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Arbeit und Soziales
Das „Pikin Paddy Center“, ein großes Kinderhaus in Sierra Leone
Straßenkinder haben keine Wahl
Von Dr. Werner Strahl
Die erste wirklich freie Wahl nach dem schrecklichen Bürgerkrieg im westafrikanischen Staat Sierra Leone verlief am 17.11.2012 völlig friedlich und auch nach dem Urteil ausländischer Beobachter demokratisch. Der bisherige Präsident Dr. Ernest Bay Koroma wurde mit 58,7 Prozent der Stimmen deutlich bestätigt. Somit könnte er Erfolg haben bei seinen Zielen, die Korruption im Land zu bekämpfen und die große Armut zu lindern. Das Land ist fruchtbar und reich an Bodenschätzen, leider aber auch reich an armen Straßenkindern! Diese hatten bisher in ihrem Elend mit schwerer Arbeit und sexueller Ausbeutung keine Wahl.
Ruth Zemedebrhan
Foto: Cap Anamur
Anders ist vor allem, dass wir dieses Straßenkinderprojekt gemeinsam aufbauen: Vieles muss organisiert werden. Und obwohl nicht alles so reibungslos läuft, wie ich es von Zuhause kenne, haben wir innerhalb kürzester Zeit mehr erreicht, als ich erwartet hatte. Es macht Spaß, in einem so lebendigen Sozialarbeiterteam zu arbeiten. Das hat mir den Einstieg sehr erleichtert. Alle haben gute Ideen und wir haben keine Angst, Dinge auszuprobieren und später festzustellen, dass es vielleicht eine noch bessere Lösung gibt. Wir können Strukturen selbst schaffen und erleben, wie sich das Projekt entwickelt und wächst. Das ist schön.
Online-Flyer Nr. 387 vom 02.01.2013
Das „Pikin Paddy Center“, ein großes Kinderhaus in Sierra Leone
Straßenkinder haben keine Wahl
Von Dr. Werner Strahl
Die erste wirklich freie Wahl nach dem schrecklichen Bürgerkrieg im westafrikanischen Staat Sierra Leone verlief am 17.11.2012 völlig friedlich und auch nach dem Urteil ausländischer Beobachter demokratisch. Der bisherige Präsident Dr. Ernest Bay Koroma wurde mit 58,7 Prozent der Stimmen deutlich bestätigt. Somit könnte er Erfolg haben bei seinen Zielen, die Korruption im Land zu bekämpfen und die große Armut zu lindern. Das Land ist fruchtbar und reich an Bodenschätzen, leider aber auch reich an armen Straßenkindern! Diese hatten bisher in ihrem Elend mit schwerer Arbeit und sexueller Ausbeutung keine Wahl.
Bildinfos von links nach rechts:
Slum von Freetown: Rund 2.000 Kinder leben auf den Straßen der Hauptstadt.
Kind sein in Freetown: Viele Familien können sich Schulgebühren nicht leisten.
Dr. Werner Strahl besucht eine von Cap Anamur renovierte Schule.
Fotos: Jürgen EscherJetzt aber gibt es das „Pikin Paddy Center“, unser großes Kinderhaus, als Anlauf- und Auffangstelle für sechs bis 13-jährige Mädchen und Jungen. Mitten im Stadtzentrum am belebtesten Markt und am größten Slum von Freetown gelegen, nach außen gesichert und bewacht, doch innen fröhlich und freundlich für 40 Kinder ausgelegt. Ruth Zemedebrhan, deutsche Sozialarbeiterin mit eritreischer Abkunft, leitet das Haus mit einem guten Team aus drei lokalen Sozialarbeitern sowie Kinderpflegerinnen und -pflegern, Köchinnen und unserem langjährigen einheimischen Organisator Hassan.
In nur zweieinhalb Monaten sind bereits 92 Jungen und 26 Mädchen aufgenommen und betreut worden. Bei uns gibt es endlich gutes Essen und gesundheitliche Betreuung für beispielsweise Malaria, HIV und eiternde Wunden. Dann geht es an die Klärung der oft komplizierten oder schrecklichen familiären Verhältnisse. Meist lassen sich Lösungen auch über Verwandte und Nachbarn finden. Nach Eröffnung schulischer Möglichkeiten konnten zwei Drittel dieser Kinder schon wieder nach Hause oder in die Obhut von Verwandten entlassen werden. Danach aber gehören natürlich regelmäßige Kontrollbesuche über lange Zeiträume zu unserer Sorgfaltspflicht.
Das glückliche Lachen, das morgendliche Begrüßungssingen der Kinder, die in unserem geschützten Haus gleich aufblühen, entschädigt für alle Mühen beim Start. Bei unserem Projektbesuch im November hatten wir die große Freude, mit Ruth und unserem kleinen Krankenhaus-Team zusammen im „Pikin Paddy Center“ wohnen zu können. Es gibt dort noch für viele Jahre zu tun! Machen wir also fröhlich weiter!
Im Interview: Ruth Zemedebrhan
Im Juli ist Ruth Zemedebrhan von Stuttgart in die Hauptstadt von Sierra Leone gezogen. Die 30jährige koordiniert das Projekt vor Ort, führt Beratungs- und Schlichtungsgespräche und, eine der wichtigsten Aufgaben, sie hört den Kindern zu.
Du hast vor diesem Projekt in Stuttgart als Streetworkerin gearbeitet. Was ist jetzt anders?
Ruth Zemedebrhan
Foto: Cap Anamur
Wie kommst du damit zurecht, in einer fremden Kultur zu arbeiten?
Kulturelle Gegebenheiten spielen eine große Rolle. Man muss sich ganz darauf einlassen, sonst funktioniert es nicht. Manchmal bin ich hundemüde von all den neuen Eindrücken, der neuen Sprache, die ich dringend noch besser lernen muss. Ich arbeite sehr eng mit meinen einheimischen Kollegen zusammen, den Sozialarbeitern Jonathan, Racheal und Kolleh. Wir lernen viel voneinander, leisten gegenseitig Hilfestellung, sammeln Ideen und tauschen Wissen aus. Für unsere Arbeit hat sich das als äußerst fruchtbar erwiesen. Deswegen beginnen wir jeden Tag mit einer Teamsitzung. Was mich hier am meisten überrascht hat, ist die Zugänglichkeit der Straßenkinder in Freetown; sie sind dankbar für das Gespräch, das wir ihnen anbieten. Aus Deutschland bin ich das nicht gewohnt, dort muss man sich die Aufmerksamkeit der Kinder- und Jugendlichen hart erkämpfen.
Was ist für dich die größte Herausforderung?
Man rechnet mit 2.000 Straßenkindern allein in Freetown. Wir haben uns da auf ein langfristiges Abenteuer eingelassen. Mein Hauptanliegen ist, Kinder zu helfen, die von Zuhältern zur Arbeit oder Prostitution verkauft werden. Besonders die Mädchen sind so verängstigt, dass sie bei unseren ersten Annäherungen weglaufen. Nur langsam lässt sich ihr Vertrauen gewinnen. Alle Kinder können, wenn sie wollen, unser Haus wieder verlassen. Wir müssen ihnen also glaubhaft etwas Besseres für die Zukunft vermitteln. (PK)
Dr. Werner Strahl ist Kinderarzt und Vorsitzender von Cap Anamur Deutsche Notärzte e.V., Thebäerstraße 30, 50823 Köln, Tel.: 0221 – 9 13 81 50, www.cap-anamur.org
Online-Flyer Nr. 387 vom 02.01.2013