Revolutionäre Aktion: IG-Metall-Jugend gründet Europa-NEUstaat
„Die Macht des Kapitals brechen“
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
Es war Donnerstag, der 6. Dezember 2012. Am Mittag dieses Tages wurde von der IG-Metall-Jugend in Berlin ein neuer europäischer Staat ausgerufen. Am Abend wurde vor dem Kölner Dom mit einer begleitenden Aktion auf dieses Ereignis aufmerksam gemacht. Hier entstand eine neue, große Europa-Flagge mit gelben Sternen, auf denen die Weihnachtswünsche von Menschen für ein neues Europa niedergeschrieben waren. „Die Macht des Kapitals brechen“, hieß es zum Beispiel. Eine Aktive der IG Metall Köln-Leverkusen hatte dem in Europa herrschenden Kapital schon vor der Aktion eine klare Absage erteilt: „Wir brauchen einen NEUstaat, weil Europa die Menschen und nicht Geld in den Fokus rücken muss.“
NEUstaat-Bürger im NEUstaat-Outfit mit NEUstaat-Flagge
Alle Fotos (bis auf die mit neustaat.eu gekennzeichneten): arbeiterfotografie.com
Menschen strömen vom und zum Hauptbahnhof – unweit der Flagge des Neuen Europa
Sterne machen deutlich, wofür das Neue Europa steht
Passanten greifen zum Stift und schreiben auf die gelben Sterne ihre Weihnachtswünsche in Sachen Europa
NEUstaat Europa: ein Staat für die Jugend
NEUstaat-Bürger in Aktion
„Gutes Leben, faire Einkommen, sichere Arbeit, hochwertige Bildung, umfassende Mitbestimmung und soziale Absicherung“ – das sind die Grundwerte des NEUstaats
Auch NEUstaat-Aktivisten bringen zum Ausdruck, welche Wünsche sie haben
Die NEUstaat-Aktivisten präsentieren vor dem Kölner Dom die Riesenflagge des neuen Europa
„Brecht die Macht des Kapitals!“
Es gibt noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten – zum benachbarten Weihnachtsmarkt zog es noch deutlich mehr Menschen als zur NEUstaat-Aktion
Verabschiedet wurde am 6. Dezember 2012 eine neue europäische Jugend-Verfassung mit den Grundrechten: gutes Leben, faires Einkommen, sichere Arbeit, hochwertige Bildung, umfassende Mitbestimmung und soziale Absicherung. In der Präambel heißt es: „Wir, Jugendliche aus ganz Europa, von der Absicht geleitet, ein neues Europa zu errichten, setzen und begründen diese Verfassung der Neuen Europäischen Union – im Interesse von Bildung, Gerechtigkeit und Zukunft.“ Die Staatsform definiert sich wie folgt: „Die Neue Europäische Union ist ein NEUSTAAT von und für Europas Jugend. Sie konstituiert sich als Aktionsrepublik für Bildung, Gerechtigkeit und Zukunft.“ Der Staat ist nunmehr „ein Staat neuer Ordnung. Sie definiert sich nicht entlang territorialer Grenzen, sie gründet auf politischen Werten. Zusammenhalt wird nicht erzwungen durch den Druck des Gesetzes, er erwächst aus der Anziehungskraft einer verbindenden Vision. Hier ist ein besseres Europa für die Jugend... Die Aktionsrepublik NEUSTAAT ist die Verwirklichung der gewerkschaftlichen Idee.“
Die Vision von Tripolis
Ein Staat, in dem Bildung und medizinische Behandlung frei sind. Ein Staat, in dem Strom für alle Bürger kostenlos ist. Ein Staat, in dem auf Kredite keine Zinsen erhoben werden. Ein Staat, in dem das Benzin 10 Cent pro Liter kostet. Ein Staat, in dem alle Frischvermählten 50.000 Euro erhalten, damit sie ihre erste Wohnung kaufen können. Ein Staat, der sich unabhängig machen will von den globalen Organisationen des Großkapitals – wie Weltbank und Internationaler Währungsfond. Könnten das Bestandteile einer Vision für den Europäischen NEUSTAAT sein? Einen solchen Staat gab es bereits. Es war das Libyen Gaddafis, das bis Anfang 2011 existierte und dann einem imperialistischen Raubkrieg zum Opfer fiel – unter Mitwirkung von Staaten der alten EU.
Die Angst vor Lissabon
Die Menschen haben Angst vor einem Europa übermächtiger Konzerne – zu Recht. Und vielen ist bewußt, daß es in Deutschland die Damen und Herren im Bundestag waren, die diesem Europa der Konzerne den Weg bereitet haben und nach wie vor bereiten. Es sind die Abgeordneten von SPD, GRÜNEN, FDP und CDU, die das zu verantworten haben. Ein Lied befaßt sich mit dem Vertrag von Lissabon, der nicht mehr Verfassung heißt, aber doch die Verfassung der Europäischen Union ist:
Hörst Köhler hat ihn ratifiziert,
den Vertrag mit dem in der EU bald alles anders wird.
Sie haben ihn abgenickt, die Damen und Herren im Bundestag,
ohne zu wissen, wat ihm eigentlich zu Grunde lag:
Unsere Grundrechte und dat Menschenrecht,
stehen unterhalb von dem, was wichtig für die Wirtschaft ist.
Dat heißt der Schutz von Gentechnik-Patenten,
steht über Rechten von vergifteten Patienten.
Fisimatenten dank Gewährleistungsstaat,
immer mehr Aufgaben gehen von nun an an Privat,
Monsanto schreibt die Lehrpläne für Biologie,
und Kinder lernen dann, Gentechnik is gar nich so fies.
Sitzt Berteismann in Gütersloh dann im Finanzamt,
is klar, datt die vor Steuerprüfungen keine Angst ham.
Aufgaben wo bislang der Staat allein die Hoheit hat,
gleiten ab in den Sumpf unserer Privatwirtschaft.
Ich habe Angst vor dem Vertrag von Lissabon,
vor der neuen EU und vor Berteismann.
Ich fürchte mich vor der Flagge mit den Sternen,
vor nem Europa übermächtiger Konzerne.
Aufstand und Aufruhr darf man niederschießen,
laut dem Vertrag ist et legales Blutvergießen.
Selbst wenn sie friedlich – wie damals in der DDR –
demonstrieren, ohne datt da irgendwat passiert,
wärs Grund genug gewesen, die Waffen zu erheben.
Unter so nem Machwerk will ich doch nicht leben.
Wenn irgendwat im Weg des Wirtschaftsinteresses liegt,
stehen hier alle Wege offen für nen Angriffskrieg.
Wir schaufeln unser Grab.
Wir rüsten auf statt ab.
Er fordert immer mehr,
Waffen und Militär.
Wir verraten dat Strukturprinzip des Friedens,
und dat steht so in unserm Grundgesetz geschrieben,
sie ist ne Lüge, diese Supranationalität,
et is nich Recht, datt die EU nun über allem steht.
Ich habe Angst vor dem Vertrag von Lissabon,
vor der neuen EU und vor Berteismann.
Ich fürchte mich vor der Flagge mit den Sternen,
vor nem Europa übermächtiger Konzerne.
In dem EU-Konvent da sitzen Lobbyisten,
die auf die Interessen ihrer eignen Völker pissen,
ich les mich ein in den Vertrag und dieser Rotz schockt.
Vielen Dank an CDU und ihren Kotzbrok!
Finanziert von einer Gütersloher Stiftung
krizzeln sie sich die Verfassung in die grobe Richtung,
sie legens drauf an, ihren Einfluss zu vermehren,
und Widerspruch von Bürgerseite zu erschweren.
Ich hoffe sehr auf unsre Karlsruher Richter,
ihr seid für meine Hoffnung einfach unverzichtbar.
Ich komme gar nicht klar, isset denn echt so leicht,
so wird Gewaltenteilung hier in Deutschland aufgeweicht.
Ich will mein Grundgesetz und ich beschütze es.
Und et erschüttert mich, datt ihr et grad zerfetzt.
Et müsste sein, datt ne Million auf der Straße steht,
doch ihr habts so getarnt, datt dat hier keine Sau versteht.
Ich habe Angst vor dem Vertrag von Lissabon,
vor der neuen EU und vor Berteismann.
Ich fürchte mich vor der Flagge mit den Sternen,
vor nem Europa übermächtiger Konzerne.
Dieses Lied stammt von der Polit-Hip-Hop-Gruppe "Die Bandbreite" (hier anhören). Es hätte gut zur Aktion der IG-Metall-Jugend gepasst. Oder auch das Lied "Was ist los in diesem Land". Hier herrscht ein System mit dem Namen Kapitalismus: „Alle reden von der NPD, doch Extremisten sitzen längst im Bundestag. Zu Hartz vier und Afghanistan ham sie alle Ja gesagt... Wir haben sie verhundertfacht. Unsre Produktivität. Weshalb es mich verwundert macht, dass nicht jeder hier in Wohlstand lebt. Wir sind an einem Wendepunkt. Dem Fehler im System.“ So heißt es im Lied "Was ist los in diesem Land" (hier anhören).
Systemfehler II
Eric Leiderer, Bundesjugendsekretär der IG Metall, schreibt in der Broschüre "Systemfehler II" der IG-Metall-Jugend: „Die gegenwärtige Krise ist... kein kurzfristig entstandenes und durch ein paar einzelne Korrekturmaßnahmen zu lösendes Problem, sie ist Ausdruck einer ideologisch beeinflussten und politisch geförderten strukturellen Veränderung des globalen kapitalistischen Wirtschaftssystems... Wir müssen gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Kräften in Deutschland und Europa dafür eintreten, dass die neoliberal geprägte Politik ein Ende hat... Wir sind überzeugt, dass Europa nur eine Zukunft hat, wenn es ein demokratisches und solidarisches Europa der Bürger ist, ein Europa in dem... die Menschen mehr zählen als Konzerne.“
Das liest sich so, als sei es eine bestimmte Ausformung des Kapitalismus, die das Problem darstelle – als ginge es lediglich um ein größeres Gewicht der Menschen gegenüber den Konzernen und nicht um deren Abschaffung.
Der Systemfehler heißt Kapitalismus
Hingegen heißt es in der Broschüre an anderer Stelle. „Tatsächlich ist die aktuelle Krise jedoch das Ergebnis einer dem Kapitalismus innewohnenden Eigenschaft nach stetiger Profitmaximierung und Expansion. Für die meisten Veränderungen und Reformen der letzten 30 Jahre gibt es einen gemeinsamen Nenner, und der heißt: mehr Markt, weniger Staat. Diese Entwicklung ist nicht nur einer Ideologie geschuldet, die an die geheimnisvolle unsichtbare Hand glaubt, die der Ökonom Adam Smith vor etwa 250 Jahren als regelndes Prinzip in offenen Märkten beschrieben hat. Diese Entwicklung gründet sich vielmehr in der Geschichte und in der Logik des kapitalistischen Wirtschaftssystems selbst.“
Damit ist klar: es ist das kapitalistische Wirtschaftssystem, das überwunden werden muss. Der Kapitalismus hat sich nicht fehlerhaft entwickelt. Der Fehler ist der Kapitalismus. Deshalb hieß es vor dem Kölner Dom auf einem der Sterne für ein neues Europa: „Brecht die Macht des Kapitals!“
Der Pass eines Bürgers des NEUstaats (Foto: neustaat.eu)
Berlin, 6.12.2012 – Aufmarsch der Jugend für den europäischen NEUstaat (Foto: neustaat.eu)
NEUstaat-Stempel (Foto: neustaat.eu)
Berlin, 6.12.2012 – Gründung des europäischen NEUstaats (Foto: neustaat.eu)
Hinweise:
Website der NEUstaat-Kampagne:
http://neustaat.eu
Systemfehler II, Thesen der IG-Metall-Jugend zur Krise in Europa, Hintergründe für Aktive
http://neustaat.eu/tl_files/content/media/presse/hintergrund/Systemfehler.pdf
Die Bandbreite: Angst vor Lissabon (als Video)
http://www.youtube.com/watch?v=no_Pv7McXVg
Die Bandbreite: Was ist los in diesem Land (als Video)
http://www.youtube.com/watch?gl=DE&hl=de&v=8fLuuuIptLE
"So grausam war Gaddafi" – Was Gaddafi seinem Volk alles zufügte - einige Beispiele - 10.11.2011
http://www.arbeiterfotografie.com/nordafrika/index-nordafrika-0030.html
Online-Flyer Nr. 384 vom 12.12.2012