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"Die Hauptrolle in Europa fällt einfach Deutschland zu"
Ein neuer Wilhelminismus
Von Hans Georg
Das außenpolitische Establishment Berlins will neue "Rufe" nach "deutscher Führung" im eskalierenden Konflikt mit Russland vernommen haben. "Nicht von der EU, noch nicht einmal so richtig von den Vereinigten Staaten" werde diese "Führung" erhofft, sondern von Berlin, berichtet ein Teilnehmer des jüngsten "Bergedorfer Gesprächskreises" der Hamburger "Körber-Stiftung" unter Bezug auf die dortige Debatte. An ihr hatten sich außer Vertretern der deutschen Außenpolitik auch Experten aus weiteren EU-Staaten beteiligt und die Ansicht erkennen lassen, "die Hauptrolle in Europa" falle "einfach Deutschland zu".
Während die PR-Kampagne für eine aggressivere deutsche Weltpolitik fortdauert, melden sich im außenpolitischen Establish- ment inzwischen auch vorsichtigere Stimmen zu Wort. Die "deutsche Macht", die heute immer wieder beschworen werde, dürfe nicht überschätzt werden, heißt es etwa. Ein einstiger Chefredakteur der Wirtschafts-zeitung "Handelsblatt" wirft der Berliner Außenpolitik ausdrücklich einen "neuen Wilhelminismus" vor. Ganz wie im späten deutschen Kaiserreich werde das Machtstreben öffentlich in einer Weise begleitet, die "auftrumpfend und abkanzelnd" zugleich sei; das habe sich bereits in der Auseinandersetzung um die Euro-Krise gezeigt. Die Berliner Kompromisslosigkeit sei fatal; Deutschland solle sich stattdessen "von der Idee verabschieden, alle anderen in Europa müssten sich ändern" - nur die Deutschen nicht.
Online-Flyer Nr. 451 vom 26.03.2014
"Die Hauptrolle in Europa fällt einfach Deutschland zu"
Ein neuer Wilhelminismus
Von Hans Georg
Das außenpolitische Establishment Berlins will neue "Rufe" nach "deutscher Führung" im eskalierenden Konflikt mit Russland vernommen haben. "Nicht von der EU, noch nicht einmal so richtig von den Vereinigten Staaten" werde diese "Führung" erhofft, sondern von Berlin, berichtet ein Teilnehmer des jüngsten "Bergedorfer Gesprächskreises" der Hamburger "Körber-Stiftung" unter Bezug auf die dortige Debatte. An ihr hatten sich außer Vertretern der deutschen Außenpolitik auch Experten aus weiteren EU-Staaten beteiligt und die Ansicht erkennen lassen, "die Hauptrolle in Europa" falle "einfach Deutschland zu".
Die Hauptrolle in Europa
Von neuen "Rufen" nach "deutscher Führung" berichtet ein Teilnehmer des jüngsten "Bergedorfer Gesprächskreises" der Hamburger "Körber-Stiftung". Im "Bergedorfer Gesprächskreis" kommen gewöhnlich dreimal im Jahr namhafte Außenpolitiker aus Ministerien, Parlament und Think-Tanks aus der Bundesrepublik mit Kollegen aus anderen Ländern zusammen, um außenpolitische Themen zu diskutieren. Das jüngste derartige Treffen fand am 15. und 16. März in Athen statt. Man habe dort die Meinung vernehmen können, "Führung" im eskalierenden Konflikt mit Russland um die Ukraine werde "nicht von der EU" erwartet und auch "nicht ... so richtig von den Vereinigten Staaten", sondern vielmehr von Berlin. "Außen- und sicherheitspolitische Fachleute gerade aus Mittel- und Osteuropa" meinten, der Konflikt sei "von einer Art, dass die Hauptrolle in Europa einfach Deutschland zufalle - als Sachwalter Europas". "Einen anderen Akteur von vergleichbarer Bedeutung gebe es nicht"; "die Regierungen von London bis Rom" seien "mit anderen Dingen beschäftigt" und spielten in Osteuropa ohnehin "interessenpolitisch in der zweiten Liga". "Das Brüsseler Personal" sei schon gar "nicht von einem Kaliber, das auf Putin Eindruck machen könnte", heißt es weiter; Deutschland, das schon in der Euro-Krise die "Führung" übernommen habe, werde daher "geradezu auf den 'Fahrersitz' gedrängt".[1]
Die Neuvermessung der deutschen Weltpolitik
"Rufe nach deutscher Führung" werden vom außenpolitischen Establishment Berlins immer wieder in Anspruch genommen, seit mit der Rede des Bundespräsidenten zum Nationalfeiertag 2013 eine PR-Kampagne begann, die möglichst umfassende Kräfte innerhalb Deutschlands hinter den expansiven Zielen der deutschen Außenpolitik sammeln soll. Auf Forderungen aus dem Berliner Establishment im Herbst nach einer "Neuvermessung" der deutschen Weltpolitik [2] folgten weitere Vorstöße, insbesondere vor und während der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz. Ende Januar behauptete der deutsche Außenminister, es werde "zu Recht von uns erwartet, dass wir uns einmischen", während kurz zuvor die Verteidigungsministerin erklärt hatte, "Europa" komme ohne militärische Mittel "im Spiel der globalen Kräfte nicht voran".[3] Erneut der Bundespräsident krönte die PR-Kampagne in seiner Rede auf der Sicherheitskonferenz mit der Forderung, Berlin müsse künftig "entschlossener" vorgehen, um den globalen "Ordnungsrahmen ... zu erhalten und zu formen".[4] In diesem Kontext ist zunächst viel von Militärinterventionen in Afrika die Rede gewesen [5]; darüber hinaus gilt jetzt auch die deutsche Ukraine-Politik als ein "Testlauf" für die "entschlossenere" deutsche Weltpolitik (german-foreign-policy.com berichtete [6]).
Der schillernde Begriff Verantwortung
Während die Leitmedien die breite Öffentlichkeit weiter auf eine Verschärfung der globalen Konflikte einzustimmen suchen [7] und "deutsche Führung" fordern, werden in Fachkreisen erstmals auch zurückhaltendere Äußerungen laut. So verweist etwa Hanns W. Maull, "Senior Distinguished Fellow" der Berliner "Stiftung Wissenschaft und Politik" (SWP), in der Zeitschrift "Internationale Politik" auf die "Formel von der 'Verantwortung', die in der deutschen Außenpolitik seit spätestens 1990 eine zentrale, aber auch sehr schillernde Rolle spielt". Sie eigne sich "ebenso dafür, eigene Machtansprüche zu kaschieren, wie Leistungen Deutschlands einzufordern" - etwa "Leistungen" militärischer Art. "Dass aber militärische Mittel zwangsläufig da Erfolg haben müssen, wo andere Instrumente der Politik versagt haben, ist ein gefährlicher Trugschluss", warnt Maull. Auch müsse "die Einschätzung, Deutschland habe international an Macht gewonnen", die der neuen deutschen Weltpolitik zugrunde liege, hinterfragt werden. Sie basiere vor allem auf wirtschaftlichen Erfolgen, wobei festgehalten werden müsse, dass Deutschlands besondere Stärke, der Export, relativ gesehen schrumpfe: Im Vergleich zu der Höchstmarke von 1973 (11,7 Prozent) betrage der deutsche Anteil am Weltexport nach einem Zwischenwert von 10,3 Prozent (1993) heute "nur" noch 8,5 Prozent (2010). Auch bei anderen Machtfaktoren falle die Bundesrepublik objektiv zurück, etwa bei der Personalstärke ihrer Streitkräfte oder bei den Militärausgaben. Maull gibt sich skeptisch gegenüber dem neuen Berliner Machtanspruch: "Ob Deutschland heute tatsächlich über mehr Gestaltungsmacht verfügt als vor zehn, zwanzig oder dreißig Jahren, ist ... keineswegs ausgemacht."[8]
Selbstgewiss und verständnislos
Darüber hinaus warnt der Publizist Bernd Ziesemer in der "Internationalen Politik" vor einem "neuen Wilhelminismus" der Berliner Außenpolitik. Über die "außen- und europapolitische Debatte" in der Bundesrepublik habe sich "in den vergangenen zwei Jahren ein publizistischer Oberton gelegt", der "beleidigt und beleidigend zugleich" sei, "auftrumpfend und abkanzelnd, selbstgewiss und vor allem verständnislos für unsere Nachbarn", urteilt Ziesemer. Da bezeichne etwa das Nachrichtenmagazin "Focus" Jean Asselborn als Außenminister "der ehemaligen Steuerhinterziehungszentrale Luxemburg" und "Deutschland-Hasser". Ein prominenter Ökonom spreche verächtlich von "mediterranen Mehrheiten", denen sich Deutschland im EZB-Rat unterordnen müsse. Gleichzeitig äußere der einflussreiche Publizist Arnulf Baring, Deutschland sei "genauso isoliert wie vor 100 Jahren - am Vorabend des Ersten Weltkriegs". Die Mischung aus Aggression und Bedrohungsszenarien erinnere an das späte Deutsche Kaiserreich.[9]
Nationale Überlegenheit
Ziesemer verdeutlicht dies - als ehemaliger Chefredakteur der Wirtschaftszeitung "Handelsblatt" - vor allem an ökonomischen Themen, etwa an den anhaltend hohen deutschen Exportüberschüssen. Diese werden international immer schärfer kritisiert, weil sie andere Staaten systematisch in die Verschuldung treiben. Es gehe dabei "um die schlichte Tatsache, dass nicht alle Länder der Welt ihre Wirtschaftspolitik auf stetig steigende Überschüsse in der Handelsbilanz ausrichten können", erläutert Ziesemer. Auch seien sich Ökonomen weitgehend einig, dass "Dauerüberschüsse ... keineswegs gesund" seien, "wenn sie ein bestimmtes Maß übersteigen". "Die meisten Deutschen" aber sähen "die Exportüberschüsse als Zeichen nationaler Überlegenheit" und würden darin von Politik und Medien bestärkt. "Die anhaltende Euro-Krise" gelte dem Publikum heute "als das bloße Resultat griechischer Verantwortungslosigkeit, spanischer Siesta-Mentalität und italienischer Neigung zum Dolcefarniente". Ziesemer erinnert an "den kaisertreuen Philosophen Bruno Bauch", der behauptet habe, "der eigentliche Grund für den Ausbruch des großen Krieges" 1914 "sei der Neid der europäischen Nachbarn auf die 'deutsche Tüchtigkeit'" gewesen.[10]
Deutsche Sonderinteressen
Als weiteres Beispiel führt Ziesemer die jüngsten Aktivitäten der Bundesbank an. Habe sie einst als "Inbegriff der öffentlichen Zurückhaltung" gegolten, so habe sie sich "unter Jens Weidmann ... in eine offene und öffentliche Generalkritikerin der EZB" verwandelt, urteilt der ehemalige "Handelsblatt"-Chefredakteur. EZB-Chef Mario Draghi habe sich im November 2013 "völlig zu Recht" genötigt gesehen, "die 'nationalistischen Untertöne' in der Debatte über die Euro-Beschlüsse der EZB" zu kritisieren. Dies erschwere die "Suche nach Kompromissen in der Euro-Krise enorm". Dabei habe "der ehemalige Wirtschaftsberater der Bundeskanzlerin ... so eng im Tandem mit Angela Merkel" agiert "wie kaum einer seiner Vorgänger ... mit früheren deutschen Regierungschefs". Das habe den Eindruck hervorgebracht, "es gehe der Bundesbank" bei alledem "nur um eine besonders geschickt orchestrierte und mit der Bundesregierung eng koordinierte knallharte Vertretung deutscher Sonderinteressen". Deutsche Medien hätten hingegen Draghi als Verfechter spezieller, angeblich schädlicher Interessen der "Südländer" denunziert.[11]
Am deutschen Wesen...
"Mit ihrer wilhelminischen Rhetorik vermittelt die deutsche Außenpolitik seit mindestens zwei Jahren den Eindruck, die anderen Europäer müssten einzig und allein dem deutschen Beispiel folgen, um ihre Krise zu überwinden", resümiert Ziesemer: "Irgendwann muss sich Deutschland doch von der Idee verabschieden, alle anderen in Europa müssten sich ändern, nur wir nicht." Er warnt: "Am deutschen Wesen allein kann die Welt auch dieses Mal nicht genesen."[12] (PK)
[1] Klaus-Dieter Frankenberger: Wieder ein deutscher Moment. Frankfurter Allgemeine Zeitung 18.03.2014.
[2] S. dazu Die Neuvermessung der deutschen Weltpolitik.
[3] S. dazu Deutschlands Befreiungsschlag.
[4] S. dazu Der Weltordnungsrahmen.
[5] S. dazu Die Agenda 2020.
[6] S. dazu Testfeld Ukraine.
[7] S. dazu Die freie Welt.
[8] Hanns W. Maull: Zu kurz gesprungen. Deutsche Außenpolitik zwischen Selbstüberschätzung und Wegducken. Internationale Politik März/April 2014.
[9], [10], [11], [12] Bernd Ziesemer: Auftrumpfend und abkanzelnd. Deutschland sollte dringend über seinen außenpolitischen Stil nachdenken. Internationale Politik März/April 2014.
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