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Krieg und Frieden
Pazifismus und konkrete Mittel gegen Militarisierung der Außen- und Innenpolitik
Rüstungskonversion und Zivilklausel
Von Dietrich Schulze
Anfang Oktober wurde aus einem Bericht von Sabine Lösing (Koordinatorin der linken GUE/NGL-Fraktion im EU-Parlament) bekannt [1], dass die neue EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini die Militarisierung der Europäischen Union kräftig vorantreiben will. Sie will die Unterwerfung der EU-Außen- und Entwicklungspolitik unter militärische Imperative, die Verstärkung der zivil-militärischen Zusammenarbeit und immer mehr Geld für Militärforschung.
Online-Flyer Nr. 483 vom 05.11.2014
Pazifismus und konkrete Mittel gegen Militarisierung der Außen- und Innenpolitik
Rüstungskonversion und Zivilklausel
Von Dietrich Schulze
Anfang Oktober wurde aus einem Bericht von Sabine Lösing (Koordinatorin der linken GUE/NGL-Fraktion im EU-Parlament) bekannt [1], dass die neue EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini die Militarisierung der Europäischen Union kräftig vorantreiben will. Sie will die Unterwerfung der EU-Außen- und Entwicklungspolitik unter militärische Imperative, die Verstärkung der zivil-militärischen Zusammenarbeit und immer mehr Geld für Militärforschung.
Neue EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini
Quelle: http://www.euractiv.de/
Bekanntlich haben die Deutschen seit geraumer Zeit betreffend EU-Politik und EU-Spitzenpersonal die Hosen an. Das ist exakt die hierzulande verfolgte Aufrüstung auf allen Gebieten. Die kritischen Berichte und Konferenzen darüber sind kaum noch zu überblicken. Der allgemeine Tenor zur Militarisierung im Blick auf die deutsche Geschichte: Ablehnung, Ablehnung, Ablehnung. Die vorherrschende Politik hingegen verteufelt den Pazifismus [2] und hat inzwischen aus dem „NIE WIEDER!“ nach der Befreiung ein „NIE WIEDER KRIEG OHNE DEUTSCHLAND!“ gemacht.
Genügt es, die neudeutsche Kriegspolitik anzuprangern? Das Anprangern ist wichtig, aber es genügt nicht. Es muss gelingen, konkrete materielle und ideelle Erfolge zusammen mit engagierten und couragierten Menschen zu erzielen. Das soll an zwei Schlüsselprojekten „Rüstungskonversion in der Industrie“ und „Zivilklausel in der Bildung“ etwas genauer dargestellt werden.
Beides spielte vor kurzem eine Rolle bei einer Veranstaltung in Karlsruhe mit Jürgen Grässlin über sein »Schwarzbuch Waffenhandel« und den "unrühmlichen" dritten Platz Deutschlands in der Welt als Waffenexporteur.
Das war verbunden mit einer Presseerklärung der Aktion „Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ über den Rüstungsexportbericht 2014, der den Charakter eines Offenbarungseids hat. [3] In der Presseerklärung ist u.a. „ein sofortiges Förderungsprogramm zur Rüstungskonversion“ und die „Umstellung auf eine nachhaltige, ethisch verantwortbare Zivilfertigung“ gefordert worden.
Grässlin erwähnte dazu eine aktuelle Resolution der Delegiertenversammlung der IG Metall Stuttgart [4], in der es heißt: „Rüstungsproduktion ist menschenverachtend sowie eine ungeheure unnütze Verschwendung von Ressourcen aller Art. … Arbeitsplatzverluste in der Rüstungsindustrie sind durch Wandlung in Arbeitsplätze zur Herstellung ziviler, gesellschaftlich notwendiger Produkte zu kompensieren. Rüstungsarbeitsplätze erfordern Investitionen in teure Technologie. Für dieses Geld können in anderen Bereichen (Bildung, Gesundheit…) mehr und gesellschaftlich sinnvolle Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Konversionsdebatte muss in den Rüstungsbetrieben nachhaltig geführt werden. Hier übernimmt die IG Metall eine aktive und steuernde Rolle.“ Das ist ein gutes Signal gegen die IG Metall-Betriebsratsfürsten, die High-Tech-Rüstung wegen der Arbeitsplätze im
O-Ton ihrer Arbeitgeber propagieren. Was das zum Beispiel konkret für Daimler heißt, wird man noch erfahren. In der Diskussion hat sich der Autor auf die Presseerklärung und die Resolution bezogen und in Erinnerung gerufen, welche mobilisierende Rolle ein einziges konkretes Beispiel von Rüstungskonversion entwickeln würde. Letztlich setzt nur das von Unten real Erkämpfte Zeichen der Hoffnung. Das ist den Älteren in der IG Metall noch im Gedächtnis aufgrund der Proteste gegen die U-Boot-Lieferung an die Diktatur in Chile.
Jürgen Grässlin
Quelle: Augsburger Friedens-Ini
Jürgen Grässlin
Quelle: Augsburger Friedens-Ini
Jürgen Grässlin bat den Autor in der Versammlung explizit etwas zu einer ähnlichen Thematik an den Hochschulen, zur Zivilklausel zu sagen. Hierbei geht es darum, Forschung und Lehre ausschließlich zivilen Zwecken zu widmen und Rüstungsforschung zu unterbinden. Eine auch nur ansatzweise Gesamtschau hätte den Veranstaltungsrahmen komplett gesprengt. Deswegen konnte nur ein einziges virulentes Problem am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) herausgegriffen werden. Erst im Mai wurde bekannt [5], dass KIT in militärische Atomforschung verwickelt ist. Ein unerhörter Vorgang, der selbst gegen das insofern dürftige KIT-Gesetz verstößt. Dazu war eine kleine Druckschrift der Initiative gegen Militärforschung an Universitäten unter dem Titel „Militärische KIT-Atomforschung“ [6] verteilt worden. Dabei geht es um eine geräuschlose Flüssigmetall-Kühlung für atomare Leistungsreaktoren, die besonders für Atom-U-Boote geeignet sind. Fraglos viele Länder incl. Russland, die Atom-U-Boote einsetzen, haben ein gesteigertes Interesse daran. Mit dieser Forschung muss unverzüglich Schluss gemacht werden. Entsprechende Gegenmaßnahmen sind in Arbeit.
Gibt es denn Hochschulorte, an denen Zivilklausel und Rüstungskonversion eine verbindende Rolle spielen oder gespielt haben. Ja, und zwar ein sehr schönes in der Rüstungshochburg an der Weser [7]. An der Uni Bremen gibt es seit 1986 infolge der Ablehnung von Reagan’s Star War Programm eine Zivilklausel. Die sollte Mitte 2011 nach dem Willen des Chefs der Weltraumrüstungsschmiede OHB Systems, die eng mit der Bundeswehr zusammenarbeitet (SAR-Lupe), gestrichen werden, weil er sonst keinen Stiftungslehrstuhl für Weltraumforschung an der Uni finanzieren würde. Dagegen bildete sich ein breites Bündnis, das dem entgegentrat und als Alternative die Einrichtung eines Lehrstuhls für Rüstungskonversion forderte. Der hätte genug zu tun gehabt, den Beschäftigten der Bremer Rüstungsbetriebe dabei zu helfen, ein Konversionsbeispiel zu schaffen.
Und das besonders Wichtige daran. Die Zivilklausel ist nicht nur ein Gegenmittel zur Rüstungsforschung, sondern vor allem auch ein Fördermittel für zivile Forschung und Lehre. Die Schaffung eines Rüstungskonversions-Lehrstuhls wäre ein Meilenstein geworden. Nun gut, die Zivilklausel wurde gerettet und sogar in die Uni-Leitlinien eingetragen, der Lehrstuhl geriet in Vergessenheit. Wohl nicht zuletzt deshalb, weil es damals in der Bremer IG Metall keine Initiative gegeben hat, wie jetzt in Stuttgart. Könnte sich das ändern?
Leider ist das noch nicht das Schlimmste. Der OHB-Chef blieb hartnäckig, lernte die Zivilklausel lieben und diese zu unterlaufen. Dabei half ihm der Uni-Rektor und es wurde eben doch die besagte Stiftungsprofessur eingerichtet mit einem Prof. Claus Braxmaier aus Konstanz, der dort eng mit dem Rüstungsgiganten EADS zusammengearbeitet hatte. Selbstredend war er für die Zivilklausel. Diese Professur, ein glatter Verstoß gegen die Zivilklausel. Das ehemalige Bremer Protestbündnis ließ sich täuschen und hat jeglichen Protest gegen den fortgesetzten Zivilklausel-Verstoß eingestellt. Der Autor hat das im Kontext mit ähnlichen Negativ-Entwicklungen in der NRhZ unter dem Titel „Zivilklausel-Verstöße: Was tun?“ [8] zusammen gestellt.
Dem objektiv negativen Tenor sei aus dem Artikel das optimistische Zitat beiseite gestellt: „Nichts ist überzeugender als ein selbst erstrittener Erfolg. Das ist aufgrund der Kriegspolitik des „Trio infernale“ nicht leichter geworden. Auch früher war das nicht leicht. Das Verständnis der politischen Entwicklungen ist wichtig. Es bleibt aber nutzlos, wenn nicht persönlich der Versuch einer solidarischen Umsetzung der Erkenntnisse gemacht wird.“
Die duale Thematik Rüstungskonversion / Zivilklausel ist hochinteressant auch für die Bodensee-Region, Kiel, Jena, Augsburg und München, um nur fünf weitere Standorte zu benennen. Mehr in der WebDoku der Initiative (s. Impressum).
Die gemeinsame gedankliche Grundlage für Rüstungskonversion und Zivilklausel ist, alle Konflikte und Krisen überall in der Welt gewaltfrei mit ausschließlich zivilen Mitteln zu lösen. Das nennt man Pazifismus. Arbeiter und Studierende, die das sinngemäß denken, können nicht gebraucht und toleriert werden, um die neue Kriegspolitik mit zu tragen und voran zu bringen. Also wird der Pazifismus verteufelt [2].
Quelle: AG Friedenforschung Kassel
Quelle: AG Friedenforschung Kassel
Hiergegen gibt es einen deutlichen Nachholbedarf. In der Webseite der AG Friedensforschung des Kasseler Friedensratschlags, eines der bedeutendsten Friedensnetzwerke, endete die Pazifismus-Debatte vor mehr als einem Jahr [9]. Das ist ganz gewiss der furchtbaren Menge an Aktivitäten gegen Militarisierung und Kriegspolitik geschuldet, wie sie in der Tagesordnung des Friedensratschlags am 6./7. Dezember [10] mit vielfältigen internationalen Aspekten zum Ausdruck kommt. Das ist selbst bei derjenigen Organisation, deren Gründungsgedanke der Pazifismus in Form der Kriegsdienstverweigerung ist, nicht selbstverständlich. Die Kampagne „Schulfrei für die Bundeswehr – Lernen für den Frieden“ will in ihrer Sitzung am 6. November einen Pazifismus-Kongress [11] erwägen. Der IMI-Kongress [12] am 16./15. November wird sich mit der materiellen und ideellen Seite der neudeutschen Großmachtpolitik befassen. Das Zivilklausel-Arbeitstreffen [13] am 24./25. Januar könnte den einen oder anderen Pazifismus-Aspekt beleuchten. Es bleibt viel zu tun.
Noch etwas Originelles zum Schluss mit Bezug auf die eingangs zitierte EU-Außen- und Entwicklungspolitik. Die entwicklungspolitische Sprecherin der LINKEN Bundestagsfraktion Heike Hänsel teilte im März zum erneut mickrigen Etat des Entwicklungsministeriums mit, dass die LINKE die Beendigung der zivil-militärischen Zusammenarbeit fordert und für alle Instrumente der deutschen Entwicklungszusammenarbeit eine Zivilklausel beantragt [14a]. Im April forderte sie im Bundestag, "dass der Europäische Entwicklungsfonds für rein zivile Zwecke verwendet wird! Wir wollen eine Zivilklausel für die Ausgaben auf europäischer Ebene." [14b] Diese innovative Zivilklausel schließt selbstverständlich die Rüstungskonversion ein. (PK)
Dr.-Ing. Dietrich Schulze (Jg. 1940) war nach 18-jähriger Forschungstätigkeit im Bereich der Hochenergie-Physik von 1984 bis 2005 Betriebsratsvorsitzender im Forschungszentrum Karlsruhe. 2008 gründete er mit anderen in Karlsruhe die Initiative gegen Militärforschung an Universitäten (WebDoku www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf). Er ist Beiratsmitglied der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit sowie in der Initiative „Hochschulen für den Frieden – Ja zur Zivilklausel“ und publizistisch tätig.
Online-Flyer Nr. 483 vom 05.11.2014