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Wirkung der Schuldenbremse auf Investitionsstrategie der Berliner Wasserbetriebe
Wasserrat eröffnet Dialog mit Gewerkschaften
Von Ulrike von Wiesenau
Die sechste Arbeitssitzung des Berliner Wasserrates am 26. Juni 2014 analysierte die Wirkung der Schuldenbremse auf die Investitionsstrategie der Berliner Wasserbetriebe. Die aktuelle Investitionsstrategie der BWB steht unter starker Kritik, nachzulesen aktuell in der Studie der Stiftung Baugewerbe, die am 23.4. 2014 auf einer öffentlichen Vortrags- und Diskussionsveranstaltung des Berliner Wasserrates im Berliner Abgeordnetenhaus von Reinhold Dellmann, Hauptgeschäftsführer der Fachgemeinschaft Bau, vorgestellt wurde.
Online-Flyer Nr. 466 vom 09.07.2014
Wirkung der Schuldenbremse auf Investitionsstrategie der Berliner Wasserbetriebe
Wasserrat eröffnet Dialog mit Gewerkschaften
Von Ulrike von Wiesenau
Die sechste Arbeitssitzung des Berliner Wasserrates am 26. Juni 2014 analysierte die Wirkung der Schuldenbremse auf die Investitionsstrategie der Berliner Wasserbetriebe. Die aktuelle Investitionsstrategie der BWB steht unter starker Kritik, nachzulesen aktuell in der Studie der Stiftung Baugewerbe, die am 23.4. 2014 auf einer öffentlichen Vortrags- und Diskussionsveranstaltung des Berliner Wasserrates im Berliner Abgeordnetenhaus von Reinhold Dellmann, Hauptgeschäftsführer der Fachgemeinschaft Bau, vorgestellt wurde.
Reinhold Dellmann, Hauptgeschäftsführer der Fachgemeinschaft Bau, stellt die Studie der Stiftung Baugewerbe auf Einladung des Berliner Wasserrates vor.
Foto: Berliner Wassertisch
Die Zusammenhänge zwischen EU-Wettbewerbspolitik, einer Politik der Spardoktrin, bekannt als "Schuldenbremse", und der konkreten Investitionspolitik der BWB, sowie die Kontrolle durch das Parlament, wurden in der Sitzung umfassend erörtert und diskutiert. Der Berliner Wasserrat möchte gerade auch zusammen mit Gewerkschaftern eine inhaltliche Position zu diesen Fragen entwickeln, denn die Investitionsstrategie der Wasserbetriebe ist massgeblich von den politischen Rahmenbedingungen geprägt.
Gotthard Krupp, Mitglied im Bezirksvorstand der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, betonte, dass die öffentliche Daseinsvorsorge ein Pfeiler des Sozialstaats sei und als solcher verteidigt werden müsse: Das Sozialstaatsprinzip gehe von dem Verfassungsrecht des Bürgers auf eine öffentliche Daseinsvorsorge aus, die voll aus dem öffentlichen Haushalt finanziert wird und unter staatlicher Verantwortung steht. Die öffentliche Daseinsvorsorge sei unvereinbar mit Privatisierungen, Teilprivatisierungen und Ausgründungen. Eine Rekommunalisierung bereits verkaufter Unternehmen durch das Land dürfe nicht der Sanierung der öffentlichen Haushalte dienen (aus dem ver.di Flugblatt Fragen- Antworten). Er berichtete, dass die Diskussion derzeit mit einem Papier in die Gewerkschaft getragen wird und zeigte sich überzeugt, dass eine Änderung der Politik der Arbeitnehmerbank in den Aufsichtsräten der Betriebe nur dann gelingt, wenn ver.di als Ganzes die Problematik diskutiert. Die Bereitschaft von Vertretern von ver.di und vom DGB diese Fragen zu diskutieren, wachse, es gäbe bereits eine gute Antragslage und Anlass zur Zuversicht bezüglich eines Dialoges mit den Gewerkschaften.
Laura Valentukeviciute von "Gemeingut in Bürgerhand" erläuterte, wie aufgrund des Fiskalpakts und der Schuldenbremse als seinem Äquivalent in Deutschland ab 2016 faktisch keine Kredite mehr aufgenommen werden dürfen, gleichzeitig aber von der deutschen Regierung und von der EU-Kommission in ganz Europa Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) generös gefördert werden. Sie zeigte auf, dass mit Hilfe von ÖPP die Schuldenbremse umgangen wird, weil die Zahlungsverpflichtungen dafür in den öffentlichen Verschuldungsberechnungen nicht auftauchen, diese aber dennoch öffentliche Schulden sind; dass die öffentliche Hand den Kredit, den der private "Partner" für ein ÖPP-Projekt aufnimmt, zurückzahlen muss, und zwar mit erheblich höheren Zinsen, als wenn sie selber einen Kommunalkredit aufgenommen hätte. Mit der Konstellation einer Schuldenbremse bei gleichzeitiger Förderung von ÖPP-Projekten werde der Staat immer tiefer in die Schuldenfalle getrieben. Als einen ersten Schritt aus dieser Zwangslage heraus fordert "Gemeingut in Bürgerhand" eine Offenlegung aller Schulden, damit klar wird, wofür und wie lange welche Verpflichtungen bestehen. Mit einem Aufruf an Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble fordert die Organisation, Transparenz herzustellen und ÖPP-Täuschungsmanöver zu unterbinden.
Öffentliche Vortrags- und Diskussionsveranstaltung des Berliner Wasserrates im Berliner Abgeordnetenhaus
Foto: Berliner Wassertisch
Gerlinde Schermer, Ökonomin und ehemalige SPD-Abgeordnete im Berliner Abgeordnetenhaus, erschloss zentrale Felder zur Diskussion um Schuldenbremse und öffentliche Daseinsvorsorge am Fall der Berliner Wasserbetriebe. Über die Form des Rückkaufs habe der Berliner Senat der Großen Koalition von SPD und CDU und die Mehrheit des Abgeordnetenhauses unter dem Diktat der Schuldenbremse entschieden. Die Finanzierung erfolgte durch Kreditaufnahme außerhalb des öffentlichen Haushaltes, die Rückzahlung durch den Betrieb. Diese Unterordnung der Daseinsvorsorge unter das politische Schwert "Haushaltskonsolidierung" für das Erreichen der "Schwarzen Null" auf dem Papier, heiße, einen Substanzverlust der Daseinsvorsorge hinzunehmen. Die Wasserbetriebe, der Senat, das Abgeordnetenhaus und die Öffentlichkeit stünden vor dem Grundkonflikt: "Sparen - egal was es langfristig kostet", oder einen Kurswechsel mit den notwendigen Investitionen in die Infrastruktur vorzunehmen. Bei den Wasserbetrieben sei das Geld dafür vorhanden, es werde jährlich von den Wasserkunden - ausdrücklich auch für Investitionen- verlangt und bezahlt. Unter anderem dafür sei ab dem Jahr 2003 sogar das Teilprivatisierungsgesetz, später das Berliner Betriebegesetz geändert worden. Zur Finanzierung der Infrastruktur würden Abschreibungen im Wasserpreis seitdem nach dem höheren "Wiederbeschaffungszeitwert", statt nach Abschreibungen nach Anschaffungswerten, wie sie in der Bilanz stehen - kalkuliert.
Derzeit nähmen die Berliner Wasserbetriebe wie eine juristische Person des Privatrechts am Wirtschaftsleben teil, obgleich sie Anstalt des öffentlichen Rechts sind und eine Aufgabe der Daseinsvorsorge erfüllen. Das Verhältnis zwischen BWB und den Wasserverbrauchern sei privatrechtlich und nicht öffentlich-rechtlich ausgestaltet, es handele sich um eine privatrechtliche Leistungsbeziehung, deren Überprüfung bei den Trinkwasserpreisen durch das Bundeskartellamt einen Preismissbrauch beim Monopolbetrieb von 18% ergab.
Das Beispiel der Wasserbetriebe zeige, dass der Senat den Betrieb vor und nach der Rekommunalisierung dem Ziel der „Sanierung der öffentlichen Haushalte" unterordne. Während der Zeit der Teilprivatisierung seien der öffentliche Haushalt und der öffentliche Betrieb von den Privaten zur Bedienung ihrer Renditeinteressen herangezogen worden. Jetzt, nach der Rekommunalisierung, liege keine Übergabe-Bilanz vor, der Investitionsbedarf sei ungeklärt, es sei unklar, welcher Substanzverlust in der Zeit der Privatisierung entstanden ist. Einen Hinweis auf den Investitionsbedarf gebe immerhin die Studie, die im Auftrag der Stiftung Baugewerbe (1) erstellt wurde: Im Jahre 2011 lag die Kanalerneuerungsrate bei 0,33 %, was heißt, dass das gesamte Kanalnetz in ca. 303 Jahren saniert wäre. Langfristig wird nun
eine Erhöhung auf 0,7 % geplant.
Die Wasserbetriebe seien zwar jetzt zu 100% in öffentlicher Hand, würden aber über die private Rechtsform wie ein privatkapitalistischer Monopolist geführt. Sie seien wettbewerbsorientiert und auf Gewinnerzielung ausgerichtet, der Senat beschließe mit der Unternehmensleitung die entsprechenden Zielvereinbarungen. Bisher seien diese genau so geheim, wie die Verträge mit den Privatinvestoren. Auch wenn der neu gebildete Ausschuss des Abgeordnetenhauses „Beteiligungen" zukünftig zu „informieren" sei, ändere es nichts daran, dass die Unternehmensentscheidungen der parlamentarischen Kontrolle entzogen sind. Das bedeute einen - über die private Rechtsform organisierten - Rückzug des Landes aus seiner sozialstaatlichen Aufgabe. Der Staat aber dürfe sich nicht durch privatrechtliche Verträge aus dem öffentlichen Recht flüchten und müsse den Mut haben, die Schuldenbremse, die die Politik des harten Sparens auf Kosten der öffentlichen Daseinsvorsorge gebietet, zu durchbrechen.
Dass es Zeit ist für eine öffentliche Diskussion ist, zeigten auch die aktuellen Forderungen der EU. Die gleiche EU Kommission, die den Wettbewerb predige, stelle nun über den Währungskommissar Olli Rehn Forderungen an die Deutsche Regierung. Er mache in Brüssel deutlich,n dass die von der Bundesregierung beschlossene Ausgabensteigerung nicht reiche und Länder mit Handelsüberschüssen ihre Investitionen steigern müssten.
Gerlinde Schermer konfrontierte den Berliner Wasserrat mit der Konsequenz: Berlin könne sich niemals allein von den hohen Schulden befreien. Solange die Politiker der Regierungsparteien SPD und CDU die Frage der Schulden nicht politisch gelöst haben, dürfe kein Geld aus den Wasserbetrieben an den Landeshaushalt gehen. Denn solange das Geld der Wasserkunden, welches für Investitionen ins Rohrnetz bezahlt wurde, für Zinsen zweckentfremdet werde, sei das eine zusätzliche Wassersteuer, der jede gesetzliche Grundlage fehle. In diesem Sinne eröffnet der Berliner Wasserrat die Diskussion mit den Unterstützern des Volksentscheides "Wir Berliner wollen unser Wasser zurück", mit den Vertretern der Bauindustrie, die mit Ihrer Studie den Investitionsstau bei den BWB belegt haben, und mit den Gewerkschaften. (PK)
Ulrike von Wiesenau ist Pressesprecherin des Berliner Wassertisches und war maßgeblich am Entwurf der Kampagne des erfolgreichen Berliner Wasser-Volksentscheides beteiligt. Die Demokratie-Expertin ist Mitbegründerin des direktdemokratischen Untersuchungsausschusses "Klaerwerk" und des Berliner Wasserrates.
Online-Flyer Nr. 466 vom 09.07.2014