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Lokales
Berliner Wassertisch-Brief an die Abgeordneten zum Rückkauf der RWE-Anteile
Rückkauf ohne Aufklärung und Debatte?
Von Ulrike Kölver, Gerlinde Schermer, Gerhard Seyfarth, Ulrike von Wiesenau

Wie jetzt bekannt wurde, soll der Rückkauf der RWE-Anteile der Berliner Wasserbetriebe (BWB) bereits am 30. August ohne Debatte vom Plenum des Abgeordnetenhauses abgesegnet werden. Die Verabschiedung noch im August sei notwendig, um Steuergelder zu sparen, heißt es. Der Berliner Wassertisch weist diese Begründung als vorgeschoben zurück und hat deshalb einen Brief an die Berliner Abgeordneten geschrieben, den auch Sie jetzt hier lesen können. – Die Redaktion 
 
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, sehr geehrte Frau Abgeordnete,
auf das Abgeordnetenhaus kommt eine Entscheidung über den Senatsbeschluss zu, der am 16.7.2012 über den Rückkauf des Anteils der Firma RWE an den Berliner Wasserbetrieben (BWB) gefasst wurde. Senator Nußbaum gibt die Ihnen unterbreitete Beschlussvorlage als Umsetzung des Volksentscheids „UNSER WASSER" vom Februar 2011 aus.
 
Die Berliner Bevölkerung verspricht sich von der Rückführung der Wasserbetriebe in die öffentliche Hand dauerhafte finanzielle Entlastung, aber diesem Willen wird die Senatsvorlage gar nicht gerecht. Sie ist außerdem verfassungsrechtlich keineswegs einwandfrei.
 
Die Initiatoren des Volksentscheides, bei dem 666.235 Personen in Berlin für die Veröffentlichung der bis dahin geheimen Wasserverträge votiert hatten, möchten Sie als gewählte Volksvertreter daher auf die allerwichtigsten Einwände gegen den Senatsbeschluss aufmerksam machen.
 
1. Für den Rückkauf des RWE-Anteils sieht die Vorlage die Gründung einer
Finanzierungsgesellschaft vor, die bei der Investitionsbank Berlin einen Kredit aufnimmt. Diese Verfahrensweise verstößt jedoch gegen Art. 87, Abs. 1 der Verfassung von Berlin, der besagt, dass „ohne gesetzliche Grundlage weder Steuern …erhoben … noch Anleihen aufgenommen …werden" dürfen. Eine solche gesetzliche Grundlage gibt es aber für das vom Senat beschlossene Finanzierungsmodell nicht. Wir verweisen auf Dr. H. W. Weinzen (SPD), Senatsverwaltung für Finanzen, in: „Berliner Stimme", 4. August 2012. Die Abwicklung über eine Finanzierungsgesellschaft verstößt eindeutig gegen die Budgethoheit des Parlamentes, selbst wenn diese Gesellschaft landeseigen ist. Durch die Gründung der Finanzierungsgesellschaft versucht der Senat den Rückkauf in den privatrechtlichen Bereich zu verschieben. Wie aber auch der Landesverfassungsgerichtshof am 6.10.2009 entschieden hat, sind privatrechtliche Verträge staatlicher Instanzen zwar statthaft, dürfen dadurch aber nicht der öffentlich-rechtlichen Kontrolle entzogen werden, zumal es beim Wasser um den Kernbereich der Daseinsvorsorge geht.
 
Auch die Präsidentin des Rechnungshofs von Berlin, Frau Marion Claßen-Beblo hat sich am 15.6.2012 gegen derartige Verschleierungen von Krediten gewandt: „Die Rechnungshöfe aller Länder warnen davor, die Schuldenbremse zu umgehen oder auszuhöhlen, z.B durch die Verlagerung öffentlicher Kreditaufnahmen auf landeseigene Unternehmen." Der Senatsbeschluss sieht aber eindeutig eine solche (verschleierte) Schattenhaushalts-Transaktion vor. Das ist grundsätzlich verfassungswidrig.
 
Das korrekte Verfahren wäre, die Kaufsumme und den dazu gehörigen Kredit im Haushalt auszuweisen und somit auch der Budgethoheit des Abgeordnetenhauses zu unterstellen, das auf diese Hoheit zu verzichten nicht berechtigt ist.
 
Eine Zustimmung der Abgeordneten zu dem vorliegenden Senatsbeschluss kann daher nur dazu führen, „eine Verfassungsklage zu provozieren, die man nur verlieren kann" (Weinzen, a.a.O.).
 
2. Nach der Preismissbrauchsverfügung des Bundeskartellamtes müssen in Berlin die Trinkwasserpreise um ca. 18% gesenkt werden. Da es sich bei Kartellrecht um Bundesrecht handelt, kann die (verfassungswidrige) Gewinnausfallgarantie in § 23.7 des Konsortialvertrages nicht gelten. Damit sinken die Gewinnerwartungen, und natürlich hängt der Ertragswert eines Unternehmens von den zukünftigen Ausschüttungen ab. Die sinkende
Dividende senkt den Wert des Unternehmensanteils von RWE um viele Millionen Euro. Senator Nußbaum hat aber den geforderten Kaufpreis ohne jede Berücksichtigung der verfügten Wasserpreis-Senkung vorschnell akzeptiert.
 
Das bedeutet: RWE soll ausbezahlt werden, als ob es die Missbrauchsverfügung nicht gäbe. Der Senat will die Gewinngarantien aus dem Altvertrag bis 2028 vollständig erfüllen. Damit veruntreut er vorsätzlich Geld der Berlinerinnen und Berliner zugunsten des Konzerns
RWE.
 
3. Der Finanzsenator hat laut Zeitungsmeldungen behauptet, dass niemand den Unternehmenswert der Berliner Wasserbetriebe genau berechnen könne. Das ist offensichtlicher Unsinn, der die Öffentlichkeit irreführen soll. Der Wert jedes Unternehmens, auch der der BWB, lässt sich nach betriebswirtschaftlichen Kriterien selbstverständlich ziemlich genau berechnen - und RWE hat das natürlich auch getan, Nußbaum mit Sicherheit auch. Das ist betriebswirtschaftlicher Alltag, ohne den Unternehmens-Käufe/Verkäufe überhaupt nicht möglich wären. In diesem speziellen Fall gehören zur Wertermittlung auch die Verlustvorträge der stillen Gesellschafter RWE/Veolia aus dem Skandal-Geschäft „Schwarze Pumpe" (267 Millionen € per 31.12.2011) zur Berechnung des Unternehmenswertes. Diese Verluste in der Vertragsvorlage und bei der Festlegung des „Kaufpreises" von 650 Millionen € still unterzumogeln, bedeutet ein zusätzliches Millionengeschenk an die Privaten auf Kosten der Berliner. Der Preis ist in verschiedener Hinsicht um mehrere Hundert Millionen Euro überhöht.
 
Dass der Senator behauptet, den Unternehmenswert nicht ermitteln zu können (und es angeblich auch sonst niemand können soll), ist bestenfalls ein schlechter Witz. Senator Nußbaum ist selbst Geschäftsmann: wenn es um sein eigenes Unternehmen ginge, würde er sich niemals so dumm stellen.
 
Wir wenden uns daher an Sie als Abgeordnete, als von uns gewählte Volksvertreter, mit der dringenden Forderung: Beachten Sie die Verfassung und folgen Sie nicht blind einer Exekutive, die sich weiter darüber hinwegsetzen will. Beachten Sie das finanzielle Interesse der Menschen in dieser Stadt, das der Senat mit seiner Vorlage erneut missachtet.
 
Im Einzelnen fordern wir Sie auf, vor jedweder Abstimmung über den Senatsbeschluss die Erfüllung folgender Bedingungen zu verlangen: 
Ermittlungen zum Unternehmenswert und die Berechnungen dazu müssen jeder/jedem Abgeordneten zur Prüfung und Beratung vorliegen.
Die Kartellamtsverfügung muss im Interesse des Volkes, das Sie vertreten, unbedingt berücksichtigt werden.
Der Senat muss einen Finanzierungsplan vorlegen, der von Ihnen keine Zustimmung zu einem verfassungswidrigen Schattenhaushalt verlangt (Ausweisung des Kaufpreises im Haushalt).
Vor Abschluss / Ratifizierung neuer Verträge muss die Prüfung der (mit Sicherheit verfassungswidrigen) bisherigen Verträge entsprechend dem am 12.3.2011 durch Volksentscheid in Kraft gesetzten Gesetz erfüllt sein (unabhängige Begutachtung).
 
Wir bitten Sie nachdrücklich, Ihrer Verantwortung gerecht zu werden und der Beschlussvorlage des Senats, mit der die Berliner Bevölkerung erneut betrogen wird, auf keinen Fall zuzustimmen!
 
Mit freundlichen Grüßen
für den Berliner Wassertisch
 
Michel Tschuschke, Ulrike Kölver, Gerlinde Schermer, Gerhard Seyfarth, Ulrike von Wiesenau
 
 


Online-Flyer Nr. 368  vom 24.08.2012



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