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Krieg und Frieden
Eine Chronologie der Ereignisse in der Ukraine und ihre Folgen
„Die Eroberung Europas durch die USA“
Von Wolfgang Bittner

Könnte es sein, dass an der Ukraine-Krise und dem dortigen Bürgerkrieg die westliche Allianz Schuld hat und nicht Russland, wie in unseren „Qualitätsmedien“ seit Monaten ständig zu lesen, zu hören und zu sehen ist? Schon wer diese Frage stellt, gilt als Putinversteher oder Russlandfreund, was für Journalisten in Europa und den USA einem Suizid gleichkommt. Aber wer unvoreingenommen hinter die Kulissen schaut, was gar nicht schwierig ist, kommt Unglaublichem auf die Spur.
 

Soeben im Verlag André
Thiele (VAT) erschienen
Angefangen hat es mit der politischen Destabilisierung der Ukraine schon lange vor der Maidan-Bewegung und auch vor der „orangenen Revolution“, durch die nach Wahlfälschungen Julia Timoschenko an die Macht kam, eine kriminelle Milliardärin, die 2011 wegen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Freiheitsentzug verurteilt wurde und bis Anfang 2014 in Haft war. Die Verhandlungen wegen eines Assoziierungsabkommens der EU mit der Ukraine stagnierten immer wieder, weil die Regierung Janukowitsch der Forderung nach einer Freilassung von Timoschenko nicht nachkam. Janukowitsch hat schließlich die Ratifizierung des Abkommens verweigert, weil das den bedingungslosen Anschluss an die Europäische Union unter Zurückweisung Russlands und Missachtung der von Moskau initiierten Zollunion bedeutet hätte.
 
Hier zeichnete sich das Ziel der EU-Expansionsstrategie ab, sich die Ukraine als Brückenland von großer geostrategischer Bedeutung und Tor zu Russlands Ressourcen einzuverleiben, was sich mit den Interessen der US-Regierung nach langjähriger Wühlarbeit deckte. Dass dies zu schwerwiegenden Konflikten führen musste, war abzusehen.
 
Subversive Einflussnahme der USA
 
Als der Anschluss der Ukraine an den westlichen Block auf diplomatischem Wege nicht gelang, ging es nach einigen fragwürdigen politischen Intermezzos und Einmischungen in die innerstaatlichen Angelegenheiten des Landes subversiv mit der Maidan-Bewegung weiter. Daran waren von Anfang an nicht nur demokratische-oppositionelle Kräfte beteiligt, sondern maßgeblich auch Nationalisten und ausländische Geheimdienste. Letzteres wurde publik durch ein abgehörtes Telefonat der EU-Beauftragten des US-Außenministers, Victoria Nuland, mit dem US-Botschafter in Kiew, Geoffrey Pyatt.
 

Wolfgang Bittner
NRhZ-Archiv
Danach plante Washington bereits das Szenario für die Zeit nach dem lange vorbereiteten Staatsstreich und favorisierte seinen Günstling, den Oligarchen Arsenij Jazenjuk, der dann auch Ministerpräsident wurde. Seine Stiftung Open Ukraine pflegt intensive Beziehungen zum US-Außenministerium und zur NATO und wird von einflussreichen westlichen Organisationen gesponsert. Schon am 13. Dezember 2013 renommierte Victoria Nuland in Kiew damit, dass die USA mehr als fünf Milliarden Dollar für den „Regime Change“ in der Ukraine investiert hätten. Inzwischen hat der neue ukrainische Staatspräsident Petro Poroschenko das Assoziierungsabkommen mit der EU, durch das westliche Konzerne in erheblichem Umfang begünstigt werden, unterzeichnet.
 
Eskalation
 
Während der Unruhen war Julia Timoschenko die Vorzeigeoppositionelle des Westens. Als am 20. Februar auf dem Maidan-Platz mehr als hundert Demonstranten und Polizisten in einem ungeheuerlichen Blutbad zum Teil hinterrücks erschossen wurden, wiesen sie und die westlichen Politiker dem 2010 gewählten Staatspräsident Victor Janukowitsch die Schuld zu. Die Situation eskalierte. Am 22. Februar wurde Timoschenko aus der Haft entlassen, Anfang März 2014 als Wunschkandidatin für das neu zu besetzende Amt des ukrainischen Ministerpräsidenten zusammen mit dem ehemaligen Boxer Vitali Klitschko von der deutschen Bundeskanzlerin empfangen. Das Verhältnis kühlte sich erst ab, nachdem Timoschenko geäußert hatte, sie wolle Putin in den Kopf schießen und „diese verdammten Russen abknallen“. Außerdem hatte die US-Regierung andere Pläne.
 
Noch während der Unruhen reisten die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Polens nach Kiew, um Präsident Janukowitsch einen „Fahrplan“ zur Beilegung der politischen Krise in der Ukraine vorzulegen und die Maidan-Bewegung gegen die gewählte Regierung zu stärken. Steinmeier traf sich auch mit Wortführern der Opposition, ebenso Anfang März der US-Außenminister John Kerry – eine erneute eklatante Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates. Es fragt sich, was geschehen wäre, wenn der russische Außenminister die Occupy-Demonstranten im Herbst 2011 in Frankfurt am Main gegen die deutsche Regierung aufgewiegelt hätte.
 
Nachdem militante nationalistische Kräfte, die vom Westen unterstützt wurden, das Geschehen dominierten, die Sicherheitskräfte attackierten, Rathäuser besetzten und Morde begingen, zog sich ein großer Teil der für freiheitlich-demokratische Verhältnisse eintretenden Demonstranten zurück. Janukowitsch musste aufgrund der gewalttätigen Proteste um sein Leben fürchten. Er floh nach Russland und eine „Übergangsregierung“ unter Vorsitz von Arsenij Jazenjuk übernahm in Kiew die Macht. Als erstes war im Gespräch, die russische Sprache in der Ukraine zu verbieten. Am 12. März wurde Jazenjuk, der bereits am 17. Februar zu Besuch bei Kanzlerin Merkel in Berlin war, von Präsident Obama empfangen. Zuvor hatte Kerry ihm bereits die volle Unterstützung der Vereinigten Staaten und Kreditgarantien in Höhe einer Milliarde Dollar zugesagt.
 
Von den westlichen Medien kaum problematisiert wurde Jazenjuks Kooperation mit den militanten Rechtsextremisten. Dass sich aber die überwiegend russisch sprechenden Ostukrainer nicht „von einer Sammlung von Verbrechern, Abkömmlingen ukrainischer Nazis und in den IWF und die EU verliebten Oligarchen“ regieren lassen wollten – so der niederländische Politikwissenschaftler Karel van Wolferen –, ist nur zu verständlich.
 
Folgen des Umsturzes
 
Infolge des Staatsstreichs in Kiew kam es zu einer separatistischen Bewegung unter der russischsprachigen Bevölkerung auf der Krim, deren Parlament nach einem am 16. März durchgeführten Referendum die „Republik Krim“ ausrief und der Russischen Föderation beitrat. Das geschah friedlich, im Einvernehmen mit der Bevölkerung. Obama und Merkel wie auch andere europäische Staatschefs protestierten dann scharf dagegen und kündigten Sanktionen an. Mitte April besuchten US-Vizepräsident Joe Biden und der CIA-Chef John Brennan ihre Marionette Jazenjuk, und stärkten ihm den Rücken. Was insbesondere der CIA-Chef in der Ukraine zu suchen hatte, wurde in den westlichen Medien nicht hinterfragt.
Die russische „Annexion“ der Krim wurde als Bruch des Völkerrechts verurteilt und dient weiterhin der Kampagne gegen Russland, wobei die Hintergründe wie auch das Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerung, das sonst so hochgehalten wird, keine Rolle spielen. Die Frage stellt sich, ob die westlichen Militärs wirklich so dilettantisch sind oder so naiv waren anzunehmen, dass Russland die fortschreitende Einkreisungspolitik widerstandslos hinnehmen und seinen Flottenstützpunkt am Schwarzen Meer in Frage stellen lassen würde.
 
Davon war nicht auszugehen, denn bereits 2007 hatte Wladimir Putin, der nun für alles herhalten sollte, auf der Münchner Sicherheitskonferenz die NATO-Osterweiterung einen „provozierenden Faktor“ genannt, der „das Niveau des gegenseitigen Vertrauens senkt“. Er stellte die Frage: „Gegen wen richtet sich diese Erweiterung? Und was ist aus jenen Versicherungen geworden, die uns die westlichen Partner nach dem Zerfall des Warschauer Vertrages gegeben haben?“
 
Nach der Krim sagten sich auch andere ostukrainische Gebiete von der Putschregierung in Kiew los, und im April 2014 wurden die Volksrepubliken Donezk und Luhansk ausgerufen. Daraufhin starteten die westukrainische Nationalgarde und Teile der Armee eine mörderische „Anti-Terror-Operation“, die sich rasch zum Bürgerkrieg ausweitete.
 
Lügen, Hetze und das Versagen der westlichen Medien
 
Die Ukraine wurde zum Spielball machtpolitischer und wirtschaftlicher Interessen. Es gab fortwährend ernsthafte Provokationen, Verbrechen und Morde der prowestlichen Separatisten in Kiew. Zum Beispiel ging aus einem abgehörten Telefongespräch hervor, dass die Todesschützen am Maidan-Platz nicht im Auftrag des gestürzten Präsidenten Victor Janukowitsch gehandelt haben sollen, sondern im Auftrag einer Gruppe, die der neuen Koalitionsregierung angehörte und auch in der neuen Regierung wichtige Ämter besetzt hat. Wer wundert sich unter diesen Umständen, dass die Morde bis heute nicht aufgeklärt wurden? Die westlichen Medien schweigen dazu. Selbst die Ermordung von 48 prorussischen Demonstranten in Odessa, wo prowestliche Nationalisten das Gewerkschaftshaus in Brand gesetzt hatten, war keinen Leitartikel wert.
 
Eine erneute heftige Medienkampagne gegen Russland und wieder namentlich gegen Putin gab es, nachdem am 17. Juli 2014 ein malaysisches Passagierflugzeug (Flug MH 17) mit 295 Passagieren über der Ostukraine abgestürzt war. Noch bevor eine Untersuchung begonnen hatte, verursachten die Medien einen Sturm der Entrüstung und des Hasses gegen Russland. NATO-Generalsekretär Rasmussen forderte die Mitgliedstaaten der Militärallianz auf, ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen, und Obama und Merkel verkündeten weitgehende Sanktionen gegen Russland, die vor allem die deutsche Wirtschaft in erheblichem Maße schädigen.
 
Maßgebend ist in allem die US-Regierung, deren katastrophale Außenpolitik zu immer neuen Krisen führt, die dann mit militärischen Mitteln eingegrenzt werden sollen. So auch jetzt wieder gegen den sogenannten IS (Islamischer Staat), dessen Erstarken die USA erst ermöglicht haben. Seit der Auflösung der Sowjetunion betreiben die Vereinigten Staaten überall in der Welt eine aggressive Politik der Zerstörung staatlicher Strukturen und der wirtschaftlichen Okkupation, und vieles deutet darauf hin, dass ihnen nichts an einem wirtschaftlich starken, friedlichen Europa liegt.
 
Der ehemalige Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium und OSZE-Vizepräsident Willy Wimmer (CDU), analysiert das wie folgt: „Washington schmeißt Russland aus Europa hinaus und bekommt Westeuropa unter Komplett-Kontrolle. […] Wir Westeuropäer sollten uns nichts vormachen. Wir werden zum „Europäer-Gebiet …“ In der Tat scheint die Strategie der US-Regierung darauf hinzuzielen. Zu hoffen ist, dass die führenden europäischen Politiker das begreifen und reagieren. Immerhin gibt es in letzter Zeit Anzeichen einer Ernüchterung im Verhältnis zu den USA. (PK)
 
Wolfgang Bittner ist Jurist und Schriftsteller. Soeben erschien bei VAT in Mainz sein faktenreiches Buch „Die Eroberung Europas durch die USA“, 148 Seiten, 12,90 Euro.


Online-Flyer Nr. 482  vom 29.10.2014



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