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Lokales
Solidaritätsfest mit dem trotzigen Motto „Wir bleiben Opel Bochum“
Zukunft einer ganzen Region gefährdet
Von Lothar Reinhard

Veranstalter des Opel-Solidaritätsfests mit dem trotzigen Motto „Wir bleiben Opel Bochum“ am Sonntag, 3. März, war die IG Metall, unterstützt u.a. von der Stadt, der IHK-Bochum, dem Schauspielhaus und zahlreichen Initiativen, Kaufleuten und Verbänden. Das Fest sollte sowohl Protest gegen die drohende Werksschließung, als auch Ersatz für die im vergangenen Jahr von der Opel-Mutter General Motors abgesagte Feier zum 50jährigen Werksjubiläum sein. Vertreter von Landes- oder Bundesregierung waren allerdings ebenso rar wie die der anderen Opel-Standorte Rüsselsheim, Kaiserslautern und Eisenach.

Rund um den Bochumer Rathausplatz fanden sich trotz zum Glück ausgebliebenem Dauerregen leider höchstens 10.000 Besucher ein. Dabei ist (bzw. bald war) gerade das Opelwerk in Bochum das Symbol schlechthin für gelungenen Strukturwandel im ehemaligen Kohle- und Stahlrevier Ruhrgebiet, der größten deutschen Städteagglomeration mit seinen über 5 Millionen Menschen. Auf ehemaligem Zechengelände wurde 1962 das Werk errichtet. Es ist mit rund 5.000 Mitarbeitern immer noch der größte industrielle Arbeitgeber in der Region.
 
„Es geht nicht nur um die Zukunft des Werkes und der Marke Opel. Daran hängt auch die Zukunft einer ganzen Region“, betonte Betriebsratschef Rainer Einenkel zu Recht.
 
Betriebsrat, IG-Metall und Stadtspitze forderten Sicherheiten für alle Beschäftigten und konkretere Perspektiven für das Werk. Die Autoproduktion soll allerdings laut der letzte Woche in Rüsselsheim - ohne die Bochumer! - getroffenen Vereinbarung 2016 in Bochum auslaufen. Die Nachtschicht soll schon in Kürze wegfallen, das bedeutet Streichung der ersten 700 Stellen! Das Management hat angekündigt, 1200 Jobs erhalten zu wollen, unter anderem bei Komponentenfertigung und als Warenverteilzentrum. Mehr dazu aus Bochumer Sicht weiter unten.


Kundgebung auf der Bühne mit dem Totenkreuz
Foto: Lothar Reinhard
 
Kurzum: Das Opelwerk in Bochum wird in Raten abgewickelt, halt nicht ganz so schnell wie Nokia, aber auch bei Opel gehen weitere tausende hochqualifizierter Arbeitsplätze dem Ruhrgebiet verloren. Landes-, Bundes- und EU-Politik scheinen sich damit längst abgefunden zu haben, und die meisten Menschen scheinen resigniert. Vor Jahren, als der Mutterkonzern GM wegen katastrophalem Missmanagement am Boden lag, wurde wenigstens noch angedacht, die Adam Opel AG aus der maroden GM herauszulösen und selbständig zu machen, um überlebensfähig zu bleiben. Davon redet heute niemand mehr, leider!
 
Die gesündere Tochter Opel musste dann in den letzten Jahren nicht unwesentlich zur Erholung von GM beitragen, doch ein Hauptgrund für die große Opel-Krise liegt nun darin, dass die Mutter nicht zulässt, dass Opel-Autos auf den Wachstumsmärkten China und Indien den sicher nicht besseren Autos von GM Konkurrenz machen. Der wegen der Eurokrise schrumpfende europäische Markt als Hauptabsatzgebiet musste aber Opel - anders als z.B. VW - vollends ins Schleudern bringen. Und so kämpft nun jeder Standort ums Überleben und auch gegeneinander. Das Zweitligaspiel des VfL Bochum gestern in Kaiserslautern war da symbolisch: Der FCK steht besser da, der VfL spielte viel besser, das Ergebnis war aber 0:0 - irgendwie beide Verlierer!
 
Für das Ruhrgebiet wurden mit der Opel-Abwicklung schwierige Zeiten eingeläutet, denn auch Thyssen-Krupp hat sich massiv vergaloppiert und wird schrumpfen müssen, Hochtief wird filettiert, um die bankrotte spanische Mutter ACS – Mutter nur per feindlicher Übernahme, also eher eine „Kindesentführung“ – am Leben zu erhalten, RWE hat sich durch große unternehmerische Fehlentscheidungen gigantisch verschuldet und muss schrumpfen, Karstadt ebenfalls uswusf..
 
Wo aber bleibt bei den düsteren Wolken über dem Ruhrgebiet ein Rettungsschirm aus Brüssel? Sind etwa die hochqualifizierten Arbeitsplätze u.a. im verbliebenen industriellen Bereich des Exportweltmeisters Deutschland nicht systemisch? Für die größte Menschenansammlung im Herzen Europas sind sie jedenfalls zum Überleben viel wichtiger als die Arbeitsplätze einiger gieriger Spekulanten im Bankensektor o.ä..
 
Stellungnahme zum "Mastervertrag"
 
Zu den Vereinbarungen, neudeutsch "Mastervertrag“, hier die Bochumer Stellungnahme von der Opel-Webseite http://wir-gemeinsam.eu/:
 
Am 28. Februar 2013 wurde der Mastervertrag Drive! 2022 zwischen den Vertretern des Opel-Vorstandes, der IG Metall und den Betriebsratsvorsitzenden beschlossen.
 
Es waren sehr ungewöhnliche Verhandlungen:
 
1. Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Wolfgang Schäfer-Klug gab der Nachrichtenagentur dpa ein Exklusiv-Interview zum neuen Vertrag, und erklärte, dieser Vertrag sei soeben beschlossen worden. Alle anderen Betriebsratsvorsitzenden hatten diesen Vertrag bis dahin nicht vorliegen und kannten ihn nicht. Frage aus dem Betrieb: Dummheit oder Absicht?
 
2. In der anschließenden kurzen 'Verhandlung' erklärte der Opel-Vorstand, dass es nichts zu verhandeln gibt. "Entweder ihr akzeptiert das vorliegende Papier oder für alle Werke gilt nur noch der Schutz bis 2014!"
 
Zum Bochumer Teil des beschlossenen Vertrages: Bochum soll kein neues Fahrzeug bekommen. Gleichzeitig soll nach dem Auslauf der Fahrzeugproduktion das Werk 'umgewandelt' werden. Die Verantwortung für die Umwandlung und Schaffung einer vierstelligen Anzahl von Arbeitsplätzen soll auf Basis der Initiative "Bochum Perspektive 2022" gemeinsam durch Land und Stadt erfolgen. Ob die von ihrem 'Glück' bereits wissen?
 
Als Ersatz für den Wegfall der Fahrzeugproduktion sollen zusätzlich zu den 600 Arbeitsplätzen im Ersatzteillager weitere 600 Arbeitsplätze im sogenannten hochwertigen Komponentenbereich festgelegt werden.
 
Welche Arbeitsplätze, für welche Modelle und für welche Laufzeit konnte seitens des Vorstandes niemand sagen. Außer Überschriften gab es nichts.
 
Gleichzeitig haben die anderen Werke entschieden, dass ab dem 2. Quartal die Umstellung auf einen Zweischicht-Betrieb erfolgt.
 
Spätestens ab 1.1.2015 kann unter bestimmten Voraussetzungen betriebsbedingt gekündigt werden.
 
Ab 1.1.2017 gibt es gar keinen Schutz mehr.
 
Über 2.000 Arbeitsplätze sollen bis 2016 verschwinden. Gehen zu wenige, drohen betriebsbedingte Kündigungen.
 
Rainer Einenkel, Betriebsratsvorsitzender in Bochum, hat als einziger dieser Vereinbarung nicht zugestimmt. (PK)
 
Lothar Reinhard ist Fraktionsvorsitzender der Mülheimer Bürgerinitiativen im Mülheimer Stadtrat


Online-Flyer Nr. 396  vom 06.03.2013



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