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Wirtschaft und Umwelt
Was wir wissen müssen über WTO, GATS, die EU und Privatisierungen
Der Raubzug der Konzerne
von Maria Mies
„Der Zugang zu Wasser ist ein Menschenrecht. Wasser ist ein lebensnotwendiges, öffentliches Gut, von dessen Nutzung niemand ausgeschlossen werden darf.“ Das ist eine Aussage, die am 28.02.2013 von der deutlich überwiegenden Mehrheit des Deutschen Bundestages abgelehnt wurde. Nur 122 Abgeordnete stimmten mit JA, 124 enthielten sich, 299 sagten eindeutig NEIN. Der Prozess der Übereignung öffentlicher Güter mit Hilfe der so genannten Volksvertreter an transnationale Konzerne ist in vollem Gange. Die EU ist dabei ein wichtiges Instrument. EU-Kommissar Michel Barnier im Dezember 2012: „Wir schaffen die Möglichkeit, das Wasser auch einem privaten Partner anzuvertrauen, jetzt wird auch das geregelt, zum Wohl des Verbrauchers.“ Bereits vor zehn Jahren hat sich die Soziologin Prof. Maria Mies mit den Grundlagen dieser Materie befasst. Ihr Artikel aus dem Infobrief 13 von September 2003 hat von seiner Aktualität kaum etwas eingebüßt. (Die Redaktion)
Maria Mies, 2003
(Fotos: arbeiterfotografie.com)
1. WTO
Ehe wir uns mit GATS selbst befassen, ist es notwendig zu verstehen, in welchem Zusammenhang dieses „Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen“ steht. GATS ist kein unabhängiges Abkommen. Es ist eins der verschiedenen Freihandelsabkommen, die 1994 mit dem Ende der Verhandlungen über das GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) in Marrakesch beschlossen wurden. Diese Abkommen wurden im Januar 1995 in die neu gegründete WTO (World-Trade-Organization – Welthandelsorganisation) überführt. Alle Regeln und "Disziplinen" der WTO gelten automatisch auch für das GATS. Die wichtigsten dieser Regeln sind:
a) die Inländerbehandlung
b) die Meistbegünstigten-Klausel
c) der Streitschlichtungsmechanismus
Sämtliche WTO-Abkommen basieren auf derselben ökonomischen Philosophie: dem Neoliberalismus. Die Dogmen des Neoliberalismus – auch Washington Konsensus genannt – besagen, dass der (kapitalistische) Markt freie Entfaltung haben müsse, dass der Staat diese Entfaltung nicht durch den "Schutz" einzelner Bereiche und "Monopole" behindern solle (Protektionismus-Verbot), dass der ungehinderte Wettbewerb gefördert werden muss, um den globalen Marktzugang für große und kleine Unternehmen sicherzustellen. Dabei soll jedes Land seine komparativen Kostenvorteile ausnutzen.
Unter komparativen Kostenvorteilen wird verstanden, dass die Länder sich auf die Bereiche spezialisieren sollen, bei denen sie einen Vorteil gegenüber anderen Ländern haben. Dabei ist der private Profit das einzige ökonomische Ziel. Andere Werte müssen diesem Ziel untergeordnet werden.
Wenn in der WTO von Ländern und Regierungen die Rede ist, dann sind in der Regel Nationalstaaten gemeint. Für die EU trifft das aber nicht zu.
2. EU
Für die WTO ist die EU EIN Land, bzw. eine Regierung. Die EU wird vertreten durch die Europäische Kommission (EK), z.Zt. durch den Handelskommissar Pascal Lamy. Die EU-Kommission setzt sich zusammen aus Beamten, die als Kommissare von den einzelnen Mitgliedsländern in die EK abgeordnet wurden. Die EK funktioniert zwar wie eine Regierung, sie ist aber nicht vom Europäischen Parlament gewählt. Die Kommissare werden auch nicht von den Länderparlamenten gewählt, sondern von den Regierungen abgeordnet. Dieses Demokratiedefizit wird bei GATS noch dadurch verschärft, dass sämtliche Verhandlungen in dem geheimen 133-er Ausschuss stattfinden, zu dem die Öffentlichkeit keinen Zutritt hat. Die EU wurde durch die Amsterdamer und Maastrichter Verträge 1994 gegründet. Sie existierte also schon vor der WTO. Von Anfang an war die EU auf die neoliberale Freihandelspolitik eingeschworen und hat sie in Europa durchgesetzt.
3. GATS
Was das GATS beinhaltet, wurde schon vielfach erläutert. Am 31. März 2003 musste die EU der WTO ihre Listen über die Dienstleistungen vorlegen, die sie auf dem globalen Markt anbieten will. Der Termin wurde später auf Juni 2003 verschoben. Pascal Lamy, der EU-Handelskommissar, behauptet nun in seinem Kommentar zu den Verhandlungen, dass die Öffentlichen Dienstleistungen, d.h. die Bereiche der Daseinsvorsorge wie Gesundheit, Wasser, Bildung, Energie nicht zur Verhandlungsmasse der EU gehörten und nicht liberalisiert würden. Das ist eine bewusste Irreführung. Sie dient der Beruhigung der Bevölkerung, die inzwischen durch die GATS-Kritik etwas hellhöriger geworden ist.
Lamys Beteuerung, für die Daseinsvorsorge sei nichts zu befürchten, geht an der Tatsache vorbei, dass das GATS im Prinzip alle "kommerziellen" und auch "nicht-kommerziellen" Dienstleistungsbereiche umfasst, und dass die WTO-Klauseln der Inländerbehandlung und der Meistbegünstigung für alle Dienstleistungen gelten. Was bedeuten diese Klauseln?
Die Klausel über „Inländerbehandlung" bedeutet, Länder – hier die EU – dürfen ihre Grenzen gar nicht dichtmachen, wenn ein ausländischer Konzern fordert, in einem EU-Land wie Deutschland z.B. im Schul-, Gesundheits- oder Wasserbereich investieren zu wollen. Sie dürfen nicht sagen: Diesen Bereich wollen wir unter eigener nationaler oder lokaler Kontrolle behalten, z.B. den Umweltbereich. Wir wollen auch durch Subventionen strukturschwache Gebiete und Bereiche fördern. Wenn Vergünstigungen gewährt werden, dann müssen allen ausländischen Konzernen der WTO-Länder dieselben Vergünstigungen gewährt werden.
Die "Meistbegünstigungsklausel" besagt, dass ein Land nicht ein anderes Land z.B. aus politischen Gründen bevorzugen oder benachteiligen darf. Wenn es einem Land Handelsvorteile gewährt, muss es allen WTO-Ländern dieselben Vorteile gewähren. Wenn es das nicht tut, bezeichnet die WTO das als "Diskriminierung" und "Protektionismus". Dagegen können einzelne Länder aber auch einzelne Konzerne die jeweiligen Länder beim "Streitschlichtungsgremium" der WTO verklagen.
Außerdem verschweigt Lamy die Tatsache, dass der Privatisierungsprozess in der EU bereits schon voll im Gange ist, und dass es dabei vor allem um die Bereiche der Öffentlichen Daseinsvorsorge geht, vor allem um die Liberalisierung, Privatisierung und Globalisierung des Wassers. Zudem stammen die größten Wasser-Multis der Welt: Suez, Vivendi und RWE aus Frankreich und Deutschland. Sie drängen mit Macht auf die Öffnung der europäischen und nichteuropäischen Wassermärkte. Die US-Bildungs- und Gesundheitskonzerne drängen auf die lukrativen, bisher staatlich geschützten europäischen Gesundheits- und Bildungsmärkte. Aus diesem Grunde ist die EU mehr noch als die USA an der Öffnung des Wassermarktes interessiert.
Wie die Erfahrung gezeigt hat, haben sich bei den bisherigen Handelsrunden immer noch die Interessen der großen transnationalen Konzerne durchgesetzt, nicht aber die Interessen der Mehrzahl der Menschen, die von diesen Regelungen betroffen sind.
Non-Profit-Organisations
Eine weitere bewusst aufrechterhaltene Unklarheit ist die Frage, ob nun die "non-profit-organisations" – die nicht kommerziellen Betriebe also – bei uns z.B. die gemeinnützigen Vereine auch ins GATS-Regime eingeschlossen sind. Herr Lamy beantwortet die kritischen Fragen aus der "Zivilgesellschaft" zu diesem Punkt wie folgt:
„GATS garantiert allen Regierungen (hier der Europäischen Kommission), dass ihre Souveränität, eigene Regeln, Gesetze und Maßnahmen zum Schutz des Öffentlichen Interesses erhalten bleibt. Zum Beispiel wird die Pflicht der Regierungen, wesentliche Öffentliche Dienste, wie z.B. die Pflicht, die Dienste der existentiellen Daseinsfürsorge anzubieten, ihre Qualität und Erschwinglichkeit zu erhalten, vom GATS nicht eingeschränkt.“ (Übersetzung: M.M. „The EU and Services Negotiations“)
Diese Zusicherung übersieht das universal geltende Gebot des neoliberalen Freihandels, nämlich, dass sich alle Betriebe, die kommerziell und auch die nicht-kommerziell betriebenen, die z.B. bestimmte Aufgaben des Staates nach dem Subsidiaritätsprinzip übernommen haben – wie unsere Gemeinnützigen – sich für die globale Konkurrenz öffnen müssen, (vgl. Art.1 Abs. 3 des GATS-Abkommens) Vielleicht muss die Gemeinnützigkeit nicht direkt abgeschafft werden. Wenn aber ein US-Gesundheitskonzern seine Dienste in Deutschland zu niedrigeren Preisen anbietet als etwa die von der Caritas oder dem Diakonischen Werk betriebenen Krankenhäuser, dann ist zu fragen, wie lange letztere diesem Konkurrenzdruck standhalten werden. Das gleiche gilt für alle gemeinnützigen Vereine und Projekte – auch zahllose Frauenprojekte – im sozialen, kulturellen und Bildungsbereich. Wie lange werden sie nach GATS überleben? Wie können wir Klarheit bekommen? Fragen wir die Gemeinnützigen nach ihrer eigenen Stellungnahme. Fragen wir die nationale Regierung nach ihrer Meinung. Gemeindeautonomie, Gemeinnützigkeit, Soziale Dienste, Solidarität und Mitmenschlichkeit, Bildung und Kultur, Krankheit und Gesundheit, Wasserver- und Entsorgung sind keine Waren für die globale Profitmacherei. Sie müssen unter der demokratischen Kontrolle von lokalen Gemeinwesen und Staaten bleiben. Sie gehören weder ins GATS, noch in die WTO oder in die EU.
Die Heuchelei Lamys und der EU-Kommission in Bezug auf GATS und die Liberalisierung des Wassers wird besonders deutlich, wenn wir uns die Forderungen der EU-Kommission zur Liberalisierung an andere WTO-Mitglieder ansehen, die im April 2002 an die Öffentlichkeit geschmuggelt wurden. Indien z.B. erhielt von der EU-Kommission eine Liste von 7 verschiedenen Forderungen zur Liberalisierung und Öffnung des Wassermarktes, angefangen von der Trinkwasserversorgung und -aufbereitung, der Schmutzwasserentsorgung, der Beseitigung toxischer Abfälle, des Schutzes der Biodiversität, der Luft und vielen anderen Diensten. Insgesamt forderte die EU von 72 Ländern die Öffnung ihrer Wassermärkte, Diese Forderungen erschienen als "Umweltdienstleistungen", die Teil des GATS sind. Man muss wissen, dass die größten Wasserriesen der Welt, VIVENDI und SUEZ, beide Frankreich, bereits jetzt den größten Teil des privatisierten indischen Wassermarktes unter sich aufteilen. Sie gehören zu den 5 globalen Wasserriesen. Die anderen sind: RWE/Thames Water, Monsanto, Bechtel und Enron. Diese Konzerne machen in der WTO besonderen Druck zur Wasserprivatisierung in den Ländern des Südens. Es ist blauäugig zu glauben, Europa könne seine Wasserversorgung auf die Dauer vor diesen Wasserräubern schützen. (Quelle: V.Shiva, R.H.Bhar, A.H. Jafri, K.Jalees, 2003, Corporate Hijack of Water. Navdanya, New Delhi)
„Frauen, stoppt GATS!“ – Kongress über die Privatisierung im Dienstleistungsbereich, Köln, 11.5.2003
Noch ein Wort zu den Privatisierungen: Viele sagen uns: GATS? Das haben wir doch schon längst. Auch ohne GATS wurde die Eisenbahn, die Post und viele andere unserer "Öffentlichen Dienste und Güter" bereits, liberalisiert, privatisiert und globalisiert. Richtig. Schon die EU-Gesetze, aber auch bilaterale Abkommen erlauben diese Privatisierung und Kommerzialisierung. Interessant ist aber auch, mit welchen Methoden diese Zerstörung des Öffentlichen Eigentums von unseren gewählten Vertretern in den Kommunen und den Länderregierungen durchgezogen wird. Aus England ist die Methode bekannt, so genannte Private-Public-Partnership-Verträge (PPP) abzuschließen. Sie bedeuten, dass ein privater Investor einen öffentlichen Betrieb, z.B. die Eisenbahnschienen, übernimmt und der Staat leistet dann die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen und schafft die gesetzliche Grundlage für solche Geschäfte. Man behauptet, PPP berühre die staatlichen Eigentumsrechte nicht. Wie Sarah Sexton jedoch feststellt, laufen sämtliche PPP-Geschäfte darauf hinaus, dass der Staat nicht nur seine Eigentumsrechte verliert, sondern auch, dass er aus Steuergeldern letztlich diese privaten Konzerne subventioniert. (Sexton 2003) Es ist wichtig zu wissen, dass nach dem Abschluss der GATS-Verhandlungen im Januar 2005 diese Privatisierungen praktisch nicht mehr rückgängig gemacht werden können.
Eine weitere Methode der Privatisierungen sind die Cross-Border-Leasing-Geschäfte, die auf die liberalisierte Steuergesetzgebung der USA zurückgehen. Zahlreiche der bankrotten Stadtverwaltungen in Deutschland versuchen, ihre Finanzlöcher durch diese dubiosen und illegitimen Geschäfte zu stopfen. Werner Rügemer (Colonia Corrupta, 2002) und Jürgen Crummenerl (Attac AG zur Stärkung der Daseinsvorsorge) sind die einschlägigen Experten zu diesem Thema. (PK)
Zum Thema Wasser auch der anliegende Artikel von Ken Jebsen.
Online-Flyer Nr. 397 vom 13.03.2013
Was wir wissen müssen über WTO, GATS, die EU und Privatisierungen
Der Raubzug der Konzerne
von Maria Mies
„Der Zugang zu Wasser ist ein Menschenrecht. Wasser ist ein lebensnotwendiges, öffentliches Gut, von dessen Nutzung niemand ausgeschlossen werden darf.“ Das ist eine Aussage, die am 28.02.2013 von der deutlich überwiegenden Mehrheit des Deutschen Bundestages abgelehnt wurde. Nur 122 Abgeordnete stimmten mit JA, 124 enthielten sich, 299 sagten eindeutig NEIN. Der Prozess der Übereignung öffentlicher Güter mit Hilfe der so genannten Volksvertreter an transnationale Konzerne ist in vollem Gange. Die EU ist dabei ein wichtiges Instrument. EU-Kommissar Michel Barnier im Dezember 2012: „Wir schaffen die Möglichkeit, das Wasser auch einem privaten Partner anzuvertrauen, jetzt wird auch das geregelt, zum Wohl des Verbrauchers.“ Bereits vor zehn Jahren hat sich die Soziologin Prof. Maria Mies mit den Grundlagen dieser Materie befasst. Ihr Artikel aus dem Infobrief 13 von September 2003 hat von seiner Aktualität kaum etwas eingebüßt. (Die Redaktion)
Maria Mies, 2003
(Fotos: arbeiterfotografie.com)
1. WTO
Ehe wir uns mit GATS selbst befassen, ist es notwendig zu verstehen, in welchem Zusammenhang dieses „Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen“ steht. GATS ist kein unabhängiges Abkommen. Es ist eins der verschiedenen Freihandelsabkommen, die 1994 mit dem Ende der Verhandlungen über das GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) in Marrakesch beschlossen wurden. Diese Abkommen wurden im Januar 1995 in die neu gegründete WTO (World-Trade-Organization – Welthandelsorganisation) überführt. Alle Regeln und "Disziplinen" der WTO gelten automatisch auch für das GATS. Die wichtigsten dieser Regeln sind:
a) die Inländerbehandlung
b) die Meistbegünstigten-Klausel
c) der Streitschlichtungsmechanismus
Sämtliche WTO-Abkommen basieren auf derselben ökonomischen Philosophie: dem Neoliberalismus. Die Dogmen des Neoliberalismus – auch Washington Konsensus genannt – besagen, dass der (kapitalistische) Markt freie Entfaltung haben müsse, dass der Staat diese Entfaltung nicht durch den "Schutz" einzelner Bereiche und "Monopole" behindern solle (Protektionismus-Verbot), dass der ungehinderte Wettbewerb gefördert werden muss, um den globalen Marktzugang für große und kleine Unternehmen sicherzustellen. Dabei soll jedes Land seine komparativen Kostenvorteile ausnutzen.
Unter komparativen Kostenvorteilen wird verstanden, dass die Länder sich auf die Bereiche spezialisieren sollen, bei denen sie einen Vorteil gegenüber anderen Ländern haben. Dabei ist der private Profit das einzige ökonomische Ziel. Andere Werte müssen diesem Ziel untergeordnet werden.
Wenn in der WTO von Ländern und Regierungen die Rede ist, dann sind in der Regel Nationalstaaten gemeint. Für die EU trifft das aber nicht zu.
2. EU
Für die WTO ist die EU EIN Land, bzw. eine Regierung. Die EU wird vertreten durch die Europäische Kommission (EK), z.Zt. durch den Handelskommissar Pascal Lamy. Die EU-Kommission setzt sich zusammen aus Beamten, die als Kommissare von den einzelnen Mitgliedsländern in die EK abgeordnet wurden. Die EK funktioniert zwar wie eine Regierung, sie ist aber nicht vom Europäischen Parlament gewählt. Die Kommissare werden auch nicht von den Länderparlamenten gewählt, sondern von den Regierungen abgeordnet. Dieses Demokratiedefizit wird bei GATS noch dadurch verschärft, dass sämtliche Verhandlungen in dem geheimen 133-er Ausschuss stattfinden, zu dem die Öffentlichkeit keinen Zutritt hat. Die EU wurde durch die Amsterdamer und Maastrichter Verträge 1994 gegründet. Sie existierte also schon vor der WTO. Von Anfang an war die EU auf die neoliberale Freihandelspolitik eingeschworen und hat sie in Europa durchgesetzt.
3. GATS
Was das GATS beinhaltet, wurde schon vielfach erläutert. Am 31. März 2003 musste die EU der WTO ihre Listen über die Dienstleistungen vorlegen, die sie auf dem globalen Markt anbieten will. Der Termin wurde später auf Juni 2003 verschoben. Pascal Lamy, der EU-Handelskommissar, behauptet nun in seinem Kommentar zu den Verhandlungen, dass die Öffentlichen Dienstleistungen, d.h. die Bereiche der Daseinsvorsorge wie Gesundheit, Wasser, Bildung, Energie nicht zur Verhandlungsmasse der EU gehörten und nicht liberalisiert würden. Das ist eine bewusste Irreführung. Sie dient der Beruhigung der Bevölkerung, die inzwischen durch die GATS-Kritik etwas hellhöriger geworden ist.
Lamys Beteuerung, für die Daseinsvorsorge sei nichts zu befürchten, geht an der Tatsache vorbei, dass das GATS im Prinzip alle "kommerziellen" und auch "nicht-kommerziellen" Dienstleistungsbereiche umfasst, und dass die WTO-Klauseln der Inländerbehandlung und der Meistbegünstigung für alle Dienstleistungen gelten. Was bedeuten diese Klauseln?
Die Klausel über „Inländerbehandlung" bedeutet, Länder – hier die EU – dürfen ihre Grenzen gar nicht dichtmachen, wenn ein ausländischer Konzern fordert, in einem EU-Land wie Deutschland z.B. im Schul-, Gesundheits- oder Wasserbereich investieren zu wollen. Sie dürfen nicht sagen: Diesen Bereich wollen wir unter eigener nationaler oder lokaler Kontrolle behalten, z.B. den Umweltbereich. Wir wollen auch durch Subventionen strukturschwache Gebiete und Bereiche fördern. Wenn Vergünstigungen gewährt werden, dann müssen allen ausländischen Konzernen der WTO-Länder dieselben Vergünstigungen gewährt werden.
Die "Meistbegünstigungsklausel" besagt, dass ein Land nicht ein anderes Land z.B. aus politischen Gründen bevorzugen oder benachteiligen darf. Wenn es einem Land Handelsvorteile gewährt, muss es allen WTO-Ländern dieselben Vorteile gewähren. Wenn es das nicht tut, bezeichnet die WTO das als "Diskriminierung" und "Protektionismus". Dagegen können einzelne Länder aber auch einzelne Konzerne die jeweiligen Länder beim "Streitschlichtungsgremium" der WTO verklagen.
Außerdem verschweigt Lamy die Tatsache, dass der Privatisierungsprozess in der EU bereits schon voll im Gange ist, und dass es dabei vor allem um die Bereiche der Öffentlichen Daseinsvorsorge geht, vor allem um die Liberalisierung, Privatisierung und Globalisierung des Wassers. Zudem stammen die größten Wasser-Multis der Welt: Suez, Vivendi und RWE aus Frankreich und Deutschland. Sie drängen mit Macht auf die Öffnung der europäischen und nichteuropäischen Wassermärkte. Die US-Bildungs- und Gesundheitskonzerne drängen auf die lukrativen, bisher staatlich geschützten europäischen Gesundheits- und Bildungsmärkte. Aus diesem Grunde ist die EU mehr noch als die USA an der Öffnung des Wassermarktes interessiert.
Wie die Erfahrung gezeigt hat, haben sich bei den bisherigen Handelsrunden immer noch die Interessen der großen transnationalen Konzerne durchgesetzt, nicht aber die Interessen der Mehrzahl der Menschen, die von diesen Regelungen betroffen sind.
Non-Profit-Organisations
Eine weitere bewusst aufrechterhaltene Unklarheit ist die Frage, ob nun die "non-profit-organisations" – die nicht kommerziellen Betriebe also – bei uns z.B. die gemeinnützigen Vereine auch ins GATS-Regime eingeschlossen sind. Herr Lamy beantwortet die kritischen Fragen aus der "Zivilgesellschaft" zu diesem Punkt wie folgt:
„GATS garantiert allen Regierungen (hier der Europäischen Kommission), dass ihre Souveränität, eigene Regeln, Gesetze und Maßnahmen zum Schutz des Öffentlichen Interesses erhalten bleibt. Zum Beispiel wird die Pflicht der Regierungen, wesentliche Öffentliche Dienste, wie z.B. die Pflicht, die Dienste der existentiellen Daseinsfürsorge anzubieten, ihre Qualität und Erschwinglichkeit zu erhalten, vom GATS nicht eingeschränkt.“ (Übersetzung: M.M. „The EU and Services Negotiations“)
Diese Zusicherung übersieht das universal geltende Gebot des neoliberalen Freihandels, nämlich, dass sich alle Betriebe, die kommerziell und auch die nicht-kommerziell betriebenen, die z.B. bestimmte Aufgaben des Staates nach dem Subsidiaritätsprinzip übernommen haben – wie unsere Gemeinnützigen – sich für die globale Konkurrenz öffnen müssen, (vgl. Art.1 Abs. 3 des GATS-Abkommens) Vielleicht muss die Gemeinnützigkeit nicht direkt abgeschafft werden. Wenn aber ein US-Gesundheitskonzern seine Dienste in Deutschland zu niedrigeren Preisen anbietet als etwa die von der Caritas oder dem Diakonischen Werk betriebenen Krankenhäuser, dann ist zu fragen, wie lange letztere diesem Konkurrenzdruck standhalten werden. Das gleiche gilt für alle gemeinnützigen Vereine und Projekte – auch zahllose Frauenprojekte – im sozialen, kulturellen und Bildungsbereich. Wie lange werden sie nach GATS überleben? Wie können wir Klarheit bekommen? Fragen wir die Gemeinnützigen nach ihrer eigenen Stellungnahme. Fragen wir die nationale Regierung nach ihrer Meinung. Gemeindeautonomie, Gemeinnützigkeit, Soziale Dienste, Solidarität und Mitmenschlichkeit, Bildung und Kultur, Krankheit und Gesundheit, Wasserver- und Entsorgung sind keine Waren für die globale Profitmacherei. Sie müssen unter der demokratischen Kontrolle von lokalen Gemeinwesen und Staaten bleiben. Sie gehören weder ins GATS, noch in die WTO oder in die EU.
Die Heuchelei Lamys und der EU-Kommission in Bezug auf GATS und die Liberalisierung des Wassers wird besonders deutlich, wenn wir uns die Forderungen der EU-Kommission zur Liberalisierung an andere WTO-Mitglieder ansehen, die im April 2002 an die Öffentlichkeit geschmuggelt wurden. Indien z.B. erhielt von der EU-Kommission eine Liste von 7 verschiedenen Forderungen zur Liberalisierung und Öffnung des Wassermarktes, angefangen von der Trinkwasserversorgung und -aufbereitung, der Schmutzwasserentsorgung, der Beseitigung toxischer Abfälle, des Schutzes der Biodiversität, der Luft und vielen anderen Diensten. Insgesamt forderte die EU von 72 Ländern die Öffnung ihrer Wassermärkte, Diese Forderungen erschienen als "Umweltdienstleistungen", die Teil des GATS sind. Man muss wissen, dass die größten Wasserriesen der Welt, VIVENDI und SUEZ, beide Frankreich, bereits jetzt den größten Teil des privatisierten indischen Wassermarktes unter sich aufteilen. Sie gehören zu den 5 globalen Wasserriesen. Die anderen sind: RWE/Thames Water, Monsanto, Bechtel und Enron. Diese Konzerne machen in der WTO besonderen Druck zur Wasserprivatisierung in den Ländern des Südens. Es ist blauäugig zu glauben, Europa könne seine Wasserversorgung auf die Dauer vor diesen Wasserräubern schützen. (Quelle: V.Shiva, R.H.Bhar, A.H. Jafri, K.Jalees, 2003, Corporate Hijack of Water. Navdanya, New Delhi)
„Frauen, stoppt GATS!“ – Kongress über die Privatisierung im Dienstleistungsbereich, Köln, 11.5.2003
Noch ein Wort zu den Privatisierungen: Viele sagen uns: GATS? Das haben wir doch schon längst. Auch ohne GATS wurde die Eisenbahn, die Post und viele andere unserer "Öffentlichen Dienste und Güter" bereits, liberalisiert, privatisiert und globalisiert. Richtig. Schon die EU-Gesetze, aber auch bilaterale Abkommen erlauben diese Privatisierung und Kommerzialisierung. Interessant ist aber auch, mit welchen Methoden diese Zerstörung des Öffentlichen Eigentums von unseren gewählten Vertretern in den Kommunen und den Länderregierungen durchgezogen wird. Aus England ist die Methode bekannt, so genannte Private-Public-Partnership-Verträge (PPP) abzuschließen. Sie bedeuten, dass ein privater Investor einen öffentlichen Betrieb, z.B. die Eisenbahnschienen, übernimmt und der Staat leistet dann die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen und schafft die gesetzliche Grundlage für solche Geschäfte. Man behauptet, PPP berühre die staatlichen Eigentumsrechte nicht. Wie Sarah Sexton jedoch feststellt, laufen sämtliche PPP-Geschäfte darauf hinaus, dass der Staat nicht nur seine Eigentumsrechte verliert, sondern auch, dass er aus Steuergeldern letztlich diese privaten Konzerne subventioniert. (Sexton 2003) Es ist wichtig zu wissen, dass nach dem Abschluss der GATS-Verhandlungen im Januar 2005 diese Privatisierungen praktisch nicht mehr rückgängig gemacht werden können.
Eine weitere Methode der Privatisierungen sind die Cross-Border-Leasing-Geschäfte, die auf die liberalisierte Steuergesetzgebung der USA zurückgehen. Zahlreiche der bankrotten Stadtverwaltungen in Deutschland versuchen, ihre Finanzlöcher durch diese dubiosen und illegitimen Geschäfte zu stopfen. Werner Rügemer (Colonia Corrupta, 2002) und Jürgen Crummenerl (Attac AG zur Stärkung der Daseinsvorsorge) sind die einschlägigen Experten zu diesem Thema. (PK)
Zum Thema Wasser auch der anliegende Artikel von Ken Jebsen.
Online-Flyer Nr. 397 vom 13.03.2013