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Aktueller Online-Flyer vom 21. November 2024  

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Aktuelles
Wissenschaftsministerin Theresia Bauer und die leidige Zivilklausel
Appell an Landesparteitag der Grünen
Von Peter Kleinert

Eine Personengruppe aus Gewerkschaften und Friedensorganisationen hat sich heute, Mittwoch, den 28.11., an die Delegierten der für die zum Wochenende in Böblingen angekündigte Landesdelegiertenkonferenz BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Baden-Württemberg gewandt. Grund war die Kontroverse über die Friedensbindung und Zivilorientierung der Hochschulen des Landes, die in zwei gegenläufigen Anträgen zur Zivilklausel („Forschung und Lehre nur für zivile und friedliche Zwecke.“ d.h. keine Rüstungsforschung, sondern aktive Friedensbeiträge) für die Konferenz zum Ausdruck kam.
 
Die grüne Wissenschaftsministerin Theresia Bauer hatte sich in einem Interview der Stuttgarter Zeitung gegen Zivilklauseln geäußert - mit Argumenten, die nach Auffassung der Gruppe nicht stichhaltig und teilweise unkorrekt sind. Die Delegierten werden in dem Appell über die seit vier Jahren laufende Auseinandersetzung am Karlsruher Institut für Technologie KIT (Zusammenschluss Universität und Forschungszentrum Karlsruhe) um die Übertragung der bewährten Zivilklausel des Forschungszentrums auf die Universität informiert. Diese begann im ersten Halbjahr 2009 mit einem positiven Votum der Studierenden, einem verfassungsrechtlichen Gutachten (Ergebnis: Zivilklausel ist konform mit der Verfassung und verletzt nicht das Gebot „Freiheit der Wissenschaft“) sowie einem entsprechenden Ergänzungsantrag der früheren Oppositionsparteien zum KIT-Gesetz. Sinngemäße Forderungen sind auch im Grünen Wahlprogramm enthalten.
 
Von alledem wolle Frau Bauer - nunmehr in Regierungsverantwortung - nichts mehr wissen. Die Gruppe stellt klar, dass die Behauptung unkorrekt ist, dass eine Zivilklausel die Forschung einschränken oder gar Forschungsgebiete verbieten würde. Es gehe um die Beschränkung von Forschungszwecken, d.h. um den Verzicht auf militärische Zwecke. Jegliche Freiheit zur Grundlagenforschung bleibe durch die Zivilklausel unangetastet.
 
Allein in den letzten zwei Jahren haben sechs Hochschulen in fünf Bundesländern eine Zivilklausel beschlossen. Das Land Niedersachsen habe über viele Jahre im Landeshochschulgesetz über eine Zivilklausel verfügt. Die Grünen in Niedersachsen haben die Forderung „eine für alle Unis verbindliche Zivilklausel, die Forschung und Entwicklung von Waffen und anderen Rüstungsgütern ausschließt“, in ihr Wahlprogramm für die Landtagswahl 2013 aufgenommen. Die Gewerkschaft ver.di fordert: „Die Zivilklausel ist in Landeshochschulgesetzen, Verfassungen bzw. Grundordnungen der Universitäten und Hochschulen zu verankern.“ Entsprechende Beschlüsse gibt es auch bei der Gewerkschaft GEW.
 
Wie die Gruppe abschließend mitteilt, werde die Freiheit der Wissenschaft tatsächlich durch den stark angewachsenen Drittmittel-Finanzierungsanteil aus zweckgebundenen privaten und öffentlichen Mitteln verletzt. Zivilklauseln verbunden mit wirksamer Transparenz und ausreichender Grundfinanzierung können dieser Indienstnahme entgegen wirken. Den Delegierten liege ein entsprechender Antrag zur Entscheidung vor.
 
Brief an die Delegierten im Wortlaut
 
Sehr geehrte Delegierte,
wir wenden uns heute in einer Frage der Hochschulpolitik an Sie. Es geht um die Gestaltung der Friedensbindung und Zivilorientierung der Hochschulen mittels Zivilklauseln. Wissenschaftsministerin Theresia Bauer hat sich am 24. November in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung gegen Zivilklauseln geäußert mit Argumenten, die nicht stichhaltig und teilweise unkorrekt sind. Das war nicht immer so:
 
Juli 2009:
 
Antrag der Abg. Schmiedel, Stober (SPD) und Fraktion, Kretschmann, Bauer (GRÜNE) zur Aufnahme in das KIT-Gesetz: „Das KIT verfolgt im Rahmen seiner Aufgaben nach § 2 ausschließlich friedliche Zwecke.“ „Begründung: Am bisherigen Forschungszentrum Karlsruhe (FZK) ist nicht-zivile Forschung bis heute ausgeschlossen. Es ist notwendig, dieses Signal und diese Einschränkung auch auf das gesamte KIT [d.h. auf die Universität Karlsruhe] zu übertragen und den Geltungsbereich nicht wie bislang vorgesehen auf den Großforschungsbereich zu beschränken.“
(Landtag Baden-Württemberg Drs 14/4781 07.07.09)
 
Dezember 2010:
 
„Frieden statt Waffen exportieren. …. Nachhaltige grüne Friedenspolitik setzt vor allem auf zivile und diplomatische Mittel und hat Abrüstung zum Ziel. Forschungseinrichtungen, Universitäten und Hochschulen des Landes sollen ausschließlich friedliche Zwecke verfolgen. Um dies deutlich zu machen, befürworten wir die Einführung von Zivilklauseln in den Satzungen aller solcher Einrichtungen.“
(Wahlprogramm B90 / DIE GRÜNEN Baden-Württemberg)
 
November 2011:
 
"»Ich begrüße und unterstütze es, wenn Hochschulen in ihren Grundordnungen klarstellen, dass Forschung und Lehre friedlichen Zwecken dienen«, bekräftigte die Ministerin ihren schon früher geäußerten Standpunkt. Theresia Bauer betonte aber zugleich, dass sie eine gesetzliche Beschränkung von Forschungsaktivitäten ablehne."
(Schwäbisches Tagblatt 5.11.11 zum Besuch der Ministerin an der Uni Tübingen, seit Ende 2009 mit Zivilklausel in der Grundordnung)
 
Mai 2012:
 
„Friedensparagraf gefordert. Nachwuchsverbände der Regierungskoalition kritisieren Wissenschaftsministerin, weil Militärforschung im Land erlaubt bleibt.“
(Schlagzeile in Badische Zeitung 12.05.12 über die Landtagsentscheidung vom 9. Mai 2012 zum KIT-Gesetz ohne die von beiden früheren Oppositionsparteien 2009 beantragte Zivilklausel) .
 
November 2012:
 
„Mit mir wird es nicht dazu kommen, dass wir irgendein Forschungsgebiet verbieten. Ich glaube, dass eine grüne Wissenschaftsministerin gut daran tut, das Thema Unabhängigkeit der Wissenschaft sehr ernst zu nehmen. …. Es gehört zu den unveräußerlichen Grundrechten, dass Wissenschaft, Forschung und Lehre frei sind. …. Würde man sagen, »das Nachdenken über Militärisches ist verboten«, oder »Forschung darf nur einem friedlichen Zweck dienen«, dann wäre Forschung in der Tat stark eingeschränkt.“
(Stuttgarter Zeitung 24.11.12 im Interview vor dem Grünen Landesparteitag in Böblingen)
 
Klarstellung
 
Wir möchten klarstellen, dass eine Zivilklausel keine Forschung einschränkt oder gar Forschungsgebiete verbietet. Es geht vielmehr um die Beschränkung von Forschungszwecken, d.h. um Verbot bzw. Verzicht auf militärische Zwecke. Jegliche Freiheit zur Grundlagenforschung bleibt durch die Zivilklausel unangetastet. In der gemeinsamen Erklärung der bundesweiten Initiative „Hochschule für den Frieden – Ja zur Zivilklausel“, getragen von Studierendenverbänden, Friedensorganisationen und den Gewerkschaften ver.di und GEW, wird das genauer ausgeführt und erklärt „Keine Erfindung zum Wohle der Menschen erfordert Militärforschung.“
 
Die Freiheit von Forschung und Lehre ist nicht beliebig. Öffentlich geförderte und offene Universitäten können sich auf den Friedensauftrag des Grundgesetzes berufen und sehr wohl für militärische Forschung und Lehre an den Hochschulen Schranken setzen. Sei es durch eine Selbstbindung der Hochschule über einen Senatsbeschluss oder durch eine Friedensbindung in Landeshochschulgesetzen.
 
Allein in den letzten zwei Jahren haben sechs Hochschulen eine Zivilklausel beschlossen, die Universitäten Tübingen und Rostock, die Technischen Universitäten Darmstadt und Ilmenau und die Hochschulen Bremen und Bremerhaven. Nach der zitierten jüngsten Argumentation der Wissenschaftsministerin wäre sechsmal die Verfassung verletzt.
 
Verfassungsrechtlich betrachtet ist auch eine Entgegensetzung von „freiwilliger Selbstverpflichtung“ und „landesgesetzlicher Vorgabe“ nicht gerechtfertigt. Der Verfassungsrechtler Erhard Denninger begründet in seinem Gutachten vom Februar 2009 zum KIT-Gesetz, ein Landesgesetz mit Wirkung auf die Grundsatzung der Universität Karlsruhe, dass die Begrenzung auf zivile Forschungszwecke mit der Verfassung sehr wohl vereinbar ist. Er spricht von der „Friedensfinalität“ des Grundgesetzes. Offenbar haben sich beide Regierungsfraktionen bei ihrem zitierten Antrag im Juli 2009 zum KIT-Gesetz davon leiten lassen.
 
Das Land Niedersachsen verfügte über viele Jahre im Landeshochschulgesetz über eine Zivilklausel. Die Grünen in Niedersachsen haben gerade ihr Wahlprogramm für die Landtagswahl 2013 veröffentlicht. Darin fordern sie mehr Transparenz in der Hochschulforschung und „eine für alle Unis verbindliche Zivilklausel, die Forschung und Entwicklung von Waffen und anderen Rüstungsgütern ausschließt.“
 
Die Gewerkschaft ver.di hat in ihrem Bundeskongress 2011 in Leipzig gefordert: „Die Zivilklausel ist in Landeshochschulgesetzen, Verfassungen bzw. Grundordnungen der Universitäten und Hochschulen zu verankern.“ Entsprechende Beschlüsse gibt es auf Landes- und Bundesebene bei der Gewerkschaft GEW. Die angesprochene Transparenzforderung genießt bekanntlich allgemeine Unterstützung. Dazu erscheinen uns allerdings drei Anmerkungen erforderlich:
 
- Transparenz und Ethik-Leitsätze werden gegen die Zivilklausel gestellt. Dazu heißt es im ver.di-Beschluss zum Thema „Zivilklausel in Grundsatzung des KIT“ in der LDK 2011 in Pforzheim „Die Ethik-Kommission ist eine Ergänzung und kein Ersatz für die Zivilklausel. Im Falle einer von der Zivilklausel losgelösten Forderung nach einer Ethik-Kommission besteht die Gefahr, dass die Forderung nach der Zivilklausel verwischt wird und untergeht.“
- Die Transparenzforderung ist nur dann hilfreich, wenn sie konkretisiert wird, d.h. wenn für die militärisch relevanten Forschungsprojekte Auftraggeber, Zeitraum, Verantwortliche, Finanzvolumen und Zielsetzung vor Projektbeginn öffentlich bekannt gegeben werden.
- Als bezeichnendes aktuelles Beispiel für den Widerspruch zwischen Worten und Taten, sei KIT benannt. In einem Brief haben die DFG-VK Baden-Württemberg und die Initiative gegen Militärforschung an Universitäten das KIT-Präsidium, das sich gern auf die Transparenz beruft, zur Mitwirkung an einem geheimen nachrichtentechnischen Rüstungsforschungsprojekt und dessen Aktualität für die Bundeswehr befragt. Nach vier Monaten antwortete KIT aufgrund des Nachdrucks eines Landtagsabgeordneten.
 
Kommentar von Roland Blach, DFG-VK:

„Eine völlig inakzeptable und skandalöse Intransparenz der öffentlichen Bildungs- und Forschungseinrichtung KIT.“ (PM 04.11.12 "Breitbandiges Schweigen") Noch einmal zum Thema „Unabhängigkeit und Freiheit der Wissenschaft“. Tatsächlich wird die Freiheit der Wissenschaft zunehmend durch den stark angewachsenen Drittmittel-Finanzierungsanteil aus zweckgebundenen privaten und öffentlichen Mitteln verletzt. Einige Hochschulen machen aus der Not der faktischen Unfreiheit eine Tugend, so als ob unternehmerische Hochschulen als Dienstleister für Wirtschaft und Militär am besten dem Allgemeinwohl dienen könnten. Zivilklauseln verbunden mit wirksamer Transparenz und ausreichender Grundfinanzierung können dieser Indienstnahme entgegen wirken. Wenn Sie unsere Argumente geprüft und für stichhaltig befunden haben, wird es Ihnen nicht schwer fallen, den nachfolgenden LDK-Antrag V2 „Zivilklausel in Landeshochschulgesetz!“ in der beantragten Ergänzungsfassung zu unterstützen:
 
„BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Baden Württemberg spricht sich dafür aus, dass Forschung und Lehre an den Hochschulen des Landes ausschließlich zivilen und friedlichen Zwecken dient und fordert daher die Einführung einer Zivilklausel im Landeshochschulgesetz mit Geltung für das Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Zur Gewährleistung der Überprüfbarkeit wird im Landeshochschulgesetz weiter festgelegt, dass alle öffentlich und privat finanzierten Drittmittelprojekte in Bezug auf Drittmittelgeber, Zeitraum, Projektverantwortliche, Finanzvolumen und Zielsetzung vor Beginn des Projekts öffentlich bekannt zu geben sind (Transparenzklausel).“
 
„Mit den Waffen des Geistes – Gegen den Geist der Waffen“ war das Leitmotiv des Zivilklausel-Kongresses im Juni in Karlsruhe. Im Vorwort zur Streitschrift „Jetzt entrüsten! – Hochschulen: Zukunftswerkstätten oder Kriegs-»Dienstleister«?“ über den Kongress schreibt Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung): „Wenn Krieg nichts hilft, hilft dann noch mehr Krieg? .... Die Initiative »Jetzt Entrüsten!« wirbt für das große »Aufhören«. Die Initiative »Jetzt Entrüsten!« sagt Aufhören, wenn es um die Waffenexporte der Bundesrepublik Deutschland geht. Sie sagt Aufhören, wenn es um Rüstungsforschung an den Hochschulen geht. Die Initiative »Jetzt Entrüsten!« wirbt für ein ziviles Gemeinwesen – also für eine Zivilklausel an den Hochschulen.... Die sogenannten, die angeblichen Realpolitiker nennen das Naivität.
Damit haben sie vielleicht sogar recht. Ohne diese Naivität hat man nicht die Kraft, gegen den Jahrtausend-Mainstream anzutreten. Aber diese angeblich Naiven sind die wahren Realpolitiker, weil sie die richtigen Konsequenzen aus der Jahrtausend-Realität ziehen: »Jetzt Entrüsten!«“
 
Mit freundlichen Grüßen,
Leni Breymaier, Landesleiterin ver.di Baden-Württemberg
Jürgen Grässlin, Bundessprecher Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Träger des Aachener Friedenspreises
Sven Lehmann, Sprecher GEW Bundesausschuss der Studentinnen und Studenten (BASS)
Dietrich Schulze, Initiative gegen Militärforschung an Universitäten
Renate Wanie, Werkstatt für Gewaltfreie Aktion Baden (PK)
 
 
 


Online-Flyer Nr. 382  vom 28.11.2012



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