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Aktueller Online-Flyer vom 16. April 2025  

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Kommentar
Bemerkenswerte Predigt des Leipziger "Wendepfarrers" Christian Führer
Nachhilfe für Merkel, Gauck & Co
Von Hans Fricke

Ausgerechnet der ehemalige Leipziger Nikolaikirchenpfarrer Christian Führer, der vor und während der "Wende" durch die "Montagsgebete" für Aufsehen sorgte und in diesem Jahr die Schirmherrschaft für die Ökumenische FriedensDekade übernommen hat, hat die Christen in Deutschland aufgerufen, sich aktiv für die Abschaffung des kapitalistischen Wirtschaftssystems einzusetzen.

"Wende"-Pfarrer Christian Führer
Quelle: http://leipzig-seiten.de/
 
Laut einer Meldung von "UK, Unsere Kirche", Evangelische Zeitung für Westfalen und Lippe, vom 3. September hat der Leipziger Theologe am 2. September in einer Predigt in der Kieler Ansgarkirche erklärt, der globale Kapitalismus sei nicht zukunftsfähig, zerstöre die Umwelt und die Menschen. Es müsse eine Wirtschaftsform des Teilens entwickelt werden. Entschieden wandte er sich gegen die These, dass es zum kapitalistischen und marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystem keine Alternative gibt. Diese These sei "fantasielos" und vergleichbar mit der These eines Steinzeitmenschen, dass es zum Faustkeil keine Alternaive gebe. Der Kapitalismus sei nicht in der Lage, ein weltweit gerechtes Wirtschaftssystem ohne Ausbeutung von Menschen und Ressourcen zu schaffen.
 
Damit wendet Führer sich gegen all jene, die uns das kapitalistische Wirtschaftssystem gebetsmühlenartig als zukunftsträchtig und alternativlos einzureden versuchen, egal ob sie nun Merkel, Gauck, Seehofer, Gabriel, Rösler, Trittin heißen oder als Springer- bzw. Bertelsmann-Medienkonzern diese verlogene These rund um die Uhr verbreiten. 
 
Die Politik von Angela Merkel ist auf ein ungebremstes Wirtschaftswachstum und steigende Profite der Banken und Konzerne ausgerichtet. Dabei ist ihr offensichtlich gleichgültig, welche katastrophalen Folgen eine solche Politik für die Menschen und ihre Umwelt hat. Während die Bundesregierung den unersättlichen Banken immer neue Milliarden Euro in den Rachen wirft und weitere Milliarden für die Teilnahme unseres Landes an völkerrechtswidrigen Kriegen und den weltweiten Einsatz der Bundeswehr verpulvert, wird der Sozialstaat weiter zerschlagen, geht die Lebensqualität der jetzt Lebenden und der ihnen folgenden Generationen immer schneller den Bach hinunter.
 
In ihrem Bestreben, die Superprofite der deutschen Rüstungsindustrie auch in der gegenwärtigen Euro-Krise zu sichern, liefert die Bundesrepublik Kriegsgerät, darunter Leopard 2-Panzer und U-Boote auch in Krisengebiete und hat keinerlei Skrupel, sie in die Hände von demokratiefeindlichen Regimes und reaktionären Diktatoren zu geben. So halfen im März 2011 Truppen des an deutschen Panzern interessierten Saudi-Arabien dem König des Nachbarlandes Bahrein, gegen die schweren Unruhen in seinem Land vorzugehen und dort den arabischen Frühling vorerst abzuwürgen. Auch nach Indonesien will Deutschland diese Panzer liefern. Im Gespräch ist weiter der Verkauf von zwei modernen U-Booten an Ägypten, die angeblich noch vom gestürzten Diktator Mubarak bestellt worden seien.
 
Zu Recht stellt der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Jan van Aken, fest: "Sollten die Berichte zutreffen, muss sich die Bundesregierung den Vorwurf gefallen lassen, die ohnehin konfliktgeladene Situation in der Region weiter anzuheizen."
 
Mindestlöhne, Würde und Selbstwertgefühl der arbeitenden Menschen, Rentengerechtigkeit und Altersarmut sind Kategorien, die scheinbar nur am Rande die Aufmerksamkeit der Bundeskanzlerin genießen. Sonst würde sie angesichts der von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen bestätigten Tatsache, dass ab 2030 selbst Arbeitnehmer, die 2.500 Euro brutto im Monat verdienen, nur eine Rente in Höhe des Grundsicherungsbetrages von 688 Euro erhalten werden, und dass 40 Prozent der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Geringverdiener (1,8 Millionen), die keine private Altersvorsorge betreiben, keine Nacht mehr ruhig schlafen können.
 
Hat die Bundesarbeitsministerin, die sich bereits jetzt im Bundestagswahlkampf als Streiterin gegen die Altersarmut zu profilieren sucht, vergessen, dass seit 2001 eine "Rentenreform" die andere jagt, mit dem alleinigen Zweck, die Renten abzusenken, weil auskömmliche Renten aus "demographischen Gründen" angeblich nicht mehr finanziert werden könnten?
 
"Bei dieser Zerschlagung des Sozialstaates", stellt Uli Schwemin in seinem junge Welt-Beitrag "Wie in der Anstalt"(1) zu Recht fest, "versuchten sich, mit Ausnahme der Linkspartei, alle im Bundestag vertretenen Parteien gegenseitig zu übertreffen... Im gleichen Maße wie diese Herrschaften den Leuten ihre Renten wegnehmen, erhöhen sie sich ihre eigenen, selbstverständlich ohne dafür auch nur einen Cent in die Kassen einzubezahlen. Aber was noch schlimmer ist, sie lieferten die Rentenversicherung teilweise privaten, gewinnorientierten Versicherungskonzernen aus, die seither damit ihren Reibach machen."
 
Man braucht kein Sozialwissenschaftler zu sein, um erkennen zu können, dass diese Entwicklung für Millionen Bundesbürger direkt in die Altersarmut führt. Aber die Harsardeure um Schröder, Merkel, Riester, Hartz und von der Leyen ließen sich in ihrem Crash-Kurs nicht beirren und schufen damit die Voraussetzungen für die sich anbahnende soziale Katastrophe.
 
Bereits vor einem Jahr habe Arbeitsministerin Ursula von der Leyen mit dem Thema identische Schlagzeilen produziert, erklärte der Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, Mathias Höhn. Es sei erschreckend und es mache auch wütend, dass in diesem langen Zeitraum nichts geschehen ist. Die von der Ministerin vorgeschlagene Zuschussrente sei keine hinreichende Lösung, fuhr Höhn fort, da sie an nicht erfüllbare Bedingungen geknüpft sei. So könne, wer heute schon kaum über die Runden komme, keine private Vorsorge treffen. Zudem sei es unglaubwürdig, zuerst per Gesetz das Rentenniveau zu senken, um dann über die Probleme zu klagen.

Bundespräsident Joachim Gauck
NRhZ-Archiv
 
In Bundespräsident Joachim Gauck findet diese Politik der Bundesregierung einen zuverlässigen Partner. Ob in Sachen Hartz IV oder Finanzkrise, ob im Streit über Atomkraft oder Stutttgart 21 - Gauck stand und steht stets auf der Seite jener Politiker, die ihre "Wahrheiten" gegen andersdenkende Mehrheiten durchzusetzen suchen. Stets hat er alle Kriegs- und Armutverstärkungsbeschlüsse befürwortet. Für ihn sind es bekanntlich all die Glücksüchtigen, die es nur schwer ertragen können, dass es wieder deutsche Gefallene gibt. Dieser Herr störte sich auch nicht daran, zum Gedenken für die Opfer des einheitstrunkenen Rassismus von 1992 in Rostock-Lichtenhagen ausgerechnet eine kerndeutsche Eiche zu pflanzen.
 
Dem Krieg in Afghanistan hat Gauck die Treue gehalten, denn auch dieser Christ ist ein Krieger für "Freiheit und Rechtsstaatlichkeit". Die von ihm und seinen Weggefährten aus der DDR-Bürgerbewegung - an ihrer Spitze die mittlerweile zur CDU-Frontfrau fürs Grobe mutierte Bundestagsabgeordnete Vera Lengsfeld - angestrebte "Rechtsstaatlichkeit" besichtigt man inzwischen am besten in all jenen Failed States, in denen NATO-Söldner und in ihrem Windschatten agierende Mörderbanden eine Blutspur der Barbarei hinterließen, die in vielem an die faschistische Taktik der verbrannten Erde erinnert. All das natürlich im Namen der Freiheit und der Menschenrechte.
 
Wie die Bevölkerung auch auf diesem Gebiet von der Bundesregierung belogen wird, beschrieb Martin Warnecke, Pastor und Friedensbeauftragter der Bremischen Evangelischen Kirche, zum diesjährigen Weltfriedenstag am 1.September mit folgenden Worten: "Schon seit dem Krieg gegen Jugoslawien 1999 versucht man uns einzureden, dass der Krieg nicht aus ökonomischen und machtpolitischen Gründen geführt wurde, sondern nur um Gutes zu tun. Auch der Krieg in Afghanistan wird vorgeblich geführt für den Aufbau des Landes, für Menschenrechte, für Frauenrechte, für die Demokratie und für den Weltfrieden. Der Krieg wird Friedensmission genannt, oder eine humanitäre, das heißt menschenfreundliche Intervention. Es wird gelogen wie in jedem Krieg. Vor 73 Jahren hieß das: ' Seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen.' "
 

Buch über die "Gauck-Behörde"
von Klaus Huhn
Wenig erfreulich dürfte für den ehemaligen Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterla- gen, Joachim Gauck, die Tatsache sein, dass Erlebnisberichte tatsächlicher oder angeblicher Opfer der DDR-Staatssicherheit jetzt auch in den eigenen Reihen in Zweifel gezogen werden. Der frühere stellvertre- tende Bundesvorsitzende der "Vereinigung der Opfer des Stalinismus" (VOS), Claus-Wolfgang Holzapfel, beklagt in einem der jungen Welt vorliegenden Internet-Beitrag, es seien "zunehmend Geschichtenerfinder" am Werk. "Beunruhigt stellen Vertreter der Verfolgten zunehmende Abweichungen in geschilderten Lebensläufen von Zeitzeugen fest", beklagt sich Holzapfel. Da würden "schon mal Teile aus anderen Erlebnissen übernommen", was dazu führe, dass die Vorwürfe "im Einzelfall einer Überprüfung nicht standhalten" und "zu bitteren Märchenstunden herabgewürdigt werden".
 
Gaucks neoliberales Verständnis von Freiheit als Freiheit des Bourgeois schließt soziale Menschenrechte aus. Von sozialer Gleichheit als Bedingung wirklicher Freiheit versteht er nichts oder will er nichts wissen. Mit der Agenda 2010 und ihren brutalen Folgen ist er sehr einverstanden, für die Betroffenen hat er stets nur Verachtung.
 
Kritik am Kapitalismus findet Gauck lächerlich. Es stört den Ex-Pfarrer nicht, dass er sich damit im Widerspruch zu immer mehr Vertretern seiner Kirche befindet, die sich gegen ein "ungebändigtes Wirtschaftswachstum", eine "Verselbständigung des Finanzwachstums" und dagegen wenden, "dass Wachstum zu einem modernen Götzen geworden ist".
Als Beispiele seien folgende Kritiker genannt:
> Jochen Bohl, Landesbischof der EV.-Luth. Landeskirche Sachsen / Stellv. 
   Ratsvorsitzender der EKD,
> Ilse Junkermann, Landesbischöfin der EV. Kirche in Mitteldeutschland
> Friedrich Weber, Landesbischof der EV.-Luth. Landeskirche in    
   Braunschweig,
   Vorsitzender der ACK Deutschland,
> Joachim Liebig, Kirchenpräsident der Evangelischen Landeskirche Anhalts
   und
> Hans-Joachim Abromeit, Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern.
 
Vor diesem Hintergrund ist es sehr zu begrüßen, dass der streitbare ehemalige Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche, Christian Führer, der Bundeskanzlerin und Vorsitzenden einer Partei, die sich christlich nennt, und seinem ehemaligen Amtsbruder und jetzigen Bundespräsidenten mit klaren und unmissverständlichen Worten bescheinigt, dass das von ihnen repräsentierte kapitalistische Wirtschaftssystem nicht zukunftsfähig, also ein Auslaufmodell, ist, das die Menschen und ihre Umwelt zerstört.
 
Mit seinem Aufruf an die Christen in Deutschland, sich aktiv für die Abschaffung dieses Systems einzusetzen, zeigt er auch den Weg, die von ihm angestrebte "Wirtschaftsform des Teilens" zu entwickeln. Dass das nur in harten parlamentarischen und außerparlamentarischen Auseinandersetzungen mit den herrschenden Kreisen und ihrer Bundesregierung möglich sein wird, liegt auf der Hand.
 
Die fehlende Zukunftsfähigkeit des kapitalistischen Wirtschaftssystems gilt aber nicht nur national, sondern betrifft auch den europäischen Bundesstaat, den maßgebliche Teile der deutschen Eliten wollen. Thomas Wagner weist in seinem Beitrag "Merkels Europa" in der  jungen Welt vom 5. September (2) darauf hin, dass es das Verdienst des Völkerrechtlers Gregor Schirmer sei, "diese für die strategische Orientierung der demokratischen Kräfte in Europa wichtigen Fragen in ihrer Bedeutung erkannt zu haben".
 
Als Ausdruck politischer Klugheit Schirmers wertet er dessen Aufforderung an die Linkskräfte, angesichts der gegenwärtig fortschreitenden Übertragung von Souveränitätsrechten an die EU dafür zu kämpfen, dass der nationale Kampfplatz, auf dem sie den größten Einfluss geltend machen können, erhalten bleibt. Denn zumindest so lange die europaweite Zusammenarbeit und Koordination der Interessenorganisation von abhängig Beschäftigten hinter der Vernetzung der europäischen Eliten zurück bleibe, drohten sie innerhalb einer EU, die "nach wie vor immer noch eine Organisation von Staaten" ist, "noch mehr in die Defensive zu geraten als ohnehin jetzt schon auf dem jeweils nationalen Parkett".
 
Für Menschen, deren Anliegen die Entwicklung eines sozialen demokratischen und friedliebenden Europas ist, bietet eine politische Einigung unter den derzeitigen Machtverhältnissen keine Perspektive. Denn ein europäischer Bundesstaat könnte, wie Schirmer richtig schreibt, "nach Lage der Dinge nur eine imperialistische Weltmacht sein".
 
Stimmen, die für eine politische Einigung Europas plädieren, finden sich in der Bundesregierung und in der Opposition. Schon im vergangenen Jahr forderte der Präsident der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA), Dieter Hundt, alle gesellschaftlichen Gruppen dazu auf, "offensiv für die europäische Einigung sowie die Weiterentwicklung der Integration zu werben".
 
Relevante Teile der deutschen Eliten glauben, auf lange Sicht von einer weiteren Verlagerung der politischen Souveränität nach Brüssel profitieren zu können. Deshalb hieß es auch im Entwurf eines Leitantrages zum CDU-Parteitag Mitte November 2011: "Wenn wir in bestimmten Bereichen Zuständigkeiten an die Europäische Union abgeben, gewinnen wir durch das gemeinsame Gewicht der Europäischen Union an Einfluß."
 
Wohin die Reise gehen soll, erklärte Ulrike Guerot, Leiterin des Berliner Büros des European Concil on Foreign Relations, die auch gern von den Grünen zu Rate gezogen wird, in aller Offenheit. Wörtlich sagte sie: "Europa wird deutscher, Deutschland wird Hegemon Europas...." Das Land müsse endlich strategische Führungsqualitäten beweisen.
 
Der Publizist Andreas Wehr bringt die Bemühungen der deutschen Eliten auf den Punkt: "Die in Deutschland herrschende Europaideologie, die von der SPD und vor allem von den Grünen mit verfochten wird, ist die des deutschen Finanzkapitals. In imperialistischer Manier sollen alle verfügbaren Ressourcen des Kontinents mobilisiert werden, damit das deutsche Kapital im weltweiten imperialistischen Kampf um Märkte und Einflusszonen weiterhin erfolgreich sein kann."
 
Die Bundesregierung bemüht sich zielstrebig darum, die europäischen Weichen in eine ihr genehme Richtung zu stellen. Dazu sollen nach den Plänen von Bundeskanzlerin Merkel die Staats- und Regierungschefs noch in diesem Jahr einen Konvent beschließen, der ein neues rechtliches Fundament für die EU ausarbeitet.
 
Die Gefahr, dass es dem Finanzkapital gelingt, Europa zu einer imperialistischen Weltmacht zu machen, ist also gegeben und bedarf unser aller verstärkten Wachsamkeit.
 
(1) http://www.jungewelt.de/2012/09-03/040.php
(2) http://www.jungewelt.de/2012/09-05/021.php
 
Hans Fricke ist Autor des 2010 im GNN-Verlag Schkeuditz erschienen Buches "Eine feine Gesellschaft - Jubiläumsjahre und ihre Tücken", 250 Seiten, Preis 15.00 Euro
ISBN 978-3-89819-341-2
 


Online-Flyer Nr. 371  vom 12.09.2012



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