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Inland
Protest gegen "Militärspektakel" der Bundeswehr auf Zeche Zollverein
"Nein zum Neuen Heimatschutz in NRW!"
Von Alice Czyborra

Am 14. Juni von 17.00 bis 20.00 Uhr hat die Bundeswehr mit einem öffentlichen Aufstellungsappell auf der Zeche Zollverein - unter Beifall von Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière, NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Landtagspräsidentin Carina Gödecke - den neuen „Heimatschutz“ in NRW aus der Taufe gehoben. Alice Czyborra von der VVN-BdA Essen hat dazu vor einem breiten Protestbündnis aus Friedensgruppen, Politik, Gewerkschaften und VVN-BdA die folgende Rede gehalten. Sie sprach von einem "Militärspektakel, das die fortschreitende Militarisierung unserer Gesellschaft symbolisiert". – Die Redaktion
 

Bundeswehr-Aufstellungsappell auf
der Zeche Zollverein in Essen
Liebe Friedensfreundinnen und Freunde, was sich hier heute auf dem Gelände der Zeche Zollverein fast klammheimlich abspielt, in den Medien kaum thematisiert, von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird, ist ein Militärspektakel, das die fortschreitende Militarisierung unserer Gesellschaft symbolisiert. Es ist ein Akt der Fortsetzung unseliger deutscher Militärtradition. Mit dieser Tradition sollte nach dem millionenfachen Sterben im Zweiten Weltkrieg endlich Schluss gemacht werden, wäre es nach unserem Grundgesetz von 1949 gegangen. Von Deutschland sollte nie wieder ein Krieg ausgehen. Längst ist dieses Grundgesetz geändert worden. Seit 1956 gibt es die Bundeswehr und seit 1999 führt Deutschland wieder Krieg.
 
Für Kriegseinsätze in aller Welt wird nun die Bundeswehr reformiert, unsere Gesellschaft weiter militarisiert. Uns wurde weisgemacht, dass die Bundeswehr mit der so genannten Reform kleiner und billiger würde. Das Gegenteil ist der Fall. Die Zahl der Reservisten wurde um 800.000 erhöht, indem das Alter der Reservisten, bisher begrenzt auf 45 Jahre jetzt auf 60 Jahre angehoben wurde. Die Reservisten werden sowohl für Ausländseinsätze trainiert als auch für den Einsatz innerhalb unseres Landes. Ausdrücklich heißt es in Bundeswehrpublikationen, die Bundeswehreinsätze im Innern dienten nicht nur der Bekämpfung von Naturkatastrophen und der Hilfe bei Unglücksfällen. Weshalb sollten auch für solche Situationen, wie wir sie jetzt bei der Überschwemmungskatastrophe erleben, bewaffnete Kampftruppen eingesetzt werden? Nein, sie werden dafür aufgestellt, um gegen den Terrorismus zu kämpfen. Es ist nicht auszuschließen, dass sehr schnell auch die außerparlamentarische Opposition den Terroristen zugeordnet wird. Soll die außerparlamentarische Opposition künftig militärischen Einheiten gegenüberstehen? Einen Vorgeschmack haben wir bereits in Heiligendamm verfolgen können, als die Bundeswehr Kriegsmarine und Kampfjets gegen Demonstranten einsetzte. Und auch die Heimatschutzkommandos aus der Region waren mit von der Partie. Die brutalen Einsätze der Polizei gegenüber den Blockupy-Demonstranten vor zwei Wochen in Frankfurt sind uns noch sehr gegenwärtig. Nicht auszudenken, was gewesen wäre, wenn eine mit Kriegswaffen ausgestatteten Kampftruppe eingesetzt worden wäre.
 
Dass dies möglich ist, hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Mehrheit im Juli letzten Jahres bestätigt. Die Verwendung militärischer Kampfmittel im Innern sei mit dem Grundgesetz vereinbar. Damit hat das Bundesverfassungsgericht eindeutig gegen das Rechtsprinzip verstoßen, „Streitkräfte niemals als innenpolitisches Machtinstrument“ einzusetzen. Ein weiterer Meilenstein bei der Anwendung der Notstandsgesetze, die wir, die Älteren, 1968 so vehement zu verhindern suchten.
 
Auf leisen Sohlen hat sich in allen Landkreisen und kreisfreien Städten unseres Landes, auch in Essen, nun ein Netzwerk gebildet mit dem Namen Zivil-militärischer Zusammenarbeit. Organisatorisch geht es um die Zusammenarbeit von aktivem Militär, Reservisten, Polizei, Feuerwehr, Technischem Hilfswerk. Alle zusammen schützen angeblich unsere Heimat, der Heimatschutz, eine Mischung aus zivilen Einrichtungen und Militär. Das Kommando hat das Militär. Und sollten einmal Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Transport-, Energie- und Gesundheitssektors oder der Müllabfuhr für höhere Löhne streiken, ist der „Heimatschutz“ vor Ort, die schnell einberufenen Reservisten sofort zur Stelle, um die „kritische Infrastruktur“ zu sichern - in welcher Vorgehensweise auch immer.
 
Unzweifelhaft beeinflussen Reservistenverband und Bundeswehrverband die Tausende Reservisten. In diesen Verbänden haben vielfach Ultrarechte das Sagen. Offiziersstudenten - die künftige Führungselite der Bundeswehr - stehen deutlich weiter rechts als ihre zivilen Kommilitonen, berichtete Die Zeit. Und sie sind in jüngsten Jahren noch ein Stück weiter nach Rechts gerückt. Dort gibt es kaum Vorbehalte gegen Neonazis. In Neonazikreisen kursiert der Aufruf, bei der Bundeswehr das Waffenhandwerk zu erlernen. Der mörderische NSU hat bei der Truppe das Schießen gelernt, das dürfen wir nie vergessen.
 
Nach wie vor wird in der Bundeswehr die Nazi-Wehrmachtstradition gepflegt. So hatte der Reservistenverband der Kameradschaft Oberhausen am 5. Juni, d.h. letzte Woche, zum Thema „Die Waffen SS“ eingeladen. Wir haben da allen Grund zu Misstrauen, wie über diese verbrecherische Waffen SS an diesem Abend gesprochen wurde.
 
Heute werden wenige Meter von uns unter Missbrauch des Industriedenkmals Zollverein die Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräfte (RSUKr) in übelster militärischer Tradition geehrt. Wir sind zusammengekommen, um diesen Skandal in unserer Stadt öffentlich zu machen. Ganz besonders vor dem Hintergrund unserer Geschichte fordern wir den Stopp einer weiteren Militarisierung unseres Landes nach Innen und nach Außen, den Stopp aller Auslandseinsätze und Waffenexporte.
 
Wir freuen uns, dass es breite Bündnisse gibt, die unter der Losung „Bunt statt braun“ handeln. Wir meinen aber: Es muss auch heißen: Bunt statt Braun und Olivgrün. Denn 1945 haben sich die Menschen geschworen und wir bekennen uns noch immer dazu: Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus. (PK)
 


Online-Flyer Nr. 411  vom 19.06.2013



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