich nicht mehr an sie wenden, weil sie fürchten, Telefongespräche könnten mitgeschnitten werden. Und Gregor Gysi erklärte, die Überwachung der Abgeordneten sei "ein Skandal". Der Verfassungsschutz habe "schlicht und einfach eine schwere Meise".
Verantwortung von Innenminister Friedrich
Zu kurz kommt bei den bisherigen Untersuchungen des Versagens des Verfassungsschutzes die Frage nach der politischen Verantwortung des Bundesinnenministers Hans-Peter Friedrich (CSU) und den sich daraus ergebenden Konsequenzen. Dass das Sichern der Akten so spät geschieht, ist ein Versagen des verantwortlichen Ministers. Er hat in der Affäre Transparenz und Aufklärung versprochen, zu spüren ist davon noch wenig.
Wer wie Friedrich als Sonderermittler für die Schredder-Affäre im Verfassungsschutz ausgerechnet jemand aus dem eigenen Ministerium einsetzt, das selbst fleißig am Vernichten der Akten beteiligt war und wer wie er für den neuen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen voll des Lobes ist, den das Bundeskabinett als neuen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz ausgewählt hat, dem aber der Akademische Rat der Freien Universität Berlin am 12. Juli 2012 wegen seiner umstrittenen Rolle in der Kurnaz-Affäre die Ernennung zum Honorarprofessor verweigerte, kann nicht erwarten, dass sein Aufklärungswille ernst genommen wird.
Seit Tagen steht Maaßen in der Kritik, mit einem Rechtsgutachten im Jahr 2002 die Entscheidung der rot-grünen Bundesregierung legitimiert zu haben, den jahrelang unschuldig in Guantanamo einsitzenden Kurnatz im Falle einer Freilassung nicht einreisen zu lassen. Der promovierte Jurist hatte in einer Vorlage für die Spitze des Innenministeriums den Schluss gezogen, Kurnaz dürfe aus formalen Günden nicht wieder einreisen. Seine Aufenthaltsgenehmigung sei erloschen, weil er sich "länger als sechs Monate im Ausland" aufgehalten habe.
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland erklärte: "Herr Maaßen ist eine unglückliche Auswahl. Er hat eine restriktive Haltung in der Ausländerpolitik und keine Expertise im rechtsextremistischen Bereich. Ein personeller Neuanfang wäre besser gewesen." Auch Kurnaz selbst äußerte sich ablehnend. "Jeder wusste, was in Guantnamo ablief", betonte er. "Und Menschen, die zur Folter nicht nein sagen, können nicht für den Staat arbeiten." Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast forderte, einen großen Teil des Personals bei den Verfassungsschutzämtern von Bund und Ländern auszutauschen. "Dieser Fisch stinkt nicht nur vom Kopf her", sagte sie der Saarbrücker Zeitung.
Tranjev Schultz ist zuzustimmen, wenn er am 19.07.2012 in sueddeutsche.de schreibt: "Für einen gewaltigen Staatskomplott gibt es zwar weiterhin keine Anzeichen, aber das Ausmaß an Dilettantismus und Vertuschung im Kleinen, das nun ans Licht kommt, summiert sich ebenfalls zu einer großen Affäre. Und die Frage liegt nahe, wie es in den Sicherheitsbehörden eigentlich dort aussieht, wo derzeit niemand hinschaut. Wie gehen sie beispielsweise mit Islamisten um und mit den Akten, die über sie angelegt werden? Durchforsten die Beamten vielleicht gerade diese Dokumente auf Pannen und Peinlichkeiten, um sie rechtzeitig still und heimlich zu vernichten?
Trotz aller gegenwärtigen Aufregung in den Chefetagen von Politik und Geheimdiensten, der ehrlichen Bemühungen von Mitgliedern der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, Licht in das Dunkel des Chaos des Verfassungsschutzes zu bringen und trotz vieler vollmundiger Erklärungen und Versprechen der Bundesregierung ist aufgrund jahrzehntelanger Erfahrungen zu befürchten, dass sich nichts ändern wird. Die rechtsradikale Bedrohung wird politisch weiterhin gebraucht. Wollte man die rechtsradikalen Verbrechen wirklich stoppen, müsste man den Verfassungsschutz auflösen! (PK)
Hans Fricke ist Autor des 2008 im verlag am park erschienenen Buches "Politische Justiz, Sozialabbau, Sicherheitswahn und Krieg", 382 Seiten, Preis 19.90 Euro, ISBN 978-3-89793-155-8
Online-Flyer Nr. 364 vom 25.07.2012