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Fotogalerien
Vorstellung von drei Fotokalendern für 2013
Land und Leute - Bilder und Zeiten - Anders gesehen
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
Ebenso wie der Bildermarkt, genauer der Fotomarkt überquillt, quillt in diesem Jahr der Kalendermarkt über von Massenware, hübsch, bunt, niedlich, sexy... – für wenig Geld. Dabei ist nicht zu vergessen, dass heute für einigermaßen Technikfähige es ein Kinderspiel ist, Kalender mit eigenen Fotos oberhalb des Bastelniveaus zu produzieren. Wir unternehmen trotz allem den Versuch, drei ungewöhnliche Exemplare – mit dahinter stehenden Geschichten zu Menschen und Fotografen – vorzustellen.
Walter Ballhause 2013 - Galerie Arbeiterfotografie
Walter Ballhause: Hannover, 1930-33 – Eingedämmert – Trostsuchende (Alkohol...)
alle Bilder: © Walter-Ballhause-Archiv
Walter Ballhause: Hannover, 1930-33 – Anders gesehen – Arbeiter-Turn- und Sportbund
Walter Ballhause: Hannover, 20.4.1933 – Pennäler marschieren mit – 'Führers' Geburtstag
Walter Ballhause: Dresden, 1949 – Der Erbe (mein Sohn Rolf mit Kinderwagen vor Ruinen)
Hinrich Schultze 2013
Hinrich Schultze: Panama – Land und Leute – Panama Stadt. Sal si puedes
Hinrich Schultze: Mexiko – Oaxaca 2006 – 03.November, Protest gegen die Besetzung des Zocalo durch die Nationale Aufstandsbekämpfungspolizei PFP
Hinrich Schultze: Panama – Caminata Indigena – 17. September 2009, Chiriquí, San Felix
Hinrich Schultze: Panama – Caminata Indigena – 20.September 2009, Veraguas, Rio San Pablo, der Fluss ist nichts was man verkaufen oder handeln kann. Der Fluss ist Transportmittel, er dient als Nahrungsquelle, hier wird die Kleidung gewaschen, er dient als Wohnzimmer und ist Bestandteil der Religion.
Hinrich Schultze: USA – Las Vegas – Casino in der Fremont Street, Downtown Las Vegas
Bilder und Zeiten - Kalender 2013 - Lehmstedt
Roger Melis: Schornsteinfeger in der Uckermark, 1973
Gerd Danigel: Mann am Meer, Ostseeküste bei Zingst, 1984
Andreas Muhs: Mohrenstraße, Berlin 1992
Gerhard Weber: Die Mulde bei Podelwitz, 1996
Anders gesehen – Walter Ballhause
Nach einigen seltenen Versuchen der Arbeiterfotografie seitens Kölner Gruppe (1987 und 1988 „Arbeiten und Leben in Köln“) und Bundesverband (1993 „Deutschlandreise“) wagt sich diesmal die Galerie Arbeiterfotografie ins Kalendermetier mit einer Monographie des 1991 verstorbenen, 1911 in Hameln geborenen autodidaktischen Fotokünstlers Walter Ballhause...
In kriegerische Zeiten geboren, in Armut aufgewachsen, in Hoffnung geschwelgt, eine Gewaltherrschaft und einen weiteren, von Kapitalinteressen getragenen Krieg verhindern zu können, greift der knapp zwanzigjährige Arbeitslose Walter Ballhause zur Fotokamera, die eine acht Jahre ältere Freundin ihm leihweise überläßt. Ballhause beobachtet und komponiert präzise, was seiner Nähe zu den angeprangerten Mißständen einer elenden, mit Massenarbeitslosigkeit geplagten Bevölkerung entspricht. Aus Scham verbirgt er den Apparat unter seiner Jacke, zieht ihn schnell hervor und läßt ihn ebenso schnell wieder verschwinden. Richtet er sein Augenmerk – in Hannover vorwiegend 1930 bis 1933 – auf die Hysterie der Faschisten und ihrer Anhänger, dann hält er die geliehene Leica aus Sicherheitsgründen versteckt.
Dem jugendlichen, an bildenden Künstlern seiner Zeit orientierten Fotoamateur gelingen unter schwierigen Bedingungen Motive, die bis heute beeindrucken. Einige seiner Bilder – die Arbeitlosenschlange vor dem Wahlslogan „Wählt Hitler“ – sind als Klassiker in Schulbücher gewandert. Für die zwölf Monatsblätter fanden sich stimmungsvolle Aufnahmen vom schattenrißartigen Leierkastenmann, spielenden Kindern in der Fannystraße und aus der Arbeiter Turn- und Sportbund- und Rote-Falken-Bewegung. In zwei Nachkriegsszenen gibt er erneut der Hoffnung Ausdruck, dass mensch keine andere Chance hat, als sich für den Frieden einzusetzen. So zeigt er seinen Sohn Rolf 1949 vor Dresdner Trümmerlandschaft mit der vieldeutigen Bildzeile „Der Erbe“.
(siehe auch NRhZ-flyer 364 vom 25.7.2012)
Land und Leute
Der Titel des von Hinrich Schultze Exemplar für Exemplar persönlich – auf Anforderung – hergestellte Kalender kommt völlig arglos daher: Land und Leute. Zusammengestellt hat der Hamburger Fotojournalist und Mitbetreiber des Panfoto-Archivs (mit Günter Zint und Marily Stroux) seine Auswahl von zwölf Motiven aus Kurdistan, Panama, Mexico (Oaxaca) und den USA, Sudan, Vietnam und Deutschland. Eine seltene Mischung!
Im Zentrum seiner Welt- und Zeitreise steht der Freiheits-, besser Unabhängigkeitskampf der oft so genannten einfachen Menschen, der dem europäischen Zivilisationszuchtvolk mit Medienspeisung so fremd ist wie ein Leben ohne Aldi.
Hinrich – in Koseform Hini ¬– fotografiert und filmt und schreibt Tagebuch: Panama. Indigene Menschen haben sich in jahrzehntelangen Auseinandersetzungen mit dem Staat und dessen korrupten Politikern eigene autonome Reservate (Comarcas) erkämpft.
Doch wo grosse Investitionsprojekte geplant sind müssen traditionelle Rechte hinten anstehen. Menschen werden vertrieben um Platz zu machen für gigantische Bergwergs- Staudamm- und Tourismusprojekte. Im September 2009 haben sich die Betroffenen zum ersten Mal zusammengeschlossen. Sie begaben sich auf den „Caminata Indigena“, einen 400 km weiten Protestzug der Indigenen und Campesinos, um ihre Forderungen ins Parlament der Hauptstadt zu tragen. Anwohner der Goldminen-Betreiberfirma Petaquilla Mining beklagen deren Brutalität: “Sie fahren mit ihren LKWs quer durch unsere Gärten, reissen Zäune ein, landen mit Hubschraubern auf unseren Feldern, blockieren den Zugang. Sicherheitschef Felipe Camargo persönlich schlägt uns mit Eisenstangen und bedroht uns: Wenn wir uns noch einmal blicken liessen würde er uns umbringen. Das Zyanid aus der Goldmine tötet alle Fische im Fluss und selbst unsere starken Wasserbüffel sind plötzlich tot umgefallen.” Dem entgegen steht das Bild des Badenden im Fluß.
Hinrich Schultze zeigt mehrere Stationen aus Panama und Mexico (Oaxaca), letzteres er im Herbst 2006 während der Kämpfe um die unabhängige Republik Oaxaca besuchte: „Tatsächlich wohne ich seit zwei Wochen in einer Stadt ohne irgendwelche staatlichen Autoritäten. Wir waren gewarnt worden. Die Regierungen von Kanada, der USA und Australien ermahnten ihre Bürger, nicht nach Oaxaca zu kommen. Etwas Unheimliches sei passiert. Anarchie und Gesetzlosigkeit halte die Stadt im Würgegeriff. Regierung und Polizei seien auf der Flucht. Eine Stadt ausser Kontrolle. – Doch ich und die anderen Menschen hier, wir fühlen uns sicher. Ich hoffe, die anrückenden Heere der Mexikanischen Armee lassen mir noch ein paar Tage Zeit, diese merkwürdige Stadt weiter zu studieren.“
Hini zeigt uns ein denkwürdiges Bild im Dezember: Eine protestierende ältere Frau, eine Ärztin, wendet sich an die vor ihr aufgebaute Mauer aus bewaffneten und gepanzerten Polizisten der Nationalen Aufstandsbekämpfungspolizei PFP mit der Frage: Ich habe einen Berufseid abgelegt, dass ich das Leben der Menschen bewahre. Was für einen Eid habt Ihr abgelegt? Das Leben zu zerstören?
Bilder und Zeiten
Weniger bewegte aber nicht weniger bewegende Bilder von einer Fotografin und sechs Fotografen aus den Jahren 1973 bis 2011 hat der Leipziger Lehmstedt Verlag zu einem Kalenderjahr zusammengestellt. Bilder unter anderen aus Zeiten einer rückblickend kurzlebigen Deutschen Demokratischen Republik mit der Fotopoesie der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst, die bisweiligen französischen Charme des Monsieur Hulot in Erinnerung ruft. Dabei versteht der Verlag den Kalender als begleitenden Beitrag zu seiner inzwischen 13 Bände umfassenden bibliophilen Fotobuchreihe „Bilder und Zeiten“ mit allein drei Roger-Melis-Bänden. Die Vorlagen der Fotodrucke zum monatlichen Umblättern stammen von teilweise weniger bekannten Autoren, die es möglicherweise lohnt, näher zu betrachten. Der rätselhafte Mann im Anzug am Meer bei Zingst wurde 1984 von Gerd Danigel der Ewigkeit übereignet. An anderer Stelle begegnen wir Wolf Biermann 1974 wie unbeobachtet bei einem Hauskonzert, bei dem die anwesenden Gäste sich auf unterschiedlicheste Weise verbergen. Oder Christa Wolf 1992 (beide von Roger Melis) bei einem offensichtlichen Fototermin in ihrer Wohnung. Von Potsdam bis Avignon, von der Berliner regengeschwängerten Mohrenstraße (von Andreas Muhs) bis zum Badespass in der Mulde bei Podelwitz (beobachtet von Gerhard Weber)...
Die ungewöhnliche Zusammenschau der drei Kalender-Bildwerke, die gewissermaßen als Miniausstellung erwerbbar und früher oder später als Einzelblätter rahmbar sind, ist eine emotionale und erkenntnisreiche Wanderung besonderer ART. Die gepanzerten Polizeisoldaten aus Oaxaca – so läßt sich entdecken – sind den deutschen, italienischen und europäischen Aufstandsbekämpfungspolizisten von Genua 2001 bis Heiligendamm 2007 bis zum NATO-Gipfel 2009 sehr ähnlich. Wer wollte es wagen, den Traum von einem (z.B. vom Finanzkapital befreienden) europäischen Frühling an diesen Mächten vorbeizuträumen. Der Blick in jüngere zurückliegende Zeiten, die Einsicht in die Notwendigkeit und Fähigkeit der Lebensbehauptung können Ruhe und Kraft vermitteln – ein ganzes Jahr – und immer wieder.
Angaben zu den Kalendern
Walter Ballhause 2013
limitierte Auflage (100 Expl.)
12 Monatsblätter plus Titelblatt und Infoblatt (mit Abdeckfolie glasklar)
Format A3, Spiral-Bindung
25 Euro incl. Versand (bei Abnahme ab 3 Exemplaren mit Wiederverkäuferrabatt von 30%)
bestellen bei:
Galerie Arbeiterfotografie
Merheimer Str. 107, 50733 Köln
Tel: 0221/727 999
eMail: arbeiterfotografei@t-online.de
Hinrich Schultze 2013
12 Monatsblätter plus Titelblatt und Infoblatt
44 x 32 cm, Spiral-Bindung
15 Euro plus Versand
bestellen bei:
Hinrich Schultze
Pressefotos
Schulterblatt 24d, 20357 Hamburg
Tel: +49 (0) 172 4050947
eMail: hini@hinifoto.de
web: http://www.dokumentarfoto.de
Bilder und Zeiten - Kalender 2013
12 Monatsblätter plus Titelblatt
44 x 42 cm, Spiral-Bindung
herausgegeben vom Verlag Lehmstedt
ISBN 978-3-942473-39-2
14,90 Euro (D), 15,90 (A), 25,90 sFr
zu erwerben: im Buchhandel
Hinweis:
Walter Ballhause - Der unsichtbare Fotograf
Ausstellung in der Galerie Arbeiterfotografie
verlängert bis 31. Dezember 2012 (Öffnung – auch für Gruppen – nach Vereinbarung)
Merheimer Straße 107, 50733 Köln, Tel.: 0221 - 727 999
Online-Flyer Nr. 379 vom 07.11.2012
Vorstellung von drei Fotokalendern für 2013
Land und Leute - Bilder und Zeiten - Anders gesehen
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
Ebenso wie der Bildermarkt, genauer der Fotomarkt überquillt, quillt in diesem Jahr der Kalendermarkt über von Massenware, hübsch, bunt, niedlich, sexy... – für wenig Geld. Dabei ist nicht zu vergessen, dass heute für einigermaßen Technikfähige es ein Kinderspiel ist, Kalender mit eigenen Fotos oberhalb des Bastelniveaus zu produzieren. Wir unternehmen trotz allem den Versuch, drei ungewöhnliche Exemplare – mit dahinter stehenden Geschichten zu Menschen und Fotografen – vorzustellen.
Walter Ballhause 2013 - Galerie Arbeiterfotografie
Walter Ballhause: Hannover, 1930-33 – Eingedämmert – Trostsuchende (Alkohol...)
alle Bilder: © Walter-Ballhause-Archiv
Walter Ballhause: Hannover, 1930-33 – Anders gesehen – Arbeiter-Turn- und Sportbund
Walter Ballhause: Hannover, 20.4.1933 – Pennäler marschieren mit – 'Führers' Geburtstag
Walter Ballhause: Dresden, 1949 – Der Erbe (mein Sohn Rolf mit Kinderwagen vor Ruinen)
Hinrich Schultze 2013
Hinrich Schultze: Panama – Land und Leute – Panama Stadt. Sal si puedes
Hinrich Schultze: Mexiko – Oaxaca 2006 – 03.November, Protest gegen die Besetzung des Zocalo durch die Nationale Aufstandsbekämpfungspolizei PFP
Hinrich Schultze: Panama – Caminata Indigena – 17. September 2009, Chiriquí, San Felix
Hinrich Schultze: Panama – Caminata Indigena – 20.September 2009, Veraguas, Rio San Pablo, der Fluss ist nichts was man verkaufen oder handeln kann. Der Fluss ist Transportmittel, er dient als Nahrungsquelle, hier wird die Kleidung gewaschen, er dient als Wohnzimmer und ist Bestandteil der Religion.
Hinrich Schultze: USA – Las Vegas – Casino in der Fremont Street, Downtown Las Vegas
Bilder und Zeiten - Kalender 2013 - Lehmstedt
Roger Melis: Schornsteinfeger in der Uckermark, 1973
Gerd Danigel: Mann am Meer, Ostseeküste bei Zingst, 1984
Andreas Muhs: Mohrenstraße, Berlin 1992
Gerhard Weber: Die Mulde bei Podelwitz, 1996
Anders gesehen – Walter Ballhause
Nach einigen seltenen Versuchen der Arbeiterfotografie seitens Kölner Gruppe (1987 und 1988 „Arbeiten und Leben in Köln“) und Bundesverband (1993 „Deutschlandreise“) wagt sich diesmal die Galerie Arbeiterfotografie ins Kalendermetier mit einer Monographie des 1991 verstorbenen, 1911 in Hameln geborenen autodidaktischen Fotokünstlers Walter Ballhause...
In kriegerische Zeiten geboren, in Armut aufgewachsen, in Hoffnung geschwelgt, eine Gewaltherrschaft und einen weiteren, von Kapitalinteressen getragenen Krieg verhindern zu können, greift der knapp zwanzigjährige Arbeitslose Walter Ballhause zur Fotokamera, die eine acht Jahre ältere Freundin ihm leihweise überläßt. Ballhause beobachtet und komponiert präzise, was seiner Nähe zu den angeprangerten Mißständen einer elenden, mit Massenarbeitslosigkeit geplagten Bevölkerung entspricht. Aus Scham verbirgt er den Apparat unter seiner Jacke, zieht ihn schnell hervor und läßt ihn ebenso schnell wieder verschwinden. Richtet er sein Augenmerk – in Hannover vorwiegend 1930 bis 1933 – auf die Hysterie der Faschisten und ihrer Anhänger, dann hält er die geliehene Leica aus Sicherheitsgründen versteckt.
Dem jugendlichen, an bildenden Künstlern seiner Zeit orientierten Fotoamateur gelingen unter schwierigen Bedingungen Motive, die bis heute beeindrucken. Einige seiner Bilder – die Arbeitlosenschlange vor dem Wahlslogan „Wählt Hitler“ – sind als Klassiker in Schulbücher gewandert. Für die zwölf Monatsblätter fanden sich stimmungsvolle Aufnahmen vom schattenrißartigen Leierkastenmann, spielenden Kindern in der Fannystraße und aus der Arbeiter Turn- und Sportbund- und Rote-Falken-Bewegung. In zwei Nachkriegsszenen gibt er erneut der Hoffnung Ausdruck, dass mensch keine andere Chance hat, als sich für den Frieden einzusetzen. So zeigt er seinen Sohn Rolf 1949 vor Dresdner Trümmerlandschaft mit der vieldeutigen Bildzeile „Der Erbe“.
(siehe auch NRhZ-flyer 364 vom 25.7.2012)
Land und Leute
Der Titel des von Hinrich Schultze Exemplar für Exemplar persönlich – auf Anforderung – hergestellte Kalender kommt völlig arglos daher: Land und Leute. Zusammengestellt hat der Hamburger Fotojournalist und Mitbetreiber des Panfoto-Archivs (mit Günter Zint und Marily Stroux) seine Auswahl von zwölf Motiven aus Kurdistan, Panama, Mexico (Oaxaca) und den USA, Sudan, Vietnam und Deutschland. Eine seltene Mischung!
Im Zentrum seiner Welt- und Zeitreise steht der Freiheits-, besser Unabhängigkeitskampf der oft so genannten einfachen Menschen, der dem europäischen Zivilisationszuchtvolk mit Medienspeisung so fremd ist wie ein Leben ohne Aldi.
Hinrich – in Koseform Hini ¬– fotografiert und filmt und schreibt Tagebuch: Panama. Indigene Menschen haben sich in jahrzehntelangen Auseinandersetzungen mit dem Staat und dessen korrupten Politikern eigene autonome Reservate (Comarcas) erkämpft.
Doch wo grosse Investitionsprojekte geplant sind müssen traditionelle Rechte hinten anstehen. Menschen werden vertrieben um Platz zu machen für gigantische Bergwergs- Staudamm- und Tourismusprojekte. Im September 2009 haben sich die Betroffenen zum ersten Mal zusammengeschlossen. Sie begaben sich auf den „Caminata Indigena“, einen 400 km weiten Protestzug der Indigenen und Campesinos, um ihre Forderungen ins Parlament der Hauptstadt zu tragen. Anwohner der Goldminen-Betreiberfirma Petaquilla Mining beklagen deren Brutalität: “Sie fahren mit ihren LKWs quer durch unsere Gärten, reissen Zäune ein, landen mit Hubschraubern auf unseren Feldern, blockieren den Zugang. Sicherheitschef Felipe Camargo persönlich schlägt uns mit Eisenstangen und bedroht uns: Wenn wir uns noch einmal blicken liessen würde er uns umbringen. Das Zyanid aus der Goldmine tötet alle Fische im Fluss und selbst unsere starken Wasserbüffel sind plötzlich tot umgefallen.” Dem entgegen steht das Bild des Badenden im Fluß.
Hinrich Schultze zeigt mehrere Stationen aus Panama und Mexico (Oaxaca), letzteres er im Herbst 2006 während der Kämpfe um die unabhängige Republik Oaxaca besuchte: „Tatsächlich wohne ich seit zwei Wochen in einer Stadt ohne irgendwelche staatlichen Autoritäten. Wir waren gewarnt worden. Die Regierungen von Kanada, der USA und Australien ermahnten ihre Bürger, nicht nach Oaxaca zu kommen. Etwas Unheimliches sei passiert. Anarchie und Gesetzlosigkeit halte die Stadt im Würgegeriff. Regierung und Polizei seien auf der Flucht. Eine Stadt ausser Kontrolle. – Doch ich und die anderen Menschen hier, wir fühlen uns sicher. Ich hoffe, die anrückenden Heere der Mexikanischen Armee lassen mir noch ein paar Tage Zeit, diese merkwürdige Stadt weiter zu studieren.“
Hini zeigt uns ein denkwürdiges Bild im Dezember: Eine protestierende ältere Frau, eine Ärztin, wendet sich an die vor ihr aufgebaute Mauer aus bewaffneten und gepanzerten Polizisten der Nationalen Aufstandsbekämpfungspolizei PFP mit der Frage: Ich habe einen Berufseid abgelegt, dass ich das Leben der Menschen bewahre. Was für einen Eid habt Ihr abgelegt? Das Leben zu zerstören?
Bilder und Zeiten
Weniger bewegte aber nicht weniger bewegende Bilder von einer Fotografin und sechs Fotografen aus den Jahren 1973 bis 2011 hat der Leipziger Lehmstedt Verlag zu einem Kalenderjahr zusammengestellt. Bilder unter anderen aus Zeiten einer rückblickend kurzlebigen Deutschen Demokratischen Republik mit der Fotopoesie der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst, die bisweiligen französischen Charme des Monsieur Hulot in Erinnerung ruft. Dabei versteht der Verlag den Kalender als begleitenden Beitrag zu seiner inzwischen 13 Bände umfassenden bibliophilen Fotobuchreihe „Bilder und Zeiten“ mit allein drei Roger-Melis-Bänden. Die Vorlagen der Fotodrucke zum monatlichen Umblättern stammen von teilweise weniger bekannten Autoren, die es möglicherweise lohnt, näher zu betrachten. Der rätselhafte Mann im Anzug am Meer bei Zingst wurde 1984 von Gerd Danigel der Ewigkeit übereignet. An anderer Stelle begegnen wir Wolf Biermann 1974 wie unbeobachtet bei einem Hauskonzert, bei dem die anwesenden Gäste sich auf unterschiedlicheste Weise verbergen. Oder Christa Wolf 1992 (beide von Roger Melis) bei einem offensichtlichen Fototermin in ihrer Wohnung. Von Potsdam bis Avignon, von der Berliner regengeschwängerten Mohrenstraße (von Andreas Muhs) bis zum Badespass in der Mulde bei Podelwitz (beobachtet von Gerhard Weber)...
Die ungewöhnliche Zusammenschau der drei Kalender-Bildwerke, die gewissermaßen als Miniausstellung erwerbbar und früher oder später als Einzelblätter rahmbar sind, ist eine emotionale und erkenntnisreiche Wanderung besonderer ART. Die gepanzerten Polizeisoldaten aus Oaxaca – so läßt sich entdecken – sind den deutschen, italienischen und europäischen Aufstandsbekämpfungspolizisten von Genua 2001 bis Heiligendamm 2007 bis zum NATO-Gipfel 2009 sehr ähnlich. Wer wollte es wagen, den Traum von einem (z.B. vom Finanzkapital befreienden) europäischen Frühling an diesen Mächten vorbeizuträumen. Der Blick in jüngere zurückliegende Zeiten, die Einsicht in die Notwendigkeit und Fähigkeit der Lebensbehauptung können Ruhe und Kraft vermitteln – ein ganzes Jahr – und immer wieder.
Angaben zu den Kalendern
Walter Ballhause 2013
limitierte Auflage (100 Expl.)
12 Monatsblätter plus Titelblatt und Infoblatt (mit Abdeckfolie glasklar)
Format A3, Spiral-Bindung
25 Euro incl. Versand (bei Abnahme ab 3 Exemplaren mit Wiederverkäuferrabatt von 30%)
bestellen bei:
Galerie Arbeiterfotografie
Merheimer Str. 107, 50733 Köln
Tel: 0221/727 999
eMail: arbeiterfotografei@t-online.de
Hinrich Schultze 2013
12 Monatsblätter plus Titelblatt und Infoblatt
44 x 32 cm, Spiral-Bindung
15 Euro plus Versand
bestellen bei:
Hinrich Schultze
Pressefotos
Schulterblatt 24d, 20357 Hamburg
Tel: +49 (0) 172 4050947
eMail: hini@hinifoto.de
web: http://www.dokumentarfoto.de
Bilder und Zeiten - Kalender 2013
12 Monatsblätter plus Titelblatt
44 x 42 cm, Spiral-Bindung
herausgegeben vom Verlag Lehmstedt
ISBN 978-3-942473-39-2
14,90 Euro (D), 15,90 (A), 25,90 sFr
zu erwerben: im Buchhandel
Hinweis:
Walter Ballhause - Der unsichtbare Fotograf
Ausstellung in der Galerie Arbeiterfotografie
verlängert bis 31. Dezember 2012 (Öffnung – auch für Gruppen – nach Vereinbarung)
Merheimer Straße 107, 50733 Köln, Tel.: 0221 - 727 999
Online-Flyer Nr. 379 vom 07.11.2012