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Eins der größten Wirtschaftsverfahren der Nachkriegszeit geht zu Ende
Die Kölner Herren der Welt
Von Michael Scheffer
Nach 126 Verhandlungstagen in über zwei Jahren steht vor dem Kölner Landgericht der Prozess gegen die früheren persönlich haftenden Gesellschafter des Bankhauses Sal. Oppenheim kurz vor dem Abschluss. Bis zuletzt verwahrten sich Matthias Graf von Krockow, Christopher Freiherr von Oppenheim, Friedrich Carl Janssen und Dieter Pfundt gegen den Vorwurf der gemeinschaftlich begangenen Untreue. Sie, sowie der Bauunternehmer Josef Esch, der sich nur noch wegen Verstoßes gegen das Kreditwesengesetz verantworten muss, sind still geworden. Die Schlussplädoyers der Verteidigung übernimmt eine Armada von Advokaten, jetzt schlägt die Stunde der Staranwälte. Einst gebärdeten sich die Angeklagten wie die Herren der Welt, nun müssen sie möglicherweise ins Gefängnis.
Die Kölner Herren der Welt
"Eine Verständigung hat nicht stattgefunden." Mit diesen Worten beendete die Vorsitzende Richterin Sabine Grobecker am 28. Mai die Beweisaufnahme im bundesweit beachteten Mammutprozess gegen die ominösen Exponenten des Kölner Geldadels. Noch am gleichen Tag hielten die zuständigen Staatsanwälte ihr Schlussplädoyer, in welches sie die Essenz von nunmehr fünfjähriger Ermittlungs-arbeit einbrachten. Oberstaatsanwalt Torsten Elschenbroich stellte gleich zu Beginn seiner Einlassungen klar, dass es im Strafverfahren eben nicht um den Niedergang der einstmals größten Privatbank Europas ging. Zu verurteilen seien schlussendlich zwei pflichtwidrige Entscheidungen der Banker, die damit einen Schaden von über einhundert Millionen Euro zu verantworten hätten: Der Ankauf von Anteilen an einer Frankfurter Grundstücksgesellschaft und die Beteiligung an der Arcandor AG im Jahre 2008 ("Die Angeklagten wussten, was sie wollten, und sie kannten die damit bekannten Schwierigkeiten"). Dennoch offenbarte das fünfstündige Plädoyer nicht nur entscheidende Indizien für pflichtwidrige Verstöße gegen Vermögensbetreuungspflichten, es skizzierte auch die eigenwillige Arbeitsweise der Protagonisten, welche eine finanzielle Erfolgsgeschichte sondergleichen generierte. Angefangen bei der Einsetzung des Josef Esch als Bauherrn und Generalunternehmer, über die Entwicklung fragwürdiger Steuersparmodelle für die höchstvermögende Kundschaft, hin zur Auflegung zahlreicher geschlossener Immobilienfonds im Rahmen der komplexen Esch-Oppenheim-Holding.
Online-Flyer Nr. 517 vom 01.07.2015
Eins der größten Wirtschaftsverfahren der Nachkriegszeit geht zu Ende
Die Kölner Herren der Welt
Von Michael Scheffer
Nach 126 Verhandlungstagen in über zwei Jahren steht vor dem Kölner Landgericht der Prozess gegen die früheren persönlich haftenden Gesellschafter des Bankhauses Sal. Oppenheim kurz vor dem Abschluss. Bis zuletzt verwahrten sich Matthias Graf von Krockow, Christopher Freiherr von Oppenheim, Friedrich Carl Janssen und Dieter Pfundt gegen den Vorwurf der gemeinschaftlich begangenen Untreue. Sie, sowie der Bauunternehmer Josef Esch, der sich nur noch wegen Verstoßes gegen das Kreditwesengesetz verantworten muss, sind still geworden. Die Schlussplädoyers der Verteidigung übernimmt eine Armada von Advokaten, jetzt schlägt die Stunde der Staranwälte. Einst gebärdeten sich die Angeklagten wie die Herren der Welt, nun müssen sie möglicherweise ins Gefängnis.
Die Kölner Herren der Welt
Fotocollage: Michael Scheffer
Esch war es auch, welchem die Millionenerbin Madeleine Schickedanz später ihr Vermögen anvertrauen sollte (1). Im Rahmen immer neuer Kredite wurde sie ab 2001 zur Großaktionärin des damaligen Karstadt-Quelle-Konzerns gemacht, die entsprechenden Geschäftsbeziehungen wurden über die Oppenheim-Bank abgewickelt, so die Staatsanwaltschaft. Der sukzessive Niedergang von Karstadt, bzw. Arcandor besiegelte 2008 nicht nur das Engagement von Schickedanz, sondern in der Folge auch das Schicksal der mittlerweile in Luxemburg residierenden Oppenheim-Bank. Das Risikomanagement hatte versagt.
Die Prozesstage im Juni waren den Verteidigern vorbehalten, die ihre Schlussplädoyers hielten. Analog zur Einschätzung der Staatsanwaltschaft wurde immer wieder auf das Jahr 2005 verwiesen: Ein Annus horribilis, an dessen Anfang der Tod des Patriarchen Alfred Freiherr von Oppenheim stand, was zu umfassenden strukturellen und personellen Veränderungen im Bankhaus führte. Im gleichen Jahr scheiterte das Delisting von Karstadt-Quelle, im Sommer übernahm Thomas Middelhoff den Vorstandsvorsitz. Unter seiner Ägide wurde der Konzern als Arcandor AG operativ neu aufgestellt, u.a. durch den Verkauf der begehrten Warenhausimmobilien an den Whitehall-Fonds (Goldman-Sachs), welche in der Folge teuer zurückgemietet werden mussten. Im Laufe seiner Amtszeit sank der Aktienkurs von ca. 10,- Euro im Jahre 2005 auf 1,30 Euro pro Wertpapier im Februar 2009 (2). Vier Monate später wurde in Essen die Einleitung des Insolvenzverfahrens beantragt. Middelhoff wurde im November 2014 wegen Untreue und Steuerhinterziehung zu drei Jahren Haft verurteilt und wegen Fluchtgefahr umgehend inhaftiert. Im April 2015 gewährte das Landgericht Essen Haftverschonung und setzte ihn gegen Zahlung einer Kaution auf freien Fuß.
Dies dürfte den in Köln angeklagten Bankiers erspart bleiben. Rechtsanwalt Dr. Daniel Krause verwahrte sich gegen den Vorwurf, sein Mandant Graf von Krockow habe anmaßend und eigenmächtig gehandelt. Die sich aus dem Aktiengesetz ergebende Rechtswirkung sei ihm nicht bewusst gewesen. Zwar räumte er pflichtwidriges Verhalten gegenüber der Gesellschaft ein, der Pflichtenmaßstab sei jedoch auf luxemburgisches Gesellschaftsrecht abzustellen, wo Sal. Oppenheim ab 2007 residierte. Er appellierte im Hinblick auf die Strafzumessung "eine Entscheidung zu treffen, die dem Grafen eine Perspektive lässt." Die Apologien der anderen Angeklagten ähneln sich in der Argumentationsstruktur frappierend. "Eine Gefängnisstrafe wäre für einen solchen Mann (...) nicht schuldangemessen" postulierte Norbert Scharf, Anwalt des Barons von Oppenheim.
Auch Franz Salditt hob als Verteidiger von Friedrich Carl Janssen hervor, "dass es in seinem Leben einen strafrechtlichen Schatten nicht gegeben hat." Im weiteren Verlauf seines Plädoyers sezierte er die Trennschärfe zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit, lotete den Grenzbereich von "grob fahrlässig" bis "bedingt vorsätzlich" aus, stellte dem voluntativen Vorsatzelement die Würdigung der Billigung entgegen. Immer wieder wird auch "hohe Zeitnot" bemüht, die "schwer zu rekonstruierende chaotische Lage." Auch der für den Investmentbereich zuständige Dieter Pfundt habe nicht vorsätzlich gehandelt, räume aber ein, sich geirrt zu haben. Sein Anwalt Felix Dörr plädierte am 19. Juni, dem letzten Verhandlungstag, dementsprechend auf Freispruch. Der Einfluss der Nichtfamiliengesellschafter (Pfundt) sei im Bankhaus ohnehin traditionell deutlich geringer als der Einfluss der beiden adligen Familienstämme Lindenallee (Oppenheim) und Schlenderhan (von Krockow).
"Was der Bank nutzte, nutzte der Familie" (Salditt). Diese verhängnisvolle Verwobenheit mag über zwei Jahrhunderte Gültigkeit besessen haben, durch den eklatanten Niedergang des Hauses ist sie einstweilen geschichtlich überholt. Damit ist die Aufarbeitung der Geschäfte von Sal. Oppenheim allerdings noch lange nicht abgeschlossen. Es stehen zahlreiche Zivilprozesse an, in denen private Fondsanleger nicht erfüllte Renditeerwartungen geltend machen wollen. Auch die strafrechtliche Aufarbeitung scheint sich zu einem Fortsetzungsroman zu entwickeln. So berichtete die Süddeutsche Zeitung am 15. Juni 2015, dass Steuerprüfer und Staatsanwälte 28 Büros und Wohnungen durchsucht hätten, offenbar vor allem von Klienten von Sal. Oppenheim. Die Zeitung spricht von "schwerreichen Familien" und "vermögenden Kapitalanlegern". Der Verdacht: Steuerhinterziehung (3).
Der denkbar größte Schaden dürfte allemal der sein, der juristisch bislang kaum beleuchtet wurde: Der öffentlichen Hand wurden im Zuge zahlreicher Privatisierungen von Wohnungsgesellschaften und Stadtwerken elementare Teile ihrer Daseinsvorsorge entzogen. Beliebtes Modell waren zumeist sogenannte PPP-Vereinbarungen (Public-Private-Partnership), die eigentlich stets nach demselben Muster gestrickt sind: Immer zu Gunsten des Investors, immer zu Lasten der Allgemeinheit. Beteiligt war nicht selten das Bankhaus Oppenheim, so in Berlin, Bonn, Cottbus, Dresden, Gera, Kiel, Cuxhaven, Göttingen, Solingen, Bielefeld und Hanau (4). Auch die nur knapp gescheiterte Privatisierung der 42.000 Wohnungen der Kölner Wohnungsbaugesellschaften GAG und Grubo wurde von der Bank vorbereitet, die für ihr Gutachten drei Millionen Euro kassierte (5). Dies alles waren allerdings "peanuts" im Vergleich zu den großen Immobiliengeschäften, die im Verlauf der 2000er Jahre getätigt wurden. Nachdem die rot-grüne Bundesregierung mit dem Gesetz zur steuerlichen Freistellung von Veräußerungsgewinnen die Büchse der Pandora geöffnet hatte, wurden etliche geschlossene Immobilienfonds aufgelegt, welche die kommunalen Haushalte noch jahrzehntelang belasten werden.
So realisierte die Oppenheim-Esch-Holding in Köln den Komplex KölnArena/Technisches Rathaus, das Bezirksrathaus in Nippes, die Fernsehstudios in Ossendorf und das Dumont-Carree. Ihr vermeintliches Meisterstück aber war der Neubau der Kölner Messehallen. Weil das komplizierte Dreiecksgeschäft zwischen der Stadt, der Messe Köln und dem Fonds nicht ordnungsgemäß vergeben wurde hat der Europäische Gerichtshof 2009 die Rechtswidrigkeit des Deals festgestellt (6). Tatsächlich räumte der ehemalige Oberstadtdirektor Lothar Ruschmeyer, der nach Ende seiner Amtszeit ungeniert in die Geschäftsführung des Esch-Fonds wechselte, schon 2005 ein, dass es keine Ausschreibung, sondern nur eine "Art Ausschreibung" gab (7). Wenige Tage zuvor kam der WDR zu dem Ergebnis, dass die Stadt 360 Millionen Euro hätte sparen können, wenn sie mithilfe eines Kommunalkredits selber gebaut hätte. Der ehemalige Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes sprach von einem starken Stück ("Dann wurde ja der Rat gelinkt, aber nach Strich und Faden"), während der damals amtierende OB Fritz Schramma an dem kostspieligen Geschäft nichts Anrüchiges entdecken mochte. Er verteidigte die Vergabe an den Esch-Fonds mit der legendären Wortschöpfung, diese Angebot sei das "vorzugswürdigste" gewesen (8).
Getreu der lateinischen Binsenweisheit, dass es schwierig sei, darüber keine Satire zu schreiben ("Difficile est saturam non scribere"), verfasste der Kölner Kabarettist Heinrich Pachl das Theaterstück "Köln ist Kasse" welches 2006 uraufgeführt wurde. Ein skrupelloser Investor, ein willfähriger Lokalpolitiker und ein strippenziehender Verwaltungschef stehen im Mittelpunkt dieses bösen Kaleidoskops aus Klüngel und Korruption. "Die Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist quasi Sachzwang" erläuterte Pachl anlässlich seiner Inszenierung, die allein im Kölner Bauturm-Theater über 70 Mal aufgeführt wurde (9). Eine weitere lateinischen Binse, wonach über die Toten nichts, außer Gutes zu berichten sei ("De mortuis nil nisi bene") hinderte Werner Rügemer nicht daran, das Buch "Der Bankier - Ungebetener Nachruf auf Alfred Freiherr von Oppenheim" zu veröffentlichen (2006, Nomen Verlag, FfM). Dieses Buch verdankt seine Popularität vor allen den zahlreichen Prozessen, die von den Oppenheim-Anwälten angestrengt wurden und über die in der NRhZ berichtet wurde.
Es ist trotz einiger Schwärzungen auch heute noch äußerst lesenswert, zumal insbesondere die Aspekte Parteienfinanzierung, Arisierung oder eben die exorbitanten Vermögenssteigerungen juristisch gar nicht erst beanstandet wurden. Auch die abschließende Passage zum Komplex KölnArena/Rathaus ist nach gerichtlicher Prüfung wieder erlaubt: "Die Anmietung des Rathauses durch die Stadt (Köln) beim Investor Esch-Oppenheim auf die 30 Jahre Mietzeit gerechnet, erweist sich mit den Verpflichtungen im Kleingedruckten als ungleich teurer, als wenn die Stadt das Rathaus selbst hätte bauen lassen" (10).
Zusammenfassend kann bilanziert werden, dass es sich bei alledem zuvor Beschriebenen um nichts anderes als dreiste Umverteilung von unten nach oben gehandelt hat. Wenn die gewählten Konstrukte, Schutzmechanismen und Lügengebäude nun sukzessive zerfallen, möchte man Anthony Quinn als Alexis Sorbas zitieren: "Hast du jemals erlebt, dass etwas so bildschön zusammengekracht ist?"
Die Urteilsverkündung beim Landgericht Köln ist für den 9. Juli 2015 angekündigt. (PK)
Michael Scheffer war Mitglied der Initiative "BürgerInnen gegen Esch-Oppenheim" (BEO), die im vergangenen Jahrzehnt durch diverse Publikationen, Demonstrationen und Infoveranstaltungen versucht hat, Politik und Gesellschaft für die oben beschriebenen Aktivitäten zu sensibilisieren.
Quellen:
(4) Werner Rügemer: Privatisierung in Deutschland, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2006, Seite 102
(5) Ebenda, Seite 132
(8) WDR-Reihe "die story", Ingolf Gritschneder und Georg Wellmann: Das Milliarden-Monopoly, 4.7.2005
Online-Flyer Nr. 517 vom 01.07.2015