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Lokales
Rekommunalisierung des Berliner Wassers nach dem Vorbild von Paris:
Keine Geschenke für Veolia!
Von Ulrike von Wiesenau

Berlin wird vielleicht noch in diesem Jahr wieder im Besitz seiner Wasserbetriebe sein. Diese waren im Jahr 1999 von der auch damals regierenden Großen Koalition aus CDU und SPD zu 49,9 Prozent für 1,68 Milliarden Euro über eine Holding AG an die Konzerne RWE und Veolia veräußert worden. Es war die größte Teilprivatisierung eines kommunalen Wasserbetriebes innerhalb der Europäischen Union. Die Verträge dieser "Öffentlich-Privaten Partnerschaft" (PPP) waren geheim und wurden erst unter dem Eindruck des vom Berliner Wassertisch initiierten, erfolgreichen Volksbegehrens im November 2010 vom Senat veröffentlicht. Seit der Teilprivatisierung sind die Berliner Wasserpreise um über 30 Prozent gestiegen. Der ehemals geheime Konsortialvertrag enthält eine Gewinngarantie für die privaten Anteilseigner und sichert faktisch die Geschäftsführung der privaten Minderheitseigner, die über eine öffentliche Dienstleistung entscheiden und die Daseinsfürsorge der demokratischen Kontrolle entziehen.

Quelle: http://berliner-wassertisch.net/
 
So gut wie alle Parteien haben sich im Zuge des Wandels der öffentlichen Meinung - nach einer Repräsentativ-Umfrage von Forsa wünschen 78 Prozent der Bevölkerung in Deutschland keine weiteren Privatisierungen oder fordern die Rückabwicklung bereits erfolgter Privatisierungen - zu Kritikern der Privatisierung gewendet, eine Rekommunalisierung gilt nicht mehr als Utopie der Bürgerbewegung. Bemerkenswert, dass mit SPD und CDU ausgerechnet jene Parteien den Rückkauf vollziehen wollen, die 1999 für die Teilprivatisierung verantwortlich waren.
 
Nun einigte sich der Senat in einer Sitzung Ende Juni darauf, den noch verbliebenen 24,95 Prozent-Anteil des privaten "Partners" Veolia an den Wasserbetrieben zurückzukaufen. Finanzsenator Ulrich Nussbaum soll in Vertragsverhandlungen mit dem französischen Konzern eintreten. Vorausgegangen waren diesem Entschluss nach Angaben des Senats mehr als ein Jahr andauernde Gespräche mit Veolia über eine "Modernisierung der Vertragsstrukturen" sowie "das weitere Engagement des Unternehmens" in der Berliner Wasserwirtschaft. Im Mai hatte Veolia schließlich den vollständigen Verkauf seiner Anteile an das Land angeboten. Wenn Senat und Konzern sich auf einen Rückkaufvertrag geeinigt haben, muss das Berliner Abgeordnetenhaus diesem Geschäft zustimmen. Über einen möglichen Kaufpreis hat sich der Senat bislang ausgeschwiegen. Doch durch ein derzeit noch laufendes internes Schiedsverfahren zwischen dem Land und den Konzernen könnte sich nach
Medienberichten der Kaufpreis in einer Höhe von 800 Millionen Euro bewegen.
 
Bereits im Herbst letzten Jahres hatte das Abgeordnetenhaus nach mehrjährigen Verhandlungen zwischen Senat und RWE beschlossen, den Anteil des Konzerns für 654 Millionen Euro zurückzukaufen. Der Berliner Wassertisch, der eine vollständige Rekommunalisierung von Anfang an auf seiner Agenda hatte, begrüsste die Rekommunalisierungsabsichten, äusserte jedoch scharfe Kritik an den Bedingungen der Transaktion. Denn hinter den Kulissen zeichnet sich ab, dass der Rückkauf von Veolia die Allgemeinheit noch teurer zu stehen kommen könnte als der 654 Millionen Euro schwere "goldene Handschlag" für RWE im Oktober 2012. Es ist zu befürchten, dass der Rückkauf über die Wasserpreise refinanziert werden soll. Eine Senkung der Wasserpreise wäre damit in weite Ferne gerückt. Mit der Rekommunalisierung aber sei ein "ökonomischer, ökologischer und demokratischer Umbau" der Wasserbetriebe möglich, indem Einnahmen nur laufende Kosten und Investitionen abdecken müssten und auf Gewinne verzichtet würde. Das könne Signalwirkung haben für weitere Rekommunalisierungsprojekte in ganz Deutschland.
 
Ein Verdacht drängt sich auf: Veolia und der Senat wollen mit dem schnellen Rückkauf Fakten schaffen um dem Ausgang der laufenden Gerichtsverfahren zuvorzukommen. Im Zuge der anhängigen Verfahren der Normenkontrollklage, der Organklage, dem EU-Verfahren und der vom Bundeskartellamt im Juni 2012 ergangenen Preissenkungsverfügung wegen "missbräuchlich überhöhter Trinkwasserpreise" könnten sie sich mit der Feststellung von nichtigen, weil verfassungswidrigen, Verträgen konfrontiert sehen, die eine Rückabwicklung nach sich ziehen müsste.
 
Der Senat aber macht deutlich, dass er mit dem Eingehen auf die Forderungen von Veolia bereit ist, nach nur vierzehn Jahren die Renditegarantie des 1999 für die Vertragslaufzeit von 30 Jahren abgeschlossenen skandalösen Public Private Partnership-Vertrages vollumfänglich zu erfüllen. Die große Lehre aus der Analyse der fatalen Berliner Wasserverträge für alle Betriebe der öffentlichen Versorgung ist, dass der Abschluss eines Vertrages der "Öffentlich-privaten Partnerschaft" für den Investor einer Lizenz zum Gelddrucken gleichkommt, ihn zu Lasten der Allgemeinheit unantastbar macht, und die Daseinsfürsorge der demokratischen Kontrolle entzieht.
 
Angesichts der Aussicht, dass sich Berlin wohl in absehbarer Zeit wieder im Besitz der gesamten Wasserbetriebe befinden wird, verlangt die Bürgerinitiative eine demokratische Umstrukturierung des Unternehmens, das zurzeit noch als komplexe Holding organisiert ist. Mit der Einrichtung eines neuen Gremiums, des "Berliner Wasserrates", bestehend aus gesellschaftlichen Organisationen, Beschäftigten, Bürgern und unabhängigen Experten, soll über die bisher existierenden Mitbestimmungsmodelle bei öffentlichen Unternehmen hinausgegangen werden. Ziel ist eine gemeinwohlorientierte, transparente und kostengünstige öffentliche Wasserversorgung. Die Rekommunalisierung der Wasserbetriebe eröffnet eine Zukunftsoption für Berlin, die nicht vergeben werden darf.
Das Beispiel von Paris steht dafür. Im Januar 2010 entzog die französische Hauptstadt nach 25 Jahren privater Wasserwirtschaft den Konzernen Veolia und Suez die Konzession, die Wasserversorgung kam in städtischen Besitz zurück. Mit "Eau de Paris" wurde ein Unternehmen in öffentlicher Hand gegründet. Ein partizipatives Kontrollgremium, "L'Observatoire parisien de l'eau", in dem Vereine des Verbraucher- und Umweltschutzes und unabhängige Wissenschaftler vertreten sind, sichert, vorerst mit beratender Funktion, die demokratische Kontrolle. In Paris konnten die Trinkwasserpreise nach der Rekommunalisierung deutlich gesenkt werden, es ist wieder möglich, langfristig zu planen, die Gewinne fließen jetzt in die Infrastruktur der Wasserversorgung, statt in die Hände der Aktionäre. Der Berliner Wassertisch unterhält enge Kontakte zu den Akteuren der Pariser Wasser-Demokratisierung. Wann reisen Vertreter des Senats zur Beratung nach Paris? (PK) 
 


Online-Flyer Nr. 415  vom 17.07.2013



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