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Globales
"Feuerüberfall" auf Akcakale/Türkei war für die NATO-Patriots inszeniert
Sender Gleiwitz lässt grüßen
Von Peter Kleinert

Eine Kurzmeldung in der Zeitschrift „Der Soldat“, die als Sprachrohr des österreichischen Verteidigungsministeriums gilt, liess eine Bombe platzen und bestätigte einen NRhZ-Artikel vom Oktober 2012: NATO-Staaten bzw. die mit ihnen im syrischen Bürgerkrieg verbündeten "Rebellen" haben offensichtlich selbst den mörderischen Feuerüberfall im Oktober 2012 auf das türkische Grenzdorf Akcakale inszeniert, der als Begründung für die Stationierung von deutschen, US-amerikanischen und holländischen Patriot-Raketen in der Türkei an der Grenze zu Syrien diente. Das berichtet die Wiener Solidar-Werkstatt, ein Verein, der sich in friedens- und sozialpolitischer und antifaschistischer Arbeit engagiert.(1) Hier Ausschnitte aus ihrem von uns hier und da gekürztem und ergänztem Bericht.
 

Akcakale nach dem Angriff
Am Mittwoch, dem 3. Oktober 2012 schlägt eine aus Syrien abgeschossene Granate im türkischen Grenzdorf Akcakale ein und tötet fünf Menschen - eine Mutter und ihre vier Kinder. Diese Granate tritt unmittelbar eine Lawine von politischen Ereignissen los: Sofort beschuldigt die türkische Regierung die syrische Regierung, sie habe diese Granate abfeuern lassen: "Die Türkei wird solche Provokationen des syrischen Regimes, die unsere nationale Sicherheit bedrohen, niemals ungestraft lassen", erklärt Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan noch am Mittwochabend in Ankara (2). Unmittelbar danach beschießt die türkische Artillerie Stellungen der syrischen Armee und tötet dabei – nach Angaben von Al-Jazeera – 34 Menschen.

Türkischer Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan
NRhZ-Archiv
 
Einen Tag später beschließt das türkische Parlament in einer Hauruck-Aktion eine Kriegsermächtigung für die Regierung. Ab sofort können türkische Soldaten Militäroperationen auch jenseits der Grenze in Syrien durchführen, „deren Rahmen, Zahl und Zeit von der Regierung festgelegt werden“. Noch am Abend des 3.10.2012 tritt auf Ersuchen der Türkei in Brüssel der NATO-Rat auf Basis von Artikel 4 des NATO-Vertrags zusammen: "Die Parteien werden einander konsultieren, wenn nach Auffassung einer von ihnen die Unversehrtheit des Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht ist."
 
Der NATO-Rat verurteilt scharf die "aggressiven Handlungen" und stuft diese als "Verstoß gegen das internationale Recht" ein. Die syrische Führung müsse den "abscheulichen Bruch internationalen Rechts beenden", heißt es in der NATO-Erklärung (3). Dass die syrische Regierung die Verantwortung für den Beschuss von Akcakale zurückweist, wird schlichtweg ignoriert. Die brennende Frage, wer da welche Granate und vor allem zu welchem Zweck abgefeuert hat, wird weder politisch noch medial gestellt.
 
Ohne weitere Untersuchung der Ereignisse wird die syrische Regierung zum Schuldigen erklärt: Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton ruft Syrien auf, die Gewalt zu beenden sowie die Souveränität und territoriale Integrität der Nachbarländer zu respektieren. Frankreichs Außenminister Laurent Fabius drängt auf eine deutliche Verurteilung der syrischen Regierung durch den UN-Sicherheitsrat. Sein britischer Kollege Hague unterstützt öffentlich die militärische Reaktion der Türkei. Auch der österreichische Außenminister Spindelegger macht sofort Damaskus für den Feuerüberfall verantwortlich (4). Die deutsche Kanzlerin Merkel ätzt in Richtung Russland und China, die sich der NATO-Vorverurteilung nicht so einfach anschließen wollten: „Der UN-Sicherheitsrat erfüllt seine Aufgabe nicht, da China und Russland weitergehende Forderungen blockieren. Wir stoßen hier wirklich auf Widerstände, die mir zum Teil kaum verständlich sind“ (6). Dass Frau Merkel manches nicht versteht, wissen nicht wenige Deutsche schon lange.
 

Deutsche Patriot-Rakete
NRhZ-Archiv
Gleich nach dieser (Vor-)Verurteilung dreht der Westen an der militärischen Eskalationsschraube: Auf Basis von Artikel 5 des NATO-Vertrages (Beistandsverpflich- tung, wenn ein NATO-Mitglied angegriffen wird) beschließen die USA, die Niederlande und natürlich auch Merkels Deutschland, Patriot-Raketen im türkischen Grenzgebiet zu Syrien zu stationieren. Der deutsche Außenminister Westerwelle vor dem Bundestag: "Wenn ein NATO-Partner um Hilfe bittet, dann müssen wir schon sehr gute Gründe haben, einer solchen Bitte nicht zu entsprechen. Solche Gründe sehe ich nicht“ (6).
 
In Deutschland wird der Beschluss im Dezember 2012 durch den Bundestag gewinkt, bereits im Januar 2013 läuft die Stationierung der Raketensysteme an; gegen Ende des Monats ist die Stationierung bereits weitgehend abgeschlossen – gegen heftige Proteste der türkischen Bevölkerung und der Friedensbewegung.
 
Dazu muss man wissen: Mit Patriots können keine Granaten abgefangen werden, sie dienen zum Abschuss von Flugzeugen und ballistischen Raketen. Sie verfügen über eine sehr leistungsfähige Radaranlage, die Aufklärung in einem Umkreis von 150 km ermöglicht. Die Stationierung von Patriots liefert damit die technische Voraussetzung, um "Flugverbotszonen“ einzurichten, und damit den syrischen Krieg nach libyschem Muster zu eskalieren. Das wird zwar offiziell nicht zugegeben, die türkische Regierung hat das aber in der Vergangenheit mehrfach gefordert. Unter dem Vorwand des Schutzes der türkischen Bevölkerung werden Waffensysteme installiert, die der weiteren militärischen Eskalation des syrischen Krieges bzw. der Konflikte in der gesamten Region dienen. Die große Mehrheit der türkischen Bevölkerung lehnt diese Stationierung ab. Sie wissen, dass es nicht um ihren Schutz geht, sondern darum, das Land immer weiter in einen kriegerischen Konflikt hineinzuziehen. Das Osmanische Reich war ja einst größer als die Türkei. So weit also im Zeitraffer die Ereignisse seit dem 3. Oktober 2012.
 
Der Auslöser, jene Granate, die an diesem Tag fünf Menschen in Akcakale tötete, wird mittlerweile kaum mehr erwähnt. Dabei hegten investigative türkische Journalisten von Anfang an Zweifel an der offiziellen Darstellung. So berichtet die türkische Zeitung Yurt und anschließend die NRhZ (7) bereits wenige Tage nach dem Feuerüberfall, an Hand der Beschriftung der Mörsergranaten sei festgestellt worden, dass es sich tatsächlich um NATO-Munition gehandelt habe. Da die syrische Armee aber über keine NATO-Waffen verfügt, kämen nur die vom Westen unterstützten "Rebellen“ als Urheber in Frage.
 
Doch in westlichen Medien und Politik war diese Frage tabu, solange die Beschlüsse über die Patriot-Stationierungen noch nicht durch die Parlamente gewinkt worden waren.
 
Sprachrohr des Verteidigungsministeriums lässt Bombe platzen
 
Jetzt, wo die Fakten gesetzt, die Entscheidungen abgenickt und die Waffensysteme stationiert sind, ist eine Lücke in der offiziellen Informationsblockade aufgegangen. Eine kleine, aber offiziöse, sodass entsprechendes Hintergrundwissen vorausgesetzt werden kann. Die Zeitschrift „Der Soldat“, die „als offizielles Sprachrohr des österreichischen Verteidigungsministeriums“ gilt, liess in der Ausgabe Nr. 1/2013 vom 18. 1. 2013 in einer ebenso kurzen wie brisanten Meldung im wahrsten Sinn des Wortes eine Bombe platzen: „Türkei: Jene Werfergranate aus Syrien, die fünf Türken tötete, stammt eindeutig aus NATO-Beständen. Es scheint so, als hätte das NATO-Mitglied Türkei die syrischen Aufständischen mit Waffenlieferungen unterstützt. Allerdings müssten diese Lieferungen mit anderen NATO-Staaten abgestimmt sein.“ (8)
 

Zitat aus der Zeitschrift „Der Soldat“
Quelle: Zeitschrift: "Der Soldat"
Diese wenigen Zeilen lassen keinen Stein der bisherigen westlichen Propaganda auf dem anderen. Folgender Tathergang rund um den 3.10.2012 bekommt überwältigende Plausibilität:
1) Die NATO bzw. NATO-Staaten bewaffnen die „Rebellen“ in Syrien.
2) Diese NATO-Verbündeten schießen mit diesen Waffen auf das NATO- Mitglied Türkei und töten dabei fünf Menschen.
3) Dieser inszenierte Feuerüberfall wird sofort der syrischen Regierung in die Schuhe geschoben, um eine Legitimation zu haben, NATO-Raketen an der türkisch-syrischen Grenze zu stationieren und den Konflikt weiter anzuheizen. Der Sender Gleiwitz aus der Nazi-Zeit (9) lässt grüßen.
 
Diese Politik ist nicht neu: Viele Kriege des Westens der letzten Jahrzehnte (Irak, Jugoslawien, Afghanistan, Libyen, usw.) wurden durch gezielte Lügen- und Desinfomationskampagnen aufbereitet – und doch erschüttert und empört es immer wieder aufs Neue, mit welcher Kaltblütigkeit NATO- und EU- Machthaber die Menschen hinters Licht führen, um an der Gewaltspirale im Nahen Osten zu drehen. Diese Politik ist brandgefährlich und kann die ganze Region in den Abgrund stürzen – mit ungeahnten globalen Auswirkungen. Sogenannte Raketenabwehr-Schilder wie die Patriots haben nichts mit dem Schutz von Menschen zu tun, sondern sind Instrumente, um direkt in den syrischen Krieg einzugreifen. Und sie eignen sich als „Schilder“, die potentielle Zweitschläge neutralisieren können, um in deren Schutz ungehindert Erstschläge ausführen zu können. Sie sind Instrumente für einen Angriffskrieg. Das könnte gerade bei den Kriegsvorbereitungen gegen den Iran noch eine Rolle spielen.
 
Wir rufen daher alle Menschen auf, diese Informationen über die ungeheuerlichen Lügen, mit denen die Patriot-Stationierung offensichtlich selbst herbeigebombt bzw. herbeigemordet wurde, weiter zu verbreiten und Druck auszuüben, dass diese Waffensysteme sofort wieder demontiert werden. Wir rufen die Medien auf, das zu tun, was sie bislang versäumt haben: die Menschen zu informieren und kritisch nachzufragen statt Verlautbarungsorgane der Mächtigen zu sein. Wir rufen die österreichische Regierung auf, endlich aus dem Schulterschluss mit den NATO- und EU-Kriegsparteien auszubrechen und wieder eine aktive Friedens- und Neutralitätspolitik zu betreiben. Gerade der Nahe Osten braucht Dialogstifter statt Brandstifter.
 
Ein erster Schritt muss es sein, aus der bereits weit gediehenen Anbindung des österreichischen Bundesheeres an die deutsche Bundeswehr auszusteigen. Berlin hat mit der Stationierung von Patriot-Rakten eine Scharfmacherrolle in der Region übernommen. Österreich muss daher sofort raus aus den EU-Battlegroups und die Einbindung in das deutsche EU-Streitkräftekommando in Ulm sowie die gemeinsamen Militärmanöver mit der Bundeswehr beenden.
 
Lassen wir nicht locker, werden wir nicht müde, den Militarisierern entgegenzutreten und ihre Lügen aufzudecken. Eine starke Friedensbewegung kann ihnen Grenzen aufzeigen. Und das müssen wir rasch tun. Denn wer zu solchen mörderischen Inszenierungen wie am 3. Oktober 2012 fähig ist, dem ist noch verdammt viel zuzutrauen. Unwillkürlich fallen einem die düsteren Abschiedsworte des scheidenden Euro-Gruppen-Chefs Jean Claude Juncker bei seiner diesjährigen Neujahrspressekonferenz ein: „Das Jahr 2013 könnte ein Vorkriegsjahr werden wie das Jahr 1913, wo alle Menschen an Frieden glaubten, bevor der Krieg kam“ (10).
(PK)
 
(1) http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&task=view&id=828&Itemid=1
(2) zitiert nach WAZ, 03.10.2012
(3) zitiert nach Tagesschau, 04.10.2012
(4) zitiert nach: ORF-Abendjournal, 04.10.2012
(5) Stern, 05.10.2012
(6) Die Zeit, 21.11.2012
(7) http://www.yurtgazetesi.com.tr
und http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=18311
(8) Der Soldat, 1/2013, 18.01.2013
(9) Ende August 1939 überfielen SS-Männer in polnischen Uniformen den Sender Gleiwitz im oberschlesischen Grenzgebiet zu Polen, um Hitler einen Vorwand für den Angriff auf Polen zu geben, der kurz nach diesem inszenierten Überfall erfolgte.
(10) Kurier, 13.1.2013
 


Online-Flyer Nr. 397  vom 17.03.2013



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