SUCHE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Kultur und Wissen
Vortrag zum 35jährigen Bestehen des Bundesverbands Arbeiterfotografie
Fotografie als Waffe – Teil 6
Von Anneliese Fikentscher
Unter dem Motto „Wacht auf, Verdammte dieser Erde!“ fand anlässlich des 35jährigen Bestehens des Bundesverbands Arbeiterfotografie am 21. September 2013 in Werder an der Havel eine Vortrags- und Kultur-Veranstaltung statt. Zu den Vortragenden gehörte Anneliese Fikentscher, Vorsitzende des Bundesverbands Arbeiterfotografie. Wir geben ihren Vortrag „Fotografie als Waffe“, der das Medium Fotografie sowohl als Instrument der Herrschenden als auch als Mittel von Gegenwehr und Aufklärung betrachtet, in mehreren Teilen wieder – nachfolgend der 6. und letzte Teil.
Anneliese Fikentscher bei ihrem Vortrag in Werder am 21.9.2013
Foto: arbeiterfotografie.com
Bilder repräsentieren Menschen und wir können in diesen Bildern lesen. Aber niemand kann uns von der Verantwortung entbinden, die Geschichte hinter den Bildern zu suchen, wer sie zu welchem Zweck einsetzt. Diejenigen, die Bilder schaffen, sind Akteure.
Der kanadische Filmemacher, Fotograf und Aktivist der Anti-Atom-Bewegung Robert del Tredici war 1988 (wie auch Walter Ballhause) beim 10jährigen Bestehen des Bundesverbandes Arbeiterfotografie in Hamburg zu Gast und ein Jahr später beteiligt an der Ausstellung „Engagierte Fotografie“ in Köln. Dort stellte er seine Fotodokumentation „Unsere Bombe – At Work in the Fields of the Bomb“ vor, die weltweit einzigartig ist. Tredici begab sich auf die Spur der Atom-Bombe in all ihren Facetten, machte – mit einer kleinen Leica – beachtliche Schwarz-Weiß-Fotos (manchmal unauffällig „aus der Hüfte“) und führte Interviews mit den Menschen, die mit ihr in Berührung kamen.
Als Akteur und Fotograf auf den Spuren der Bombe
Er besuchte Fabriken, Testgelände, Fall-Out-Zonen, WissenschaftlerInnen, Opfer unterschiedlicher Art, ihre Organ-Präparat-Sammlungen und die Täter. General Tibbets, der den Abwurf der Hiroshima-Bombe aus dem nach seiner Mutter „Enola Gay“ benannten B 29 Bomber persönlich steuerte, wurde niemals zur Verantwortung gezogen. Tredici: „Über ihre Wirkung wurde an Ort und Stelle durch das Besatzungsstatut eine Nachrichtensperre verhängt. Diese blieb sieben Jahre in Kraft. Die Geschichte von der Zerstörung der ersten beiden Städte durch Atombomben wurde überlagert von der Bombe als Idee: Ein Durchbruch in der Physik, ein Mittel zur Beendigung von Kriegen. Oft sprach man von ihr als etwas, das Leben rettet.“ Die Leiden der Opfer zweier Atombombenabwürfe (einer reichte nicht aus) durch die USA sind bis heute nicht personalisiert. An rituellen Gedenktagen im August wird vor allem die Schrecklichkeit, die Abschreckung „der Bombe“ zelebriert.
General Paul Tibbets, Columbus, Ohio, 20. Februar 1985 - Paul Tibbets kommandierte die 509. Composite Group der Air Force, zu deren Aufgaben der Abwurf der ersten amerikanischen Atombomben gehörte. Tibbets selbst steuerte die Enola Gay, den B-29 Bomber, der den Angriff auf Hiroshima flog. (Foto: Robert del Tredici)
General Paul Tibbets und die Eltern von Sadako (Fotos: Robert del Tredici)
Die Eltern von Sadako, Kasuka City, Fukuoka, Japan, 14. Oktober 1984 – Fujioka Saski, neben ihrem Mann Shigeo, hält ein Portrait, das ihre Tochter Sadako im Alter von 12 Jahren zeigt. (Foto: Robert del Tredici)
Als Verkörperung der „Banalität des Bösen“ portraitierte Tredici, den Kommandeur der Einheit 509th Composite Group, die mit dem Abwurf zweier A-Bomben über dicht besiedelten japanischen Großstädten beauftragt war, an seinem Schreibtisch. Stehend, eine Hand in der Hosentasche, die andere fragil auf die glänzende Tischplatte gesetzt, lächelt er an der Kamera vorbei wie der nette Onkel von nebenan. Körperhaltung und Gesichtsausdruck vermitteln einen eher senilen denn militärischen Eindruck. Auf Tredicis Frage, wann und wie der Name seiner Mutter zum Flugzeug kam: „Ich habe den Namen aufmalen lassen am Nachmittag vor unserem Start, der am folgenden Morgen um 2 Uhr erfolgte.“ Tredici: „Sie sagen, das Spiel habe geheissen: Das Ziel vernichten. Was war das Ziel in Hiroshima?“ Antwort: „Die Stadt war das Ziel. Fertig, aus.“
Mit Bildern kollektives Bewußtsein schaffen
Qualen und Hoffnung auf Leben sind die Geschichte des Mädchens Sadako, das zum Zeitpunkt des Hiroshima-Abwurfes zwei Jahre alt war. Das Kind war unschuldig und Tibbets schuldig (wie in Schillers Räubern), wenn auch nicht er allein.
Die Inschrift unter dem Foto lautet: Sadako Sasaki, Erste Klasse der Nobori-machi-Oberschule, Subakute lympathische Leukämie, gestorben 25. Oktober 1955. Die zwölfjährige Sadako, die alle Schmerzen geduldig ertragen hatte, wurde in ihrem Kirschblüten-Kimono beigesetzt. Ihre Hoffnung, dass ihr Wunsch auf Leben sich erfüllte, wenn sie 1000 Papierkraniche gefaltet habe, scheiterte an der Zeit, die Sadako zur Verfügung hatte: sie schaffte es nur, 645 Glücks-Kraniche zu falten...
Tredicis meisterhafte Fotos und die zusammengetragenen Informationen, die Erschließung hermetischer Räume, sind bis heute, etwa 30 Jahre später, ein Fall für das kollektive Gedächtnis. Er gibt vielen Perspektiven Raum, auch der des Dr. Edward Teller, Erfinder der Wasserstoffbombe. Die Trägerinnen des alternativen Nobelpreises von 1986, Dr. Alice Stewart und Dr. Rosalie Bertell, die sich mit der tödlichen Wirkung von niedriger Strahlenbelastung befassen, kommen ebenso zu Wort und ins Bild wie John Smitherman, einer der 42.000 Soldaten, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges an Atombombenversuchen der Serie „Operation Crossroads“ im Pazifik teilnahmen. Die Ärztin Dr. Rosalie Bertell, die den Internationalen Medizinischen Kommissionen von Bhopal und Terschnobyl vorstand, blieb bis ins hohe Alter bei ihrem Thema, das sie in ihrem Werk „Kriegwaffe Planet Erde“ („Planet Earth.The Latest Weapon of World“, London 2000, Deutschland 2011 / Interview im nrhz-Flyer 436: Radioaktivität und die Auslöschung des Lebens. Sind wir die letzten Generationen?) auf den Punkt brachte: die Warnung vor der Zerstörung der Lebensgrundlagen.
Mit Fotos unter's Volk – auf die Straße
Das kollektive Gedächtnis wird – auch und oft unter Zuhilfenahme von Bildern – durch ständige Penetration der Öffentlichkeit geformt. Die Möglichkeit zur uneingeschränkten Wiederholung und Verbreitung ist ein Machtfaktor. Selbstverständlich ist auch Gedenk-“Kultur“ ein Machtfaktor. Hitler ist schuldig, die ihn antreibenden Kapitalisten und Industriellen bleiben im Hintergrund. Von General Paul Tibbets spricht niemand. Er ist nahezu unbekannt.
Anneliese Fikentscher demonstriert am 6.8.2011 in Köln bei der Kundgebung „Atombomben abschaffen – dringlicher denn je“ im Rahmen der Hiroshima- und Nagasaki-Tage mit zwei Tafeln, deren Hauptbestandteil die beiden Fotos von Robert del Tredici sind, und fordert damit ein Tribunal für General Tibbets
Grund genug, den Bomben-General auf einer Hiroshima-Nagasaki-Gedenkveranstaltung einmal vorzustellen. Der Überzeugungstäter ist der Meinung, die USA „werden sie [die Bombe] einsetzen, einfach weil wir sie haben. Die Frage ist, wie man sie einsetzen soll.“ Am 6. August 2011 gedachte eine Gruppe von Menschen und der Atombombenüberlebende von Nagasaki, Kazuo Soda, der atomaren Katastrophe von 1945. Statt der Forderung nach einem Menschenrechtstribunal gegen die Verursacher werden entrüstete Stimmen laut: „Es darf nicht sein, dass mit einer Veranstaltung, bei der vergangener Verbrechen gedacht wird, die nächsten Kriege vorbereitet werden.“
Mit Fotos von Tätern und Opfern gegen weitere Kriege
Die beiden anwesenden „Grünen“-Politikerinnen, also der selben Partei zugehörig wie der 1999 im Amt des Außenministers mit einer Auschwitzlüge zum Krieg treibende Joseph Fischer, heizen die Kriegsstimmung gegen den Iran an. Agnes Malczak, abrüstungspolitische Sprecherin der Grünen glaubt an Worte und Wunder, schweigt aber zum illegalen Atomprogramm Israels: "Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass ein amerikanischer Präsident die Vision einer atomwaffenfreien Welt vertritt..." Bei ihrer Rede ist sie nicht nur mit Zwischenrufen konfrontiert. Der Kriegsverbrecher Paul Tibbets und die Eltern von Sadako wandern in Form der mitgeführten Fotos von Robert del Tredici neben der Rednerin ins Bild.
Bestandteile von Protesttafeln bei der Demonstration „YES WE CAN: Obama die rote Karte zeigen“ in Berlin am17.6.2013 anlässlich des Besuchs von US-Präsident Obama
Geschichtsschreibung findet auf der Straße statt, wenn diejenigen zusammenkommen, denen es an anderer Verbreitungsmacht mangelt. Als am 17. Juni 2013 der als Friedenskiller titulierte US-Präsident Obama zum Staatsbesuch in Deutschland eintrifft, wird er auf der Straße nicht willkommen geheißen. Ein namentlich nicht bekannter Teilnehmer konfrontiert den als Ikone gehandelten ersten afro-amerikanischen Präsidenten der USA mit seinem angeblichen Vorbild Martin Luther King gekonnt in einer Bild-Text-Montage: dem freundlich mit ausgestreckten Arm einer Menge beim Marsch auf Washington zuwinkenden Vorsitzenden der Bürgerrechtsorganisation National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) Martin Luther King wird ein finster mit dem Zeigefinger drohender Agitator Obama gegenübergestellt.
Ikonen beim Staatsbesuch
Die Worte spitzen die Aussage der Bildeindrücke zu: Martin Luther King hat einen Traum von einem besseren gerechteren Leben. Obama ist der Kriegsherr mit der Killer-Drohne, die er allen Rechtsstandards zum Trotz willkürlich zum Einsatz bringt. Viele Brüche und leere Versprechungen werden mit der Person des US-Präsidenten in Verbindung gebracht, der doch nach dem ungeliebten George Bush II als Sympathieträger gehandelt werden sollte. Selbst die Hoffnung auf einen Prozess zu 9/11 zerstört er durch die Vernichtung seines potentiellen Gegners Osama. Auch dazu gibt es ein Bild: die Regierungsmannschaft inszeniert sich, wie sie life am Bildschirm über Satellit einem Militärkommando zusieht, das den angeblich gefährlichsten Feind der USA – statt vor ein Gericht zu bringen – tötet.
Bilder klagen die Mit-Täter an
Der 11. September 1973 markiert das Datum des Gesichtsverlusts der modernen Demokratie und der sie vorgeblich unterstützenden Staaten. 2013 jährt sich zum 40. Mal der CIA-gestützte Putsch auf den chilenischen Präsidenten Salvador Allende. Deutsche Politiker waren weit davon entfernt, Mord und Terror Einhalt zu gebieten. Keine zwei Wochen später kommentierte Franz Josef Strauß die Errichtung der Militärdiktatur in Chile mit den Worten: „Angesichts des Chaos, das in Chile geherrscht hat, erhält das Wort Ordnung für die Chilenen plötzlich wieder einen süßen Klang.“ Putschgeneral Pinochet spricht es deutlicher aus: „Die Demokratie muß gelegentlich in Blut gebadet werden, damit sie fortbestehen kann.“
Standbilder aus dem Film „Stadt der Fotografen – La Ciudad de los Fotografos“ von Sebastián Moreno, Chile 2006
Die Bilder vom Überlebenskampf in einem Blut- und Folterstaat liefert die Fotografenassoziation afi (spanische Abkürzung für unabhängige Fotografenvereinigung). Ihr Presseausweis sollte sie schützen – und in vielen Fällen tat er das auch. Ihre Kameras sollten ihre Waffe in einem Überlebenskampf sein, der mit den Dokumenten der Grausamkeit internationale Hilfe mobilisieren sollte. Pinochets Armee hatte Schusswaffen, die Fotografinnen und Fotografen waren überzeugt, eine ebenso gefährliche Waffe zu bedienen: ihre Kameras. Heute sind ihre Fotos ein Vermächtnis: eine nicht verblassende Erinnerung an die Schrecken der 17 Jahre währenden Diktatur und den mutigen Geist einer Gruppe von Künstlern.
Mit Erinnerungen unter's Volk und auf die Straße
Mütter gingen auf die Straße, regelmäßig trafen sie sich an der Plaza de Major, hefteten sich die Fotos ihrer verschwunden Männer und Kinder an und forderten Auskunft über deren Schicksal. Irgendwann hatten die Fotografen die Idee, die Fotos der Verschwundenen mit Fotos aus glücklichen, alltäglichen, mitunter nebensächlich wirkenden Momenten zu einer Ausstellung zu kombinieren. Unter den Fotografen in Santiago war auch der Vater des Filmemachers Sebastián Moreno, der 2006 das bewegende Epos „Die Stadt der Fotografen“ über den so banal böse wirkenden Straßenkampf mit Wasserwerfern, Knüppeln und Pfefferspray in Lichtbildern gezeichnet hat. Auch der Sänger, Theatermacher und Regisseur Victor Jara wurde das Opfer der Folterer in den ersten Tagen. Die Mörder fürchteten seine sanften Lieder. In der Schlussszene des Filmes kommen die Fotografen zusammen, entzünden Kerzen und legen ihre Kameras nieder. Dann folgt ein Marsch durch Santiago als lebende Ausstellung zum Polizeipräsidium. Sie fordern Aufklärung der bis heute nicht gesühnten Verbrechen – auch an ihrem jungen, damals 17jährigen Kollegen...
Fotografie als Waffe? Ja, sie kann vielfältig und mit anderen Künsten gemeinsam zum Einsatz gebracht werden – wie wir wissen auch durch die Gegner der Aufklärung. Arbeiterfotografie ist in diesem immerwährenden Prozess als aktive Geschichtsschreiberin, Dokumentaristin und Vermittlerin dem Leben in Frieden, der Gerechtigkeit und der Wahrhaftigkeit verpflichtet. Ihre historischen Gründer hatten sich in einer schwierigen Zeit dieser Waffe bedient. Die Zeiten sind nicht einfacher geworden, denn die Inquisition kommt von "links". Zumindest tarnt sie sich so. (PK)
Videoclip zum Film „Stadt der Fotografen – La Ciudad de los Fotografos“:
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19808
Hinweise:
Vortrag "Fotografie als Waffe"
Teil 1: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19673
Teil 2: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19697
Teil 3: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19722
Teil 4: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19747
Teil 5: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19792
Teil 6: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19818
Vortrag "Enteignung von 99 Prozent der Menschheit" von Klaus Hartmann
Teil 1: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19848
Vortrag "Die Medienkrieger" von Jürgen Rose
Teil 1: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19618
Teil 2: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19623
NRhZ zur Ausstellung "Wacht auf, Verdammte dieser Erde"
Fotogalerie 1: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19347
Fotogalerie 2: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19375
Dokumentation der Aktivitäten zum 35jährigen Bestehen des Bundesverbands Arbeiterfotografie: http://www.arbeiterfotografie.com/35jahre
Online-Flyer Nr. 437 vom 18.12.2013
Vortrag zum 35jährigen Bestehen des Bundesverbands Arbeiterfotografie
Fotografie als Waffe – Teil 6
Von Anneliese Fikentscher
Unter dem Motto „Wacht auf, Verdammte dieser Erde!“ fand anlässlich des 35jährigen Bestehens des Bundesverbands Arbeiterfotografie am 21. September 2013 in Werder an der Havel eine Vortrags- und Kultur-Veranstaltung statt. Zu den Vortragenden gehörte Anneliese Fikentscher, Vorsitzende des Bundesverbands Arbeiterfotografie. Wir geben ihren Vortrag „Fotografie als Waffe“, der das Medium Fotografie sowohl als Instrument der Herrschenden als auch als Mittel von Gegenwehr und Aufklärung betrachtet, in mehreren Teilen wieder – nachfolgend der 6. und letzte Teil.
Anneliese Fikentscher bei ihrem Vortrag in Werder am 21.9.2013
Foto: arbeiterfotografie.com
Bilder repräsentieren Menschen und wir können in diesen Bildern lesen. Aber niemand kann uns von der Verantwortung entbinden, die Geschichte hinter den Bildern zu suchen, wer sie zu welchem Zweck einsetzt. Diejenigen, die Bilder schaffen, sind Akteure.
Der kanadische Filmemacher, Fotograf und Aktivist der Anti-Atom-Bewegung Robert del Tredici war 1988 (wie auch Walter Ballhause) beim 10jährigen Bestehen des Bundesverbandes Arbeiterfotografie in Hamburg zu Gast und ein Jahr später beteiligt an der Ausstellung „Engagierte Fotografie“ in Köln. Dort stellte er seine Fotodokumentation „Unsere Bombe – At Work in the Fields of the Bomb“ vor, die weltweit einzigartig ist. Tredici begab sich auf die Spur der Atom-Bombe in all ihren Facetten, machte – mit einer kleinen Leica – beachtliche Schwarz-Weiß-Fotos (manchmal unauffällig „aus der Hüfte“) und führte Interviews mit den Menschen, die mit ihr in Berührung kamen.
Als Akteur und Fotograf auf den Spuren der Bombe
Er besuchte Fabriken, Testgelände, Fall-Out-Zonen, WissenschaftlerInnen, Opfer unterschiedlicher Art, ihre Organ-Präparat-Sammlungen und die Täter. General Tibbets, der den Abwurf der Hiroshima-Bombe aus dem nach seiner Mutter „Enola Gay“ benannten B 29 Bomber persönlich steuerte, wurde niemals zur Verantwortung gezogen. Tredici: „Über ihre Wirkung wurde an Ort und Stelle durch das Besatzungsstatut eine Nachrichtensperre verhängt. Diese blieb sieben Jahre in Kraft. Die Geschichte von der Zerstörung der ersten beiden Städte durch Atombomben wurde überlagert von der Bombe als Idee: Ein Durchbruch in der Physik, ein Mittel zur Beendigung von Kriegen. Oft sprach man von ihr als etwas, das Leben rettet.“ Die Leiden der Opfer zweier Atombombenabwürfe (einer reichte nicht aus) durch die USA sind bis heute nicht personalisiert. An rituellen Gedenktagen im August wird vor allem die Schrecklichkeit, die Abschreckung „der Bombe“ zelebriert.
General Paul Tibbets, Columbus, Ohio, 20. Februar 1985 - Paul Tibbets kommandierte die 509. Composite Group der Air Force, zu deren Aufgaben der Abwurf der ersten amerikanischen Atombomben gehörte. Tibbets selbst steuerte die Enola Gay, den B-29 Bomber, der den Angriff auf Hiroshima flog. (Foto: Robert del Tredici)
General Paul Tibbets und die Eltern von Sadako (Fotos: Robert del Tredici)
Die Eltern von Sadako, Kasuka City, Fukuoka, Japan, 14. Oktober 1984 – Fujioka Saski, neben ihrem Mann Shigeo, hält ein Portrait, das ihre Tochter Sadako im Alter von 12 Jahren zeigt. (Foto: Robert del Tredici)
Als Verkörperung der „Banalität des Bösen“ portraitierte Tredici, den Kommandeur der Einheit 509th Composite Group, die mit dem Abwurf zweier A-Bomben über dicht besiedelten japanischen Großstädten beauftragt war, an seinem Schreibtisch. Stehend, eine Hand in der Hosentasche, die andere fragil auf die glänzende Tischplatte gesetzt, lächelt er an der Kamera vorbei wie der nette Onkel von nebenan. Körperhaltung und Gesichtsausdruck vermitteln einen eher senilen denn militärischen Eindruck. Auf Tredicis Frage, wann und wie der Name seiner Mutter zum Flugzeug kam: „Ich habe den Namen aufmalen lassen am Nachmittag vor unserem Start, der am folgenden Morgen um 2 Uhr erfolgte.“ Tredici: „Sie sagen, das Spiel habe geheissen: Das Ziel vernichten. Was war das Ziel in Hiroshima?“ Antwort: „Die Stadt war das Ziel. Fertig, aus.“
Mit Bildern kollektives Bewußtsein schaffen
Qualen und Hoffnung auf Leben sind die Geschichte des Mädchens Sadako, das zum Zeitpunkt des Hiroshima-Abwurfes zwei Jahre alt war. Das Kind war unschuldig und Tibbets schuldig (wie in Schillers Räubern), wenn auch nicht er allein.
Die Inschrift unter dem Foto lautet: Sadako Sasaki, Erste Klasse der Nobori-machi-Oberschule, Subakute lympathische Leukämie, gestorben 25. Oktober 1955. Die zwölfjährige Sadako, die alle Schmerzen geduldig ertragen hatte, wurde in ihrem Kirschblüten-Kimono beigesetzt. Ihre Hoffnung, dass ihr Wunsch auf Leben sich erfüllte, wenn sie 1000 Papierkraniche gefaltet habe, scheiterte an der Zeit, die Sadako zur Verfügung hatte: sie schaffte es nur, 645 Glücks-Kraniche zu falten...
Tredicis meisterhafte Fotos und die zusammengetragenen Informationen, die Erschließung hermetischer Räume, sind bis heute, etwa 30 Jahre später, ein Fall für das kollektive Gedächtnis. Er gibt vielen Perspektiven Raum, auch der des Dr. Edward Teller, Erfinder der Wasserstoffbombe. Die Trägerinnen des alternativen Nobelpreises von 1986, Dr. Alice Stewart und Dr. Rosalie Bertell, die sich mit der tödlichen Wirkung von niedriger Strahlenbelastung befassen, kommen ebenso zu Wort und ins Bild wie John Smitherman, einer der 42.000 Soldaten, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges an Atombombenversuchen der Serie „Operation Crossroads“ im Pazifik teilnahmen. Die Ärztin Dr. Rosalie Bertell, die den Internationalen Medizinischen Kommissionen von Bhopal und Terschnobyl vorstand, blieb bis ins hohe Alter bei ihrem Thema, das sie in ihrem Werk „Kriegwaffe Planet Erde“ („Planet Earth.The Latest Weapon of World“, London 2000, Deutschland 2011 / Interview im nrhz-Flyer 436: Radioaktivität und die Auslöschung des Lebens. Sind wir die letzten Generationen?) auf den Punkt brachte: die Warnung vor der Zerstörung der Lebensgrundlagen.
Mit Fotos unter's Volk – auf die Straße
Das kollektive Gedächtnis wird – auch und oft unter Zuhilfenahme von Bildern – durch ständige Penetration der Öffentlichkeit geformt. Die Möglichkeit zur uneingeschränkten Wiederholung und Verbreitung ist ein Machtfaktor. Selbstverständlich ist auch Gedenk-“Kultur“ ein Machtfaktor. Hitler ist schuldig, die ihn antreibenden Kapitalisten und Industriellen bleiben im Hintergrund. Von General Paul Tibbets spricht niemand. Er ist nahezu unbekannt.
Anneliese Fikentscher demonstriert am 6.8.2011 in Köln bei der Kundgebung „Atombomben abschaffen – dringlicher denn je“ im Rahmen der Hiroshima- und Nagasaki-Tage mit zwei Tafeln, deren Hauptbestandteil die beiden Fotos von Robert del Tredici sind, und fordert damit ein Tribunal für General Tibbets
Grund genug, den Bomben-General auf einer Hiroshima-Nagasaki-Gedenkveranstaltung einmal vorzustellen. Der Überzeugungstäter ist der Meinung, die USA „werden sie [die Bombe] einsetzen, einfach weil wir sie haben. Die Frage ist, wie man sie einsetzen soll.“ Am 6. August 2011 gedachte eine Gruppe von Menschen und der Atombombenüberlebende von Nagasaki, Kazuo Soda, der atomaren Katastrophe von 1945. Statt der Forderung nach einem Menschenrechtstribunal gegen die Verursacher werden entrüstete Stimmen laut: „Es darf nicht sein, dass mit einer Veranstaltung, bei der vergangener Verbrechen gedacht wird, die nächsten Kriege vorbereitet werden.“
Mit Fotos von Tätern und Opfern gegen weitere Kriege
Die beiden anwesenden „Grünen“-Politikerinnen, also der selben Partei zugehörig wie der 1999 im Amt des Außenministers mit einer Auschwitzlüge zum Krieg treibende Joseph Fischer, heizen die Kriegsstimmung gegen den Iran an. Agnes Malczak, abrüstungspolitische Sprecherin der Grünen glaubt an Worte und Wunder, schweigt aber zum illegalen Atomprogramm Israels: "Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass ein amerikanischer Präsident die Vision einer atomwaffenfreien Welt vertritt..." Bei ihrer Rede ist sie nicht nur mit Zwischenrufen konfrontiert. Der Kriegsverbrecher Paul Tibbets und die Eltern von Sadako wandern in Form der mitgeführten Fotos von Robert del Tredici neben der Rednerin ins Bild.
Bestandteile von Protesttafeln bei der Demonstration „YES WE CAN: Obama die rote Karte zeigen“ in Berlin am17.6.2013 anlässlich des Besuchs von US-Präsident Obama
Geschichtsschreibung findet auf der Straße statt, wenn diejenigen zusammenkommen, denen es an anderer Verbreitungsmacht mangelt. Als am 17. Juni 2013 der als Friedenskiller titulierte US-Präsident Obama zum Staatsbesuch in Deutschland eintrifft, wird er auf der Straße nicht willkommen geheißen. Ein namentlich nicht bekannter Teilnehmer konfrontiert den als Ikone gehandelten ersten afro-amerikanischen Präsidenten der USA mit seinem angeblichen Vorbild Martin Luther King gekonnt in einer Bild-Text-Montage: dem freundlich mit ausgestreckten Arm einer Menge beim Marsch auf Washington zuwinkenden Vorsitzenden der Bürgerrechtsorganisation National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) Martin Luther King wird ein finster mit dem Zeigefinger drohender Agitator Obama gegenübergestellt.
Ikonen beim Staatsbesuch
Die Worte spitzen die Aussage der Bildeindrücke zu: Martin Luther King hat einen Traum von einem besseren gerechteren Leben. Obama ist der Kriegsherr mit der Killer-Drohne, die er allen Rechtsstandards zum Trotz willkürlich zum Einsatz bringt. Viele Brüche und leere Versprechungen werden mit der Person des US-Präsidenten in Verbindung gebracht, der doch nach dem ungeliebten George Bush II als Sympathieträger gehandelt werden sollte. Selbst die Hoffnung auf einen Prozess zu 9/11 zerstört er durch die Vernichtung seines potentiellen Gegners Osama. Auch dazu gibt es ein Bild: die Regierungsmannschaft inszeniert sich, wie sie life am Bildschirm über Satellit einem Militärkommando zusieht, das den angeblich gefährlichsten Feind der USA – statt vor ein Gericht zu bringen – tötet.
Bilder klagen die Mit-Täter an
Der 11. September 1973 markiert das Datum des Gesichtsverlusts der modernen Demokratie und der sie vorgeblich unterstützenden Staaten. 2013 jährt sich zum 40. Mal der CIA-gestützte Putsch auf den chilenischen Präsidenten Salvador Allende. Deutsche Politiker waren weit davon entfernt, Mord und Terror Einhalt zu gebieten. Keine zwei Wochen später kommentierte Franz Josef Strauß die Errichtung der Militärdiktatur in Chile mit den Worten: „Angesichts des Chaos, das in Chile geherrscht hat, erhält das Wort Ordnung für die Chilenen plötzlich wieder einen süßen Klang.“ Putschgeneral Pinochet spricht es deutlicher aus: „Die Demokratie muß gelegentlich in Blut gebadet werden, damit sie fortbestehen kann.“
Standbilder aus dem Film „Stadt der Fotografen – La Ciudad de los Fotografos“ von Sebastián Moreno, Chile 2006
Die Bilder vom Überlebenskampf in einem Blut- und Folterstaat liefert die Fotografenassoziation afi (spanische Abkürzung für unabhängige Fotografenvereinigung). Ihr Presseausweis sollte sie schützen – und in vielen Fällen tat er das auch. Ihre Kameras sollten ihre Waffe in einem Überlebenskampf sein, der mit den Dokumenten der Grausamkeit internationale Hilfe mobilisieren sollte. Pinochets Armee hatte Schusswaffen, die Fotografinnen und Fotografen waren überzeugt, eine ebenso gefährliche Waffe zu bedienen: ihre Kameras. Heute sind ihre Fotos ein Vermächtnis: eine nicht verblassende Erinnerung an die Schrecken der 17 Jahre währenden Diktatur und den mutigen Geist einer Gruppe von Künstlern.
Mit Erinnerungen unter's Volk und auf die Straße
Mütter gingen auf die Straße, regelmäßig trafen sie sich an der Plaza de Major, hefteten sich die Fotos ihrer verschwunden Männer und Kinder an und forderten Auskunft über deren Schicksal. Irgendwann hatten die Fotografen die Idee, die Fotos der Verschwundenen mit Fotos aus glücklichen, alltäglichen, mitunter nebensächlich wirkenden Momenten zu einer Ausstellung zu kombinieren. Unter den Fotografen in Santiago war auch der Vater des Filmemachers Sebastián Moreno, der 2006 das bewegende Epos „Die Stadt der Fotografen“ über den so banal böse wirkenden Straßenkampf mit Wasserwerfern, Knüppeln und Pfefferspray in Lichtbildern gezeichnet hat. Auch der Sänger, Theatermacher und Regisseur Victor Jara wurde das Opfer der Folterer in den ersten Tagen. Die Mörder fürchteten seine sanften Lieder. In der Schlussszene des Filmes kommen die Fotografen zusammen, entzünden Kerzen und legen ihre Kameras nieder. Dann folgt ein Marsch durch Santiago als lebende Ausstellung zum Polizeipräsidium. Sie fordern Aufklärung der bis heute nicht gesühnten Verbrechen – auch an ihrem jungen, damals 17jährigen Kollegen...
Fotografie als Waffe? Ja, sie kann vielfältig und mit anderen Künsten gemeinsam zum Einsatz gebracht werden – wie wir wissen auch durch die Gegner der Aufklärung. Arbeiterfotografie ist in diesem immerwährenden Prozess als aktive Geschichtsschreiberin, Dokumentaristin und Vermittlerin dem Leben in Frieden, der Gerechtigkeit und der Wahrhaftigkeit verpflichtet. Ihre historischen Gründer hatten sich in einer schwierigen Zeit dieser Waffe bedient. Die Zeiten sind nicht einfacher geworden, denn die Inquisition kommt von "links". Zumindest tarnt sie sich so. (PK)
Videoclip zum Film „Stadt der Fotografen – La Ciudad de los Fotografos“:
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19808
Hinweise:
Vortrag "Fotografie als Waffe"
Teil 1: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19673
Teil 2: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19697
Teil 3: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19722
Teil 4: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19747
Teil 5: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19792
Teil 6: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19818
Vortrag "Enteignung von 99 Prozent der Menschheit" von Klaus Hartmann
Teil 1: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19848
Vortrag "Die Medienkrieger" von Jürgen Rose
Teil 1: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19618
Teil 2: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19623
NRhZ zur Ausstellung "Wacht auf, Verdammte dieser Erde"
Fotogalerie 1: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19347
Fotogalerie 2: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19375
Dokumentation der Aktivitäten zum 35jährigen Bestehen des Bundesverbands Arbeiterfotografie: http://www.arbeiterfotografie.com/35jahre
Online-Flyer Nr. 437 vom 18.12.2013