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Lokales
Gerichtsprozess wegen "Beleidigung" geht trotz Freispruch weiter
Wird Mülheimer MBI-Frau weiter verfolgt?
Von Lothar Reinhard

Am 26. Februar endete die damals bereits dritte öffentliche Verhandlung beim Amtsgericht Mülheim gegen die MBI-Ratsfrau und Lehrerin Annette Klövekorn wegen angeblicher Beleidigung in einer Sitzung der Bezirksvertretung 1 am 26. Juni 2012 im Zusammenhang mit höchst umstrittenen Baumfällungen im Bereich der Gracht mit einem Freispruch. Der Vorwurf war, sie habe Klaus Beisiegel, dem Referenten des Planungsdezernenten, Bestechlichkeit unterstellt.
 

MBI-Ratsfrau Annette Klövekorn
Quelle: MBI
Nun fand heute die vierte öffentliche Gerichtsverhandlung zu der leidigen bis peinlichen Geschichte statt, dieses Mal als Berufungsverhandlung beim Landgericht Duisburg gegen den Mülheimer Freispruch. Die Verhandlung dauerte wegen der vielen Zeugenbefragungen fünf Stunden und endete mit einem erneuten Freispruch. Zehn Zeugen waren intensiv vom Richter und der Staatsanwältin vor- und rückwärts zu allen möglichen Haupt- und Nebensächlichkeiten befragt worden.
 
Die Mülheimer Richterin hatte die MBI-Frau freigesprochen, da nicht einmal zu klären war, ob die angebliche Beleidigung nicht auf einem Missverständnis beruhte. Die Staatsanwaltschaft Duisburg hatte gegen diesen eigentlich logischen und glasklaren Freispruch der MBI-Frau dennoch Berufung eingelegt, und zwar bereits am 27. Februar, sofort nach dem Mülheimer Freispruch. Sie begründete dies damit, dass einer der städtischen Angestellten eidesstattlich versichert hatte, er habe den Satz „Man weiß doch wie das geht, dann liegt ein Schein`schen im Antrag“ wörtlich so gehört. Dass just dieser Beamte sonst nichts von der Sitzung mitbekommen haben wollte, auch nicht, dass die MBI-Frau bereits in der BV-Sitzung im Juni 2012 unmittelbar Herrn Beisiegel, Referent des zuständigen Dezernenten, geantwortet hatte, dass sie nicht gesagt habe, was er verstanden haben wollte, machte ihn wenig glaubwürdig. Das Landgericht machte zudem deutlich, dass dem amtsinternen e-mail-Verkehr die Vermutung zu entnehmen sein kann, dass ihm von oben die Formulierung nahe gelegt worden sein konnte, so dass er später diese als Realität empfunden habe.
 
Von dem beanstandeten Satz war auch nichts im Protokoll vermerkt, was auch Herr Beisiegel nicht beantragt hatte, der sich in der BV-Sitzung auf den Schlips getreten fühlte und einen Korruptionsvorwurf an die Verwaltung gehört haben wollte, woraufhin Frau Klövekorn richtig gestellt hatte, das habe sie doch gar nicht gesagt. Was genau sie gesagt haben soll, wusste Beisiegel auch nicht und auch ihm war laut e-mail-Verkehr der beanstandete Satz womöglich eher in den Mund gelegt worden.
 
Jedenfalls hatte keine/r der anderen vielen Zeugen den Satz, der angeblich eine Straftat darstellen soll, in Erinnerung, noch dass überhaupt ein strafrechtlich relevanter Vorgang in der BV vor zwei Jahren stattgefunden habe. Aus all diesen Gründen konnte auch das Landgericht den Freispruch jetzt nur bestätigen.
 

Maulkorb? Nein Danke"
Quelle: MBI
Ebenfalls unklar ist, wen denn Frau Klövekorn beleidigt und „beschädigt“ haben sollte, wofür sie per Strafbefehl erst zu 750 € + Anwalts-, Gerichts- und Zeugenkosten und im 2. Versuch gar zu 900 € + NK verurteilt werden sollte. Erst nahmen StA und Amtsgericht Herrn Beisiegel als „Geschädigten“. Weil das sich in der ersten Verhandlung als unzutreffend erwies, weil es nicht einmal in der Strafanzeige als solcher angegeben wurde, musste das Verfahren eingestellt werden. Weil die Stadt aber auf ihrer Strafanzeige und der Bestrafung der MBI-Frau beharrte, erließ die StA einen neuen Strafbefehl, nun mit einem neuen angeblich beleidigten Herrn Weiler, der Frau Klövekorn bis dahin vollständig unbekannt war. Sie hatte, unabhängig welchen Wortlaut sie in der damaligen BV-Sitzung gewählt hatte, ohnehin keine konkreten Personen genannt, noch der Korruption verdächtigt, und schon gar nicht den ihr unbekannten Herrn Weiler. Ferner hatte sie bereits in der Sitzung richtig gestellt, dass sie überhaupt nicht von Korruption gesprochen hatte. Damit wäre für „normale“ Menschen der Vorgang ohnehin abgeschlossen gewesen, weshalb auch weder die Protokollantin, noch der Vertreter des Ratsamts, noch alle befragten BV-Vertreter etwas dazu sagen konnten, weil sie das alle als unwesentlich abgehakt und längst vergessen hatten.
 
Nicht so allerdings das Rechtsamt und die Mülheimer OB Dagmar Mühlenfeld. Sie stellten drei Monate später Strafanzeige, basierend auf der o.g. eidesstattlichen Versicherung des einen Beamten und den Aussagen des Herrn Beisiegel. Bezeichnend auch, dass der zuständige Dezernent davon nichts wusste. Das Ganze war anscheinend ein Alleingang von OB Mühlenfeld, um mit Hilfe des Rechtsamts ein weiteres Mal der Fraktion der Mülheimer BürgerInitiativen (MBI) eins auszuwischen.
 
Nach der höchst peinlichen Einstellung des Verfahrens im ersten Versuch hätten diese ihre wackelige Strafanzeige zurückziehen können, doch sie weigerten sich. So nahmen die Dinge ihren absurden Lauf mit sehr viel verschwendeter Energie, Zeit, Geld, man- und women-power - und wofür?
 
Zu den eigentlich wichtigen Fragen des gesamten erneuten Strafprozesses gegen MBI-ler wegen Strafanzeigen der OB (bereits der dritte oder vierte gescheiterte Versuch!) konnten alle vier Gerichtsverhandlungen gegen Frau Klövekorn nicht einmal vordringen. An erster Stelle die Frage, wo denn Grenzen der Meinungsfreiheit für Volksvertreter überhaupt liegen, und ob diese jedes kritische Wort zur Verwaltung auf die Goldwaage legen müssen oder gar immer einen Anwalt zur Seite brauchen. Zum zweiten die Frage, ob denn ein allgemeiner Vorwurf gegen die Stadt bzw. die Stadtverwaltung überhaupt als Beleidigung gegen eine nicht genannte und gemeinte Person gewertet werden darf, selbst wenn diese, anders als im Falle von Frau Klövekorn, dem/der Kritisierenden bekannt ist.
 
Gegen den erneuten Freispruch für die MBI-Frau kann Revision eingelegt werden. Sollte die StA dies tun, werden beim OLG Düsseldorf diese verfassungsmäßigen Fragen in den Vordergrund rücken. Und dann wird die OB Mühlenfeld eine ähnlich schallende Ohrfeige ernten wie 2010 beim sogenannten „Karikaturenstreit auf Mölmsch“ gegen einen MBI-Aktiven.
 
Insgesamt war der heutige erneute Freispruch für Annette Klövekorn zumindest ein kleiner Sieg für die Meinungsfreiheit.
 
Natürlich kann und muss man sich fragen, worum es eigentlich wirklich geht bei solch einem absurden Verfahren und ob das krisengeschüttelte Ruhrgebiet keine anderen Probleme hat als Verwaltungsangestellte und gewählte Volksvertreter zum wiederholten Male mit derartig aufgesetzten Repressionsversuchen zu beschäftigen! Unabhängig davon sollte man bedenken, dass die StA Duisburg eigentlich auch genug zu tun haben müsste, um z.B. endlich mit den Verfahren zur loveparade-Tragödie zu Potte zu kommen oder die diversen Duisburger Skandale wie Küppersmühle, Landesarchiv usw. zu bearbeiten. Dass die StA Duisburg auch bei Strafanzeigen gegen Mülheimer Misswirtschaft wie dem Verzocken von Millionen durch swaps oder den unrechtmäßig in die Stadtkasse überführten Überschüssen aus Abwassergebühren keine Notwendigkeit genauer Ermittlungen sah, ist auch kein Ruhmesblatt und steht im Gegensatz zu der Beharrlichkeit, mit der sie die MBI-Frau bisher bestrafen will.
 
Das Strafverfahren gegen die MBI-Frau ist leider kein Einzelfall! Im Gegenteil, man denke nur an den Anwohner des Klöttschen, der einen Strafbefehl über 750€ + 60€ Verfahrensgebühr (Rentnertarif?) bezahlen musste, weil er auf einer Bürgerversammlung zum weiteren Ausbau der ohnehin bereits völlig überlasteten kleinen Straße für Durchgangsverkehr die Mülheimer Verkehrsplaner als „totale Versager“ bezeichnet hatte (was im Übrigen die Mehrheit der Mülheimer genauso sieht!). Die NRhZ berichtete im Dezember 2012 darüber.
 
Und was hat die Mülheimer OB nur geritten, die Strafanzeige gegen Frau Klövekorn zu stellen und sie nicht schon nach der oberpeinlichen “Panne” im Mai letzten Jahres unverzüglich zurückzuziehen? (PK)
 
Lothar Reinhard ist Fraktionsvorsitzender der Mülheimer BürgerInitiativen (MBI) im Stadtrat.


Online-Flyer Nr. 475  vom 10.09.2014



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