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Krieg und Frieden
Kündigung des Atomabkommens mit Brasilien nach 40 Jahren durchsetzen
Sagt dem Bombendeal adieu!
Von Dietrich Schulze
Diese Veröffentlichung möge als Aufruf an die Abgeordneten des Bundestags verstanden werden, die fristgerechte Kündigung des „Abkommens zwischen der Föderativen Republik Brasilien und der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Kernenergie” vom 27. Juni 1975 ab dem 18. Oktober 2014 zu unterstützen. Der Vertrag war von Beginn an auf die Schließung des atomaren Brennstoffkreislaufs als Voraussetzung für die brasilianische Atombombe ausgerichtet.
Online-Flyer Nr. 485 vom 19.11.2014
Kündigung des Atomabkommens mit Brasilien nach 40 Jahren durchsetzen
Sagt dem Bombendeal adieu!
Von Dietrich Schulze
Diese Veröffentlichung möge als Aufruf an die Abgeordneten des Bundestags verstanden werden, die fristgerechte Kündigung des „Abkommens zwischen der Föderativen Republik Brasilien und der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Kernenergie” vom 27. Juni 1975 ab dem 18. Oktober 2014 zu unterstützen. Der Vertrag war von Beginn an auf die Schließung des atomaren Brennstoffkreislaufs als Voraussetzung für die brasilianische Atombombe ausgerichtet.
Vertragsunterzeichnung 1975 mit Außenminister Genscher
Quelle: Lateinamerika-Nachrichten 1980
Die Regierung Helmut Schmidt feierte den Vertrag als größtes deutsches Technologie-Exportgeschäft gegen die mächtige Konkurrenz der USA. Nach einer Pause aufgrund der Überwindung der Diktatur wird die Bombe erneut gefordert. 2009 begründete Vizepräsident José Alencar die Bombe als Instrument der "Abschreckung“ aufgrund der reichen Offshore-Ölvorkommen vor der 15.000 Kilometer langen Küste. Damit werde auch die internationale Bedeutung Brasiliens erhöht, zitiert ihn der Experte Hans Rühle, ehemals Leiter des Planungsstabs im Bundesverteidigungsministerium im SPIEGEL 2010 [1].
Wie der SPIEGEL Ende März [2] berichtete, habe es bereits 2004 unter Rot-Grün gemeinsame Ausstiegspläne gegeben, die an Minister Clement (SPD) gescheitert seien. In der Opposition habe es erneut Einigkeit gegeben, den Ausstieg zu fordern. Nun unter Schwarz-Rot übernimmt Minister Gabriel (SPD) die CDU-Argumentation, mit der Fortsetzung des Vertrags "einen Beitrag zur Verbesserung der Sicherheit von kerntechnischen Anlagen in Brasilien" leisten zu wollen. So die Antwort auf eine Kleine Anfrage der GRÜNEN. Ein schmutziges, friedenspolitisch höchst gefährliches Spiel, ganz zu schweigen vom Widerspruch zum Atomausstieg und der Notwendigkeit der Förderung der erneuerbaren Energien.
Dankenswerterweise bleibt die GRÜNE Bundestagsfraktion Ihrer Position treu. Auf Initiative der atompolitischen Sprecherin MdB Sylvia Kotting-Uhl wurde im September trotz erheblicher Aussichtslosigkeit bei den gegenwärtigen Mehrheitsverhältnissen ein förmlicher Antrag an den Bundestag gestellt [3] und am 6. November in ihrer Bundestagsrede mündlich begründet. Die brasilianische Antiatom-Bewegung hatte im Oktober ihre Zustimmung mitgeteilt [4].
Die Bomben-Ankündigung des brasilianischen Vizepräsidenten ist keine leere Drohung. Die Vorbereitung läuft über die Ausrüstung mit Atom-U-Booten. Obwohl, wie in [1] genauer ausgeführt wird, Brasilien per Verfassung die nuklearen Aktivitäten auf "friedliche Zwecke" beschränkt und den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet hat, wird dieser unterlaufen. Der IAEA wurde die uneingeschränkte Kontrolle der Urananreicherungsanlage verweigert und die Atom-U-Boot-Entwicklung ist zum militärischen Sperrgebiet erklärt worden, zu dem IAEA-Inspektoren keinen Zutritt haben. Dieser offene Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag wird als Verhandlungssache deklariert.
Es lohnt sich, einen Blick in die Vorgeschichte zu werfen, die sehr viel mit den Kernforschungszentren Jülich und Karlsruhe zu tun hat und mit der Aufklärungsarbeit der in Karlsruhe ansässigen „Initiative gegen Militärforschung an Universitäten“. Das können angesichts einer 70-jährigen Vorgeschichte nur ungeordnete Gedankensplitter sein, verbunden mit der Anregung, die zitierten links zu studieren.
Zuerst seien die Lateinamerika-Nachrichten genannt, die die Zusammenhänge 1980 mit der Broschüre "Das deutsch/brasilianische Bombengeschäft" auf den Punkt gebracht haben [5]. In tazblogs wurde das anlässlich des bevorstehenden 40. Jahrestags in einem Hintergrundbeitrag im Kontext der „Nunca Mais“-Brasilientage 2014 aufgegriffen [6].
Welche Pläne die Bundesrepublik mit den Atomexporten in Diktaturen verfolgte, war in der Zivilklausel-Tagung im Juni 2012 am Karlsruher Institut für Technologe KIT von Harry Block (langjähriger Antiatom-Experte aus Karlsruhe) in dessen Beitrag „Option Atomwaffenstaat?“ [7] untersucht worden.
Unterzeichnung deutsch-brasilianischer Zusatz-Vertrag 1978
Quelle: Film „Bombenwahn“ 1989
In ähnlichem Sinne war 1989 von Karlsruher attac-Aktiven um Georg Rammer und Siggi Mutschler-Firl ein einzigartiger Dokumentarfilm mit dem Titel „Bombenwahn“ [8] über 33 Jahre Kernforschungszentrum geschaffen worden, mit Dokumenten und Interviews über die Atom-Nazis Greifeld und Schnurr und deren Atomtechnologie-Exportpolitik an Diktaturen zwecks Atomwaffenherstellung auf fremden Boden. Unter den Interview-Partnern Harry Block und Wolff Geisler aus Köln aus der Anti-Apartheid-Bewegung. Dort wird über eine weitere Vertragsunterzeichnung mit Brasilien im Jahre 1978 im Kernforschungszentrum Karlsruhe berichtet. Im Bild brasilianische Diplomaten und Militärs mit dem Vorstandsvorsitzenden Rudolf Harde (links) bei der Unterzeichnung eines Vertrags über die Technologie-Unterstützung bei der Urananreicherung, unerlässlich für den inzwischen geschlossenen atomaren Brennstoffkreislauf.
In Karlsruhe gab es in den 80er Jahren ein gesellschaftskritisches Magazin namens KiK. Dort erschien im Juni/Juli 1982 eine absolut lesenswerte Zusammenfassung der Vorgänge bis in die Nazi-Atomwaffenforschung zurück unter dem Titel "Das deutsche Atom-Kartell“ - Von Hitlers Atombombenprojekt zum „Schnellen Brüter“, gerettet dank stattweb.de [9], Darin ist übrigens das obige Bild aus „Bombenwahn“ als Bildmontage vor dem Hintergrund der Trenndüsen-Anlage zur Urananreicherung enthalten.
Aus einem bewegenden Grund hatte der Autor im Mai 2011 eine dreiteilige Artikelserie unter dem Titel „Zerbrecht die Plutonium-Tritium-Diktatur“ geschrieben, die in die Neue Rheinische Zeitung online gestellt wurde [10]. Hier nur die Schlagzeilen: ● Warum Alt-Nazis unter Adenauer Kernforschung betreiben sollten ● Die Schimären Transmutation und Kernfusion am KIT in Karlsruhe ● Die Genese der Plutonium-Gesellschaft - In Memoriam Léon Gruenbaum (1934 – 2004).
Ja, die Erinnerung an den von dem Atom-Nazi Greifeld verfolgten jüdischen Physiker Léon Gruenbaum aus Frankreich, dessen Eltern dorthin fliehen konnten und dessen größter Familienteil in den faschistischen Vernichtungslagern umkam, war der bewegende Hintergrund der Serie.
Gruenbaum-Symposium 2013: Harald Denecken, Rolande Tordjman-Grunbaum, Joachim Radkau, Manja Altenburg, Wolff Geisler, Dietrich Schulze, Christof Müller-Wirth, Andrea Hoffend, Nadja Brachmann (v.l.n.r)
Foto: Sandra Jacques, Quelle: Broschüre Zitat [11]
Das Forum | Ludwig Marum, das sich der Mahnung an den von den Nazis im KZ Kislau umgebrachten sozialdemokratischen Politiker und Rechtsanwalt verschrieben hat, veranstaltete im Oktober 2013 zu Ehren Léon Gruenbaums ein beachtetes Symposium mit Léons Witwe Rolande Tordjman-Grunbaum aus Paris und interessanten Referaten. Dabei kam auch die Atom(waffen)politik zur Sprache, über die Léon eine wichtige Monographie geschrieben hatte. Es war ein glücklicher Zufall, dass eben jener zuvor erwähnte Wolff Geissler, der persönlich mit Léon zusammen gearbeitet hatte, teilnehmen konnte und auch über die schändliche Brasilien-Politik zu sprechen kam. Die Broschüre über das Symposium ist gerade anlässlich der Pogromnacht online gestellt worden [11]. Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass auch die seit einiger Zeit gegen die Hermes-Kredite für die brasilianische Atom-Aufrüstung laufende Kampagne „Don‘t bank the bomb“ angesprochen worden ist.
Aufschlussreiche Hintergrundberichte sind bei german-foreign-policy.com erschienen: 2010 „Die brasilianische Bombe“ [12] und 2012 „Mehrzweckforschungsreaktor“ und „Ein Versailles kosmischen Ausmaßes“ [13].
Abschließen möchte ich diese dokumentarische Revue mit einem Beitrag im ZDF-Online-Flyer Nr. 365 zum Hiroshima- und Nagasaki-Gedenken 2012 „Kann D Atomwaffen?“ [14]. Allen Ernstes hatte der damalige KIT-Präsident Eberhard Umbach behauptet, dass Deutschland keine Atomwaffen bauen könne. Gnadenlos geschmeidig, könnte man meinen. Umbach ist jedoch Physiker. Das bedeutet angesichts der Fakten eine vorsätzliche Verdummung der Öffentlichkeit. Die wirklichen Motive hat Otto Meyer im August in „Ossietzky“ unter dem Titel „Was die Atom-Lobby vertuscht“ [15] dargelegt.
Und noch das Allerneueste vom großen Bruder. Laut dpa [16] kündigten die USA eine umfassende Modernisierung ihres gesamten Waffenprogramms einschließlich Atomwaffen an, um die strategische US-Überlegenheit und die nukleare Abschreckung gewährleisten zu können. Die Modernisierung des Atomwaffenarsenals betrifft Atombomber, Atom-U-Boote und Raketensilos. Erinnern Sie sich noch, was der Friedensnobelpreisträger verkündet hatte? Präsident Obama verspielt damit die letzten Hoffnungen und stößt ein aggressives neues Wettrüsten an. Im Jahre 100 des Beginns des Ersten Weltkriegs und im Jahre 75 des Beginns des Zweiten Weltkriegs bedeutet das nichts anderes als die materielle und gedankliche Vorbereitung eines atomaren Dritten finalen Weltkriegs. Alle anderen Atomwaffen-Besitzer werden zu ähnlichen Modernisierungen angestiftet. Atomare Schwellenländer und viele andere mehr werden sich darin bestärkt fühlen, die sogenannte „friedliche Nutzung“ auszubauen und eigene Atomwaffen-Programme zu forcieren.
Nachtrag des Autors vom 19. November 2014
Nachtrag des Autors vom 19. November 2014
Aufgrund einer ärgerlichen Kommunikationslücke, die ich auf meine Rechnung nehmen muss, ist mir erst gestern, am Tage nach der Einreichung der Endfassung des Artikels, der Fakt bekannt geworden, dass eine Bundestagsmehrheit von CDU/CSU und SPD der Verlängerung des Atomabkommens mit Brasilien zugestimmt hat:
Meine heutige Recherche hat ergeben, dass die Ablehnung des GRÜNEN Bundestagantrags bereits am 6. November beschlossen wurde:
Der Tenor des Artikels und die detaillierten Hintergrund-Informationen über die Geschichte des Abkommens bleiben davon unberührt. (PK)
Quellen:
[4] http://kotting-uhl.de/site/wp-content/uploads/2014/11/20141029_Brief-Kündigung-Atomabkommen_ALEM.pdf
[8] https://vimeo.com/89016996 http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20140316.pdf
Dr.-Ing. Dietrich Schulze (Jg. 1940) war nach 18-jähriger Forschungstätigkeit im Bereich der Hochenergie-Physik von 1984 bis 2005 Betriebsratsvorsitzender im Forschungszentrum Karlsruhe. 2008 gründete er mit anderen in Karlsruhe die Initiative gegen Militärforschung an Universitäten (WebDoku www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf). Er ist Beiratsmitglied der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit sowie in der Initiative „Hochschulen für den Frieden – Ja zur Zivilklausel“ und publizistisch tätig.
Online-Flyer Nr. 485 vom 19.11.2014