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Kultur und Wissen
Interview mit dem Bremer Politologen und Buchautor Dr. Kien Nghi Ha
Asiatische Deutsche und anti-rassistische Politik
Von Deniz Utlu und Mutlu Ergün
Deniz Utlu und Mutlu Ergün sind Redakteure des Gesellschafts- und Kulturmagazins "freitext". Das Interview mit dem promovierten Bremer Kultur- und Politikwissenschaftler Kien Nghi Ha bildet den konzeptionellen/inhaltlichen Kern der "freitext"-Sonderausgabe "auftauchen", die sich mit asiatisch-deutschen Perspektiven auseinandersetzt und am 13. April erscheinen wird.
Online-Flyer Nr. 400 vom 03.04.2013
Interview mit dem Bremer Politologen und Buchautor Dr. Kien Nghi Ha
Asiatische Deutsche und anti-rassistische Politik
Von Deniz Utlu und Mutlu Ergün
Deniz Utlu und Mutlu Ergün sind Redakteure des Gesellschafts- und Kulturmagazins "freitext". Das Interview mit dem promovierten Bremer Kultur- und Politikwissenschaftler Kien Nghi Ha bildet den konzeptionellen/inhaltlichen Kern der "freitext"-Sonderausgabe "auftauchen", die sich mit asiatisch-deutschen Perspektiven auseinandersetzt und am 13. April erscheinen wird.
Kien Nghi Ha
Quelle: www.berliner-helden.com
freitext: Im Sommer 2012 hast Du das Buch „Asiatische Deutsche. Vietnamesische Diaspora and Beyond“ herausgegeben. Wie ist das Buch entstanden?
Kien Nghi Ha: Das Buch basiert auf einer Berliner Veranstaltungsreihe im Hebbel am Ufer-Theater (HAU), die Ende 2010 im Rahmen des „Dong-Xuan-Festivals“ stattfand. Obwohl das HAU den Ruf hat, State of the Art der deutschen Bühnen zu sein, würde ich diese Form der Zusammenarbeit nur sehr bedingt für die Zukunft weiterempfehlen. Das fängt etwa damit an, dass das Konzept von weißen deutschen Theatermachern ohne Community-Beteiligung entworfen wurde, um Fördermittel von weißen Institutionen für weiße Institutionen einzuwerben. Außerdem waren die Rahmenbedingungen – wie so oft in der von (Selbst-)Ausbeutung und Hierarchien geprägten Welt der vermeintlich ach so schönen Künste – am Anfang für naive „Gastarbeiter“ wie mich unglaublich: Es wurden falsche Auskünfte gegeben und Absprachen nicht eingehalten. Mit Mühe und Not wurden in letzter Minute tragbare Arbeitsbedingungen für das von mir kuratierte Programm vereinbart, so dass auch Gelder für die Erarbeitung der Buchveröffentlichung durchgesetzt werden konnten. Mir lag das Buch von Anfang an sehr am Herzen, weil Dokumentationen nachhaltig wirken. Abwesende und Jüngere können auf diese Weise zeit- und ortsunabhängig sich mit dem archivierten Wissen und den erarbeiteten Perspektiven auseinandersetzen.
Wie unterscheiden sich deines Erachtens nach die verschiedenen Rassismuserfahrungen innerhalb der asiatisch-deutschen Community?
Die sozialen und politischen Kontexte in der jeweiligen Migrationsgeschichte sind für den zugewiesenen bzw. ausgehandelten gesellschaftspolitischen Status der Gruppe zentral. So verlief der Aufbau des saturierten Japantown in Düsseldorf unter gänzlich anderen Umständen als die Migration der vietnamesischen Boat People, die als Kriegsflüchtlinge ankamen. Aber auch innerhalb der vietnamesischen Community sind die Risiken sehr ungleich verteilt: je nachdem, ob die Betroffenen in West- oder Ostdeutschland leben oder deutsche StaatsbürgerInnen bzw. Illegalisierte sind. Anti-asiatischer Rassismus ist in Europa – vielleicht mit der Ausnahme Englands – bislang ein eher sträflich vernachlässigtes Wissensgebiet. Ein symptomatisches Beispiel ist das beharrliche Schweigen der Sozial- und Kulturforschung zu den gesellschaftlichen Voraussetzungen und Nachwirkungen des verheerendsten rassistischen Pogroms seit der Nazi-Zeit: Zu Rostock-Lichtenhagen gibt es auch nach 20 Jahren keine fundierten wissenschaftlichen Studien (1)
Da Identitäten immer in spezifischen Kontexten ausgehandelt werden, sie vielgestaltig und wandelbar sind, sind auch Identifikations- und Solidarisierungsprozesse immer kontextuell zu verstehen. So können MigrantInnen, die etwa als Studierende aus der sogenannten Dritten Welt kommen, aufgrund ihres relativ privilegierten Bildungs- und Sozialstatus untereinander zuweilen mehr Gemeinsamkeiten als mit Armutsflüchtlingen aus dem gleichen Herkunftsland aufweisen. Andererseits können gemeinsame regionale oder religiöse Herkünfte in einer Situation starker rassistischer Bedrohung eine Identifikation auslösen, die soziale Differenzen in den Hintergrund drängt. Denn der Rassismus definiert die Anderen über kulturelle und biologistische Fremdmarkierungen.
Welcher Ansatz verbindet sich mit dem Titel „asiatische Deutsche“?
Wir leben in einem migrationspolitischen Entwicklungsland. Daher kann es nicht schaden, die eigenen Horizonte zu erweitern und sich anzuschauen wie Selbstbezeichnungen wie „Asian American“ sich in USA historisch entwickelt haben. Für welche politischen Prozesse und anti-rassistische Kämpfe steht dieser Begriff? Wie wurde er gesellschaftlich durchgesetzt damit asiatisch Aussehende – zumindest sprachlich – nicht mehr als Fremdkörper missachtet werden können. Die Sprache ist ein wichtiges Medium und ein Ort politischer Kämpfe um Anerkennung, Zugehörigkeit und Gerechtigkeit. Für diese Prozesse war die Ausbildung des Community-Begriffs fundamental, da er Solidarität und Zugehörigkeit vermittelte. Wie wir diesen Prozess nennen, ist mir ziemlich egal. Wir können für die Benennung der gesellschaftlichen Verbundenheit rassistisch unterdrückter Menschen auch den People of Color-Begriff nehmen oder ein anderes Codewort. Was aber wichtig ist, ist die kontinuierliche Entwicklung von Selbstreflexion und die ernsthafte Suche nach internen Ausschlüssen.
Wie wirken sich die intersektionalen(4)Machtverhältnisse bei Dir aus?
Manchmal kommen da ziemlich unwahrscheinliche Kombinationen raus. Ich bin mit meiner Familie als Boat People in der damals recht verruchten West-Berliner Trabantenstadt Märkisches Viertel als Arbeiterkind aufgewachsen.(2) Entgegen allen fernöstlichen Traditionen studierte ich Politikwissenschaft – was viele angehende Taxifahrer unbewusst auch tun – und promovierte später sogar als Kulturwissenschaftler. Meine Dissertation über Hybridität und „Rassenvermischung“ in der kolonialen Moderne(3) wurde 2011 mit dem Augsburger Wissenschaftspreis für interkulturelle Studien ausgezeichnet. Ironischerweise weiß ich nicht, ob ich zur wissenschaftlichen Elite gehöre oder ein potentieller Hartz IV-Empfänger bin. Bisher spricht alles für meine langfristige Zugehörigkeit zum akademischen Prekariat. Obwohl ich auch an Universitäten in New York, Heidelberg und Tübingen beschäftigt war, habe ich bisher meist als freier Wissenschaftler, Publizist und Kurator gearbeitet und erwirtschafte gerade so das Mindesteinkommen der Künstlersozialkasse, worauf ich wirklich stolz bin. Hätte mir jemand vor 15 Jahren gesagt, dass ich für das Schreiben eigener Texte bezahlt werde, hätte ich ihn wieder auf seinen Planeten zurückgeschickt.
Was ist für das Empowerment der asiatisch-deutschen Community notwendig?
Der erste Schritt würde darin bestehen sich selbst als Community zu verstehen und zu organisieren. Dabei verstehe ich das Framing „asiatisch-deutsch“ nicht unbedingt als notwendigen Rahmen, wenn andere Gemeinsamkeiten und Interessen in dem Moment wichtiger und realer sind. Aber ich gehe davon aus, dass Körper, Aussehen und spezifische Kulturpraktiken (Sprache, Essen, Religion etc.) in rassistischen Gesellschaften machtbesetzte Grenzziehungen darstellen. Ich stelle mir Community-B[u]ildung als einen Prozess des kulturellen Beheimatens vor, so wie eine Wohngemeinschaft in ein neues Haus zieht und sich dort einrichtet.
Wie kann die Koalitionsarbeit zwischen der asiatisch-deutschen Community und anderen Communities of Color in Deutschland deines Erachtens nach vorangebracht werden?
Ich denke, dass solche Communities of Color nur dann eine reale Chance haben, wenn wir z.B. ganz ehrlich über Vorstellungen der Opferpyramide etwa durch Colorism, koloniale Versklavung und Genozide im Rassismus reden. Wenn es unterschiedliche Formen und Intensitäten des Rassismus gibt, dann sind auch die Erfahrungen der davon Betroffenen unterschiedlich. Diese Unterschiede wahrzunehmen, anzuerkennen und auszuhandeln ist von zentraler Bedeutung. Zensur und Hierarchisierungen werden uns jedoch nicht weiterbringen, weil repressive Instrumente nicht emanzipativ wirken. Ich setze auf Kontextualisierung und Differenzierung, was erheblicher intellektueller Anstrengungen bedarf. Das heißt etwa anzuerkennen, dass schwarz und asiatisch Aussehende im deutschen Theater unterschiedlichen Verwertungs- und Ausschließungsmechanismen unterliegen. Diese sind aber nicht statisch, sondern können auch dazu führen, dass die exotisierte, animalisierte Fetischisierung und Ausbeutung schwarzer Menschen als »schwarzes Gold« in der Weißen Kulturindustrie dazu führt, dass Schwarze in diesen untergeordneten Positionen eher Zugang finden. Asiatisch Aussehende werden im weißen Blick häufig als Opposition zu schwarzen Subjekten vorgestellt, sodass sie im Gegensatz zur schwarzen Hippness als wenig attraktiv und langweilig gelten. Das führt zu anti-asiatischen Ausschließungsformen in der rassistisch organisierten Unterhaltungsindustrie, wobei die unterschiedlichen Auswirkungen von Gender, Sexualität und Klassenkulturen dieses Feld noch komplexer machen.(PK)
(1) Kien Nghi Ha (2012): Rostock-Lichtenhagen – Die Rückkehr des Verdrängten. Heinrich Böll Stiftung. http://www.migration-boell.de/web/diversity/48_3467.asp
(2) Ausführlicher in Kien Nghi Ha (2013): Boat People. Vom postkolonialen Überleben zur hybriden Metamorphose. In: Michael Petrowitsch (Hg.): Borderline. Kunstkatalog im Rahmen von Maribor 2012 – Europäische Kulturhauptstadt [im Erscheinen].
(3) Kien Nghi Ha (2010): "Unrein und vermischt. Postkoloniale Grenzgänge durch die Kulturgeschichte der Hybridität und der kolonialen »Rassenbastarde«". Bielefeld: transcript.
(4) Intersektionalität beschreibt die Überschneidung (engl. intersection = Schnittpunkt, Schnittmenge) von verschiedenen Diskriminierungsformen in einer Person
Kien Nghi Ha ist promovierter Kultur- und Politikwissenschaftler, Fellow des Instituts für postkoloniale und transkulturelle Studien der Universität Bremen, Vorstandsmitglied des deutsch-asiatischen Kulturnetzwerks "korientation" und Herausgeber des Buches „Asiatische Deutsche. Vietnamesische Diaspora and Beyond“ (Assoziation A, 2012, 344 S., 18€). Seine oben erwähnte Dissertation "Unrein und vermischt" wurde mit dem Augsburger Wissenschaftspreis für Interkulturelle Studien 2011 ausgezeichnet.
Am 27. April 2013 wird im Berliner Ballhaus Naunynstrasse die Veranstaltung „Empowering Asian Germany“ zum Launch der neuen "freitext-Ausgabe" mit Yoko Tawada, Deniz Utlu, Kien Nghi Ha, Hieu Hoang, Linda Koiran, Ilhan Özgen, Trang Tran, Mutlu Ergün, Noa Ha und anderen Gästen präsentiert.
Online-Flyer Nr. 400 vom 03.04.2013