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Pressekonferenz des Kölner Oberbürgermeisters Jürgen Roters
Glanzvolles Scheitern von Mülheim 2020
Von Heinz Weinhausen
Die Ankündigung der Pressekonferenz der Stadt Köln vom 13.2. lautete »Mülheim 2020 auf der Zielgeraden«. Selbstzufrieden, mit strahlenden Gesichtern versuchten Oberbürgermeister Roters, sein Projektleiter Oster und der Mülheimer Bezirksbürgermeister Fuchs den Journalisten einen grandiosen Siegeslauf zu vermitteln, von dem alle Welt erfahre solle. Damit - geblendet von all den Siegesbekundungen - niemand genauer hinschaue und hinter dem Stolziergehabe das Desaster erkenne.
Online-Flyer Nr. 446 vom 19.02.2014
Pressekonferenz des Kölner Oberbürgermeisters Jürgen Roters
Glanzvolles Scheitern von Mülheim 2020
Von Heinz Weinhausen
Die Ankündigung der Pressekonferenz der Stadt Köln vom 13.2. lautete »Mülheim 2020 auf der Zielgeraden«. Selbstzufrieden, mit strahlenden Gesichtern versuchten Oberbürgermeister Roters, sein Projektleiter Oster und der Mülheimer Bezirksbürgermeister Fuchs den Journalisten einen grandiosen Siegeslauf zu vermitteln, von dem alle Welt erfahre solle. Damit - geblendet von all den Siegesbekundungen - niemand genauer hinschaue und hinter dem Stolziergehabe das Desaster erkenne.
Glanzvoll gescheitert: Bezirksbürgermeister Fuchs und Oberbürgermeister Roters
Foto: Heinz Weinhausen
Das faktische Ergebnis lautet nämlich: Das Programm der Sozialen Stadt endet im November 2014 und wird sein Ziel trotz der Bewältigung einiger Etappen überhaupt nicht erreichen. Die Verwaltung schafft es trotz sage und schreibe 41 Millionen Euro an vorgesehenen Fördergeldern nicht, den benachteiligten Stadtteil in den wichtigsten Schlüsselindikatoren von Bildung und Arbeit auf den städtischen Durchschnitt bringen. Trotz einiger Anstrengungen ist das Soziale, der wichtigste Beweggrund von Bund und EU zur Vergabe der Fördergelder, hoffnungslos das Schlusslicht geblieben. Es ist wahrscheinlich, dass die EU die Umsetzung des Programms beanstanden wird.
Andere Städte haben ihr Programm der Sozialen Stadt in den letzten Jahren erfolgreich »abgearbeitet«, in Köln hörte sich alles nur gewaltig an: Nirgendwo in Deutschland hätte es so ein anspruchsvolles Programm dieser Größe gegeben. Da hätte die Verwaltung erst mal selber lernen müssen, und natürlich gäbe es dann auch Startschwierigkeiten. Jetzt aber sei man auf der Zielgeraden. Bei der Sanierung der Geschäftsstraßen würden Erfolge bald sichtbar sein, und mit den Bildungsprojekten sei einzigartig viel geleistet worden. Viele Unternehmen würden nun intensiv beraten. Überhaupt würden andere Stadtteile neidisch auf Mülheim schauen. Alles Erfolgsmeldungen gespickt mit Relativierungen. Schließlich wurde dann doch noch eingeräumt, dass drei Projekte der Lokalen Ökonomie gecancelt wurden, wobei natürlich stets andere als die Verwaltung die Schuld dafür tragen würden.
Bei der Präsentierung der Zahlen wurde es dann gänzlich unseriös. Keinerlei Indikatoren zu Bildung und Arbeit wurden ausgegeben, also wie groß beispielsweise die Differenz in der Arbeitslosenquote im Programmgebiet zum städtischen Durchschnitt 2009 war und wie groß diese jetzt im Februar 2017 ist. Auch zu den einzelnen Projekten wurden keine Zahlen vorgelegt. Für die drei Handlungsfelder wurden dann nur IST-Zahlen vorgelegt, die SOLL-Zahlen aus dem Mülheim 2020-Programm blieben unerwähnt. In den SOLL-Zahlen drückt sich der politische Willen aus, mit dem der Rat der Stadt Köln das »Integrierte Handlungskonzept« im Mai 2009 beschlossen hat. Gewollt war die Umsetzung von konkreten Projekten mit einem Fördervolumen von insgesamt 41,1 Millionen Euro. Aber nur 32,5 Millionen an Fördergeldern konnten abgerufen. Dies bedeutet ein Minus von 8,6 Millionen Euro (21%).
In Zahlen: Bei den einzelnen Handlungsfeldern von Lokale Ökonomie, Bildung und Städtebau zeigen sich hinsichtlich der vorgelegten Zahlen merkwürdig große Verschiebungen:
- Lokale Ökonomie: SOLL 16,5 Mio. Euro, IST 4,3 Mio. Euro. Differenz: minus 12,2 Mio. Euro (26 % der Fördergelder wurden abgerufen.
- Bildung: SOLL: 11,8 Mio. Euro, IST 10,4 Mio. Euro. Differenz: minus 1,4 Mio. Euro. 88 % der Fördergelder wurden abgerufen.
- Städtebau: IST: 8,2 Mio. Euro, IST 14,9 Euro. Differenz: plus 6,7 Mio. Euro. 181 % der Fördergelder wurden abgerufen.
- Controlling, Verfügungsfonds u.a.: IST 2,9 Mio. Euro, SOLL 4,5 Mio. Euro. Differenz: minus 1,6 Mio. Euro. 64 % der Fördergelder wurden abgerufen.
Unklar blieb, ob Drittmittel, wie die von der Agentur für Arbeit, unzulässigerweise im IST mit eingerechnet wurden. Ein Bürgerantrag zur Erhöhung der Gelder des erfolgreichen Verfügungsfonds wurde im Jahre 2013 abgelehnt, nachdem sich Herr Oster dagegen ausgesprochen hatte. Man staune: Spielraum gab es genug.
In Worten: Die Bildungsprojekte liegen immerhin fast im SOLL, während sich die Arbeitsplatzschaffung und Wirtschaftsförderung im Katastrophenbereich befinden. Hier verfallen drei Viertel der Fördergelder, mehr als 12 Millionen Euro!!! Das Gegenstück zeigt sich bei den Geschäftsstraßen, wo mit etwa 7 Mio. Euro plus fast das Doppelte als geplant umgesetzt wird. »Anekdote« am Rande: Das Controlling wurde auch gekürzt und erst gegen Programmende begonnen. Da lässt sich dann nichts mehr im Prozessverlauf kontrollieren und gegensteuern.
Es ist traurig, welche Chancen für das benachteiligte Mülheim verpasst wurden, verhöhnend, wie Herr Fuchs, Herr Oster und Herr Roters dies als Sieg verkaufen wollen. Allemal haben sie auch kein Problem mit der großen Diskrepanz zwischen Plan und Verwirklichung. Der Rat hätte ja nur eine grobe Skizze beschlossen, es wäre ganz normal, dass sich dies in der Realität anders zeigen würde. Ob es bei der WM in Brasilien auch so normal wäre, wenn nur acht von zehn Stadien gebaut würden, ist nicht zu glauben.
Das Besondere des neu entwickelten Soziale Stadt-Programms ist gerade, das ganzheitlich gefördert wird. Dies wird auch in dem »integrierten Handlungskonzept« Mülheim 2020 stets deutlichst hervorgehoben. Es geht nicht darum, irgendwie Straßen zu renovieren, Bildung zu fördern und die Lokale Wirtschaft zu fördern, sondern der Clou ist, dass diese Maßnahmen alle recht zeitgleich zum Prorammbeginn starten und miteinander zu einer einzigen Maßnahme verzahnt werden, um den benachteiligten Stadtteil insgesamt anzuschieben und an den städtischen Durchschnitt zu bringen - durchaus mit dem legitimen Ziel, durch den Arbeitsplatzschub vermehrt Steuern einzunehmen und Hartz IV-Gelder usw. einzusparen.
Wird aber einer der drei Grundpfeiler nicht hochgefahren, scheitert das ganze Programm. Wenn die Lokale Ökonomie so stiefmütterlich umgesetzt wird, wenn Arbeitslose und Langzeitarbeitslose nicht zuhauf in Lohn und Brot kommen, wenn nicht tausend neue Arbeitsplätze geschaffen werden, dann gibt es auch nicht mehr Kaufkraft, die die vom Trade-Down gebeutelten Geschäftsstraßen von Mülheim wieder nach vorne bringen könnten. Dann helfen auch keine abgesenkten Bordsteinkanten und auch nicht mehr Straßenbäume. Wenn in fünf Jahren nur 365 Arbeitssuchende in Arbeitsplätze/Ausbildungsplätze/Selbstständigkeit vermittelt werden konnten, dann ist dies in erster Linie nur eine Verschiebung innerhalb des Marktes aber noch keine Senkung der Arbeitslosenquote. Wenn das Wirtschaftsbüro nach 18 Monaten schon wieder schließen muss, obwohl Millionen Euro an Fördergeldern noch brach liegen, dann wird es auch keine Unternehmensexplosion geben. Wenn das zu spät und mit zu wenig Geld gestartete Bildungsbüro schon bald schließt, dann wird der bisherige sehr gute Effekt bald verblassen und das Ziel, deutlich mehr und bessere Schulabschlüsse zu schaffen, verfehlt.
Mehrfach wurde zum Programmverlauf festgestellt, dass zwischen den Handlungsfeldern keine Gelder verschoben werden dürfen, aber es bleibt das große Geheimnis der Verwaltung, wie sie die Kostenexplosion beim Straßenbau erstens erklären will, zweitens, wie sie das innerhalb der Programmvorgaben rechtfertigen kann. Ein schlimmer Verdacht drängt sich auf, nämlich dass die Verwaltung der Lokalen Ökonomie soziale Gelder entzogen und für die Geschäftsstraßenverschönerung verwendet hat.
Dass Oberbürgermeister Roters und Projektleiter Oster gar nicht wissen (wollen), worum es beim Mülheim 2020-Programm geht, zeigt die Beantwortung der simplen Frage eines Journalisten: Wie weit man hinsichtlich der Arbeitslosenquote noch vom städtischen Durchschnitt entfernt wäre? Wie viele Arbeitsplätze müssten denn zum Stichtag 13. Februar noch geschaffen werden, um die Quote zu erreichen? Grummeln und Schweigen, bis Herr Rosenbaum vom Projekt Wirtschaftsbüro um Antwort gebeten wurde. Interessant, aber das hätte er auch noch nicht berechnet, würde er aber gerne mal machen. Schließlich sagte er noch, dass sich in der Schanzenstraße wohl vier Unternehmen niederlassen würden und er dort mit 600 neuen Arbeitsplätzen rechne.
Wie schon vorher vermutet, ist die Katze damit aus dem Sack. Die festgesetzten Ziele interessieren gar nicht. Es geht Roters und Oster im Gegensatz zum 2009 bekundeten politischen Willen des Rates der Stadt Köln gar nicht um die Soziale Stadt, nicht um ein soziales und blühendes Mülheim, sondern um einseitige Stadtverschönerung durch Mitnahme von EU-Geldern. Mülheim soll für die Medienwirtschaft schön gemacht werden, wo dann die in Mülheim lebende Bevölkerung höchstens ein Putzjob bekommen wird. Am Rhein wurden dafür schon viele attraktive Wohnhäuser mit teuren Mieten und teuren Eigentumswohnungen gebaut. Sozialwohnungen sind dort aber nicht zu finden.
Mülheim soll Mittelstands-Stadtteil werden mit den üblichen Folgen: dass die Mieten steigen, die Preise insgesamt steigen, dass die Benachteiligten rausgedrängt werden. Herr Lindner von der FDP hätte seine helle Freunde daran, wenn er mal hinschaute, wie hier die SPD-dominierte Stadt Köln seine Leistungsideologie umsetzt.
Die andere Seite: Kein Fördergeld für neue niedrig qualifizierte Arbeitsplätze, kein Geschäftshaus für die Familienbetriebe in der Keupstraße. Keine »Neue Arbeit« bei Selbsthilfeprojekten. Zu wenig Geld für die Sprachförderung in den KITAs, ein Projekt, das zwischenzeitlich ganz aufgegeben worden war. Zu wenig Nachhaltigkeit in der Bildung. Nur ein wenig Alibi-Förderung von Armen und Benachteiligten. Statt diesen Starthilfe zu geben, sollen sie sich trollen.
Wie lange wollen die anderen Parteien, die Mülheim 2020 anders beschlossen haben, noch zuschauen? Wo sind die sozialen Kräfte bei den Grünen, bei den Linken, bei der CDU und selbst bei der FDP? Wie wollen die Piraten und die Sozialliberalen aus Mülheim ein starkes Veedel für alle machen?
Einzig die jüngst gegründete Mülheimer Bürgerliste (MBL) für den Stadtbezirk 9 zeigt politische Initiative. Während die FDP immerhin eine Stellungnahme angekündigt hat, während die GRÜNEN vertagen und alle anderen bisher mit Schweigen glänzen, unterstützt bisher allein die MBL den Bürgerantrag eines Mülheimer Bürgers, der fordert, dass die Stadt Köln Verantwortung für das Scheitern des Mülheim-2020-Programms übernehmen soll. Verantwortung übernehmen hieße, dass die Stadt Köln in eigener Regie 10 Millionen Euro einsetzt, um den Erfolg in der Bildung nachhaltig zu festigen und überhaupt den Grundpfeiler der Lokalen Ökonomie »hoch zieht«. Dann könnten die Ziele von Mülheim 2020 trotz aller bisherigen SPD-Blockaden doch noch erreicht werden und Mülheim würde sozialer und gute Heimat für alle werden.
Eine erster Erfolg hat sich bereits eingestellt: Herr Sterzenbach, Leiter des Bürgerbüros, verkündete stolz, dass für di-n 34 ausgebildeten Stadtteilmütter ab März zwei Stellen abgesichert seien. Das kommt zwar sehr »mickrig« daher und ist wohl kaum nachhaltig zu nennen, aber ein Anfang ist immerhin gemacht. (PK)
Online-Flyer Nr. 446 vom 19.02.2014