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Wiederkehr der nuklearen Option
Will Washington den Atomkrieg?
Von Wolfgang Effenberger
„Atomwaffen wieder im Spiel“(1), so titelte am Sonntag, dem 25. Januar 2015, die Frankfurter Allgemeine. Die NATO sorge sich über russische Drohgebärden und erwäge Gegenmaßnahmen. Auch der SPIEGEL(2) hatte über zunehmend provokante Manöver russischer Militärjets im Baltikum berichtet. Diese Manöver sollen unter anderem mit Überschallflugzeugen des Typs TU-22M (NATO-Codename "Backfire") und mit Turboprop-Maschinen vom Typ TU-95H, ("Bear") geflogen worden sein(3).
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Durch diese als Scheinangriffe gedeuteten Manöver fühlt sich die NATO veranlasst, ihre Nuklearstrategie auf den Prüfstand zu stellen. Dazu kommen am 5. Februar im Brüsseler Hauptquartier der Allianz die NATO-Verteidigungsminister zunächst als Nukleare Planungsgruppe (NPG) zusammen. Die 1966 gegründete NPG hat zwar keine Entscheidungs-gewalt, kann aber Empfehlungen zur Rolle von Kernwaffen in der Abschreckungs- und Verteidigungspolitik der NATO geben.(4) Sie tagte letztmalig im Oktober 1992 im schottischen Gleneagles. Das war unmittelbar nach dem Ende des Kalten Krieges.
Wann gehen die Menschen in Europa endlich wieder wie in den 80er Jahren
für den Frieden auf die Straße und greifen in die Räder des fälschlicherweise "Militärisch-industrieller-Komplex" genannten Netzwerks. Denn Kriege kosten Geld – viel Geld. Also muss man fragen, wer die jeweiligen Geldgeber sind.(18) Die Exponenten des Militärs haben in der Regel kaum Geld, ihr Einflussfenster ist nur für wenige Jahre geöffnet: sie agieren nur als willige Handlanger des Kapitals und der Industrie. Es ist kurz vor Zwölf und damit höchste Zeit, den Hasardeuren, Schattenstrategen und Profiteuren das Handwerk zu legen. (PK)
Wolfgang Effenberger, Jahrgang 1946, wurde mit 18 Jahren Zeitsoldat, studierte Bauingenieurwesen und erhielt als junger Pionieroffizier Einblick in das von den USA vorbereitete "atomare Gefechtsfeld" in Europa. Nach dem Ausscheiden aus der Bundeswehr Studium der Politikwissenschaft sowie Höheres Lehramt (Bauwesen/Mathematik). Er lebt als freier Publizist am Starnberger See. Aktuell ist von ihm und Willy Wimmer erschienen: "Wiederkehr der Hasardeure - Schattenstrategen, Kriegstreiber, stille Profiteure 1914 und heute", geb., ca. 640 S., zahlr. Abb., 29,90 € (mehr unter http://zeitgeist-online.de/buecher/vorankuendigung.html
Online-Flyer Nr. 496 vom 04.02.2015
Wiederkehr der nuklearen Option
Will Washington den Atomkrieg?
Von Wolfgang Effenberger
„Atomwaffen wieder im Spiel“(1), so titelte am Sonntag, dem 25. Januar 2015, die Frankfurter Allgemeine. Die NATO sorge sich über russische Drohgebärden und erwäge Gegenmaßnahmen. Auch der SPIEGEL(2) hatte über zunehmend provokante Manöver russischer Militärjets im Baltikum berichtet. Diese Manöver sollen unter anderem mit Überschallflugzeugen des Typs TU-22M (NATO-Codename "Backfire") und mit Turboprop-Maschinen vom Typ TU-95H, ("Bear") geflogen worden sein(3).
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Und nun soll die Nuklearstrategie wegen ein paar russischen Luftraumverletzungen wieder aus der Kiste geholt und mit Kanonen auf Spatzen gefeuert werden? Kluge Diplomatie sieht anders aus!
Gelegentliche "spielerische" Luftraumverletzungen waren in den 1980er Jahren auch seitens der NATO hier in Europa an der Tagesordnung – und niemand regte sich darüber auf.
Und nicht nur das: Unter dem Decknamen "Project Homerun" drang im Frühjahr 1956 sieben Wochen lang immer wieder von Thule aus eine Staffel von US-Aufklärungsbombern des Typs RB-47 zu Zielgebieten in der Sowjetunion vor.(5) Am 6. Mai 1956 begann die gewagteste Einzeloperation des Kalten Krieges, ein massiver Überflug sowjetischen Territoriums mit dem Ziel, möglichst schnell ein möglichst großes Gebiet zu erfassen.
Später legte die Nukleare Planungsgruppe alljährlich im Handbuch "Nuclear Yield Requirements" für annähernd 2.000 Atomsprengkörper, die größtenteils mit Jagdbombern ins Einsatzgebiet geflogen werden sollten, die Ziele fest.(6) So zum Beispiel das westliche Schleusentor des Nord-Ostsee-Kanals bei Brunsbüttel, damalige Zielnummer 0729 M, unweit eines Atomkraftwerkes. Für die restlichen zwei Drittel der Atomsprengkörper lag die Reichweite nur unbedeutend über 150 Kilometern, so dass sie ausschließlich auf deutschem Boden, der Bundesrepublik oder der DDR, zur Explosion gekommen wären.
Und trotz aller Abrüstungserfolge bei den interkontinentalen (strategischen) Waffensystemen gingen die makabren nuklearen Kriegsspiele weiter. Im Sommer 1989 wurde bekannt, dass an der 7. Version des Strategischen Operationsplanes (Strategic Integrated Operation Plan-SIOP) gearbeitet wurde, mit dem Ziel, das Führen und Gewinnen eines Nuklearkriegs möglich zu machen.(7) Eine neue Generation von Atomwaffen konnte Erdbunker in 200 Meter Tiefe zerstören. Damit war man in der Lage, die gesamte Sowjetführung mit einem Schlag zu eliminieren.
Mit der Auflösung des ²Warschauer Pakts² und dem Ende der Sowjetunion war dieser Alptraum eines Atomkriegs zunächst vom Tisch. Mit dem am 5. April 2009 in Prag charismatisch auftretenden US-Präsidenten Barack Obama keimte die Hoffnung auf eine atomwaffenfreie Welt auf. Unter dem Beifall Hunderttausender versprach Obama: "Zunächst werden die Vereinigten Staaten konkrete Schritte in Richtung einer Welt ohne Atomwaffen unternehmen.“(8)
Ebenso wuchs die Hoffnung, dass auch die letzten 20 Atomsprengköpfe (weitere 180 in der Türkei, Italien, Holland und Belgien) aus Deutschland abgezogen werden würden. Das brachte die NATO unter Druck, weil an einen vollständigen Abzug ohnehin nie gedacht war.(9) Aus Rücksicht auf Washington hielt sich die bundesdeutsche Politikelite weitgehend zurück – nur Guido Westerwelle, damals deutscher Außenminister, sah die Zeit reif für den Abzug der bereits in die Jahre gekommenen US-amerikanischen Atombomben vom Typ B61. Sie lagerten im Luftwaffenstützpunkt Büchel, einem Ort in der idyllischen Vulkaneifel, 120 Kilometer südlich von Köln.
Inzwischen soll die veraltete B61 durch die neuentwickelte B61-12 ersetzt werden: sie besitzt die 13-fache Sprengkraft der Hiroshima-Bombe!(10)
Als einziger fliegender Verband der deutschen Luftwaffe wird das in Büchel stationierte Taktische Luftwaffengeschwader 33 (TaktLwG 33) im Rahmen der nuklearen Teilhabe für den Einsatz dieser Waffen ausgebildet. Bis 2025 plant die Luftwaffe, mindestens 46 Tornados für diese Aufgabe bereitzuhalten.
Weitgehend ignoriert von den öffentlichen Medien finden alljährlich Großdemonstrationen vor den Toren des Luftwaffenstützpunktes Büchel statt – einmal anlässlich des Ostermarsches(11) und dann am Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs, dem 1. September, mit der Pop-Ikone Nina Hagen.
Wir erleben heute einen Rückfall in eine der gefährlichsten Phasen des Kalten Krieges, als Anfang der 80er Jahre der Nachrüstungsbeschluss durchgepeitscht wurde und die veralteten Pershing I-Raketen durch die Pershing II ersetzt wurden. Die Reichweitensteigerung von 800 auf 1200 Kilometer war für den Laien nicht dramatisch, wohl aber für die Fachleute im Kreml. Denn nun konnten die verbunkerten Befehlsstände rund um Moskau in nur wenigen Minuten ausgeschaltet werden. Reagans Traum vom Enthauptungsschlag war nun Wirklichkeit geworden. In Washington geisterte die Vision "Victory is possible" durch die Hallen des Capitols.
Ein bekannter Verfechter einer mit Atomwaffen umzusetzenden Angriffskriegsstrategie war der britisch-amerikanische Militärstratege und Professor für Internationale Beziehungen und Strategische Studien an der University of Reading, Colin Spencer Gray.(12) Sein Credo seit 1980:
„Sowjetische Führer werden erst durch eine glaubwürdige amerikanische Siegesstrategie beeindruckt sein. Eine solche Lehre müsste den Tod des Sowjetstaates ins Auge fassen. Die Vereinigten Staaten sollten planen, die Sowjetunion zu besiegen, und dies zu einem Preis, der die Wiedergenesung der USA nicht verhindert. Washington sollte Kriegsziele verfolgen, die letzten Endes die Zerstörung der sowjetischen politischen Autorität anstreben sowie die Entstehung einer Weltordnung, die mit westlichen Wertvorstellungen vereinbar ist.“(13)
Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass am 21. Januar 2015 der Vorstand der weltrenommierten Zeitschrift "Bulletin of Atomic Scientists" (BAS) die so genannte Weltuntergangsuhr (Doomsday Clock) auf drei Minuten vor Zwölf gestellt hat.(14) Das war letztmalig vor 31 Jahren der Fall, als 1984 die Beziehung zwischen den beiden Supermächten USA und Sowjetunion wegen der Pershing-Nachrüstung einen Tiefpunkt erreicht hatte.(15) Damals konnte die Uhr noch rechtzeitig angehalten werden. Heute haben sich die Rahmenbedingungen zugunsten des Westens verschoben.Die NATO hat im Frühjahr 1999 mitten im völkerrechtwidrigen Jugoslawienkrieg die ersten ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten aufgenommen und ist dabei, die NATO immer weiter nach Osten auszudehnen. Der Wechsel von einem Verteidigungsbündnis hin zu einem Interventionsbündnis ist längst vollzogen. Russland dagegen steht quasi völlig allein gegen NATO und EU, deren Wirtschaftskraft um ein Vielfaches größer ist.
Zurzeit tobt ein Wirtschaftskrieg gegen Russland. Wie lange kann Russland noch durchhalten? Hinzu kommt noch eine – zumindest gefühlte – Bedrohung durch die an der Grenze zu Russland stationierten amerikanischen Patriot-Flugabwehrraketen in Ostpolen, die angeblich nur iranische Raketen abfangen sollen.
Jetzt auch noch mit nuklearen Planspielen zu beginnen, erscheint hochgradig paranoid.
Doch die Öffentlichkeit scheint die Gefahr nicht zu bemerken. Noch ist ungewiss, wann der Zeiger der Doomsday-Uhr auf 12 springt und wir aus dem Betäubungsschlaf gerissen werden. Gewiss ist nur, dass das Erwachen uns vor kaum vorstellbare Probleme stellen wird. Probleme, die – wie schon 1914 – von einigen wenigen Hasardeuren zu verantworten sein werden. Heute sind es u.a. der Altmeister der Geo-Strategie, Zbigniew Brzezinski, und der "Staatsmann ohne Staat", George Soros, beide im letzten Abschnitt ihres Lebens. Dazu ein US-State-Department, das seit 9/11 einen pathologischen Krieg gegen den Terrorismus führt. Zur Verteidigung so genannter westlicher Werte werden fragwürdige Allianzen gebildet und wird sogar ungeniert per Drohne gemordet mit dem US-Präsidenten als Richter und Henker. Da zeigt die "westliche Wertegemeinschaft" ihr hässliches und heuchlerisches Gesicht. Doch gab es jemals ein anderes – man denke nur an Vietnam, Grenada, Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien usw.?
Der frühere Sowjetpräsident Michail Gorbatschow fürchtet, dass die USA wegen der Ukraine-Krise einen großen Krieg in Europa riskieren könnten.(16)
Das Cover des Magazins „The Economist“ mit der Überschrift "Die Welt 2015" ist voll kryptischer Symbole und düsterer Vorhersagen.(17) So ist oben rechts auf dem Bild ein Atompilz zu sehen, unten rechts ein Tornado sowie zwei Pfeile mit Datumsangaben. Im Hintergrund Churchill mit Victory-Zeichen. Die Zeichen sind unübersehbar!
Wann gehen die Menschen in Europa endlich wieder wie in den 80er Jahren
für den Frieden auf die Straße und greifen in die Räder des fälschlicherweise "Militärisch-industrieller-Komplex" genannten Netzwerks. Denn Kriege kosten Geld – viel Geld. Also muss man fragen, wer die jeweiligen Geldgeber sind.(18) Die Exponenten des Militärs haben in der Regel kaum Geld, ihr Einflussfenster ist nur für wenige Jahre geöffnet: sie agieren nur als willige Handlanger des Kapitals und der Industrie. Es ist kurz vor Zwölf und damit höchste Zeit, den Hasardeuren, Schattenstrategen und Profiteuren das Handwerk zu legen. (PK)
Anmerkungen:
(1) Thomas Gutschker: Atomwaffen wieder im Spiel. Die NATO sorgt sich über russische Drohgebärden und erwägt Gegenmaßnahmen vom 25. 1. 2015
(3) Gutschker, a.a.O.
(4) Der Fischer Weltalmanach 1972, S. 383
(5) Bamford, James: NSA. Die Anatomie des mächtigsten Geheimdienstes der
Welt. München 2001, S. 92 - 93
(6) Über die Zielliste im Handbuch für amerikanische Bomberpiloten "Nuclear Yield Requirements": siehe Stern 6/1970 (27.1.-2.2.1970) Seite 170/171: Bomben auf Kiel (The secret target list for american bomber pilots: "Nuclear Yield Requirements"); siehe auch USAFE, Deputy Chief of Staff (for) Intelligence, Nuclear Yield Requirements, Vol I., abgedruckt in: Neuberger / Opperskalski 1982, S. 104-115, hier S. 112
(7) Wolfgang Effenberger: Das amerikanische Jahrhundert. Teil 1: Die verborgenen Seiten des Kalten Krieges, München 2011, S. 122
(8) Remarks of President Barack Obama, Hradčany Square, Prague / Czech Republic, April 5. 2009, http://prague.usembassy.gov/obama.html (deutsch: US-Botschaft Berlin, Abteilung für öffentliche Angelegenheiten http://amerikadienst.usembassy.de/)
(9) Bundeswehr weiter auf Nuklearkurs, DER SPIEGEL 35/2010unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-73479889.html
(10) Arne Bensiek: US-Atombomben in Deutschland Nuklearwaffen werden nicht abgezogen, sondern modernisiert, Tagespiegel vom 23.07. 2014 unter http://www.tagesspiegel.de/politik/us-atombomben-in-deutschland-nuklearwaffen-werden-nicht-abgezogen-sondern-modernisiert/10236788.html
(11) Christian Heinrici: Interview zur Ostersonntagsdemo gegen Atomwaffen in Büchel
40 Jahre Schwindel, NRhZ-Online-Flyer Nr. 243 vom 31.03.2010; http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=14981
40 Jahre Schwindel, NRhZ-Online-Flyer Nr. 243 vom 31.03.2010; http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=14981
(12) Spiegel-Artikel vom 30. August 1982, Seite 104-105
(13) Artikel von Gray Victory is possible in der Zeitschrift Foreign Policy, Sommerausgabe 1980, S. 22
(15) Weltuntergangsuhr: Nur noch drei Minuten vor Zwölf, IPPNW-Pressemitteilung vom 23.1.2015 unter http://www.ippnw.de/presse/presse-2015/artikel/d38e9aa7e65066b316bf675fe90294d9/weltuntergangsuhr-nur-noch-drei-min.html
(16) Gorbatschow warnt vor Krieg wegen der Ukraine-Krise, 29.1.2015 unter www.gmx.net/magazine/politik/gorbatschow-warnt-krieg-ukraine-krise-30408104
Online-Flyer Nr. 496 vom 04.02.2015