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Lokales
Dritte Berliner Wasserrat-Arbeitssitzung entwickelt klare Schwerpunkte
Wasserrat bald Vorbild für weitere Betriebe?
Von Ulrike von Wiesenau

Der Berliner Wasserrat, zu dem der Berliner Wassertisch seit November 2013 einmal im Monat eine Reihe von Bündnispartnern und Fachreferenten einlädt, nimmt immer deutlicher Konturen an; er hat inzwischen klare Arbeitsschwerpunkte entwickelt. Das zeichnete sich bei der dritten Arbeitssitzung am 27. März ab. Vor allem zwei Themenbereiche wurden von den teilnehmenden Fachreferenten und Organisationen als zentrale Schwerpunkte gesehen: die künftige Unternehmens- bzw. Rechtsform der Berliner Wasserbetriebe (BWB) und die Substanz und Form künftiger Mitspracherechte der Bürgerinnen und Bürger.

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Es besteht Einigkeit unter den Teilnehmern, dass für die Zukunft der BWB dringend Strukturen entwickelt werden müssen, die das Unternehmen sowohl vor erneuten Privatisierungen schützen als auch eine Transparenz der Entscheidungen unter öffentlicher Kontrolle sicherstellen. In der Praxis heißt das, dass statt privatrechtlicher Unternehmensformen unbedingt öffentlich-rechtliche Unternehmensformen gefordert werden müssen.
 
Darüber sind sich insbesondere der Berliner Energietisch, der durch seinen Sprecher Dr. Stefan Taschner vertreten war, und der Berliner Wassertisch einig. Beide Bürgerinitiativen sehen Stadtwerke, die unter dem Dach der BWB als privatrechtliche Konstruktion angesiedelt sind, wie der Senat das derzeit wünscht, als problematisch an, weil mit der Verbindung von liberalisierten Strommärkten und Wasser als natürlichem Monopol der Wasserprivatisierung wieder eine Hintertür geöffnet wird. Auch hier bewahrheitet sich einmal mehr: Strom im Wasser ist tödlich. Der Berliner Energietisch, der Stadtwerke im Prinzip befürwortet, erarbeitet zurzeit eine eigene Konzeption, die sich von den Senatsplänen erheblich unterscheidet.
 
Bei der dritten Arbeitssitzung ging es insbesondere um Investitionen, die bei den BWB zum Erhalt der Trinkwasser- und Abwassernetze in den nächsten Jahren anstehen. Es gibt hier die von allen Teilnehmern geteilte Forderung nach einem öffentlichen Monitoring. Mit dieser Forderung ist gemeint, dass die internen Zustandsbefunde des Betriebes öffentlich gemacht werden müssen, ebenso die Kriterien für ihre Zustandsbewertungen. Auch wenn es noch keine feststehenden Standards und Normen für die Klassifizierung von Zuständen, die Bewertung von Schäden, von Neuerungen und vielem anderen gibt, die in Folge von den Bundesinstanzen zu fordern wären.
 
Grundsätzlich stehen zwei Optionen, ein extern gesteuertes oder ein internes Monitoring, in Frage. Referent Stephan von Orlow, Autor des gesellschaftsrechtlichen und gemeinwohlorientierten Modells Youconomy, legte detailliert dar, dass Unternehmen in aller Regel über solche internen Bestandsaufnahmen verfügen, aber oft deren Veröffentlichung scheuen - auf die die Öffentlichkeit aber bei Einrichtungen der Daseinsvorsorge einen legitimen Anspruch habe. Zu prüfen seien, wegen der potentiellen Manipulierbarkeit von Daten, hier vor allem sogenannte Rohdaten, d.h. Erhebungen, die noch keiner Klassifikation und Interpretation unterzogen worden sind.
 
Schon die Preismissbrauchsverfügung des Bundeskartellamtes legt die Forderung nach Transparenz bei den Rohdaten nahe. Mit dem Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf ist die Verfügung gegen die Klage der Berliner Wasserbetriebe am 24.2. 2014 voll bestätigt worden. Mit diesem Urteil seien auch die über viele Jahre durch den Berliner Wassertisch und den Wassertisch-Untersuchungsausschuss "Klaerwerk" geführten Untersuchungen aller öffentlich zugänglichen Daten voll und ganz bestätigt worden, wie Heidi Kosche, Sprecherin für öffentliche Grundversorgung der Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und Wassertisch-Gründungsmitglied, in der Sitzung noch einmal ausdrücklich betonte.
 
In Vorbereitung des Besuches von Anne Le Strat wurde von Dr. Carsten Herzberg (Universität Potsdam) das Modell de Pariser Bürgerbeteiligung, der "Observatoire parisien de l'eau", vorgestellt. Anne Le Strat, die bis zu den aktuellen Kommunalwahlen stellvertretende Bürgermeisterin von Paris und Präsidentin der Pariser Wasserbetriebe war, wird vom 23.-25. April auf Einladung des Wasserrates im Berliner Abgeordnetenhaus über die Erfahrungen der rekommunalisierten Pariser Wasserbetriebe und dem Pariser Beteiligungsmodell berichten. Federführend an der Rekommunalisierung von »Eau de Paris« beteiligt, hat sie bei den Pariser Wasserbetrieben neben dem Verwaltungsrat ein partizipatives Gremium installiert und wichtige Umstrukturierungen des Unternehmens angeregt.
 
Im Januar 2010 brachte die französische Hauptstadt nach 25 Jahren privater Wasserwirtschaft die Wasserversorgung in städtischen Besitz zurück, die auslaufenden Konzessionen der privaten Partner Suez und Veolia wurden nicht erneuert. Mit »Eau de Paris« wurde ein Unternehmen in öffentlicher Hand gegründet, die Stadt Paris nahm den Betrieb wieder in eigene Regie zurück und gab damit das klassische französische Modell der Vergabe von Konzessionen an Privatunternehmen auf. Während die Pariser Wasserbetriebe mit den privaten Konzessionären als "SEM“ (GmbH) geführt wurden, haben sie seit 2010 die Rechtsform "EPIC“ (Anstalt öffentlichen Rechts, AöR). Zwischen "Eau de Paris" und der Stadt wurde 2010 ein Vertrag geschlossen. Leitung und Kontrolle der Pariser Wasserbetriebe liegen nun bei Präsident und Verwaltungsrat. Das "Observatoire" ist kein Gremium von "Eau de Paris", sondern der Stadt Paris.
 
An diesem Gremium können sich alle Bürger beteiligen, es gibt keine gewählten Mitglieder, sondern es handelt sich um eine allen offen stehende Einrichtung. Nach Einschätzung des Referenten, der selbst an Sitzungen des "Observatoire" teilgenommen hat, liegt der Status des Gremiums zwischen Kundenbeirat und Kontrollrat, es hat lediglich eine beratende Funktion. Das Gremium hat keine definierten Mitbestimmungsrechte und verfügt über kein eigenes Budget, es tagt in nicht regelmässigem Turnus und ist konsensual eingestellt, thematische Arbeit und Diskussionen überwiegen. Das "Observatoire" mit seiner basisdemokratischen Struktur ist staatlicherseits eingerichtet worden und verfügt zugleich über eine offene, lockere Struktur. Angeregt durch den Vortrag kommen immer mehr Fragen der Sitzungsteilnehmer auf, die dazu angetan sind, das Modell auszuloten und wichtige Aspekte zu erörtern; sie werden in die Veranstaltungen im April hineingetragen werden.
 
Nach den Erfahrungen der Berliner Teilprivatisierung favorisieren der Berliner Wassertisch und der Wasserrat für die deutsche Hauptstadt ein Gremium der Beteiligung, das nicht nur eine beratende, sondern eine direkt mitbestimmende und kontrollierende Funktion übernehmen kann. Die Veranstaltung mit Anne Le Strat im Abgeordnetenhaus von Berlin und ihre Teilnahme an der vierten Arbeitssitzung des Berliner Wasserrates, unter Mitarbeit der Fachreferenten des "European Water Movement", wird mit Sicherheit zur weiteren Konturierung eines Beteiligungs-Modells für die Berliner Wasserbetriebe beitragen, das Vorbild für weitere Betriebe der Daseinsvorsorge sein kann. (PK)
 
 
Ulrike von Wiesenau ist Pressesprecherin des Berliner Wassertisches. Die Demokratie-Expertin ist Mitbegründerin des direktdemokratischen Untersuchungsausschusses "Klaerwerk" und des Berliner Wasserrates.


Online-Flyer Nr. 453  vom 09.04.2014



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